Blick in den Abgrund
Die Corona-Pandemie ist nur eines der Themen, die im Buch abgedeckt werden. Es geht auch um Verschwörungserzählungen zum Klimawandel, um Antisemitismus, rechte Ideologien, Verschwörungserzählungen in linken Kreisen, um Esoterik und Impfgegner. Neben der Auswertung zahlreicher Literatur und Quellen führen die Autorinnen aktuelle und ältere Beispiele auf, dass es einem schwindelig wird. Ihr Schreibstil variiert dabei zwischen akademisch-analytisch und erzählend, was das Buch für eine breitere Leserschaft zugänglich macht und es so von vielen existierenden Beiträgen unterscheidet.Zu Beginn des Buches kann man in einem kurzen Test auch die eigene Verschwörungsmentalität prüfen. Schliesslich, so heisst es, tragen wir aus psychologischer Sicht alle Veranlagungen für Wahrnehmungsverzerrungen in uns. Wer nun annimmt, Ereignisse, die als „kollektiv bedrohlich gelten“ (S. 16), würden im Geheimen beeinflusst und nichts passiere zufällig, der glaubt an Verschwörungserzählungen. Dies wird deutlich von einem gesunden Misstrauen gegenüber Machtstrukturen abgegrenzt.
Wie die Autorinnen betonen, wurden zum Beispiel in der Wirtschaft immer wieder „echte Verschwörungen“ aufgedeckt. Entscheidend ist es, etwaige Vermutungen und Hypothesen kritisch anhand von Belegen und rationalen Argumenten zu prüfen und zu diskutieren. Hingegen wird es problematisch, so erläutern die Autorinnen, wenn aus begründeten Zweifeln ein Glaube und eine Ideologie wird.
Mit Vorurteilen aufräumen
Wenn Expert*innen seit Jahrzehnten vor einer globalen Pandemie warnen, im Rahmen von Verschwörungserzählungen aber angenommen wird, dass etwa Bill Gates dahinterstecke, erscheint es verlockend oder gar naheliegend, derartig abwegige Annahmen als „verrückt“ abzutun. Können Menschen so etwas ernsthaft glauben? Und wenn ja, spinnen die dann nicht einfach?Die Autorinnen von „Fake Facts“ nähern sich derartigen Annahmen feinsinnig und klären einige Vorurteile und Fehlannahmen auf. Wie sie ausführen, glauben Millionen Menschen an Verschwörungserzählungen. Und, entgegen populärer Annahmen, gibt es keine Beweise, dass diese im digitalen Zeitalter zugenommen hätten, auch wenn im Internet bestimmte Theorien sicher schneller verbreitet werden können. Oder YouTube gar als „Radikalisierer“ fungiert, weil der Algorithmus der Plattform darauf ausgelegt ist, den Anwender*innen zu zeigen, was sie sehen wollen, damit sie verweilen.
Wie in „Fake Facts“ herausgestellt wird, hat der Glaube an Verschwörungserzählungen mit Intelligenz nichts zu tun. Wenngleich deren Anhänger*innen doch qualitativ unterschiedliche Quellen (etwa: YouTube und ein mehrjähriges Studium) für gleich geeignet halten, um Wissen zu beziehen und sie anfälliger sind für sinnentleerte sowie generell unpopuläre Aussagen.
Meist stecken hinter dem Glauben an Verschwörungserzählungen, das wird deutlich gemacht, bestimmte Lebensereignisse, Erfahrungen von Kontrollverlust oder die Angst davor. Der Glaube reduziert Stress und ist (oft) ein Mechanismus gegen Unsicherheit und Machtlosigkeit. Tatsächlich ist es einleuchtend, dass eigene, alltägliche Probleme kleiner bzw. unbedeutender werden, wenn man eine grosse Verschwörung annimmt. Und im Grunde macht es auch Sinn, dass gescheiterte Vorhersagen im Rahmen einer Verschwörungserzählung zu einer Verstärkung des Glaubens führen, wenn man bereits sein ganzes Leben darauf ausgerichtet hat, an diese Erzählung zu glauben.
So führte es etwa für Mitglieder einer UFO-Sekte in den USA in den 1950ern nicht dazu, dieser den Rücken zu kehren, als ihre vorhergesagte Errettung durch Ausserirdische ausblieb, da sie bereits ihre Jobs aufgegeben oder anders in ihren Glauben investiert hatten, was den eigenen Irrtum schwerer einzugestehen machte. Insofern mag das Buch mit Vorurteilen aufräumen, die sich mitunter sogar in früheren Forschungsbeiträgen finden.
Was tun?
Was soll man etwa jemandem ad hoc entgegnen, der fordert, jede*r, der*die WLAN in Schulen installiere, solle bis ans Lebensende ins Gefängnis gesteckt werden? Es ist ernüchternd und vielleicht entmutigend, wenn man liest, dass man mit Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen nicht auf Augenhöhe diskutieren kann oder es wenig bringt, ihre Behauptungen argumentativ zu widerlegen. In dieser Hinsicht ist das Schlusskapitel des Buches mit Tipps und Strategien zum Umgang mit Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen überaus wertvoll (inklusive Checkliste mit Punkten, die erfüllt sein müssen, um Beiträge aus dem Umfeld klar als Verschwörungserzählungen zu klassifizieren).Darin wird auch deutlich, wie wichtig es ist, zu intervenieren – wenn auch mit Vorsicht (siehe Fünf-Phasen-Modell samt „Interpretation der Situation“ und „Einschätzung der eigenen Fähigkeiten“, S. 277f.). Schliesslich ist es ein Problem, wenn sich im Privaten Nicht-Anhänger*innen von Verschwörungsideologien von ihren Anhänger*innen abwenden, denn ihre Isolierung in sogenannten ‚Echokammern', in denen ein Austausch einseitiger Perspektiven und somit eine Verstärkung eigener Annahmen stattfindet, erleichtern Radikalpositionen. Das Fazit der Autorinnen dabei: Man kann eher Zweifel säen, als sofort ganz zu überzeugen. Ausserdem niemals konfrontativ argumentieren und nicht abwertend vorgehen. Insofern gehen derzeit nicht bloss Einzelpersonen, sondern auch viele Medien falsch vor.