In Österreich ging die Frauenbewegung, so das Autorinnenkollektiv, insbesondere von Studentinnen aus. Anfang der 1970er Jahre verfolgte zunächst eine kleine Gruppe das Ziel, ein Strukturierungsmodell autonomer Frauenarbeit zu entwickeln. Ein zaghafter Aufruf zur Mitarbeit schlug Wellen und zog zunehmend engagierte Frauen in ihren Bann. Den Frauen ging es in erster Linie um Selbstfindung, Egalität, Autonomie und Befreiung. Die um sich greifende Armut und Wohnungsnot traf insbesondere Familien mit mehreren Kindern, die in beengten Wohnverhältnissen lebten und den Alltag meisterten.
In allen Bereichen kämpften Frauen für die Verbesserung der Arbeits-, Wohn- und Lebensverhältnisse. Sie eroberten sukzessive (Frei)Räume, rebellierten gegen „Götter in Weiss“ - insbesondere in der Psychiatrie, wo Patient_innen ärztlicher Willkür ausgesetzt waren; gegen politische Instanzen, Beamte, Fahrscheinkontrolleure, Arbeitgeber, sogar gegen die eigenen Eltern und Ehemänner. Der erlernten weiblichen Ohnmacht wollten Frauen etwas entgegensetzen und fokussierten die Umgestaltung zu einer gerechten, antikapitalistischen Gesellschaft. Weibliche Proteste waren vor allem dort vorprogrammiert, wo Hierarchien eine Einteilung in „oben“ und „unten“ vorsahen.
Traditionelles Denken durchzog weite Teile der Gesellschaft, so auch die Bereiche Kunst, Literatur und Medizin. Ein ganzes Kapitel widmet sich der „Entmachtung der Götter in Weiss“, in dem Eva Dite, Hilde Langthaler und andere Erfahrungen im Umgang mit männlichem Krankenhauspersonal schildern. Gleichzeitig umschreibt das Kapitel den Prozess der Bewusstwerdung der Frauen für den Umgang mit dem eigenen Körper. „Mein Bauch gehört mir“ demonstrierte das autonome Recht der Frau, eine Schwangerschaft zu befürworten oder abzulehnen. Frauen wehrten sich gegen das Anspruchsdenken der Männer, nach Lust und eigenem Ermessen über Frauenkörper verfügen zu können. Im titelgebenden Kapitel schildert Ülküm Fürst-Boyman ein „Tabuthema“, ihre persönlichen Erfahrungen eines illegalen Schwangerschaftsabbruches.
Erkämpfte Rechte
Ein weiteres Tabuthema war der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Kinderheimen. Frauen engagierten sich in der Kinderladenbewegung und konnten ein Umdenken in der Erziehung, weg von Befehl und Gehorsam, erreichen. 1986 wurde das Verbot der Prügelstrafe an Schulen eingeführt. Auch im Privaten veränderten sich Strukturen. Ehefrauen, die bisher autoritätsgläubig gegenüber ihren Ehemännern waren, leisteten Widerstand, stellten ihr bisheriges Rollenverhalten infrage und errangen durch verändertes Verhalten ein neues Selbstbewusstsein. Das geltende Familienrecht (noch aus dem Jahre 1811) erschwerte es ihnen jedoch, aus einer Gewaltbeziehung auszubrechen, da alle Rechte dem Mann zugeschrieben wurden.Die neu gegründeten Frauenhäuser waren ein unentbehrlicher Schutzort für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt waren. Ruth Aspöck, Christa Stallecker und andere setzen sich im Kapitel „Gewalt gegen Frauen - das Schweigen wird gebrochen“ mit dem Thema auf nationaler und internationaler Ebene auseinander. Ausgangspunkt bildete das Frauentribunal „Gewalt gegen Frauen“, welches 1976 in Brüssel stattfand. Ziel des Tribunals war es, Betroffene sexueller Gewalt selbst zu Wort kommen zu lassen. Christa Stallecker war eine von vielen Frauen, die eigene Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen schilderte sowie Diskriminierungen und Gewaltandrohungen ausgesetzt war.
Wenn ich an Protestaktionen von Pussy Riot zurückdenke und an Femen, die ihre Brüste öffentlich entblössten, irritiert im vorliegendem Buch die Kapitelüberschrift „Warum malt sie keine Blumen“. Renate Bertlmann erzählt darin von Professoren als ehrfurchtseinflössenden Genies, die sich nur zur wöchentlichen Korrektur studentischer Arbeiten zeigten und anschliessend wieder in ihren Ateliers verschwanden. Die einzige Professorin, Gerda Matejka-Felden, wurde vom Personal belächelt und als „alte Ziege“ (S. 264) bezeichnet. Nur zaghaft entwickelten Frauen ein Bewusstsein für eigene Probleme und kreierten Protestformen, aus denen heraus ein Forderungskatalog mit Vorschlägen zur Verbesserung der Situation von Künstlerinnen entstand.
Aufgrund der sich ausbreitenden Solidarität kam es 1977 zur Gründung der IntAkt, der „Internationalen Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen“. In „Frauen auf dünnem Eis“ setzt sich die Film- und Performancekünstlerin Linda Christanell mit der Situation der Künstlerinnen auseinander, insbesondere mit der Situation Ende der 1960er Jahre und einem Kunstmarkt, „der sich ausschliesslich auf Männer und von Männern geschaffene Werke bezog“ (S. 252). Kritische Stimmen zum Thema, wie etwa von Elfriede Jelinek, Ruth Klüger und Marlene Streeruwitz vermisse ich jedoch in diesem Buch.
Autonome Frauenbewegung
Die 70er Jahre waren eine explosive Zeit. „Die äusseren Spuren des Nazi-Faschismus waren weitgehend getilgt, die inneren traten unaufhaltsam ans Tageslicht“ (S. 19). Wie gegenwärtig die Initiative „Omas gegen Rechts“, zeugten die Aktionen der Frauen in den 1970er Jahren ebenso von Einfallsreichtum und Lust am Widerstand. Sie zeigen, dass politische Arbeit sinnvoll und lustvoll zugleich sein kann.Im Kapitel „Theaterlust und Frauenfeste“ skizziert Elfriede Haslehner Theater als eine mögliche Ausdrucksform der Widerstandsarbeit. Escribano schreibt: „Wir haben gelernt zu improvisieren, die Stimme war dabei und viel Körperarbeit“ (S. 234). Ob die Wiener Autonomen Frauen allerdings nur unter sich blieben, bezweifle ich. Linke, katholische und nichtkonfessionelle Bewegungen agierten parallel zu den Autonomen Frauen in ganz Österreich. Sie verfolgten ähnliche Ansätze wie die hier beschriebenen, finden jedoch im Buch keine Erwähnung.
Spannend liest sich der Beitrag von Eva Dité im Kapitel „Die Organisation des Lustprinzips“, in dem sie über Carla, eine lesbische Frau und ihre ersten Erfahrungen mit Frauensolidarität schreibt. Jane Wegscheider erzählt von der Gründung des Frauenbuchcafes „Frauenzimmer“ 1977. Manche Beiträge wirken zu geschmeidig. Artikel von Ruth Aspöck und Hilde Langthaler hingegen benennen auch anfängliche Rivalitäten im Wiener Frauenverlag.
Die im vorliegenden Buch ausgeführte Darstellung engagierter Wiener Feministinnen der 1970er Jahre korrespondiert mit der aktuellen Graphic Novel „Drei Wege“ von Julia Zejn, die in eindrucksvollen Illustrationen die Werdegänge von drei jungen Frauen aus drei verschiedenen Epochen nachzeichnet. Dass sich Frauen europaweit nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen können, zeigt das Frauenvolksbegehren in Österreich, denn mit einer neuen Regierung sind frauenpolitische Aktionen und Initiativen massiv dem Rotstift ausgesetzt. Die mühsam erzielten Erfolge von damals müssen derzeit erneut lautstark eingefordert werden.
Das Frauenkollektiv RitClique hat Texte, Fotos und Pressematerial der AUF (Autonomen Frauenbewegung) der 1970er Jahre in mühsamer Arbeit zusammengetragen. Entstanden ist ein wichtiges und eindrucksvolles Dokument zur Geschichte der Wiener Feministinnen und der Österreichischen (Frauen)Geschichte. Es gehört in jede gut sortierte Buchhandlung und Bibliothek!