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Valerie Brosch: Gegen die russische Staatsgewalt

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Valerie Brosch: Gegen die russische Staatsgewalt „Die Opposition in Russland besteht nicht nur aus Personen wie Nawalny”

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Sachliteratur

In einem erfrischend knappen und fokussierten Bändchen fasst Valerie Brosch Berichte vom „anarchistischen Widerstand und alternativloser Solidarität“ in Russland zusammen.

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Datum 2. März 2025
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In ihrem Schreibstil spiegelt sich eine interessierte und mitfühlende Herangehensweise, die den Lesenden das Thema näher bringt. Ein Interview mit der Autorin ist auch bei Radio Blau erschienen. Als Quellen dienen ihr mehrere Chatgespräche mit Anarchist*innen aus Russland, welche sich dort oder im Exil befinden, bei Food not Bombs, im antimilitaristischen Widerstand oder in Nachbarschaften aktiv sind. Darüber hinaus bezieht sie Informationen aus Telegram-Kanälen und Berichten.

Wer sich über die Jahre mit der Situation in Russland beschäftigt hat, kennt bereits den sogenannten „Netzwerk-Fall“. Darüber hinaus zeichnet Valerie Brosch aber auch nach, wie die Repression in Russland in den letzten 10 Jahren zunehmend verschärft wurde. War die Lage für anarchistische Gruppen auch zuvor nicht günstig und wurden Neonazis vom Putin-Regime seit 1999 gefördert, gab es Anfang der 2000er Jahre zumindest noch diverse Umweltgruppen, queere Aktivitäten und gewerkschaftliches Engagement. Heute hingegen ist die Lage dermassen zugespitzt, dass nur mit dem Sturz des Putin-Regimes überhaupt Entspannung und Veränderung möglich erscheint.

Umso erstaunlicher, dass es auch seit Kriegsbeginn verschiedene Aktivitäten aus dem anarchistischen Spektrum im Land gibt. Dennoch kann nicht davon gesprochen werden, dass es in Russland eine anarchistische „Bewegung“ gäbe, da die in Frage kommenden Gruppen kaum miteinander kommunizieren, die Repression die Initiative hemmt und es eher anarchistische Einzelpersonen in der überschaubaren Szene gibt. Wie stark Anarchist*innen tatsächlich an noch vorhandene solidarische Einstellungen hinter der nationalistischen Erziehung und Propaganda anknüpfen könnten, würde sich insofern erst zeigen, wenn es einen Umbruch auf hoher Ebene gibt. Umso wichtiger ist es, jene zu unterstützen, die auch aktuell für eine andere Gesellschaftsform kämpfen.

Es folgt ein Auszug aus dem Vorwort des Buches:

„Doch die Opposition in Russland besteht nicht nur aus Personen wie Nawalny, dem Oligarchen und Geschäftsmann Michail Chodorkowski oder dem Schachgrossmeister Garri Kasparow. Der Widerstand gegen Putins Regime von unten ist zwar klein, aber dafür vielfältig, sowohl politisch als auch ethnisch. In Russland sehen sich heute viele politische Gefangene und Verfolgte mit einem ähnlichen Schicksal wie Nawalny konfrontiert. Doch bekommen sie für ihren Kampf und die gegen sie gerichteten Repressionen wenig Aufmerksamkeit.

Bei russischem Anarchismus denken viele an Michail Bakunin und Pjotr Kropotkin, zwei wegweisenden anarchistischen Persönlichkeiten, die beide aus dem russischen Zarenreich stammten. Ihre Gedanken und Ansätze prägen anarchistische Bewegungen bis heute, und zwar weltweit. Doch die Geschichte des russischen Anarchismus geht weit über diese beiden Grossen hinaus. Auch wenn ihnen bisher nicht die angemessene Aufmerksamkeit zukommt, spielen Anarchist*innen in den Umbrüchen der russischen Geschichte stets eine wichtige Rolle. Von Anfang an politischer Verfolgung und Gewalt ausgesetzt, schafften sie es dennoch immer wieder, mit ihren Handlungen in die Gesellschaft hineinzuwirken. Auch das ist bis heute so.

Unter Wladimir Putin hat die gezielte Verfolgung von Anarchist*innen nach den Protesten auf dem Bolotnaja-Platz 2011/2012, bei denen diese […] eine wichtige Rolle spielten, Fahrt aufgenommen: Mit fabrizierten Gerichtsverfahren, dystopischen Strafmassen und brutaler Folter versucht das Regime, die Anarchist*innen zu brechen. Anarchismus fusst auf den Prinzipien der gegenseitigen Hilfe und Solidarität, der Horizontalität und Dezentralität sowie der Herrschafts-, Macht- und Hierarchielosigkeit. Mit ihren Gesellschafts- und Lebensentwürfen stehen Anarchist*innen also gegen alles, was den russischen Staat unter Putin ausmacht.

Dass sie dafür mit besonderer Härte vom Staat verfolgt werden, verwundert dementsprechend nicht. Doch soll dieses Buch nicht nur von den Repressionen erzählen, die Anarchist*innen erfahren haben, sondern vor allem von ihrem Widerstand und ihren Akten der Solidarität. Trotz oder gerade wegen der Brutalität, die sie im Laufe der Geschichte bis heute erleben, schaffen sie es, ihren Überzeugungen treu zu bleiben und nach ihnen zu handeln.“ (Brosch 2024: 8f.)

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Valerie Brosch: Gegen die russische Staatsgewalt. Unrast Verlag 2024. 144 Seiten. ca. SFr. 17.00. ISBN: 978-3-89771-620-9.