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Bitcoin revolutioniert das Banken- und Rechtswesen

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Eine Revolution wie einst das Internet Bitcoin revolutioniert das Banken- und Rechtswesen

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Digital

Bitcoin revolutioniert das Banken- und Rechtswesen – wie einst das Internet die Medien und Werbung. Sollte man diese ‘Revolution' regulieren? Oder nicht?

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Bitcoin-Utensilien mit Logo. Foto: Zach Copley (CC BY-SA 2.0 cropped)

Datum 21. März 2015
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Was bedeutet dieser neue Standard für die Idee der Commons? Netzpionier und Berliner Gazette-Autor Joi Ito zeigt in seinem Essay, dass die Geschichte des Internets uns einiges über die Zukunft der Krypto-Währung Bitcoin lehren kann.

Um die Geschichte des Internets zu veranschaulichen, kann man kurz auf mein eigenes Leben schauen: Ich bin im Wesentlichen eine Internetperson – mein Geschäftsleben begann mit den Anfängen des Internets und einen Grossteil meines Erwachsenenlebens habe ich damit verbracht, diesem riesigen Flechtwerk kleine Schichten und Teile hinzuzufügen.

Angefangen hat das mit dem Start des ersten kommerziellen Providers in Japan. Später habe ich bei Twitter investiert und geholfen, den Dienst nach Japan zu bringen. Ich habe für die “Open Source Initiative” gearbeitet sowie für dieInternet Corporation for Names and Numbers (ICANN), bei der Mozilla Foundation, bei Public Knowledge, dem Electronic Privacy Information Center (EPIC) und ich war der CEO von Creative Commons. Mit diesem Erfahrungsschatz im Hinterkopf mag es sein, dass ich voreingenommen bin und alles Neue für mich wie das Internet aussieht.

Nichtsdestotrotz: Ich glaube, dass es viele Parallelen zwischen dem Internet und Bitcoin gibt. Die Geschichtes des Netzes kann uns helfen, über Bitcoin und seine Zukunft nachzudenken. Dabei sollten auch wichtige Unterschiede zwischen beiden betrachtet werden.

Die Gemeinsamkeiten von Bitcoin und Internet

Gemeinsam haben beide, dass sie eine effiziente, dezentralisierte Transportinfrastruktur sind, die auf einem offenen Protokoll beruhen. Anstatt Datenpakete über ein dynamischen Netzwerk zu übertragen (man denke an die frühen Leitungen des Internets) benutzt Bitcoin hierfür die Block-Chain. Hier wird Vertrauen zwischen Parteien hergestellt, die sich gleichzeitig gegenseitig misstrauen. An dieser Stelle könnte man hervorbringen, dass hier in Form derBlock-Chain eine gewisse Form der Zentralisierung vorliegt – diese wurde allerdings durch einen mechanisch dezentralisierten Konsens erschaffen.

Das Internet hat eine Wurzel – mit anderen Worten: nur, weil man das Internetprotokoll verwendet, bedeutet dies nicht, dass man ein Teil des Internets ist. Um ein Teil DES Internets zu sein, müsste man dem Names and Numbers Protocol und den root servern zustimmen, die durch ICANN verwaltet werden. Man kann natürlich das Internetprotokoll verwenden und sein eigenes Netz einrichten, mit eigenen Regeln. Aber dann hat man eben einfach nur ein Netz erschaffen und ist nicht Teil DES Internets.

Auf ähnliche Weise kann man das Block-Chain-Protokoll verwenden, um Alternative Bitcoins oderalt.coins zu erschaffen. Das erlaubt, viele der technologischen Vorteile von Bitcoin zu nutzen. Technisch gesehen ist man aber mit Bitcoin nicht mehr dialogfähig und profitiert nicht mehr von dem Netzwerkeffekt oder dem Vertrauen, das Bitcoin geniesst.

Wie in den Anfangszeiten des Internets gibt es auf allen Leveln konkurrierende Ideen. Es gibt alt.coins, die ein leicht abweichendes Protokoll verwenden und andere, die grundsätzlich anders sind. Zudem gibt es diverse Dienstleistungen wie wallets, Geldwechsel und Service Provider. Es gibt Technologien und Services, die die technischen Grundlagen von Bitcoin nutzen und damit etwas ganz anderes anstellen, als bestimmte Werteinheiten zu transferieren. Das lässt sich mit Voice over IP im Bereich Internet vergleichen – die IP-Telefonie nutzt Computernetze um Telefongespräche zu ermöglichen. Dasselbe Netzwerk, doch eine gänzlich andere Nutzung.

Die erste Killer-App des Internets: E-Mail

Ich glaube, dass die erste Killer-App für das Internet die E-Mail war. Bei den meisten frühen Online-Dienstleistern konnte man nur eine E-Mail an Leute senden, die denselben Dienst benutzten. Als die Internet-E-Mail eingeführt wurde, konnten plötzlich alle jedem eine Mail senden. Das war unglaublich und die E-Mail ist immer noch eine der wichtigsten Anwendungen im Internet.

Das Internet wuchs, immer mehr Menschen konnten “online gehen”. Es ging nicht mehr um das Tippen eines Textes in ein Fensterchen. Das Dateiübertragungsprotokoll (FTP) und später Gopher, ein textbasierter Service für Browsing und Downloading, ermöglichten es, Musik und Bilder herunterzuladen und ein World Wide Web an Inhalten zu schaffen.

Schliesslich haben diese Innovationen an der Spitze dieser offenen Architektur zur Geburt des World Wide Web, Napster, Amazon, eBay, Google und Skype beigetragen.

Ich erinnere mich, dass ich vor zwanzig Jahren in Gesprächen mit Werbeagenturen, Medienhäusern und Banken erklärte, wie wichtig und Unruhe stiftend das Internet sein würde. Damals gab es im Internet Satellitenfotos der Erde und eine Webcam, die auf eine Kaffeekanne gerichtet war. Die meisten Menschen konnten sich nicht vorstellen, wie das Internet Handel und Medien erschüttern würde, weil man Amazon, eBay und Google nicht kannte – es waren ja gerade mal E-Mail und Usenet-news erfunden worden. Keiner in diesen grossen Firmen glaubte, dass man irgendetwas über das Internet wissen müsse oder dass das Internet ihr Geschäft betreffen würde – ich erntete meistens genervte und gelangweilte Blicke.

Wird Bitcoin die Killer-App der Block-Chain?

Ich glaube, dass Bitcoin die erste Killer-App für die zugrundeliegende Struktur der Block-Chain sein wird. Ganz so wie die E-Mail die erste Killer-App im Netz war. Wir sind gerade dabei eBay, Amazon und Google im Zeitalter der Block-Chain zu erfinden. Block-Chain wird für Banken- und Rechtswesen, das sein, was das Internet für Medien und Werbung war. Es wird Kosten senken, verschiedene Ebenen miteinander verbinden und Reibungen reduzieren.

Eines der wichtigsten Dinge an denen wir gearbeitet haben, als ich im Vorstand von ICANN war, war der Versuch, das Internet vor der Aufspaltung zu bewahren. Es gab viele Organisationen, die die Politik von ICANN nicht mochten oder die den Einfluss der Vereinigten Staaten über das Internet nicht gut fanden. Unser Job war es, jedem zuzuhören und einen inklusiven Prozess zu schaffen, so dass Leute das Gefühl hatten, dass die Vorteile des Netzes die Energie und Kosten überwiegen, sich mit diesem Prozess zu befassen.

Grundsätzlich sind wir erfolgreich gewesen. Es hat geholfen, dass fast alle Techniker und Schlüsselfiguren, die das Internet entworfen haben, mit ICANN zusammengearbeitet haben. Diese Schnittstelle zwischen den Entscheidungsträgern und den Technologien wurde nie geliebt, aber immerhin hat es irgendwie funktioniert.

Brauchen wir ICANN für Bitcoin?

Die Frage ist, ob es für Bitcoin ein ICANN-Äquivalent geben sollte? Ist Bitcoin wie E-Mail und die Block-Chain dementsprechend das Internetprotokoll TCP/IP?

Dagegen spricht: ICANN musste sich immer mit der Zentralisierung des Internets auseinandersetzen – die Anzahl an Domain-Namen, die vergeben werden konnten, war einfach begrenzt. Domain-Namen und ihre Vergabe sind enorm wichtig dafür, wie das Internet funktioniert. Hier brauchen wir Standards und Konfliktlösungen. Bezogen auf Bitcoin wird das Problem der Zentralisierung gänzlich anders aussehen als dasDomain-Name-System (DNS). Denn obwohl es bei Bitcoin zurzeit eine Zentralisierung in Form von Mining Pools und Core Developments gibt, basiert das Protokoll Block-Chain im Wesentlichen darauf, dass es Dezentralisierung braucht, um überhaupt zu funktionieren. Man könnte behaupten, dass das Internet zwar ein bisschen Dezentralisierung verlangt, aber bisher hat es seine Beziehung mit ICANN überlebt.

Eine andere wichtige Funktion, die ICANN innehat ist die der Plattform. Wichtige Änderungen an der Kerntechnologie des Netzes können besprochen werden. Die diversen Interessenvertreter bekommen eine Stimme.

Bei Bitcoin gibt es die miner – jene Menschen und Firmen, die die notwendigen computergestützten Berechnungen liefern, um eine kryptografisch sichere Block-Chain im Kern von Bitcoin zur Verfügung zu stellen. Wenn die Bitcoin-Entwickler technische Änderungen vornehmen und die miner diese nicht aufnehmen, dann werden sie sich auch nicht durchsetzen. Entwickler und miner haben unterschiedliche Interessen.

Bitcoin und Internet: Die Unterschiede

Genau wie bei ICANN sind die Nutzer wirklich von Bedeutung und sind der Schlüssel für den network-value-Effekt von Bitcoin. Das Internet würde auch ohne die Nutzer funktionieren. Aber Bitcoin ohne miner, das würde nicht gehen. Wer sind nun die miner? Das lässt sich nicht so einfach ausmachen. Es kann sein, dass sich aus den minern eine Community entwickelt – mit einem Nutzer-Interface und einer Steuerungsfunktion ähnlich wie ICANN. Doch die miner sind meist unabhängig und versteckt – aus den verschiedensten Gründen. Und das wird sich so schnell auch nicht ändern. Eine der ersten öffentlich gehandelten Bitcoin-Firmen ist: ein miner.

Auch die Kernentwickler von Bitcoin unterscheiden sich von denen des Internets. Die Erfinder des Internets waren vielleicht Hippies – aber sie waren in den meisten Fällen von Regierungen finanziert und eben diesen wohlgesonnen. Ein Deal mit dem Wirtschaftsministerium schien ihnen damals eine gute Idee zu sein.

Die Kernentwickler von Bitcoin sindCypherpunks. Sie handeln wie sie handeln, weil sie Regierungen oder dem globalen Bankensystem nicht vertrauen. Sie wollen ein autonomes System erschaffen, das eben nicht reguliert werden kann: von niemandem zu keiner Zeit. Bitcoin wurde entworfen, um sich nicht darum scheren zu müssen, was Aufsichtsbehörden denken. Die miner haben ein hohes Wirtschaftsinteresse an Bitcoin, da sie es finanziert haben. Aber die miner sorgen sich wahrscheinlich nicht, ob es Bitcoin oder ein alt.coin ist, der am Ende gewinnt, so lange ihre Investitionen in die Hardware und Anlagen nicht verschwinden, bevor sie Gewinn machen.

Regulatoren haben offensichtlichen einen Ansporn, die Regeln des Netzwerks zu beeinflussen, aber es ist unklar, ob sich die Kernentwickler wirklich darum sorgen müssen. Ohne irgendeine Art von buy-in durch die Regulierungsbehörden, wird Bitcoin kaum wachsen oder einen ähnlichen Mainstream-Einfluss wie das Internet erlangen.

Was wir alles noch nicht wissen

Ähnlich wie in den frühen Tage des Internets, als wir die Macht der E-Mail erkannten, aber das Web noch nicht erfunden hatten, stellen wir uns gerade den potenziellen Gebrauch von Konzepten wie Crypto-Equity undsmart contracts vor … um nur einige zu nennen.

Ich denke, dass es möglich ist, dass Bitcoin oder die Block-Chain durch Überregulierung ihr volles Potenzial nie entfalten können und ein Nischen-Ding bleibt. Ähnlich wie das Anonymisierungswerkzeug Tor zwar enorm wichtig für einige Menschen ist, aber von “normalen Leuten” bisher noch nicht genutzt wird.

Was geholfen hat, das Internet erfolgreich zu machen, war ein gewisser Mangel an Regulierung. Das Netz wurde möglich durch freie und offene Software und die Risikokapitalgeber. Ich frage mich, wohihn das alles führen wird? Wir reden nun über Geld und nicht über content, die Risikokapitalgeber rücken viel mehr Geld raus als zu den Anfangszeiten des Interntes, die Medienaufmerksamkeit für Bitcoin wächst und auch Regierungen sind sehr interessiert. Das macht alles zu einem ganz anderen Spiel. Die Idee eines fünfjährigen Moratorium für jegliche Bitcoin-Regulierungen, wie sie vom US-Politiker Steve Stockman vorgeschlagen wurde, finde ich sehr gut. Wir haben wirklich noch keinen blassen Schimmer, was aus Bitcoin werden wird. Daher ist Dialog im Moment viel wichtiger als Regulierung.

Mich erinnert das alles an die frühe Diskussion überEthernet undToken Ring. Klar, das sind wichtige technische Fragen. Aber für den Endnutzer ist das nicht wirklich entscheidend. Ihn interessiert nur, dass alles am Ende funktioniert. Etwas anderes ist, dass heute viel mehr auf dem Spiel steht und das alles sich wahnsinnig schnell entwickelt. Wenn wir heute scheitern, dann sind die Schäden viel schlimmer als zu den Anfangszeiten des Internets – und viel mehr Leute schauen uns zu.

Joi Ito
berlinergazette.de

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.