Die Leser*innen sollen sich von dem Umfang des Werkes nicht abschrecken lassen. Denn Fuchshuber versteht es, die doch recht trockene Materie verständlich zu vermitteln. Vor allem ist die hervorragende Gliederung zu loben, die den Leser*innen nachvollziehen lässt, warum die Theoretiker der Frankfurter Schule Adorno und Horkheimer die Racket-Theorie vor dem Hintergrund des Aufkommens des Nationalsozialmus und der mit ihm verbündeten faschistischen Regime entwickelten und wieso sie am Ende doch ein Fragment geblieben ist, aus dem sich heute wieder viele aus geopolitischen Interessen bedienen.
Rackets als zeitgemässe Klassentheorie
Fuchshuber hebt hervor, dass es Horkheimer mit seiner Arbeit zu den Rackets um eine zeitgemässe Klassentheorie gegangen ist, die nicht hinter die Kritik der politischen Ökonomie zurückfällt (S. 27). In seinen Exkurs auf den Gebrauch der Racket-Theorie in den USA in den frühen 1920 er Jahren zeigt Fuchshuber auf, dass der Begriff damals schon Teil des ideologischen Klassenkampfes gewesen ist. Es waren die Kapitalverbände, die mit kämpferische Interessenvertreter*innen der Lohnabhängigen als Rackets diffamierten und auch sie damit auch kriminalisieren wollten. Dafür bedienten sie sich auch Gangs, die nach der Aufhebung des Alkoholverbotes in den USA ein neues Betätigungsfeld suchten. Kapital und Gangs einte ihre Feindschaft gegenüber klassenkämpferischen Gewerkschaften.„Von der Chicagoer Presse wurde Capone für seine Verteidigung des freien Marktes ausnahmsweise gelobt“ (S. 70) beschreibt Fuchshuber die zeitweise Kooperation des berüchtigten Gangchefs der 20er Jahre mit dem Kapital. Auch viele nichtklassenkämpferische Arbeiter*innenvertretungen agierten wie Gangs und waren damit Teil dieser Racket-Gesellschaft. Ein Prototyp des Gang-Gewerkschafters bis in die 1970er Jahre war der Vorsitzende der USA-Lastwagengewerkschaft Jimmy Hoffa, der eng mit der Cosa Nostras kooperierte. Politisch unterstützte er den rechten Flügel der damaligen US-Republikaner unter Ronald Reagan.
Hoffas Feinde waren Linke aller Couleur. Nach seinem bis heute unaufgeklärten Verschwinden im Jahr 1975 beschäftigten sich zahlreiche Filme mit dem Leben dieses Racketiers. Horkheimer sieht Vorformen der Rackets in den Freikorps, die am Beginn der Weimarer Republik mit Unterstützung der Mehrheitssozialdemokratie die Rätebewegung und streikende Arbeiter*innen blutig niederschlugen. Fuchshuber hat aus den zahlreichen hinterlassenen Schriften und Notizen des jungen Akademikers Horkheimer Stellen ausgegraben, die schon seine Racket-Theorie ankündigten. So war er in den Tagen der Münchner Räterepublik in der bayerischen Hauptstadt und wandte sich in einen Brief an eine Freundin gegen die gegenrevolutionäre Propaganda, die die blutige Niederschlagung dieser Selbstorganisation der Arbeiter*innen vorbereitete.
„Traue den Lügen über München nicht. Die Lügner wollen morden – um Geld morden; hier herrscht nicht Wahnsinn und Ungerechtigkeit“ (S. 124). Wenn man weiss, dass aus dem Ferment der Münchner Gegenrevolution über den Thule-Bund die NSDAP entstanden ist, bekommen diese Notizen eine noch grössere Bedeutung. „Horkheimer benennt bereits in diesen Zeilen ein strukturelles Element, das er in der Theorie über die Rackets aufnehmen wird: Die Gewalt, vor der die Banden warnen, geht von ihnen selber aus – sie sind es, die die Situationen und Verhältnisse hervorbringen, gegen sie sie das Antidot behaupten“ (S. 125).
Bandenherrschaft im NS
Der Hauptteil von Fuchshubers voluminöser Arbeit beschäftigt sich mit Horkheimers Entwürfen zur Rackettheorie unter dem Eindruck des damals siegreichen Nationalsozialismus und ihrer Verbündeten. Dabei geht er ausführlich auch die zahlreichen Kritiker*innen ein, die es auch unter den Mitarbeiter*innen des Instituts für Sozialforschung gab. „Während Horkheimer intensiv an einem Entwurf der Racket-Theorie arbeitet, lassen sich seine Mitarbeiter nicht recht für sein Konzept begeistern“ (S. 252), fasst Fuchshuber die unterschiedlichen Einwände zusammen, die er ausführlich referiert. Der letzte Versuch Horkheimers, Mitarbeiter*innen für sein Racket-Projekt zu gewinnen, datiert Fuchshuber auf 1943. Aber auch hier hatte er wenig Erfolg. Es blieb ein Fragment.Der Autor geht auf auf die Grenzen von Horkheimers Arbeiten an. So kritisiert er mehrmals ökonomistische Blick auf die Gesellschaft, mit der er nicht erklären konnte, warum es in Deutschland zum NS-Regime kam, während die bürgerliche Demokratie in den USA erhalten blieb. Ausführlich geht. In einem eigenen Kapitel untersucht Fuchshuber welchen Stellenwert Horkheimer dem Antisemitismus in seinen Racket-Ansatz zuspricht (S. 476 – S. 507).
Von den Rackets zur verwalteten Gesellschaft
Natürlich spielen dabei auch die aussenpolitischen Ereignisse jener Jahre für die Theoriebildung eine zentrale Rolle. Der NS und seine Verbündeten gingen ab 1943 einer Niederlage entgegen. Auch zahlreiche Intellektuelle bereiten sich auf die Zeit nach der Zerschlagung des NS vor. Fuchshuber zeigt auf, das auch Horkheimer in den 1950er Jahren nicht mehr von Rackets sondern von der verwalteten Gesellschaft sprach. Dass war auch die Zeit, wo der ehemalige Marxist in der Pax America einen seidenen Faden sah, „an dem sein Leben hängt“ (S. 538), wie Fuchshuber etwas pathetisch formulierte.Da ging es dann nur noch um die wenigstens ein wenig weniger barbarische Variante“ (S. 538) dieses auf Dauer gestellten Kapitalismus. Dass die USA damals einen barbarischen Krieg in Vietnam führte, schien dann keine Rolle für Horkheimer zu spielen. Auch die Emanzipationskämpfe im globalen Süden, wie sie in der kubanischen Revolution zum Ausdruck kamen, blieben unberücksichtigt. Auf diesen späten Horkheimer, beruft sich ein Teil der ehemaligen antideutschen Strömung, die sich seit einigen Jahren Ideologiekritiker*innen nennen, wenn sie zur Verteidigung des Westens aufrufen. Solche Töne finden sich im Buch nicht. Auch im letzten Kapitel, in dem es um die Aktualität der Racket-Theorie geht, liefert der Autor erhellende Überlegungen zur Verfasstheit des russischen Staates, die gerade angesichts der aktuellen Ereignisse diskutiert werden sollten.
Fuchshuber zeichnet die Entwicklung Russlands nach dem Zerfall der Sowjetunion nach und kommt zu den Schluss, dass dort wesentliche Elemente der von Adorno und Horkheimer definierten Kriterien für einen Racketstaat zu finden sind. „Was von der Sowjetunion übrig blieb, drohte also tatsächlich im Gerangel um die Beute konkurrierender Machtfraktionen unterzugehen (S. 552). Mit dieser Situation war Putin bei seinen Machtantritt konfrontiert. Die Kämpfe mit den verschiedenen Oligarchen wären dann als Kennzeichen des Racketstaats zu erklären. Mit den Niederlagen der russischen Kriegsstrategie in der Ukraine könnten die Kämpfe wieder aufleben. Dann wäre der kurze Aufstand der Wagner-Rackets nur der Anfang einer instabilen Entwicklung in Russland. Es lohnt sich mit Fuchshubers Thesen zu beschäftigen.