Des Weiteren stellt der Autor heraus, dass präfiguratives Denken „avant la lettre“ bereits im klassischen Anarchismus und dort insbesondere bei Gustav Landauer vorhanden war, als auch die aktuellen anarchistisch inspirierten Strömungen in sozialen Bewegungen prägt. Umso mehr möchte ich einige damit verbundene Aspekte diskutieren und verstehe auch meine kritischen Anmerkungen als Würdigung von Sörensens Tätigkeit und Perspektive.
Die Bedeutung des Konzepts der Präfiguration
Präfiguration bedeutet zunächst nichts weiter als die Vorwegnahme angestrebter Beziehungen und Verfahren in den Organisationsformen und Aktivitäten von Akteur*innen in sozialen Bewegungen. Sie meint „eine aktivistische, auf öffentliche Wahrnehmung zielende Vorgehensweise, die im Jetzt intentional soziale Beziehungsweisen, Organisationsformen und Institutionen einer angestrebten künftigen – anderen und mithin besseren – Gesellschaft modellhaft im Kleinen etabliert und sich davon transformatorische Inpulse erhofft“ (Sörensen 2023b: 23). Und weiter ergänzt er im Abschluss seiner Darstellung: „Die transformatorischen Impulse sollen sich dabei vermittels eines politischen Bildgebungsverfahrens im zweifachen Sinne entfalten: als sichtbar machende Abbildung einer alternativen Ordnung sowie als vorbereitende Herausbildung alternativer Subjektivitäten.Diese Vergegenwärtigung von Utopien im Kleinen – wobei „das Kleine“ hier ein durchaus dehnbarer Begriff ist – sollen infolge affektiv oder auch rational vermittelter 'Ansteckungseffekte' Nachahmung und damit die tendenzielle Universalisierung bewirken, ohne dabei auf Zwang oder Gewalt als politische Meiden zurückzugreifen. Verbunden mit der präfigurativen Praxis und der durch sie vollzogenen Formgebung eines anderen, auf Universalisierung sinnenden Miteinander ist dabei zugleich das Bestreben einer sukzessiven Aushöhlung, Verdrängung und Substitution der überkommenen, hegemonialen gesellschaftlichen Institutionen, Strukturen und Mentalitäten in der Regel ohne diesen dabei sonderlich viel Beachtung zu widmen“ (Ebd.: 141f.).
Entscheidend für das zeitgenössische Denken und – im Vergleich zur Analyse von Kapitalismus, Staat oder Patriarchat – nach wie vor zu wenig theoretisiert ist die Frage danach, wie der Übergang zu einer libertär-sozialistischen Gesellschaftsform gedacht und realisiert werden kann. Selbstverständlich ist dies abhängig von den Kräfteverhältnissen und der realen Macht, welche ein Bündnis aus dem emanzipatorischen Lager erlangen kann. Auch wenn Vorstellungen zur Gesellschaftstransformation keinem Wunschdenken entsprechen oder aus einem blossen „Willen“ heraus entwickelt werden können, ist die Beschäftigung mit ihnen notwendig, um in komplexen und bedrängenden Umständen überhaupt Orientierung gewinnen und strategische Überlegungen anstellen zu können. Zu imaginieren und zu konzeptionalisieren, wo wir hin wollen, wirkt sich wesentlich auf unser alltägliches und kleinteiliges Handeln im Hier & Jetzt aus, wenn dieses präfigurativ gestaltet wird. Die Utopie wird damit in Anschluss an Landauer und weiter an Martin Buber „präsentisch“ gedacht (Sösensen 2023a: 175-184).
Der Autor arbeitet nachvollziehbar heraus, dass präfigurative Verständnisse für aktuelle Transformationstheorien an Relevanz gewonnen haben. Sie werden etwa von radikal-demokratischen Theorien der Professoren Oliver Flügel-Martinsen und Oliver Marchart aufgegriffen. Die Debatte um Präfiguration, welche im englischsprachigen Raum unter anderem durch Wendy Brown stark gemacht wurde, wird mittlerweile auch in deutschsprachigen Beiträgen, z.B. durch Bini Adamczak, Daniel Loick und Eva von Redecker in ihren transformationstheoretischen Überlegungen thematisiert. So zeigt sich im Grunde genommen auch in der an präfigurativen Ansätzen generell, ihrer strategischen Ausrichtung oder Effektivität etwa durch Slavoj Žižek (Ebd.: 104-113) oder Chantal Mouffe welche Relevanz präfigurativer Ansätze in emanzipatorischen sozialen Bewegungen tatsächlich hatten und haben.
Interessanterweise waren es die häretischen Marxist*innen André Gorz, Carl Boggs, Wini Breiners und Sheila Rowbothham in den 70ern, welche sich mit der Bedeutung von Präfiguration befassten (Sörensen 2023b: 35-59). Boggs prägte den Begriff in Aufsätze aus dem Jahr 1977. Im Grunde genommen kann die präfigurative Herangehensweise aber bereits auf die Anti-Autoritären in der Ersten Internationalen zurückgeführt werden. Dies manifestiert sich beispielsweise im Slogan der 1905 gegründeten Industrial Workers of the World, die „die Strukturen der neuen Gesellschaft in der Schale der alten“ aufzubauen. (Und findet sich im selben Zeitraum z.B. beim Theoretiker des Anarch@-Syndikalismus Émile Pouget).
Zweifellos war es insbesondere Gustav Landauer, welcher sich ausgiebig mit der Frage beschäftigt hat, wie erstrebenswerte Praktiken bereits vorweggenommen werden können – und der damit gewissermassen revolutionäres Handeln ins Hier&Jetzt invertiert hat. (Doch bereits Wilhelm Weitling schreibt 1842 von der „Reorganisation der Gesellschaft“, womit prozesshafte Transformation und ereignishafter Bruch zusammen gedacht werden.)
Politische Theorie des Anarchismus auf den Begriff bringen
Als eines der unausgesprochenen Anliegen Sörensens kann darin gesehen werden, der politischen Theorie des Anarchismus Begriffe zu verleihen. Das Konzept der Präfiguration bietet sich dabei insbesondere an, weil mit ihm geschichtsphilosophische, transformationstheoretische, strategische und ethische Fragestellungen verbunden werden. Meines Erachtens nach ist Präfiguration neben Emanzipation, Radikalität, Initiative und Konfrontation eines der wesentlichen Merkmale anarchistischer Strategien, die in den entsprechenden Organisationsformen umgesetzt werden sollen. Dieser Arbeit am Begriff geht der Autor detailliert nach und bezieht sich dabei wie erwähnt auf Praxisbeispiele aus den Platzbesetzungsbewegungen, Kollektivbetrieben, Kommunen und Protestcamps.Letztere stellten um 2011 in Griechenland, Kairo, Tel Aviv, Paris, Istanbul und New York neue global vernetzte Protestbewegungen dar, welche in ihrem Anspruch der Horizontalität und direkten Demokratie stark mit präfigurativen Ansätzen assoziiert wurden. Der in die Kampagne Occupy Wallstreet involvierte David Graeber auf welchen sich der Autor ebenfalls bezieht, war dabei einer der Stichwortgeber und Theoretiker dieser Phase. Auch in jüngerer Zeit handelt es sich insofern um „alten Wein in neuen Schläuchen“ (Sörensen 2023b: 9-23)), wie Sörsensen es beschreibt – was nichts daran ändert, dass er mit seinen Büchern eine umfassende Beschäftigung mit dem präfiguratorischen Praktiken und Denkweisen erarbeitet, wie es sie im deutschsprachigen Raum bisher nicht gab.
Daraus können in die theoretische Beschäftigung rückwirkend auch Umrisse einer kritischen Theorie der Politik skizziert werden, wie sie der Autor mit seinem Kollegen Ulf Bohmann zusammenstellte (vgl. Sörsensen/Bohmann 2019). Diese müsse auch „utopistisch“ sein (Sörsensen 2023a: 16), was insofern eine interessante Erkenntnis und Forderung darstellt, als dass der klassische Marxismus mit seinem Anti-Utopismus und die Kritische Theorie der Frankfurter Schule mit ihrem Bilderverbot in einem ihrer Kernaspekte wesentlich weitergedacht werden müssen. Auch dahingehend liegt die Inspiration durch den Anarchismus auf der Hand, wobei Sörsensen ebenfalls aufzeigt, dass es auch von Marx bis Horkheimer und Adorno Ansatzpunkt gibt, um andere Verhältnisse vorstellbar zu machen – anstatt sich dem historisch insbesondere in Deutschland durch die Sozialdemokratie geprägten Fatalismus zu unterwerfen.
Hierbei kommt die Beschäftigung mit Gramsci durch den Autoren ins Spiel. Er bemüht sich nachzuweisen, dass sich der inzwischen wieder sehr bekannte italienische politische Denker vor allem in seiner Frühphase mit der Frage nach der Vorwegnahme erstrebenswerter Verhältnisse in der eigenen Organisierung beschäftigt hat (Sörsensen 2023b: 87-95, Sörensen 2023a: 169-175). Meines Erachtens entspringt das Aufzeigen dieser Parallele dem Wunsch, eigentlich anarchistische theoretische Figuren in den Kontext einer breiteren gesellschaftlichen Linken einzubringen, in welchem diese zwar implizit immer weitere Verwendung finden, aber es so gut wie kein Bewusstsein über eigenständige politisch-theoretische Perspektive des Anarchismus gibt. Wie Sörsensen aber selbst weiss, beschäftigt sich auch Gramsci mit dem Thema der Präfiguration, weil er die Schlagkraft anarchistischer und anarch@-syndikalistischer Bewegungen seinerzeit erklären und für das kommunistische Projekt der Machtübernahme des Staates nutzbar machen will (Ebd.: 89) – auch wenn er damit naheliegenderweise zu einem differenzierteren Verständnis von Macht und Herrschaft gelangt.
Allein das Thema der Präfiguration ist es von aber wert, ausgiebig behandelt und thematisiert zu werden. Diesem auch in akademischen Kontexten den Stellenwert zu geben, welches es unter Aktiven sozialer Bewegungen längst hat, um im besten Fall inspirierend auf diese zurückzuwirken, kann als ehrbares Anliegen Sörensens unterstellt werden.
Präfigurative Praktiken und Politik im Spannungsverhältnis
Dennoch gilt es, seine Perspektive als spezifische herauszustellen und sie mitdenkend zu hinterfragen. So will der Autor den Nachweis erbringen, dass präfigurative Ansätze sehr wohl politisch sind, also der Vorwurf der Apolitizität konsequent zurückzuweisen sei, wenn zugleich eine andere und eigene Form der Politik (Sörensen 2023a: 13, Sörsensen 2023b: 26-34) ausgemacht und entwickelt werden würde. Dies verlange also auch ein (weiteres, offen gehaltenes, feineres) Politikverständnis, als es in den meisten herkömmlichen politischen Theorien verwendet wird. Er schreibt: "Mit einer entsprechenden ausgeweiteten Zeitlichkeit von Politik bzw. politischer Transformation kann Politik auch als präfigurative Politik konzeptualisiert werden, können auch andere Orte als die klassischerweise als Orte des Politischen wahrgenommen und anerkannten als politisch verstanden werden" (Sörsensen a: 237).Dies setze aber offensichtlich voraus, Politik "nicht ausschliesslich staatlich oder staatsbezogen" (Ebd. 296) zu denken und andere Massstäbe an politische Strategien und Erfolge als üblich anzulegen (Ebd. 299ff.). Folgerichtig gelangt Sörsensen in diesem Argumentationsgang damit zu radikaldemokratischen Positionen (Ebd. 267-291).
Sein Argumentationsgang ist soweit konsistent und nachvollziehbar. Dennoch bin ich durch meine eigene Beschäftigung mit dem Thema der Ansicht, dass es sich Sörsensen damit zu einfach macht. Statt zu reklamieren, dass präfigurative (und damit im weiteren Sinne anarchistische) Ansätze und Praktiken als politisch gelten sollen, was voraussetzt, den Politikbegriff neu zu durchdenken und zu erweitern, ist auch der Umkehrschluss möglich – und zumindest einer Diskussion wert.
Für eine „kritische Theorie der Politik“ gilt es meines Erachtens nach noch einen Grad skeptischer demgegenüber zu sein, was Politik unter den Bedingungen der vorfindlichen Herrschaftsordnung zu weiten Teilen – und eben nicht idealtypisch, wie etwa in Anschluss an Hannah Arendt oder auch Murray Bookchin – ist. Sörensen argumentiert plausibel, dass eine plumpe und eventuell auch moralisierende Ablehnung von Politik letztendlich eine blosse Verweigerungshaltung darstellt, mit welcher sich die Auseinandersetzungen für emanzipatorische Bestrebungen unter vorfindlichen Bedingungen nicht führen lasse.
Zugleich setzt diese Sichtweise voraus, Politik überhaupt als etwas normativ Gutes oder Erstrebenswertes umzudefinieren – was eine radikaldemokratische Möglichkeit aber – auch ohne moralisierendes Vorurteil oder verkürzte Analysen – deswegen nicht weniger diskussionswürdig ist. Mir scheint, dass hierbei dem Politikmachen krampfhaft ein Wert für sich abgerungen werden soll, um vielleicht auch den Anarchismus plausibel zu machen und zu legitimieren. Ich meine aber, dass die eindeutigen Aussagen zur Absage an die Politik (auch über den Staat, Parteien und Parlamente hinaus, sondern auf Politik als Vermittlung eines staatlichen Herrschaftsverhältnisses zielend) aus allen Strömungen ernst genommen werden sollten.
Ob bei Stirner, Thoreau, Proudhon, Déjacques, Kropotkin, Goldman, Pouget, Galleani, Landauer – in zahlreichen Quellentexten des klassischen Anarchismus finden sich dezidiert anti-politische Aussagen, deren Verstehen und Diskutieren noch mal eine andere Perspektive ermöglicht, als sie Sörsensen herausarbeitet. Die Frage, wie sich auf Politik bezogen werden und mit ihr umgegangen werden sollte, bleibt damit immer noch offen, wird damit aber in ein anderes Licht gerückt.
Auf dieselbe Weise sollte dementsprechend auch das Konzept der Präfiguration geblickt werden. Damit läge das zugleich Besondere und Allgemeine, sowie der Wert und die Bedeutung von Protestcamps, Platzbesetzungen, selbstorganisierte Gruppen und direkten Aktionen eben gerade darin, dass sie Politik auch in einem weiteren Sinne in Frage stellen. Denn möglicherweise führt erst das Durchwandern dieses Grenzgebietes wirklich zu anderen Handlungsmodi und Organisationsformen, als wenn sie doch wieder politischen Logiken eingegliedert wird – und sei es, indem diese grundlegend erweitert werden sollen. Vermutlich war und ist es für Anarchist*innen tatsächlich gewinnbringender, sich explizit nicht als politische Akteur*innen zu begreifen – auch auf die Gefahr hin, dass aufgrund der Realität des politischen Feldes und der auf ihm ausgetragenen Auseinandersetzungen Leerstellen entstehen, welche es wiederum zu beachten und zu bearbeiten gilt.
Wenn mit dieser Herangehensweise auch unsere Vorstellung vom Politischen überhaupt in Frage gestellt und weiterentwickelt wird, dann nicht deswegen, weil dies das Ziel der entsprechenden Akteur*innen ist, sondern – ebenso wie bei reformerischen Forderungen – es ein Nebeneffekt des Strebens nach Autonomie und Selbstorganisation darstellt. Präfigurative Praktiken müssen dementsprechend mit der politischen Realität in Konflikt stehen, statt mit dieser versöhnt zu werden. Deswegen stimmt es auch nicht, dass Subjekt und Objekt der Revolution, ebenso wenig wie revolutionäre Ziele und Mittel in präfigurativen Praktiken „in eins“ fallen, wie Eva von Redecker es formuliert. Vielmehr wird mit diesen eine kontinuierliche Annäherung versucht, welche aber als permanenter Prozess zu verstehen ist, der nur mit den Bedingungen, unter denen Politik massgeblich dem Staat zugeordnet und von diesem vereinnahmt wird, aufgehoben werden kann.
Zum Umgang mit der Akademisierung des Anarchismus
Das letzte Thema, welches ich an dieser Stelle ansprechen will, betrifft nicht vorrangig die beiden Bücher von Paul Sörensen. Doch dienen diese recht gut als Beispiele für die Problematik einer möglichen Akademisierung des Anarchismus. Als pauschaler Vorwurf – und oftmals ohne sich überhaupt ausgiebiger mit der Herrschaftsinstitution Universität auseinanderzusetzen – wird er regelmässig von bestimmten Kreisen getätigt. Dabei wird das anti-intellektuelle Ressentiment teilweise auch von jenen geschürt, welche durchaus Bildungszugänge geniessen konnten. Im Gegensatz dazu stehe ich voll für die Ansicht ein, dass es einer Erneuerung und Verbreitung anarchistischer Theorie bedarf – und wenn universitäre Räume und akademische Kontexte dazu dienen, dann sollten sie entsprechend genutzt werden.Das Problem ist, dass sie es in vielerlei Hinsicht nicht sind und dies auch Gründe hat. Der Anarchismus taugt auch als politische Theorie nicht einfach als ein festzulegender Ansatz in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Stattdessen zielt eine politische Theorie des Anarchismus darauf ab, die Disziplinierung von Wissen zu unterlaufen, kritisiert seine Abspaltung in gesonderte Sphären, verbunden mit den entsprechenden exklusiven Fachsprachen und klaren Hierarchien, wie auch die Vereinzelung und Konkurrenz in den akademischen Betrieben, abgesehen selbstverständlich von seinen staatstragenden und kapitalverwertenden Funktionen, welche es in diesen annimmt.
Daraus können unterschiedliche Strategien folgen: Es lässt sich ein genereller anti-institutioneller Standpunkt beziehen, ein Plädoyer für selbstorganisierte Bildungskontexte halten oder für alternative Pädagogik und Forschung eintreten. Ebenfalls wäre es zumindest zu einem gewissen Grad vorstellbar, anarchistische Anliegen im universitären Kontext zu verwirklichen. Und auch wer akademisch über anarchistische Themen schreibt oder sich anarchistischer Argumente und Erfahrungen für seine wissenschaftliche Arbeit bedient, verkauft diese und sich damit nicht zwangsläufig an die Herrschaftsordnung.Sörensens wirkliche Stärke liegt in der Begriffsarbeit, welche sich positiv auf anarchistische Theorieentwicklung auswirken kann und dieser Legitimität in akademischen Kontexten verschafft. Wenn er schon eine Habilitation schreibt, warum sollte er diese Zeit nicht dafür nutzen, einem interessanten und relevanten Thema nachzugehen? Doch trotz seines Kokettierens scheint der Autor ein Akademiker durch und durch zu sein. Allein die Leistungsanforderung, welche dies mit sich bringt, reduziert die Möglichkeit, anarchistischen Kontexten direkter zu begegnen, sondern bedeutet, sich vorrangig über Lektüre den Themen in ihnen anzunähern. Damit ist aber keine eigene Erfahrung und nur wenig Veränderung der eigenen Position möglich.
Letztendlich haben dann ein paar Wissenschaftler*innen mal wieder über irgendein interessantes Thema gesprochen – wobei die eigentlichen Inhalte im Grunde genommen austauschbar sind. Wenn dieser Vorgang dann noch mit einem radical chic aufgeladen ist, lässt sich die nur-theoretische Tätigkeit dann als Praxis an sich rechtfertigen – und missverstehen. Trotz aller damit verbundener Arbeit verbleiben die entsprechenden Intellektuellen damit in einer Komfortzone, ziehen sich auf ihr akademisches Feld zurück und wagen es nicht, sich darüber hinaus in Auseinandersetzungen einzubringen. Wie sie dies tun können – ob sie auf Demonstrationen sprechen, ihre Fähigkeiten in Gruppen einbringen oder auch das eigene Leben alternativ zu gestalten – dazu gibt es wiederum verschiedene Möglichkeiten.
Sörensens Bücher erzeugen jedenfalls den Eindruck, dass er nicht allzu weit rausgeschwommen ist. Dies bezeugt nicht zuletzt wiederum sein Insistieren darauf, dass Präfiguration „politisch“ wäre. Problematisch wird es dann tatsächlich, wenn das erworbene Wissen aus sozialen Bewegungen abgegriffen und für die eigene Karriere nutzbar gemacht wurde. Anders wäre es, würde sich Sörensen sich auch klar als Anarchist positionieren und dementsprechend in Erscheinung treten. Doch davon ist mir nichts bekannt bisher. Dies muss ja nicht zur Markierung einer bestimmten Identität dienen, wäre aber insofern interessant, um auch die angebliche Neutralität akademischer Wissensproduktion anzufechten und tatsächlich die Grenze zwischen akademischer Sphäre und sozialer Bewegung einzureissen – statt maximal ab und zu zwischen den Welten zu wechseln.
Dahingehend wird er von Anarchist*innen gemessen und entweder aufgegriffen oder verworfen werden. Ich thematisiere dies, weil ich mich natürlich selbst in diesem Widerspruch bewege, es nur nicht so weit bringen werde wie Sörensen, weil mir das Selbstvertrauen, die Konzentration und Selbstdisziplin dafür fehlen. Dies geht für mich aber auch mit einer grundlegenderen Ablehnung staatlicher Institutionen einher, weil sie viele Ausschlüsse erzeugen, auf einer zu problematisierende, z.B. eurozentrische Rationalitätsvorstellung beruhen und schliesslich immer wieder zu Zwecken dienen, mit denen ich mich nicht arrangieren kann. Das schmälert nicht den Gehalt von Sörensens Arbeit, welche ich als wichtigen Beitrag begreife. Hierbei gilt es für ihn aber selbst zu überprüfen, wie er sein eigenes Verhältnis aufgrund seines Liebäugels mit anarchistischen Positionen bestimmt...