UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Silvia Federici: Hexenjagd

4760

Silvia Federici: Hexenjagd Kapitalismus verhexen

book-open-reader-677583-70

Sachliteratur

„Wir sind die Enkel*innen der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet!“ Die Hexe als Symbol eines globalen, antikapitalistischen Widerstandes.

Die italienische Philosophin und Aktivistin Silvia Federici, Januar 2017.
Mehr Artikel
Mehr Artikel
Bild vergrössern

Die italienische Philosophin und Aktivistin Silvia Federici, Januar 2017. Foto: Dani Blanco (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 3. September 2020
1
0
Lesezeit6 min.
DruckenDrucken
KorrekturKorrektur
Eine der einfachsten Methoden, sich unsichtbar zu machen, ist es, eine Frau über 50 zu sein, wie Hito Steyerl in ihrer Videoarbeit „How Not to Be Seen: A Fucking Didactic Educational .MOV File 2013“ verrät. Der weibliche Körper, der nicht die Fähigkeit besitzt, Kinder auf die Welt bringen, ist nach der kapitalistischen Verwertungslogik zu nicht mehr viel zu gebrauchen.

Der alten Frau in westlichen Gesellschaften bleiben noch die Rollenbilder der netten Grossmutter, der charmanten alten Dame oder der verrückten Hexe. Letzteres Bild umgibt besonders die kinderlose, alleinstehende, alte Frau am Rande der Gesellschaft als Ausdruck historischer Stereotypisierung und Ausgrenzung.

Silvia Federici erinnert uns, dass die Figur der alten Hexe seit jeher ein Symbol des antikapitalistischen Widerstandes ist. Sie ist eine selbstbestimmte und unabhängige Person, die Weisheit und uraltes Wissen verkörpert, das im Zuge der Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert in Europa vernichtet werden sollte. Die Hexe ist eine Figur des Dissens und der Nicht-Anpassung an gesellschaftliche Normen, die auch heute noch Zielscheibe von Verfolgungen ist, wie Silvia Federici in ihrer Essaysammlung „Hexenjagd – Die Angst vor der Macht der Frau“ beschreibt:

„Die Hexe war die Kommunistin und Terroristin ihrer Zeit, die man ‚zivilisieren' musste […]. Auf den Scheiterhaufen wurden nicht nur die Körper der ‚Hexen' vernichtet, sondern eine ganze Welt von sozialen Beziehungen, auf denen die gesellschaftliche Macht der Frau basierte, und ein riesiger Korpus der Weisheit, der über Generationen von Frauen, von Mutter zu Tochter weitergegeben worden war – das Wissen über Kräuterkunde, Verhütungs- und Abtreibungsmittel“ (S. 50).

Die Essaysammlung dient in Teilen als eine vereinfachte Zusammenfassung von Federicis Hauptwerk „Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation“ (Rezension in Ausgabe #29). Ausserdem verortet Federici ihre Theorie im Kontext aktueller Gewalt gegen Frauen in Ländern des globalen Südens und bringt diese in einen Zusammenhang mit neuen und alten Formen der kapitalistischen Akkumulation.

Den Text des Buches nicht durch das Cover zu beurteilen, gestaltet sich im Falle dieser Ausgabe doch etwas schwierig. Eine brennende Vogelscheuche reproduziert stereotype Darstellungen und erinnert ein kleines bisschen zu viel an eine Mischung aus esoterischer Frauenlektüre und Sensation.

Das ist im Falle von Federicis Arbeit doppelt schade, weil sie weder stereotype Darstellungen bedient noch - wie der Titel suggeriert - über irgendeine besondere Macht schreibt, die Frauen innewohnt. Vielmehr holt sie die Geschichte der Hexen aus der Märchen- und Mythenecke hervor und zeichnet sie als eine vergessene Geschichte des antikapitalistischen Widerstandes. Eine Geschichte, in der Frauen, die selbstbestimmt über ihr Leben, ihre Körper und Sexualität entscheiden, eine Gefahr für ein System sind, welches sich auf die Ausbeutung von Körpern und Leben stützt.

Die Regierung des weiblichen Körpers

In ihrem Hauptwerk „Caliban und die Hexe“ untersucht Federici den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus im mittelalterlichen Europa aus einer feministischen Perspektive und erforscht die Hexenverfolgung als ein Mittel, die weibliche Sexualität und Reproduktionsfähigkeit unter staatliche Kontrolle zu bringen.

Der kleine Essayband „Hexenjagd“ hingegen bietet nur einen groben Überblick und eignet sich als Einstieg in das Thema, geht allerdings nicht sehr in die Tiefe und lässt das eigentlich Interessante an Federicis Arbeit aussen vor: Ihre genaue und akribische Aufarbeitung des Themas. In „Caliban und die Hexe“ erweitert sie Marx' Analyse der ursprünglichen Akkumulation, der sich hauptsächlich auf den männlichen Teil des Proletariats konzentrierte. Federici zeigt, dass für eine Ausbeutung der männlichen Arbeiter erst einmal die Frauen von der Lohnarbeit ausgeschlossen und in den Dienst der Kleinfamilie gestellt werden mussten, und dass besonders der weibliche Körper als Produktionsmaschine neuer Arbeiter diszipliniert wurde.

Frauen übten vor dem Kapitalismus sehr viel mehr Kontrolle über ihr Leben und ihre reproduktiven Fähigkeiten aus, vor allem als Hebammen und Heilerinnen. Viele Rechte, die Frauen, in westlichen Gesellschaften inzwischen erkämpft haben, wurden ihnen einmal gewaltvoll genommen. Das soll gesagt sein, ohne den Feudalismus zu idealisieren. Federici entlarvt die westliche Märchenerzählung einer linearen und natürlichen Entwicklung zum Kapitalismus als eine systematische Zerschlagung von kollektiven Besitzverhältnissen und Menschen, die sich dem widersetzten. Das Aufbegehren der Hexen ist Teil einer Geschichte des feministischen Widerstandes gegen den Kapitalismus, der heute noch in vielen Teilen der Welt gekämpft wird.

Gegenwärtige Hexenverfolgung

Siliva Federici spannt auf 124 Seiten den Bogen zur heutigen Zeit und überträgt ihre Theorie auf aktuelle Hexenverfolgungen und Gewalt gegen Frauen in verschiedenen Ländern des globalen Südens, wie Mexico, Indien, Ghana, Kenia oder Südafrika. Sie betrachtet die aktuelle globale Gewalt gegen Frauen als Kontinuität einer gewaltvollen, wirtschaftlichen Restrukturierung und Rekolonisierung im Zuge der Globalisierung, die unter anderem von westlichen Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds ausgehen.

„Während internationale Institutionen und afrikanische Regierungen zur Privatisierung und Entfremdung von kollektivem Landbesitz drängen, erweisen sich Hexenjagden als machtvolles Instrument, um den Widerstand derer zu brechen, die enteignet werden sollen.“ ( S. 88)

Die Verfolgung von Frauen endete nicht im Mittelalter, genauso wenig wie die Enteignung von Land und kollektivem Besitz, die Vertreibung von indigenen Völkern, oder die gewaltvolle Ausbeutung von Menschen oder natürlichen Ressourcen. Die heutige Jagd auf Hexen in diesem Zusammenhang als Verstrickungen neoliberaler Wirtschaftspolitik, Kolonisierung, Christianisierung und indigenen Glaubenssystemen zu betrachten ist eine wirklich spannende Theorie.

Allerdings ist das Thema so umfassend, dass es irritiert, wenn Federici von Indien nach Ghana, nach Kenia und dann nach Südafrika springt und lose Enden verbindet, ohne die speziellen Kontexte intensiver zu beleuchten. Federici geht in ihrem Essayband nicht näher auf die individuellen Definitionen von Hexerei als kulturelle Praktiken oder auch als Betrachtung von Realität ein. Das ist es gerade in Bezug auf afrikanische Länder schwierig, nicht wieder in die Falle einer Verallgemeinerung einer einzigen „afrikanischen Kultur“ zu tappen. Es ist schade, dass Silvia Federici sich den globalen Hexenverfolgungen nicht genauso umfangreich widmet wie den europäischen und es bleibt nur zu hoffen, dass sie zu diesem Thema noch ein weiteres Buch veröffentlichen wird.

Für Leser*innen, die eine tiefer gehende Analyse suchen, bleibt die Lektüre von „Caliban und die Hexe“ unverzichtbar. Der Essayband „Hexenjagd – Die Angst vor der Macht der Frau“ eignet sich, um die Bedeutung der Figur der Hexe im feministischen und antikapitalistischen Widerstand zu verstehen.

Astarte Posch
kritisch-lesen.de

Silvia Federici: Hexenjagd. Die Angst vor der Macht der Frauen. Übersetzt von: Margarita Ruppel. Unrast Verlag, Münster 2019. 128 Seiten, ca. 19.00 SFr. ISBN: 978-3-89771-322-2

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.