Tijana Matijević macht in der Auseinandersetzung mit „gender, sexuality, and body“ (S. 10) einen zentralen Bezugspunkt post-jugoslawischer Literatur aus. Indem sie zeitgenössische Texte detailgenau unter die Lupe nimmt, spürt sie auch einem sich vollziehenden Wandel der Geschlechterverhältnisse nach. Diesem wiederum gibt sie als Ordnungsprinzip so viel Aufmerksamkeit, gerade weil der Bezug zu den tatsächlichen Erfahrungen historisch aufschlussreich ist. Denn, so Matijević, Menschen sind diejenigen, um die es sich dreht, auch bei strukturellen Umwälzungen wie der Jugoslawiens.
Zum Verständnis des Ausdrucks „Post-Jugoslawien“
Ihrem eigenen Anspruch würde Matijević nicht gerecht werden, wenn sie nicht ohne ein gewisses ambivalentes Verhältnis zu Begrifflichkeiten auskäme. Somit versucht sie nicht unbedingt uneinige und paradoxe Zustände aufzulösen – sondern sie in ihrer Ambivalenz zu fassen.Dies schlägt sich auch in Ihrer Grunddefinition eines „Post-Jugoslawiens“ nieder. Viele würden sich von einem Verständnis von einem Post-Jugoslawien distanzieren, denn die lange, wendige und ereignisreiche Geschichte Jugoslawiens mit ihren vielen verschiedenen ethnischen, sozialen und kulturellen Gruppen lassen sich nur schwer auf einen Nenner bringen.
Eine passende Zuschreibung für diese Pluralität zu finden, wird durch den Krieg und die daraus resultierende Teilung des Landes in kleinere Staaten nur noch erschwert. Dennoch verwendet Matijević den Ausdruck Post-Jugoslawien als historischen Begriff, denn sie sieht hierin eine Gelegenheit zu verstehen, was aus einem sich auflösenden Land und seinen Ruinen entstehen kann. Das Entstehen eines Post-Jugoslawiens findet in der „complexity of the space which simultaneously still existed and did not exist anymore” (S. 1) statt – also an einem komplexen Ort der gleichzeitig noch existiert und nicht mehr existiert.
Nostalgie? Aber kritisch!
Viele Autor:innen post-jugoslawischer Literatur eignen sich einen nostalgischen Ton an, sie schreiben über „Yugoslavia as the (golden) past” (S. 36). Obwohl verständlich, weist diese Art der Erzählung aber auch Lücken und Risse auf – welche laut Matijević die serbisch-ungarische Autorin IIdiko Lovas durch eine kritische Nostalgie zu füllen versucht. In Kurzgeschichten wie Via del Corso I versucht sie „between the nostalgic remembering, the ambivalence of the lived experience and finally the critical reproaching of both Yugoslav and Post-Yugoslav times” (S. 37) zu vermitteln und gelangt damit an einem Punkt, an dem eine kritische Rückbesinnung mit einer Infragestellung eines mythischen sozialistischen Jugoslawiens einhergeht.Nichtsdestotrotz darf man auch nicht vergessen, dass das wichtigste Segment jeder Nostalgie auch eine Utopie ist. Denn, und dies kommt laut Matijević bei Autor:innen wie Lovas zum Tragen, es geht bei einer Trauer um das verlorene Land meist nicht um den Staat per se, sondern um das Aufgeben der utopisch-humanistischen Vision des jugoslawischen Sozialismus. Vor allen Dingen geht es um diese aufgegebene und zusammengebrochene Vision, die Menschen in eine nostalgische Gefühlslage bringt. Bei diesen Emotionen und Umgangsformen handelt es sich aber weniger – so Matijević – um ein einfaches Streben nach der Wiederherstellung eines vereinten und sozialistischen Jugoslawiens. Der Dreh- und Angelpunkt bildet eine bereits in Grundzügen dagewesene gemeinschaftliche Praxis hin zu einer gerechteren Welt.
Post-jugoslawische Literatur als historische Praxis
Einer der wichtigsten Punkte des Buches verbirgt sich ganz zum Schluss, nämlich, dass das Schreiben eine Art der historischen Praxis sein kann, bei der die Vergangenheit einen Platz in der Gegenwart erhält. Mit Blick auf ihre Analyse und die (post-)jugoslawische Literatur kommt Matijević zu dem Schluss: „It is literature always in search and becoming, like its protagonists of unfinished and undecided identities, the decentered and different” (S. 255). Hierbei ist trotz der Unmöglichkeit und Unvollendbarkeit die Selbstbestimmung relevant, denn „Post-Yugoslavia and post-Yugoslav literature are about a mentioned choosing of an optimal variant, or a self-determination of historical lags in which we would like to be inscribed” (ebd.).„From Post-Yugoslavia to the Female Continent” ist ein Buch voller detaillierter Beschreibungen und Analysen, welche von hoher Relevanz für den Umgang Post-Jugoslawiens mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind. Eine aufschlussreiche Lektüre für Menschen, denen es nicht um leichte und vorgefertigte Antworten geht.