Tsveyfl: Anartschüssmus - ex-Anarchismus & Klasse (4/2024) Im Zweifel gegen den Tsveyfl?

Sachliteratur
Eigentliche hatte ich die „dissensorientierte Zeitschaft“ Tsveyfl schon abgeschrieben – da brachte die Redaktion im April noch ihr letztes Heft heraus.


Mehr Artikel

Buchcover.

2
0



Auch nach der Lektüre des vierten Heftes ist mir nicht klar, was das Anliegen der Herausgeber*innen war. Die Beiträge „Arbeit. Klasse und neue Klassenverhältnisse heute“ (Redaktion), „in der linken alles so mittel klasse“ (AG Arbeitsunsinn) und „Anarchismus und Klasse“ (Yvonne Röll) sind alles in allem fundierte Überlegungen dazu, wie die Autor*innen sich einen Klassenbegriff vorstellen, welcher diese Kategorie weder (post-)sozialdemokratisch relativiert noch (neo-)leninistisch fetischisiert.
Allgemein muss ich aber zugeben, dass bei diesen Ausführungen für mich leider überhaupt nichts Neues dabei ist. Tsveyfl zielt nicht darauf ab – und hat nie darauf abgezielt – eine theoretische Unterfütterung real vorhandener sozialer Kämpfe darzustellen. Sein implizites Anliegen war es viel mehr von Anfang bis Ende, der Angewidertheit vom eigenen Studentendasein und der eigenen Arroganz gegen für dumm erklärte Szene-Angehörige Ausdruck zu verleihen, sowie sich dabei radikal fühlen zu können.
Wer die Texte der Ausgaben zwischen den Zeilen liest, als auch die pedantischen Kriterien für einzureichende Beiträge gelesen hat, wird sich des durch und durch pseudo-akademischen Duktus' der Zeitschrift gewahr. In diesem Sinne ist das Bewusstsein der Autor*innen als kleinbürgerlich zu charakterisieren. Es handelt sich um Personen, welche sich über das sozialwissenschaftliche Studium fundiertes theoretisches Denken angeeignet haben und sich in diesem Prozess von ihrer Herkunftsszene entfremdet fühlen.
Zugleich aber realisieren sie, dass im etablierten Wissenschaftsbetrieb kein Platz für sie vorhanden ist – denn dieser wird in der Regel an die dort hineingeborenen Mittelklassekinder vergeben oder an jene, die sehr gut darin sind, klug daher reden und nachplappern, aber nicht denken können. Wenn meine Aussage stimmt, so liegt in ihr keinerlei Abwertung, sondern lediglich eine Beschreibung eines unsicheren Klassenstandpunktes, von welchem ausgehend zurecht nach den Klassenverhältnissen gefragt und der Kapitalismus als unbeugsame Verwertungs- und Profitmaschine abgelehnt wird.
Tsveyfls grundlegendes Problem besteht allerdings darin, dass es aus dem Zweifel nicht heraus kommt; und sich damit nicht sozial-revolutionär orientieren kann. Stattdessen arbeitet man sich am Subjekt ab, welches man implizit – bzw. teilweise auch recht offensichtlich – belehren zu glauben meint: der „linke Szene“, deren Angehörigen pauschal das eigene Denken abgesprochen wird, was voraussetzt, sie zu einem Zerrbild zu dekonstruieren. Anders stellt es sich beim letzten Beitrag von Jürgen Mümken dar zu „Foucault, die 'neuen' Kämpfe der 1970er und der Neoliberalismus“. Denn der Autor hängt keinen geplatzten Geltungsansprüchen hinterher, sondern hat seine Rolle als autonomer Theoretiker gefunden und füllt sie dementsprechend aus. Gleiches würde ich auch den anderen Autor*innen und Herausgeber*innen von Tsveyfl wünschen – denn ihr Wissen und ihre denkerischen Fähigkeiten sind wichtig für die „Szene“… Wenn ihr jetzt „Tschüss“ sagt – wohin wollt ihr denn gehen?
Geht ihr zur Interventionistische Linken oder werdet ihr rechtem Gesocks in die Lappen gehen? Setzt ihr euch nun in Mehrheitsgewerkschaften ein oder werdet „unpolitische“ Meckerer? Geht nicht fort, sondern nehmt euch eine Pause. Und kommt wieder, wenn ihr euch einbringen möchtet, in die Revolution als Alltagssache!
Tsveyfl: Anartschüssmus - ex-Anarchismus & Klasse (4/2024)