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Sebastian Ostritsch: Let's Play oder Game Over?

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Sebastian Ostritsch: Let's Play oder Game Over? Karl am Controller

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Sachliteratur

Die moralphilosophische Auseinandersetzung mit Computerspielen bietet einen guten Einstieg auch für Nicht-Gamer*innen, bleibt in der Kritik aber etwas zahm.

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Datum 19. Oktober 2024
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Wer in den 2010er Jahren eine Schule besucht hat, kennt die endlose Debatte über Computer- oder so genannte Killerspiele nur allzu gut. Unzählige Erörterungen mit besseren und schlechteren Argumenten wurden zu dem Thema geschrieben. Über die Qualität solcher Debatten lässt sich allerdings streiten. Einen Ausgangspunkt für die Diskussion bietet das Buch „Let's Play oder Game Over – Eine Ethik des Computerspiels“ des Philosophen und leidenschaftlichen Gamers Sebastian Ostritsch.

Zu Beginn des Buches widmet sich Ostritsch der Frage, was denn ein Spiel überhaupt ausmacht. Erstmal dürfen Spiele nicht nur als rein-menschliche Aktivität verstanden werden, da auch Tiere spielen. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass Menschen bewusst spielen und erkennen können, dass die vollzogenen Handlungen im Rahmen eines Spiels stattfinden. Ausserdem ist der Zweck des Spiels nur das Spiel selbst. Im Gegensatz zu vielen Aufgaben des täglichen Lebens, kann über das Spiel gesagt werden, „dass es sich nicht durch seinen Nutzen definieren lässt.“ (S. 21) Ostritsch schlägt noch weitere Merkmale vor: So etwa zeichnen sich Spiele durch eine Ernsthaftigkeit aus, die in einer unernsten Sphäre stattfindet.

Das wird offenkundig, wenn alle Beteiligten ernsthaft mitspielen, sich aber trotzdem bewusst sind, dass Sieg und Niederlage keine grossen Konsequenzen haben werden. Ausserdem ist die Teilnahme an einem Spiel immer freigestellt. Wer zum Spielen gezwungen werden muss, kann nicht wirklich spielen, sondern nur so tun als ob. Des Weiteren zeichnen sich Spiele durch gemeinsame Regeln aus sowie durch Fiktionalität. Ohne ein allgemein akzeptiertes Regelwerk wäre das Spielen sinnlos, denn erst die Regeln geben den Teilnehmenden den Rahmen vor, in dem ihre Handlungen ausgeführt werden können. Ähnlich verhält es sich mit der Fiktionalität. Hierunter fallen zum Beispiel Rollenspiele. Was trocken klingen mag, macht beim Lesen grosse Freude, für Spieleliebhaber*innen wie für Spielemuffel.

Die Besonderheiten des Computerspiels

Damit bietet Ostritsch bereits einen ersten Rahmen für die Einteilung von Computerspielen, allerdings macht deren Vielfalt den Sachverhalt sehr komplex. Spielt man allein oder gegen andere? Wie ist das Spiel gestaltet? Hierbei stehen sehr streng reglementierte Spiele dem freien Spiel, etwa von Kindern auf dem Spielplatz, gegenüber. Bei letzterem haben Spielende unzählige Möglichkeiten, das eigene Handeln zu gestalten, während bei Spielen wie „Tetris“ nur sehr wenige Handlungsmöglichkeiten offenstehen. Auch die durchlebte fiktionale Ebene kann beim Computerspiel verschiedene Intensitäten annehmen. Ostritsch charakterisiert diese anhand semantisch flacher bis tiefer Spiele und bezieht sich dabei auf die Komplexität der Erzählung.

Aber wie sollen Videospiele bewertet werden? Ostritsch räumt hier mit dem Amoralismus auf: Natürlich können auch Computerspiele nach moralischen Standards bewertet werden. Die moralische Bewertung von Spielen findet bereits durch körperliche Reaktionen, einem Stirnrunzeln, Bauchgrummeln oder Augenverdrehen, statt. Hierbei kommt es zu einer moralischen Bewertung, die eine physische Reaktion hervorruft. In anderen Fällen spielt die Gestaltung eine grössere Rolle. Hier werden Beispiele genannt, die die Handlungen der Spielenden im späteren Spielverlauf aufgreifen und somit auch eine Selbstreflektion im Spielenden auslösen sollen. So soll das eigene, oft gewaltsame Handeln im Kontext des Spiels kritisch beleuchtet und hinterfragt werden.

Beispielhaft ist das am Spiel „Fallout 3“, wo der Handlungsraum der Spielenden durch negatives Verhalten eingeschränkt wird. Mit Zuhilfenahme von Immanuel Kant gilt es für Ostritsch zu beachten, aus welchen Gründen gespielt wird und woraus sich der Spass am Spiel ableitet. Vor allem in Gruppenspielen gilt die Maxime, dass Mitspielende nie zum Mittel werden sollen.

Verständlich und doch lückenhaft

Was Ostritsch als Autoren interessant macht, ist seine Fähigkeit, philosophische Ideen einem möglichst grossen Publikum zugänglich zu machen. So finden Kants Moralphilosophie genauso wie kanonische Texte von Aristoteles und Platon Eingang. Das Buch verlangt wenig Vorkenntnisse und durch genaues Erklären sowie anschauliche Beispiele wird das Besprochene leicht verständlich gemacht; auch Nicht-gamer*innen werden die Abläufe in einem Spiel kurz und bündig erklärt. Hierbei nützt sicher, dass der Autor selbst Gamer ist und die philosophischen Konzepte an diversen Spielen durchexerziert.

An manchen Stellen hätte das Buch jedoch schärfere Kritik formulieren können. So kann man durchaus konstatieren, dass der Text Videospielen sehr wohlwollend gegenübersteht. Zum Beispiel wäre eine genauere Auseinandersetzung mit der Darstellung marginalisierter Gruppen in Computerspielen wünschenswert gewesen. Diese kommt nur in ungenügendem Mass vor. So zitiert Ostritsch in seinem Kapitel zur feministischen Gaming-Kritik die Philosophin Christina Hoff Sommers und verwendet dabei den eigentümlichen Begriff „männerfeindlich“ (S. 187). Eine kurze Wikipedia-Recherche zeigt, dass Hoff Sommers bei einem konservativem Thinktank in den USA arbeitet und ihr Feminismusbegriff in der feministischen Theorie kontrovers diskutiert wird. Die Frage, wieso genau diese Philosophin als Sprecherin des Feminismus und als Kritikerin der eigenen Denkschule ausgewählt wird, kann nicht aufgeklärt werden. Hier hätte es sicherlich relevantere Kommentare geben können, die eine echte Auseinandersetzung mit dem Thema befördert hätten.

Während es einerseits interessant ist, anhand von Aristoteles und Kant über Computerspiele nachzudenken, stellt sich trotzdem die Frage, weshalb Denker*innen der Kritischen Theorie hier keine Erwähnung finden. So liesse sich die Debatte um Videospiele als Kunstform etwa mit dem Denken von Walter Benjamin in Verbindung setzen. Videospiele als Kulturgut, wie sie auch von Ostritsch beschrieben werden, zeichnen sich nicht zuletzt durch ihre einfache Reproduzierbarkeit aus und knüpfen damit direkt an Benjamins Kulturphilosophie an. Weiter liessen sich Computerspiele als stark technologisierte Kulturgüter und Produkt einer kapitalistischen Kulturindustrie interpretieren. Im Zusammenhang dazu wäre nicht zuletzt die Philosophie von Herbert Marcuse oder Jürgen Habermas interessant gewesen und hätte neue Interpretationsrahmen eröffnet.

Lorenz Füsselberger
kritisch-lesen.de

Sebastian Ostritsch: Let's Play oder Game Over? Eine Ethik des Computerspiels. dtv Verlag, München 2023. 256 Seiten ca. 22.00 SFr., ISBN: 978-3-423-26353-5.

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.