Wurde sie mir empfohlen, als ich wiederholt nach weniger bekannten, doch für die DDR-Literatur typischen Werken fragte? Damals, in den ersten 1990er-Jahren, als auf langen Wühltischen für ein, zwei Mark zu haben war, was aus Betriebsbibliotheken und andern Beständen angeboten wurde, nicht nur in Berlin. Oder war es ein Zufall, der mich dort in eine Lesung von Elfriede Brüning führte? Jedenfalls war interessant, was ich von ihr am Quartieranlass hörte und danach in mehreren Büchern las. Später bekam ich noch mit, die Autorin sei – nach wie vor aktiv – 100 geworden. Als sie 2014 starb, stand in einem knappen Nachruf, sie habe in insgesamt fünf deutschen Systemen gelebt. Irgendwo war von einer Schriftstellerin «aus der zweiten Reihe» die Rede.
Eine sich früh befreiende Frau
Ohne diesen Hintergrund hätten mich die 954 Seiten sowie der Titel des Erinnerungs- Werks von Sabine Kebir wohl abgeschreckt. «Frauen ohne Männer?» Zwar kapierte ich den Sinn dieser Akzentsetzung bald. Durch die Überzahl der weiblichen Bevölkerung nach den mörderischen Kriegen gab es vielgestaltige Probleme. Aber die Überschrift des Vorworts trifft den Inhalt besser: «Ein Jahrhundert aus der Sicht der arbeitenden Frau». Vielleicht klingt das zu altbacken und – zumal auf der zweiten Seite noch die «Sexualökonomie in der Gesellschaft» auftaucht – zu feministisch. Doch der Begriff wird bald mit Leben gefüllt. Aus der Vita und den von Brüning beschriebenen Beispielen ist einiges über Geschlechterverhältnisse als Behinderungen freier Entwicklung zu lernen. In ihren Freundschaften und Ehen machte die nie wirklich privilegierte Autorin kaum untypische Erfahrungen: Gelegentlich halfen ihr Männer ein Stück voran, doch mit weit mehr Selbstverständlichkeit nahmen sie Hilfe in Anspruch.Die im Rahmen des Möglichen frühe Emanzipation verdankt Elfriede Brüning vor allem den Eltern. Schon ihre Mutter, die zur Aufbesserung der Einnahmen des Tischler-Gatten im nicht noblen Berliner Quartier eine kleine Leihbibliothek betrieb, war leidenschaftliche Leserin. Das öffnete der Tochter die Tür zur literarischen Welt, auch mit Heidi-Büchern von Johanna Spyri, und schon bald begann die Kleine «ganze Oktavhefte mit Eigenem vollzuschreiben». Die faktische Haushalt-Vorsteherin setzte für beide Kinder den Besuch höherer Schulen durch. «Bleib mal in deinem Stand», hätte der Vater wohl gesagt, doch er stellte sich nicht quer.
Bereits die erste Stelle brachte Elfriede in ein – allerdings etwas dubioses – Pressebüro am Kurfürstendamm. 1927 nahm sie an einem Schönheitswettbewerb teil, den sie nicht gewann, aber so keck schilderte, dass das Blatt, welches die Reportage druckte, bei der unbekannten Autorin gleich ein Interview mit einer Schülerin in Auftrag geben wollte, um derentwillen ein Primaner seinen Freund erschossen hatte. Als der Chefredakteur die Journalistin sah, disponierte er um: «Sie sind ja wohl selbst erst sechzehn!» Es gab noch andere Themen. Sie trat erfrischend frech auf, kam rasch zu Erfolgen. Dabei half auch ein Publizist, mit dem sie über Jahrzehnte verbunden blieb, obschon die erste private Begegnung in eine Vergewaltigung ausgelaufen war.
«Revolutionär», zu sehr, zu wenig
Später trat Brüning der KPD bei, arbeitete nun primär für deren Presse, war 1932 die Jüngste im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, in dem sie ihre expressionistisch geprägten Texte schwer verteidigen musste. Nicht nur ihre häufig «frauenspezifischen Sichtweisen und Problemstellungen, sondern auch ihre zarten Naturbeschreibungen», wurden von den gestrengen Genossen als «kleinbürgerlich» gerügt, stellt die Biographin aufgrund vieler Gespräche und Recherchen fest. Das wurde als Urteil oder Vorurteil auch in der DDR oft von den gleichen Leuten weiter gepflegt. Dass ihre Bücher dort insbesondere bei Arbeiterinnen zu den beliebtesten gehörten, nützte ihr wenig, weckte nur zusätzlich Neid. Doch zuerst brach 1933 eine andere, schwierigere Zeit an: die des Doppel- und Überlebens «unterm Hakenkreuz». Dem mutigen Tätigsein im Widerstand folgte ein Rückzug in Nischen. Wenn zuvor sogar in Berichten literarische Qualität aufblitzte, kommt nun zuweilen Kitschverdacht auf. Der erste publizierte Roman wirkt 1934 inhaltlich gezähmt; politische Anpassung gab es kaum.Es ist spannend, auch diese Phase im Detail und mit vielen Zitaten zu verfolgen. Aber im Zentrum steht die kulturpolitisch keineswegs einheitliche Zeit von 1945 bis 1989, in der die Schriftstellerin im deutschen Osten als Nicht-Emigrierte tendenziell schlechtere Startchancen hat. Wieder liefert das Buch daran Interessierten materialreiche Einblicke, etwa ins komplexe, staatlich gelenkte Buch- und Verlagswesen. Vielen dürfte das des Guten zuviel sein. Allein in Fussnoten stecken unzählige prägnante Kurzbiographien von Leuten aus dem Umfeld der Porträtierten. Um so bedauerlicher ist es, dass der Band kein Register enthält.
Alltagsnah und damit unbequem
Weil sie ihre Themen alltagsnah wählte, dabei die Situation der Frauen zeigte, Fragen der Sexualität offen ansprach, waren die Auflagen selbst bei mehreren Nachdrucken meist zu klein. Politisch zu wenig wichtig? Wurde reklamiert, haben Verantwortliche gern mit Papiermangel argumentiert. Nach der Wende geriet die weiterhin klar sozialistisch orientierte Elfriede Brüning, nun 80 Jahre alt, erst recht ins Abseits. Kleinverlage legten einige Titel neu auf. 1994 gab eine Autobiographie auch bezüglich Männerbeziehungen freimütig vieles preis. Aus diesen Turbulenzen kam oft literarischer Stoff. Sabine Kebir würdigt alle Werke mit Inhalt und Hintergründen derart anschaulich, dass wir die starke, oft unbequeme Frau am Ende sehr gut zu kennen glauben.Auf der letzten Seite der letzte Eintrag einer knappen biographischen Chronik. «2014: E.B. hält bis in die letzten Lebensmonate Lesungen ab und stirbt am 5. August.» Sie setzte, war davor etwas präziser zu erfahren, einen offensichtlich schon längere Zeit gehegten Plan um und hörte auf, Nahrung zu sich zu nehmen, «selbstbestimmt wie eh und je». Tochter und Enkelin begleiteten sie dabei.