Schon seit Jahrzehnten beschäftigt sich die italienische Feministin mit der Analyse dessen, was für die Reproduktion von Arbeitskraft nötig ist. Sie fragt nach einem Bereich, der in der Mainstream-Ökonomie und auch in deren marxistischer Kritik oft vernachlässigt worden ist: Was und, vielleicht noch wichtiger, wer sorgt dafür, dass aus einer müden, hungrigen, durstigen oder kranken Arbeitskraft nach einem langen Tag wieder eine energetische, fleissige wird? Und wie kommen neue Arbeiter*innen in die Welt, wie werden sie gross und stark?
Häufig sind es Frauen, die für diese Tätigkeiten zuständig sind und marxistische Feminist*innen wie Federici bestehen darauf, das Kochen, Putzen, Waschen und Pflegen, das Gebären, Stillen und Gute-Nacht-Lieder-Singen ebenso als Arbeit zu verstehen: als Reproduktionsarbeit. Eine weitere wichtige Dimension, die Federici dem Nachdenken über die Reproduktion hinzufügt, ist die des Bodens. Wo wächst das Essen, das die Arbeiter*innen satt macht und – die entscheidende Frage – wem gehört dieses Land?
Gehört es der Community, die darauf und davon lebt, ist also im besten Fall ein „Common“, ein gemeinschaftlicher Besitz an natürlichem oder gesellschaftlichem Reichtum, oder gehört es kapitalistischen Konzernen, die darauf industrielle Landwirtschaft betreiben oder hohe Entgelte für die Nutzung durch Kleinbauern und Bäuerinnen verlangen?
Schutzraum Commons
Silvia Federicis neueste Veröffentlichung versammelt Analysen aus den späten 1980er- und frühen 1990er Jahren neben neuen Aufsätzen. Das Buch zeigt erneut, weshalb Federici schon seit Jahrzehnten in Ländern des globalen Südens so viel Aufmerksamkeit erfährt. Ihr Blick auf die Verwerfungen, die der Kapitalismus über die Welt bringt, ist nicht eurozentrisch.Ihre Analyse von Enteignungen, von Kämpfen dagegen und vom Aufbau neuer „Commons“ konzentriert sich auf afrikanische Länder wie Nigeria, wo sie selbst in den 1980er-Jahren gelebt hat, Argentinien, Chile und die aktuellen Kämpfe von Native Americans um ihr Land. Von dort aus blickt sie eher sporadisch nach Europa, unter anderem, wenn sie die EU-Austeritätspolitik nach 2008 und die Proteste dagegen mit der Schuldenkrise in afrikanischen Ländern der 1980er Jahre vergleicht.
Wer Federici kennt und beispielsweise „Caliban und die Hexe“ (Rezension in Ausgabe #29) gelesen hat, dem wird vieles in ihren Beschreibungen dessen, was aus marxistischer Sicht bei der Vertreibung einer Community von ihrem Land passiert, bekannt vorkommen. Die Sammlung der konkreten Fälle von Enteignung aber öffnet den Blick auf verschiedene Arten von „Commons“ und wie wichtig sie für die Wehrhaftigkeit der Menschen gegen Ausbeutung und Krisen sind. Das führt zurück zu den Strassenverkäuferinnen von Accra: Ihre Rettung in der Corona-Krise war das Land ihrer Communities. In vielen afrikanischen Ländern, so Federici, seien gemeinschaftliche Besitzverhältnisse bis heute stark vertreten.
„Selbst in urbanisierten Gebieten erwarten sich viele Menschen Unterstützung aus dem Dorf, woher man Essen bekommen kann, wenn man im Streik ist, oder wohin man im Alter zurückkehren kann oder wo man im Notfall ein Stück ungenutztes Land von einem Dorfoberen zugeteilt bekommt oder einen Teller Suppe von Verwandten erhält. Das Dorf ist das Symbol einer gemeinschaftlichen Lebensorganisation, die trotz der ständigen Angriffe nicht zur Gänze verschwunden ist.“ (S. 68)
Wie das gemeinschaftlich genutzte Land, für das meist keine offiziellen Besitztitel existierten, in den 1980er Jahren im Rahmen der „Schuldenkrise“ und der „Strukturanpassungsprogramme“ durch den IWF und die Weltbank von den afrikanischen Staaten an grosse Konzerne verkauft wurde, beschreibt Federici im ersten Teil des Buchs. Die Analyse ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich, denn die afrikanische Schuldenkrise dürfte im Gedächtnis vieler europäischer Leser*innen ein weisser Fleck sein. Exemplarisch zeigt Federici hier, wie Menschen von ihrem seit Jahrhunderten gemeinschaftlich genutzten Land vertrieben und so erst zu Lohnarbeiter*innen oder – wenn keine Arbeit da ist – zu Migrant*innen werden: „Das Kapital vertraut auf die Faustregel aus der Zeit des alten Sklavenhandels: Menschen sind produktiver, wenn sie ihr Zuhause verloren haben.“ (S. 80)
Commoning statt Commons
So erzählt die erste Hälfte des Buchs vor allem vom globalen Verlust alter Commons. Die zweite Hälfte beschäftigt sich mit der Frage, was neue Commons sein können, wie sie geschaffen werden, wo sie Kämpfe gegen Ausbeutung ermöglichen und wie sie auf die Möglichkeit einer anderen, solidarischeren Form der Gesellschaft hinweisen.Commons können nicht verkauft werden und es darf keine Hierarchie bei Zugang und Verwaltung bestehen – so beschreibt Federici etwa Genossenschaftswohnungen als „geschlossene Commons“ (S. 143). Zu jenen Formen von Commons, die kompatibel mit dem Kapitalismus sind, zählt sie jene, die Waren für den Markt produzieren, wie zum Beispiel die gemeinschaftlich verwalteten Schweizer Almen. Wichtig ist ausserdem: „Commons sind keine Dinge, sondern gesellschaftliche Beziehungen.“ (S. 146) Deshalb zieht sie das Verb „Commoning“ dem Substantiv vor – auch, um sich gegen die Vereinnahmung der „Sprache der Commons“ durch globale Akteure wie die Weltbank oder die UNO zu wehren. Denn kapitalistische Akteure können ein grosses Interesse an Commons und der damit verbundenen kostenlosen Reproduktion der Arbeitskraft haben.
Federici wählt einen feministischen Blick auf verschiedene Arten von Commoning und beschreibt von Frauen betriebene Genossenschaftsbanken, den gemeinsamen Gemüseanbau in der Stadt oder Einkaufs- und Koch-Kollektive in Chile und Peru. Sie fasst diese Praktiken zusammen als „die Errichtung autonomer Räume, von denen aus der Einfluss des Kapitalismus auf unser Leben untergraben werden kann.“ (S. 168)
Eine grosse Rolle spielen dabei die Gepflogenheiten indigener Communities, die die Angriffe des Kapitalismus bis heute überdauert haben und die noch auf ihre Traditionen des Commoning zurückgreifen können. Hier kann der Titel des Buches, „Die Welt wieder verzaubern“ den falschen Eindruck vermitteln, es ginge darum, diese traditionellen Gesellschaften zu romantisieren. Das ist keinesfalls Federicis Ansatz. Aber es geht ihr darum, von der Beschäftigung mit diesen alten und neuen Formen des Commoning zu einer feministischen Wendung der Marxschen Analyse des Kapitalismus zu kommen.
Kooperation statt Vereinzelung
Das letzte Drittel des Buchs beschäftigt sich eingehend mit Marx' und Engels' Werk und versucht, darin die Rolle der Hausarbeit zu finden und zu ergänzen. Marx und Engels behaupten noch, der Kapitalismus und die Industrialisierung wären notwendige Schritte in Richtung einer befreiten Gesellschaft, weil sie die Menschen aus der Isolation des Landlebens herausreissen und Kooperation und Wissensaustausch im grossen Stil überhaupt erst ermöglichen würden.Dem widerspricht Federici aus der historischen Erfahrung des globalisierten Neoliberalismus, der die Menschen vereinzelt. Die Kooperation müsse heute „aus den Aktivitäten des Commoning wie Urban Gardening, Zeitbanken und Open Source kommen, die selbstorganisiert sind und Gemeinschaft sowohl erfordern als auch produzieren.“ (S. 250) Die Wiederherstellung von Kooperation und Verbundenheit zwischen Menschen, aber auch zwischen den Menschen und den Ressourcen, die sie umgeben, ist es auch, die sie als „Wiederverzauberung der Welt“ versteht, im Gegensatz zu Max Webers Diktum von der „Entzauberung der Welt“ durch den Kapitalismus.
Es gibt Hoffnung, Federicis feministischen und an aussereuropäischen Gesellschaften geschulten Ausführungen zum Stand der Kämpfe gegen Ausbeutung und Umweltzerstörung zu folgen. Nur die Form des Buches aus Sammlung älterer und neuerer Aufsätze ist ein wenig sperrig geraten und an manchen Stellen redundant. Wer andere Werke Federicis kennt, wird viel Bekanntes, aber auch einiges Neues finden – und Interviews mit ghanaischen Strassenverkäuferinnen in Zukunft anders lesen.