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Thomas Ebermann: Störung im Betriebsablauf

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Thomas Ebermann: Störung im Betriebsablauf Das politische Jakobinertum in der Corona-Pandemie

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Sachliteratur

Um das Fazit vorwegzunehmen: Ebermann, einstmals durchaus unterhaltsamer Ökosozialist, ist inzwischen der virulenten kollektiven Panik verfallen und daher vernünftigen Argumenten nicht mehr zugänglich.

Warteschlange vor einem Supermarkt in London während der Corona-Pandemie, April 2020.
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Warteschlange vor einem Supermarkt in London während der Corona-Pandemie, April 2020. Foto: Philafrenzy (CC BY-SA 4.0 cropped)

Datum 7. September 2022
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KorrekturKorrektur
Er unterstreicht seinen Irrationalismus u.a. mit wüsten Ausfällen gegen alle, die er dem Verschwörungsdenken zurechnet; wobei die rhetorische Figur der Verschwörungstheorie ihm allzu offensichtlich doch nur dazu dient, jeden Diskurs über Corona-Massnahmen zu delegitimieren und so letztlich nach Kräften zu verunmöglichen. Damit erweist sich Ebermann in seinem Denken (wenn man die Tiraden und Hetzereien denn so nennen mag) letztlich als ebenso totalitär wie die von ihm (auch wiederum unterschiedslos) als "rechts" denunzierten Milieus.

Politisch bewegt sich Ebermann selbst in seinem Buch unmotiviert zwischen strukturellem Konservatismus, Paradigmen des Sicherheits- und Überwachungsstaates und ("klassischer", d.h. arbeiterbewegungsorientierter) Sozialdemokratie. Seinen Politik-Mix als wendig zu beschreiben ist noch eine Untertreibung. Der einstige Antideutsche und Grünen-Fundi stand 2020/ 2021 hinter Angela Merkel ("sich hinter Merkel zu versammeln ist Selbstaufgabe", wusste er noch Anfang 2017) und dem faktischen Chef-Virologen Karl Lauterbach (der tatsächlich Gesundheitsökonom ist, was Ebermann, der sich doch als "Kapitalismuskritiker" verkauft, nun ziemlich wumpe ist). Ebermann kann bei Ausgangssperren, bis zu umfassenden Lockdowns, Demo-Verboten etc. keinerlei Bedrohung einer Demokratie erkennen. Derart mit zwangsweisem Stillstand belegte soziale Bewegungen und Gewerkschaften sind für ihn, dem doch (auch hier im Buch) die hiesigen Gewerkschaften eigentlich viel zu zahm sind. Hier scheint ein widersprüchliches, realitätsblindes und wiederum geradezu totalitäres Denken durch, in dem der Zweck die Mittel heiligt - ein Jakobiner eben.

Wer allerdings in der rigiden, wohl nicht zuletzt der eigenen Angst geschuldeten Ebermann'schen Selbstunterdrückung (was bei einem jahrzehntelangen Kettenraucher ironisch ist), gepaart mit autoritärsten Massnahmen, die auf die Reduktion der menschlichen Kontakte wie der spontanen Äusserungsmöglichkeiten abzielen, keine Gefährdung der Gesellschaft, wie wir sie in den vergangenen Jahrzenten zu kennen meinten, sieht - nun, dem ist wohl nicht zu helfen. Dem wäre allenfalls mit einer massiven Re-Education beizukommen - die Studien zum autoritären Charakter der Frankfurter Schule wären hier ebenso elementare Marksteine wie Hannah Arendt's immer wieder lesenswertes Werk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft". Es ist allerdings nicht so, dass Ebermann derlei Literatur nicht kennen würde. Wiederholt bringt Ebermann namentlich Adorno mit Zitaten in Anschlag, um seinem Text die nötige Theorieschwere, die es sonst nicht hat, zu verleihen.

Dieser Widerspruch ist vielleicht nur auf den ersten Blick erstaunlich. Tatsächlich hinterlässt Angst Spuren im Gehirn, das weiss die Hirnforschung, und Panik - als gesteigerte Angst eigentlich nur eine sehr temporäre Reaktion. Über Monate hinweg führt sie schliesslich zu Fehlleistungen im Hirn, verringerter Hirntätigkeit, gravierenden psychischen Folgen. Polemisch möchte man sagen (und alle Menschen mit ernsthaften Angststörungen mögen es mir nachsehen): bei Ebermann gehen die Auswirkungen offenbar bis an die Grenze der Selbstverblödung. Alle, die nicht mit ihm sind, wähnt er im "Wahn" (nennt gar „mörderisch Wahnsinnige“, vermutlich ist die Weigerung, sich impfen zu lassen, ihm schon „Mord“), der als erstes bei ihm selbst zu diagnostizieren wäre. So produziert Ebermann mit diesem Werk in erster Linie Eigentore, wenn er etwa das Buch "Corona und die Demokratie - Eine linke Kritik" (verfasst von Gerald Grüneklee, Clemens Heni, Peter Nowak) als "völlig durchgeknallt" bezeichnet. Wie die Karikatur etwa eines Westentaschen-Robespierre, der überall "infame Heuchler" sah, richtet er sein - verbales - Schwert.

Gegnerdiffamierung als schärfste, vielleicht auch einzige Waffe. Der Wahrheitsfindung dient das nicht. Die Mitleidlosigkeit den - seiner Ansicht nach vermeidbaren - Corona-Toten gegenüber, die er Grüneklee/Heni/Nowak unterstellt, ist eben bloss dies: eine vorsätzlich böswillige Unterstellung. Er ignoriert, was wirklich tödlich war, gerade für Menschen im Altersheim: Lockdown, Isolation und Maskenfetisch. Allein in England sind Zehntausende Demenzkranke im Frühjahr 2020 elendig gestorben, weil sie keinen Besuch mehr bekamen und das nicht verstehen konnten.

Im ersten Moment möchte man Ebermann in manchen Passagen sogar zustimmen: "Linkssein ist nur denkbar als Feindschaft gegenüber dem Tod abgesehen davon, dass Ebermann damit seine eigene Geschichte verleugnet (die von ihm, als ehemaligem Wehrdienstleistenden, unterstützte angolanische Befreiungsbewegung MPLA war phasenweise so unblutig nun nicht), so "vergisst" er hierbei die Selbstbestimmung. Der Rezensent weiss Beispiele älterer Menschen aus seinem Verwandten- und Bekanntenkreis, die die Gefahr eines möglichen Todes für geringer erachteten als die Folgen einer totalen, monatelangen Isolation. In seiner Auseinandersetzung mit dem von ihm offenbar geschätzten Arbeitssoziologen Wolfgang Hien "vergisst" er (anders als Hien) die Würde in der Frage der Lebensbedingungen.

Und, noch so ein Eigentor: wenn Ebermann (durchaus zutreffend) daran erinnert, dass der Staat immer nur so viel existentiellen Schutz der Staatsbevölkerung zuliess, wie es dem Staat ins ökonomische bzw. bevölkerungspolitische Programm passte - ja, dann hätte er ja bei einer fundierten Staatskritik landen können, statt dem Staat prinzipiell gar zuzustimmen. Kapitalismuskritik bei gleichzeitigen Anflehungen der Pharmaindustrie und Staatskritik bei gleichzeitiger Loyalität einem Staat gegenüber, dem er bescheinigt, „immerhin“ einiges richtig gemacht zu haben – das muss man in einem einzigen Buch erstmal zusammenbringen. Eklektizismus mag in der Architektur und Kunst interessant sein, in der politischen Debatte ist sie nur nervig. So hat Ebermann keinen klaren Freiheitsbegriff, den er etwa gegen jene, die ihn einzig beim Impfen missbräuchlich verwenden, verteidigen könnte.

Gleichheit? Nur unter Geimpften. Von Brüderlichkeit will ich hier gar nicht reden. Solidarität? Nur für die, die auf der "richtigen Seite" stehen. So vollendet dieses Buch den Entwicklungsweg einer tragischen Figur, der es einst um Befreiungsbewegungen und Emanzipation ging und die heute nur noch um Erlösung flennt: ZeroCovid, geheiligt sei Dein Name (Ebermann unterzeichnete diesen Aufruf nicht, allerdings aufgrund von Kritik im Detail, nicht, weil er eine grundsätzliche Kritik an Intention und Stossrichtung gehabt hätte).

Ebermann, das ist eine politische Biographie als Farce, die Karikatur eines vom revolutionären Denken, Agieren und Agitieren zum Jakobinertum konvertierten Menschen, dem es nun letztlich nur noch um die Angst vor der Auflösung der bestehenden Ordnung geht und dem die soziale Revolution nun zur Drohung geronnen ist. Das dieses Buch, vom „Neuen Deutschland“, bis zur „Graswurzelrevolution“, erstens überhaupt Resonanz fand und zweitens dann auch noch ganz überwiegend eine positive, das sagt schon einiges über die Verhältnisse aus.

Ben Gamba

Thomas Ebermann: Störung im Betriebsablauf. Konkret Texte Edition, Hamburg 2021. 136 Seiten, ca. 22.00 SFr. ISBN: 978-3930786947