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Digitale Commons: Globaler Machtkampf um die Rechte des geistigen Eigentums

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Digitale Commons Globaler Machtkampf um die Rechte des geistigen Eigentums

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Von Medikamenten bis hin zu Software: Urheberrechte und Patentregelungen spielen eine wichtige Rolle. Sie entscheiden über Gleichheit oder Ungleichheit, Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit – insbesondere bei überlebenswichtigen Gütern.

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Digitale Commons: Globaler Machtkampf um die Rechte des geistigen Eigentums. Foto: Dom Crossley (CC BY 2.0 cropped)

Datum 5. Oktober 2015
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Der Philosoph, Theatermacher und Berliner Gazette-Autor Tomislav Medak über den Machtkampf um die Rechte des geistigen Eigentums. Der zweite und letzte Teil seines Essays:

Urheberrechte und Patentregelungen wurden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts international immer weiter standardisiert. Aber erst seit 1994 mit dem Inkrafttreten der TRIPS-Vereinbarung (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, dt. Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) gab es innerhalb der Strukturen der World Trade Organisation (WTO) koordinierte Bemühungen, einer kleinen Anzahl von Industrieländern, die alle Netto-Exporteure von Immaterialgüterrechten sind, die Harmonisierung und Durchsetzung von Urheberrechten, Patentrechten und anderen Rechten des geistigen Eigentums anderen Ländern aufzuerlegen.

Da die Vereinbarung am Höhepunkt der globalen AIDS-Krise in Kraft trat, zeigte sie schon bald ihre Zähne, als Südafrika nach vorne preschte und eine legitime und legale Zwangslizenz für AIDS-Medikamente einführte – zu einem Zeitpunkt als mehr als 10 Prozent der Einwohner infiziert war –, nur um sofort von 29 internationalen Pharmaunternehmen verklagt zu werden. Diese verkauften AIDS-Medikamente zu einem Preis, der hundert Mal über den Kosten lag, die Südafrika aufwenden musste, um die Medikamente zu produzieren und weit über dem Preis, den sich eine überwältigende Mehrzahl der südafrikanischen Bevölkerung leisten konnte. Dieser Konflikt war der erste zahlreicher Runden von internationalen Abkommen – das letzte davon ACTA –, in denen die Industrie- und Entwicklungsländer um die Bedingungen und menschlichen Kosten der internationalen Harmonisierung von Rechten des geistigen Eigentums kämpften.

Diese Vereinbarungen stellten sehr verschiedene soziale Güter unter das selbe Regulierungs- und Verhandlungsregime von Literatur bis Handtaschen, von Medikamenten bis Software (es war das TRIPS-Abkommen, bei dem Computerprogramme den international einheitlichen Status und Copyright-Schutz als „literarische Werke“ erhielten). Wieso sie in einen Topf geworfen wurden, wird klar, sobald wir verstehen, dass die Ausdehnung der Rechte des geistigen Eigentums über Medikamente, Wissen und Kultur und der Druck zur internationalen Vereinheitlichung der rechtlichen Regulierung und der Einführung von strengen Immaterialgüterrechten in den weniger entwickelten Teilen der Welt ein verräterisches Beispiel dafür ist, wie die sich ausdehnenden Kreise von Vermögensrechten, Kommodifikation und rechtlicher Regulierung dazu dienen, zunächst Märkte als Werkzeuge von Enteignung und Disziplin zu etablieren und erst später als wirtschaftliche Einrichtungen.

Diese Strategie der Erkundung von Geschäftsgelegenheiten und ihre disziplinierenden Effekte wird klarer, wenn wir uns das Beispiel von proprietärer Software anschauen. Dort wurden Raubkopien – als eines der wichtigsten Ziele der weltweiten Kontrollregimes von Rechten des geistigen Eigentums – von den Rechteinhabern zunächst toleriert. Es ist eine Strategie, um De-Facto-Monopole für Betriebssysteme, Standards und Anwendungen international durchzusetzen. Gleichzeitig drängte man auf strengere gesetzliche Regeln, auch in Ländern, in denen die schwache bis nicht vorhandene Kaufkraft der lokalen Märkte den Bedarf nach Regulierung und Ausweitung nicht nötig erscheinen liess. Dadurch entstand eine Form von weltweiter Marktkonzentration, die es erlaubt, hohe Profite einzufahren, wenn das Produkt endlich monetarisiert werden kann. Für diejenigen, die vom Balkan kommen, wo Raubkopien über Jahre die Norm waren, wird dies eine bekannte Erfahrung sein.

Doppelter Charakter des Kapitalismus

Diese neuen Einhegungen, die von den kapitalistischen Zentren aus in der ganzen Welt betrieben werden und die die Unterschiede in der wirtschaftlichen Macht zwischen Ländern und sozialen Schichten ausnutzen, zeigen einen doppelten, komplementären Charakter auf, den das Midnight Notes Collective schon 1990 in ihrem Buch „The New Enclosures“ beschrieben hat.1 Der Ausschluss von den Produktionsmitteln und die Schaffung von neuen Eigentumsverhältnissen in der Peripherie wird immer ergänzt durch die Prozesse der Kommodifizierung – die Zur-Ware-Machung – und Kommerzialisierung, die auf die Arbeiterklasse im Zentrum abzielt. Dieser doppelte Charakter kann als strukturelle Eigenschaft des globalen Kapitalismus angesehen werden: Seine Fähigkeit, Klassenkämpfe an einem Ort zu ersticken, indem er seine Tätigkeiten weltweit rekonfiguriert.

Wie schon zu Beginn gesagt wurde – und es muss wiederholt werden: Der Grosshandelscharakter der internationalen Regulierung von Rechten des geistigen Eigentums bedeutet, dass die aufkommende Debatte über den Schutz von urheberrechtlich schutzbaren Werken in der digitalen Welt einen Vorwand oder Anlass bietet, den Schutz auch über überlebenswichtige materiellen Ressourcen und den Ausschluss von breiten Teilen der Welt vom Fortschritt in Bezug auf Wissen, Technologie, Medizin und so weiter zu verfestigen. Das geschieht unter anderem durch diese parallelen Schaltkreise von Zwangsakkumulation und Kommodifizierung in Bereichen so unterschiedlich wie Softwareproduktion, wissenschaftlichen Verlagen, Produktion von Medikamenten oder Lebensmitteln.

Weil die internationalen Verträge zu den Rechten des geistigen Eigentums einschneidende Auswirkungen für das Überleben von Bevölkerungen und für den Wettbewerb der nationalen Ökonomien – die zum grössten Teil in einer Position der Abhängigkeit von Rechten des geistigen Eigentums sind – auf dem globalen Markthaben haben, haben sie im globalen Süden vor allem linke Bewegungen, aber auch Wissenschaftler, Aktivisten und Experten in Bewegung gesetzt, sich diesen Verträgen zu widersetzen. Sie alle arbeiten zu Themen wie Zugang zu Nahrung, Medikamenten, Wissen und Kultur. Es ist ein Konflikt, der noch andauert. Wie wir zuletzt mit dem ACTA-Abkommen gesehen haben, versuchen die entwickeltsten kapitalistischen Wirtschaftsmächte inzwischen, multilaterale Foren, wie die Welthandelsorganisation WTO und die Weltorganisation für geistiges Eigentum WIPO (World International Property Organisation) zu meiden. Sie tun es, da ihre Abkommen dort gescheitert sind und nicht die erwünschten Ergebnisse produziert haben. Stattdessen versuchen sie, Schutzmassnahmen durch bilaterale Vereinbarungen durchzusetzen, durch die sie – bisher erfolglos – versuchen, die Allianzen, die sich ihren Zwang widersetzt haben, zu brechen.

Relative Autonomie der gemeinschaftlichen Produktion innerhalb des kapitalistischen Systems

Lassen Sie mich nun wieder zurückkehren zur freien Software mit der Frage, wie eine relative Autonomie eines Bereichs der gemeinschaftlichen Produktion ohne ausschliessliches Eigentum innerhalb der fortdauernden Verhältnisse des real-exisitierenden Kapitalismus aussehen könnte? Wäre sie überhaupt möglich?

Es wird mehr denn je deutlich, dass freie Software weit davon entfernt ist, eine disruptive Kraft innerhalb der Entwicklung des Kapitalismus und der Technik zu entwickeln. Sowohl weil ihr Modell nahtlos in die Geschäftsmodelle von grossen kapitalistischen Unternehmen eingegliedert werden kann, als auch weil die Entwicklung der Informationstechnologie die Idee von Software als abgegrenzte und reproduzierbare Ware, die durch Urheberrechte geschützt ist, weniger relevant gemacht hat.

Trotzdem kann uns freie Software – wenn wir uns den historischen Kontext anschauen, in dem sie sich herausgebildet hat – Einsicht geben, wie ein Versuch, ein autonomes Projekt innerhalb der kapitalistischen Welt zu realisieren, aussehen könnte und an welcher Stelle freie Software als autonomes Projekt scheitert. Wenden wir uns Richard Stallmans eigener Darstellung der Entstehung des GNU-Projekts in den frühen 1980er Jahren zu – und ignorieren seine politische und ethische Rechtfertigung von Software als Redefreiheit und Pflicht dem Mitmenschen zu helfen. Wir sehen uns einer Geschichte gegenüber, die einen präzisen Bericht über die ursprüngliche Akkumulation durch die Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln bietet. In diesem Zeitraum begannen die IT-Unternehmen zu verstehen, dass Software ebenfalls zu Ware gemacht und als separates Produkt verkauft werden konnte, getrennt von der Hardware, der sie vorher kostenlos beigegeben wurde. Aber um das zu erreichen, musste der Programmcode geschlossen und die Softwareprogrammierer, die bis dahin gemeinsam an den Programmen gearbeitet haben – meistens in Forschungsinstituten und an Universitäten – vom Zugang ausgeschlossen werden.

Indem Stallman das GNU-Projekt anstiess und die GNU General Public Licence entwarf – ein legales Dokument, das die Copyright-Regelungen dazu verwendete, sie gegen ihr eigentliches Ziel, ausschliessliche Eigentumsrechte zu erzeugen, zu wenden –, entwickelte er einen Prozess, der darauf zielte, Enteignung und Kommodifizierung zu verhindern. Anstelle dessen sollte er den Gebrauchswert vergrössern und den Mitgliedern der Gesellschaft erlauben, Kontrolle über die Software zu bekommen, die so viele der gegenwärtigen sozialen Prozesse steuert. Wo freie Software ganz offensichtlich gescheitert ist, ist im Zusammenprall mit der Fähigkeit des Marktes, auch widerständige Projekte zu transformieren und zu integrieren. Weiter und noch viel wichtiger ist das Scheitern, das Auskommen der Programmierer zu berücksichtigen, freie Software als öffentliches Gut zu verfechten und dafür einzutreten, dass mehr materielle und immaterielle Güter gemeinschaftlich produziert werden müssen.

„Commons-based peer production“

Dekommodifizierte Bereiche der Produktion innerhalb eines kapitalistischen Systems sind bedeutungsvoll, haben aber auch bedeutende Beschränkungen. Angesichts der Gefügigkeit von „commons-based peer production“ in Bezug auf die kapitalistische Wertschöpfung und der Tatsache, dass sie leicht als positiver externer Effekt sowie als Ergänzung oder als kostenloser Input in den Prozess der Warenproduktion einbezogen werden kann, bleibt das anti-systemische, disruptive und transformative Potential beschränkt. Trotzdem erreicht die „commons-based peer production“ einen gewissen Grad an Unabhängigkeit von Geld und stellt gewissermassen einen autonomen Bereich gemeinschaftlicher Produktion dar. Damit diese Formen der gemeinschaftlichen Produktion überleben können, müssen wir einen Weg finden, sie in ein breiteres System der gemeinschaftlichen Produktion einzubetten und zu entfalten – als eine Ergänzung zu öffentlichen Dienstleistungen etwa – anstatt sie den Marktmächten zu überlassen, die sie ausnutzen.

Wie schon festgestellt wurde, hängen die Kommandohöhen des modernen Kapitalismus von den Monopolansprüchen ab, die vom geistigen Eigentum erzeugt werden. Sie sind mit die wichtigsten Generatoren von Ungleichheit und Ausschluss, die die Gesetze der Bewegung des kapitalistischen Wachstums und der Akkumulation vorantreiben. Um das kapitalistische System aus den Angeln zu heben, muss man die Macht über Wirtschaft und Demokratie verstehen, die diese Agenten des Monopolkapitals ausüben. Dieser machtvolle Drang in Richtung Ausdehnung von strengen Schutzmassnahmen durch die USA und anderen entwickelten Wirtschaftsmächten, wo diese Agenten zu den grössten Unternehmen mit übermässiger Lobby- und Finanzmacht über die Regulierungsbehörden und die Politik gehören, zeigt einen Punkt auf, wo Aktivisten in abhängigen kapitalistischen Ländern wie dem Balkan, wo die Bevölkerung durch strengere Schutzmassnahmen ihren Zugang zu fortgeschrittenem Wissen und medizinischen Erkenntnissen zu verlieren hätte, ansetzen können.

Sie können ihre Regierungen unter Druck setzen, Allianzen mit weiteren solcher Länder einzugehen, sich der Vereinheitlichung der Rechte des geistigen Eigentums zu widersetzen und für mehr Ausnahmen für ihre Bevölkerung zu kämpfen. Für diese Länder ist dies eine Aufgabe, die direkt mit ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und gehemmten Entwicklung verbunden ist. Zudem müssen die Aktivisten ihre Regierungen dazu anhalten, sich dafür einzusetzen, dass die Rechte des geistigen Eigentums international aufgespalten werden und einzeln verhandelt werden müssen, da kulturelle Werke und Design-Produkte ganz andere sozioökonomische Aspekte berühren als landwirtschaftliche Produkte oder Medikamente.

Schliesslich müssen wir soweit wie möglich Praxen entwickeln, die gesetzesgemäss – manchmal auch ausserhalb der Gesetze – auf möglichst breiter Basis Commons schaffen, um die Autonomie der Geldökonomie voranzutreiben, den Nutzwert von geistigen Werken zu maximieren, die Ungleichheit und Ungerechtigkeit wirtschaftlicher Hindernisse zu überwinden und die Widersprüche des Systems hinsichtlich der Rechte des geistigen Eigentums bis an ihre Grenzen zu bringen. So lange bis die Überwindung des Kapitalismus nicht vollständig ist.

Tomislav Medak
berlinergazette.de

Der erste Teil des Essays isthier erschienen.

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.