Ricardo Flores Magón: Tierra y Libertad Die Magónistas
Sachliteratur
Schon öfters bin ich auf Ricardo Flores Magón gestossen, welcher eine prominente Person während des Mexikanischen Bürgerkrieges 1910 bis 1920 war – eine Auseinandersetzung, welche als erste soziale Revolution im 20. Jahrhundert bezeichnet wurde.
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1. Dezember 2024
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Korrektur
Ungewöhnlich für Anarchist*innen ist, dass diese eine Partei mit dem Namen Partido Liberal Mexicana gründeten, deren Führungs-Junta notgedrungen aus dem Exil im Süden der USA heraus agierte. Anders als bei leninistisch orientierten Kaderorganisationen ging es der PLM nicht darum, die soziale Revolution anzuführen, sondern Propaganda für sie zu machen, sie zu orientieren und verstreute Gruppen miteinander zu vernetzen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die weit verbreitete Zeitung Regeneración zu nennen, aus welcher auch die meisten im Buch versammelten Texte von Magón stammen. Der in diesen entfaltete schlichte, fast naiv wirkende, aber dennoch poetische Schreibstil und die Alltagsthemen, Sorgen und Hoffnungen von Bäuer*innen, Arbeiter*innen und Tagelöhner*innen, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Führungsriege der PLM strategisch vorging, um den vorhandenen sozialen Unruhen Form und Richtung zu geben.
Darüber hinaus nicht selbstverständlich ist, dass die PLM eine Wiedergewinnung der traditionellen indigenen Lebensweise anstrebte, während sie zugleich im engen Kontakt mit den IWW die Bedingungen der modernen Zeit begriff und thematisierte. Ebenso eindeutig, setzten sich die Anarchist*innen für eine völlige Gleichstellung von Frauen ein und lehnten Kirche und Klerus grundlegend ab. Die PLM forderte konsequent die Enteignung der Besitzenden, die Ausweisung ausländischen Kapitalbesitzes und die Entmachtung der Politikerkaste. Mit ihrem Programm sind also auch antikoloniale Anliegen verbunden, mit denen sich auf das mexikanische Volk berufen wird – eine Sichtweise, die Anarchist*innen im heutigen, westeuropäischen Kontext merkwürdig erscheinen muss, aber durchaus verständlich ist. In diesen Auseinandersetzungen waren die anarchistischen Kräfte um Magón mit anderen aufständischen Bewegungen, insbesondere um Emiliano Zapata und Pancho Villa verbunden.
Dass die PLM sich selbst als „liberal“ bezeichnet irritiert insofern, als dass sie – zumindest in ihrer letzten Phase – ein dezidiert anarch@-kommunistisches Programm vertrat (insbesondere inspiriert von Kropotkins Die Eroberung des Brotes), welches von ihren Gruppen in Aufständen auch direkt umgesetzt wurden. (siehe insbesondere die magonistische Rebellion im Bundesstaat Baja California 1911) Die Selbstbezeichnung liegt erstens darin begründet, wie sich die anarchistische Strömung dieser Zeit entwickelte und entspringt zweitens einer taktischen Überlegung: Das Label „Anarchismus“ war verpönt und „Kommunismus“ wurde ebenfalls kaum als Begriff gebraucht.
Vor allem suchten die Anarchist*innen nach Ansatzpunkten, um ihre Anliegen der Enteignung und Vergesellschaftung, der Selbstorganisation von Kommunen, Gleichstellung von Frauen und Indigenen; ihre Kampfformen, die notwendigerweise auch illegalisiert waren; sowie ihre grundsätzliche Herrschaftskritik zu popularisieren. Offenbar gelang ihnen dies – sodass sie sich massiver Verfolgung und Repression ausgesetzt waren, als auch gespalten und von der neuen Reformregierung vereinnahmt wurden. Ricardo Flores Magón verbrachte demnach einen Grossteil seines Lebens im Exil und mindestens 10 Jahre in Gefängnissen, wo er auch 1922 ermordet wurde.
In Anschluss an die Zapatistische Rebellion ab 1994, aber auch durch weitere soziale Kämpfe, wurde die anarchistische Tradition in Mexiko zaghaft wiederentdeckt und aufgegriffen. Auch heute bildet sie eine Alternative zu kapitalistischem Staat und der mit ihm konkurrierenden, aber auch verbundenen, Gewaltherrschaft der Drogenkartelle.
Eine Personenfixierung auf Magón und Personen, die zu Held*innen stilisiert werden, ist sicherlich nicht ganz unproblematisch. Im vorliegenden Band gelingt es ihn jedoch seiner herausragenden Rolle zu würdigen, ohne deswegen die sozial-revolutionären Bewegungen seiner Zeit und damit die vielen zu vergessen, welche für eine libertär-sozialistische Gesellschaft gekämpft haben.
Ricardo Flores Magón: Tierra y Libertad. Unrast Verlag 2005. 180 Seiten. ca. SFr. 18.00. ISBN: 978-3897719088.