Immaterielle Güter sind anders...
Wenn jemand mein Fahrrad benutzt, kann ich es nicht gleichzeitig verwenden. Ideen aber – wie sie zum Beispiel in diesem Text vorkommen – kann man verbreiten und mit anderen teilen, ohne dass man davon weniger hat. Wir wissen vom Inhalt dieses Textes nicht weniger, wenn die LeserInnen nach dem Lesen mehr darüber wissen. Aber immerhin: Ihn zu lesen, zu verstehen, Fehler zu finden, die wir vielleicht darin gemacht haben, ist jedes Mal intellektueller Aufwand – eine Tätigkeit also, die Zeit kostet und Voraussetzungen hat, z.B. muss man lesen gelernt haben. Ganz "umsonst" und ohne Voraussetzungen geht das mit dem Verbreiten also nicht. Dennoch, der Text als solcher, und damit die darin enthaltene Information, hat die Eigenschaft, dass man ihn ohne Informationsverlust beliebig oft kopieren (und damit auch übertragen, darstellen, verfügbar machen, kurz: benutzbar machen) kann. Wenn bestimmte Voraussetzungen einmal vorhanden sind (Computer, das Internet) kann man eine Datei, die den Text enthält, billig vervielfältigen – der Aufwand dafür wird dann so gering, dass er irgendwann für den Einzelnen praktisch gleich Null ist....und das Eigentum an ihnen fällt anders auf
Auf hin- und herschwirrende Ideen, auf Dateien oder andere digitale "Informationsbehälter" einen Eigentumstitel zu kleben, erscheint so als eine Einschränkung, die "künstlich" ist, die nicht sein müsste – alleine schon deshalb, weil man es gewöhnt ist diese Dateien (illegal) zu kopieren. Hier fällt auf: Eigentum zu sein ist keine Eigenschaft dieser Sachen selbst, sondern es wird äusserlich gesetzt. Was dabei noch auffällt, ist, dass manche Dateien, z.B. Musik, nicht kopieren darf. Es gibt ein Verbot, diese weiterzugeben. Und das scheint bei Dateien nochmal besonders abstrus, da der Inhalt durch das weitergeben gar nicht verändert oder beschädigt wird. Beim "digitalen Eigentum" erscheint also anders, nämlich deutlicher, dass die staatliche Gewalt mit ihren Patent-, Urheber- und sonstigen Rechten die Benutzung einschränkt. Das Eigentum erscheint hier klar als das, was es ist – als eine Schranke.Mehr noch, die Resultate von Wissenschaft und Technik waren schon lange vor dem Beginn der digitalen Datenverarbeitung Gemeinschaftsprodukte in dem Sinne, dass noch die kleinste neue Entdeckung oder Erfindung auf so zahlreichen anderen Entdeckungen und Erfindungen aufbaut, dass der jeweilige Urheber nur bei einem Bruchteil dieser notwendigen immateriellen Voraussetzungen weiss, wo sie herkommen. Mathematische Erkenntnisse bauen auf anderen mathematischen Erkenntnissen auf, Software basiert auf Ideen anderer Softwarepakete oder gleich ganzen anderen Paketen.[2]
Um mit Erkenntnissen und Technologie voranzukommen, braucht man also Zugang zu dem, was es schon gibt. Wenn heute immer wieder Eigentumstitel verteidigt und genutzt werden, wenn also der Zugang und die Anwendbarkeit vorhandener Informationen gesetzlich beschränkt wird, dann ist das ein Hindernis für die Entwicklung von neuen Ideen. Eigentum erscheint als eine willkürliche Trennung dessen, was doch notwendig aufeinander verwiesen ist: Es ist nicht nur eine Schranke, um an bestehende Dinge oder bestehendes Wissen zu kommen, sondern sogar auch, um neue Sachen zu entdecken und zu entwickeln.
Eigentumslosigkeit als Norm
Das Konzept Open Source ist zusammen mit der Entwicklung von Grossrechnern, PCs und Internet entstanden und hat diese Entwicklung selbst vorangebracht. Ausgangspunkt der Open-Source-Bewegung war die Wertschätzung besonderer Eigenschaften digitaler Güter, insbesondere die verlustfreie Reproduzierbarkeit und damit verbundene Vorteile bei der gemeinsamen Bearbeitung von Code. Die Protagonisten dieser Bewegung wussten sich diese Eigenschaften bei ihrer Arbeit zu nutze zu machen, und beschäftigen sich mit den Voraussetzungen dafür. Die Beschäftigung mit diesem Thema war neu, denn am Anfang der praktischen Informatik, so ab den 1950er Jahren, war der freie Zugang und die de facto uneingeschränkte Benutzbarkeit aller benötigten Informationen – zumindest was Software anging – selbstverständlich. Jedenfalls für Leute mit dem entsprechenden Wissen, die an einschlägigen, gut ausgestatteten Forschungseinrichtungen arbeiteten. Software wurde schlicht als Gratiszugabe zu massiven, teuren Grossrechnern angesehen und entsprechend offen verteilt, studiert und verändert.Erst ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich ein Markt für proprietäre Software – also Software, die man nicht einfach verbreiten und verändern darf. Firmen wie Microsoft begannen, mit dem Verkauf von Software und insbesondere von Lizenzen für die Benutzung von Software ein Geschäft zu machen.[3] Gegen diese neue Bewegung traten Leute wie Richard Stallman – Gründer des GNU Projekts, welches die bekannteste Open-Source-Lizenz, die General Public License (GPL), heraus gibt – an, um den Status quo zu bewahren. Stallman und seine KollegInnen entwickelten Software gemeinsam, und bestanden darauf, dass andere ihre Produkte studieren, benutzen und weiterverbreiten dürfen sollen. Das ist, vom Standpunkt der planvollen Produktion nützlicher Dinge betrachtet, eine vernünftige Sache.
Eigentum – eine Norm für die Welt der physischen Dinge?
Das GNU-Projekt war der Ursprung der Open-Source-Bewegung. Dieser Bewegung ist heute wichtig, dass aus den sachlichen Besonderheiten immaterieller Güter folge, dass das Eigentum für diese Güter eine geringere oder andere Rolle spielen müsse als für andere – materielle – Sachen.Damit entgeht dieser Bewegung aber genau das, was gerade an der Unterwerfung immaterieller Güter unter das Eigentum, vorangetrieben durch die Pioniere der proprietären Softwareentwicklung, auffallen könnte: Dass das Eigentum stets ein den Gütern äusserliches soziales Verhältnis ist. Protagonisten von Open Source (oder Bewegungen, die davon inspiriert wurden) unterstellen das Eigentum an solchen physischen Dingen als der Natur der Sache, insbesondere ihrer (angeblichen) natürlichen Knappheit, entsprechend.
Zum Beispiel schreiben die Piraten in ihrem Grundsatzprogramm: "Systeme, welche auf einer technischen Ebene die Vervielfältigung von Werken be- oder verhindern ("Kopierschutz", "DRM", usw.), verknappen künstlich deren Verfügbarkeit, um aus einem freien Gut ein wirtschaftliches zu machen. Die Schaffung von künstlichem Mangel aus rein wirtschaftlichen Interessen erscheint uns unmoralisch, daher lehnen wir diese Verfahren ab. […]Wir sind der Überzeugung, dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte und die Interessen der meisten Urheber entgegen anders lautender Behauptungen von bestimmten Interessengruppen nicht negativ tangiert."[4]
Was digitale Güter angeht, beklagen die Piraten also, dass dort Menschen von Eigentumstitel "künstlich" vom Benutzen abgehalten werden, entgegen der "natürlichen" Eigenschaft von Information kopiert werden zu können. Andererseits können sie dies bei materiellen Dingen so generell nicht feststellen, diese sind nach der Logik des Grundsatzprogramms durchaus von selbst "wirtschaftliche Güter". Eine Annahme die den Verfassern so selbstverständlich zu sein scheint, dass sie dies nicht explizit erwähnen.
Das GNU-Projekt spricht den angenommenen Unterschied zwischen ideell und materiell explizit an: "Unsere Ideen und Intuitionen über das Eigentum an materiellen Dingen handeln davon, ob es richtig ist jemanden ein Objekt wegzunehmen. Sie betreffen das Kopieren nicht direkt. Eigentümer wollen aber, dass wir jene dennoch anwenden […] Aber Leute im allgemeinen haben wahrscheinlich nur Sympathien für die Beanspruchung von natürlichen Rechten aus zwei Gründen. Ein Grund ist eine überdehnte Analogie mit materiellen Dingen. Wenn ich Spaghetti koche, dann erhebe ich Einspruch dagegen, wenn jemand anderes sie isst, weil ich sie dann nicht mehr essen kann. Seine Aktion schadet mir genauso viel wie sie ihm nützt; nur einer von uns kann die Spaghetti essen, die Frage ist, wer von uns? Der kleinste Unterschied zwischen uns ist genug um die ethische Balance zu stören. Aber wenn Du ein Programm, das ich geschrieben habe, ausführst oder veränderst, dann betrifft das Dich direkt und mich nur indirekt. Ob Du deinem Freund eine Kopie gibst betrifft Dich und deinen Freund wesentlich mehr als es mich betrifft. Ich sollte nicht die Macht haben Dir zu sagen das nicht zu tun. Niemand sollte das."[5]
Die aufgemachte Trennung zwischen materiellen und ideellen Dingen im Bezug auf das Eigentum, stimmt aber so nicht.
1. Das Eigentum ist erst einmal gleichgültig dagegen, ob der Eigentümer eine Sache benutzt oder nicht. Wenn Leute an Eigentum an materiellen Gütern denken, dann denken sie an ihre persönlichen Habseligkeiten, Dinge die sie mehr oder weniger regelmässig brauchen. Das trifft aber das Eigentum nur am Rande, es funktioniert viel grundsätzlicher. Zum Beispiel werden besetze Häuser geräumt und stehen dann wieder leer. Oder Waldstücke werden eingezäunt von Eigentümern, die in ganz anderen Gegenden wohnen. Die Frage, ob jemand eine Sache gebrauchen kann, stellt sich dank Eigentum so nicht. Das Eigentum an einer Sache gilt, ganz egal, ob der Eigentümer oder jemand anderes diese – zum Beispiel gegen Bezahlung – benutzt. Die absolute Verfügung über Reichtümer egal welcher Art und welchen Umfangs einklagbar zu machen, das ist das Privateigentum und es wird mit allen erforderlichen Mitteln vom Staat durchgesetzt. Egal ob materielles oder immaterielles Gut – dem Eigentum ist es erst einmal ziemlich egal, wer was wie benutzen will. In dieser Hinsicht ist die Unterscheidung also Pustekuchen.
2. In einer Hinsicht spielt das Benutzen-wollen aber schon eine Rolle – eine negative. Das Ei-gentum an einem Haus ist Ausdruck des Ausschlusses Dritter von der Benutzung des Hauses. Mit dem Haus selber kann man nämlich kein Eigentumsverhältnis eingehen, der ist nur ein Haus, nicht fähig zu einem Rechtsverhältnis. Genauso wie eine DVD mit Windows darauf nicht unbedingt installiert werden darf, nur weil sie gerade bei mir herumliegt: Die Funktion eines Eigentumstitels ist ja gerade, dass andere mein Eigentum nicht benutzten dürfen ohne mein Einverständnis, obwohl sie wollen und vielleicht auch unmittelbar physisch könnten. Das, was den FreundInnen der freien Software an digitalen Gütern auffällt, könnte ihnen am Eigentum an materiellen Dingen genauso auffallen: Eigentum ist ein Verhältnis zwischen Leuten, nicht zwischen Dingen und Leuten, und ein ziemlich negatives Verhältnis zwischen Leuten dazu. Eigentum ist eine Schranke für die Benutzung, bei der es darauf ankommt, dass der andere das, was meines ist, will, es aber, weil es meines ist, nicht (unmittelbar) kriegen kann. Die Eigentumsgarantie für materielle Dinge gibt es nicht obwohl, sondern weil andere die Eigentumsgegenstände wollen, brauchen, benötigen. Das Eigentum an Brot und erst recht an Brotfabriken ist deswegen relevant, weil andere Leute Hunger haben. Sonst bräuchte man den Ausschluss nicht garantieren.
3. Ausserdem: Den harten Gegensatz zwischen materiell und immateriell bezüglich der Reproduzierbarkeit von Gütern gibt es nicht. Man kann materielle Dinge herstellen, was nichts anderes heisst als die festgestellte Knappheit zu beseitigen. Es gibt nicht eine bestimmte Anzahl von Brotmessern in der Welt, man kann mehr herstellen. Klar, dafür muss man dann was tun, aber einfach "knapp" ist da nichts.[6] Zum Herstellen braucht man aber Zugang zu den Produktionsmitteln, die wiederum auch in privater Hand sind. Auch dabei ist gleichgültig, ob man sie "wirklich" braucht oder ob sie gerade benutzt werden. Allerdings ist ein Unterschied zwischen Software und Brotmessern, dass die zeitgemässen Produktionsmittel für Software inzwischen billige Massenprodukte sind und bei den meisten Leuten sowieso schon zu Hause herumstehen. Mit einem zehn Jahre alten Computer vom Sperrmüll kann man Software schreiben, die auf dem Stand der Technik ist.[7] Entsprechend braucht man in die Produktion von Software "nur" Bildung und Arbeitszeit zu investieren, während man bei etwa bei Brotmessern von ihren Produktionsmitteln – auf dem Stand der Technik – ausgeschlossen ist. Dafür bräuchte es tatsächlich eine eine Brotmesserfabrik und die will erst einmal gekauft werden.
4. Die Produktionsmittel wiederum sind auch nicht einfach "knapp", die kann man auch grösstenteils herstellen. Zu den Produktionsmitteln bekommt man keinen Zugang, weil ihr Zweck für den Eigentümer ist, sich damit Zugang zu den Reichtümern der Gesellschaft zu verschaffen und darüber hinaus Geld zu vermehren. Er weiss ja, dass er sich mit anderen immer einigen muss, um an deren Produkte heranzukommen. Entsprechend benutzt er seine Fabrik – sowie Leute, die keine Fabriken haben, d.h. Arbeitskräfte – um etwas herstellen zu lassen, was er verkaufen kann. Mit dem Erlös kann er dann einkaufen gehen – am besten und in der Regel wieder Arbeitskräfte und Produktionsmittel, damit der Spass wieder von vorne losgeht. Genau wie bei immateriellen Gütern ist man bei materiellen Gütern in einer arbeitsteiligen Gesellschaft auf die anderen angewiesen. Weil hier Eigentum gilt, ist man aber von deren Produkten prinzipiell ausgeschlossen und ist so darauf verwiesen, den Bedarf anderer für sich auszunutzen. Die Absurdität anders auf den Punkt gebracht: Gerade weil man auf die anderen angewiesen ist, beharrt man auf deren Ausschluss. Wenn alle mir nur etwas geben, wenn ich etwas gebe, dann werde ich darauf schauen, dass ich das, was ich habe, auch einsetze dafür, dass ich was kriegen kann … indem ich anderen genauso gegenüber trete wie sie mir.
Eigentum hat den gleichen ausschliessenden Charakter, unabhängig davon ob es um materielle oder immaterielle Güter geht. Das sieht die Open-Source-Bewegung aber ganz anders – und teilt damit eine fatale Fehleinschätzung über den Kapitalismus mit so vielen anderen Menschen.
Nochmal anders herum gesagt: Der "linke Flügel" der Open-Source-Bewegung beharrt auf einer strikten Trennung zwischen digitalen und materiellen Gütern, um damit das Eigentumsregime über digitale Güter zu kritisieren. Mit ihrer Argumentation bestätigen und zementieren sie aber gerade, dass Menschen qua Eigentum von den Dingen, die sie brauchen, ausgeschlossen sind. Die Parole "Free Software today, free carrots tomorrow" eines linken Open-Source-Aktivisten mag nett klingen, mit dem Appell an die "Eigentumskritik" von Open-Source wird aber die falsche Vorstellung bestätigt, die "Karotten für alle und zwar umsonst" verhindert.
Open-Source-Lizenzen: Eigentumskritik mit den Mitteln des Rechts?
Wenn man Open-Source-Software entwickelt, ist der Zugang zum eigenen Arbeitsprodukt in Form von Recht organisiert. Insbesondere das Urheberrecht gilt ohnehin: Es wird vom Staat für alles gesetzt, was einen ideellen Urheber hat. Aber darüber hinaus legt eine Open Source-Lizenz mit den Mitteln des Rechts fest, was man mit dem Produkt machen darf und was nicht – grundsätzlich nicht anders als an vielen anderen Stellen in der bürgerlichen Gesellschaft üblich, insbesondere in der Industrie. In der Regel darf man den Quellcode lesen, verändern und weiterverbreiten.[8] In den genauen Bestimmungen unterscheiden sich die verschiedenen Lizenzen erheblich. Grob lassen sich dabei zwei Varianten von "Offenheit" unterscheiden. Die bereits erwähnte GPL sagt aus, dass wenn man ein GPL lizenziertes Stück Software in seinem Programm benutzt, das Programm selbst dann auch wieder unter GPL stehen muss. Das heisst, die Lizenz ist "virulent" und Komponenten stecken sich gegenseitig an. Zum Beispiel kann man nicht einfach den Linux Kernel (also den Kern des Betriebssystems) nehmen, ein paar Veränderungen machen und das Ergebnis ohne Quellcode verbreiten; man muss auch den Quellcode der eigenen Änderungen freigeben.Die BSD-Lizenz ist da weniger strikt.[9] So sind zum Beispiel BSD-Programme Bestandteil von Microsoft Windows, ohne dass deswegen irgendwelche Quellen veröffentlicht werden müssten. Die Lizenz regelt nur, was man machen muss, wenn man die Quellen selbst verbreitet. Und sie regelt zweitens, dass man niemanden verklagen darf, wenn etwas schief geht: ein Haftungsausschluss. Die beiden Seiten können sich in der Frage lange streiten: Die einen (GPL) meinen, man müsse die Freiheit mit Zwang schützen, die anderen (BSD) meinen, dass dabei die Freiheit verloren gehe.[10]
Wer nun Recht hat oder ob die Frage sich nicht lösen lässt, weil diese Freiheit ihr Gegenteil, die Herrschaft, enthält, müsste in einem anderen Artikel geklärt werden. Was man aber feststellen kann, ist, dass diese Art der praktischen Eigentumskritik das (Mit-)Eigentum an einem Softwareprodukt notwendig voraussetzt. Richard Stallman hat deswegen die GPL als einen "legal hack", also als einen legalen Trick bezeichnet.[11] Man insistiert auf seinem Eigentum[12] (indem man Lizenzbedingungen einfordert), um die freie Weitergabe zu garantieren. Das Rechtssystem – garantiert durch die Staatsgewalt – lässt sich aber nicht überlisten: Lizenzen (egal welcher Art) sind legal bindende Verträge, die im Zweifelsfall von der Staatsgewalt durchgesetzt werden können, wenn eine Seite sie einfordert.[13] Das hat zu der Situation geführt, dass z.B. Wissenschaftler, die ihre Forschungssoftware für andere zugänglich machen, sich massenweise mit verschiedenen inkompatiblen Lizenzmodellen beschäftigen: Darf ich die Open-Source-Software eines anderen Wissenschaftlers legal mit meiner Open-Source-Software kombinieren?[14] Aus der kreativen Anwendung und Überlistung des Rechts – Stallman und Co. machen "Ansagen" an das Recht –, wurde die ganz prinzipielle Unterwerfung unter das Recht – das Recht macht Ansagen an Stallman und Co –, schlicht, weil das Recht so funktioniert.
Mehr noch, in einer Gesellschaft, wo fast nur Anhänger des Rechts herumlaufen, hat solch ein "Hack" so seine eigene Dynamik. Inzwischen hat sich der Bereich, auf den Lizenzen in diesem Stil angewendet werden, erheblich erweitert. Die Creative-Commons-Bewegung[15] empfiehlt auch Wissenschaftlern, Kulturschaffenden und im Zweifelsfall jedem, der seine Urlaubsfotos ins Internet hochlädt, sich nachhaltig zu Eigentümern ihrer jeweiligen Informationsprodukte zu erklären, um dann, aus einem Baukasten der Rechteeinräumung schöpfend, Dritte mehr oder weniger von der Benutzung auszuschliessen. Lawrence Lessig's Creative-Commons-Initiative hat im Gegensatz zu Richard Stallman auch keine Probleme mehr mit dem real existierenden Copyright-Regime, wenn sie richtig feststellt: "Creative Commons licenses are copyright licenses – plain and simple. CC licenses are legal tools that creators can use to offer certain usage rights to the public, while reserving other rights. Without copyright, these tools don't work."[16] Und bei der Durchsetzung dieses Copyright-Regimes hilft die CC-Bewegung kräftig mit. Inzwischen werden auch Dinge mit Eigentumstiteln ausgestattet, über die sich vorher einfach niemand Gedanken gemacht hat, z.B. die oben erwähnten Urlaubsfotos.[17]
Wie präsent der Formalismus des Rechts in den Köpfen dieser Leute ist, kann man an der Kontroverse und der Zurückziehung der Devnations-2.0-Lizenz sehen.[18] Die Devnations-2.0-Lizenz sah vor, dass Menschen in "Entwicklungsländern" Produkte kostenlos benutzen dürfen, aber Leute aus den kapitalistischen Zentren nicht. Eine Lizenz, die also die echte materielle Ungleichheit wenigstens zum Thema gemacht hat.[19] Sie wurde zurückgezogen, weil sie Bewohner aus Industrienationen diskriminierte, und damit die Gleichheit vor dem Gesetz verletzte. Wenn man der Open-Source Bewe-gung nachsagen will, sie sei mit einer Eigentumskritik ans Werk gegangen – wenn auch auf immaterielle Güter beschränkt – oder sie habe sich am Ausschluss der Menschen vom digitalen Reichtum dieser Welt gestört, dann hat sie auf jeden Fall das Gegenteil erreicht. Hacken kann man die Rechtsordnung eben nicht – eine vernünftige Kritik sieht anders aus.
Software-Allmende für Unternehmensgewinne
Der Erfolg der Open-Source-Bewegung beruht auch darauf, dass sie sich bestens mit der ansonsten weiterhin nach allen bekannten Prinzipien der privaten Ausnutzung von Erfindungen gedeihenden IT-Branche verträgt.[20] Im folgenden ein paar Beispiele, die verdeutlichen sollen, wie Geschäft und Open-Source zusammen passen, also wie man mit etwas Geld verdient, was man umsonst zur Verfügung stellt.Die Mozilla Foundation – vor allem bekannt als Herstellerin des Browsers Firefox – erhält einen Grossteil ihres Verdienstes von Google Inc. Google Inc. zahlt dafür, dass Google auf dem Firefox die voreingestellte Suchmaschine des Browsers ist. Apple wiederum setzt mit seinem OS-X-Betriebssystem auf ein Open-Source-System auf, dafür arbeiten sie auch mal an Open-Source-Projekten mit. Die Resultate nutzt diese Firma dann, um Hardware, Softwarepakete, Filme und Musik zu verkaufen – sehr erfolgreich in letzter Zeit. Die Entwicklung des Kerns des Linux-Betriebssystems geschah laut einer kürzlich veröffentlichten Studie angegeben nur zu 7,7% der aktuellen Entwicklung explizit unbezahlt[21]. Die grössten Firmen, die Mitarbeiter damit beschäftigen, an diesem Betriebssystem mitzuwirken, sind Red Hat Linux, IBM und Novell, also Global Player auf dem internationalen IT-Markt. Sie entwickeln Linux mit, um lohnende Geschäfte damit zu machen. Sie verkaufen zum Beispiel Anwendungen, die auf Linux laufen oder bieten Firmen Support-Verträge an: Ihr kauft unser Produkt und wir stellen sicher, dass es rund läuft.
Dafür zahlen andere Unternehmen dann Geld, obwohl man sich aus Open-Source-Projekten das Resultat grundsätzlich selbst zusammen bauen könnte. Google verbreitet sein Android-Betriebssystem und seinen Webbrowser unter einer Open-Source-Lizenz – vor allem damit dank der Verbreitung von guten Smartphones Leute noch mehr Zeit im Internet verbringen, wo Google sein Geld mit Werbung und Dienstleistungen verdient. Nokias Qt-Bibliothek – mit der man graphische Benutzeroberflächen auf verschiedenen Betriebssystemen schreiben kann – ist Open Source, sodass Entwickler sich damit anfreunden können. Aber um nicht quelloffene Anwendungen damit zu bauen, braucht man eine kommerzielle Lizenz. Viele Firmen steuern Hilfe zur Entwicklung vom GCC-Compiler bei, weil das ein zentrales Stück Infrastruktur für jede Softwarefirma ist.[22] Es ist billiger, das zusammen zu entwickeln, als unabhängig eine eigene Alternative zu entwickeln. Selbst Microsoft hat inzwischen einige Produkte unter Open Source-Lizenzen veröffentlicht.
Moderne Standort- und Wettbewerbspolitiker, die der Liebhaberei für das Hin- und Herschieben und Manipulieren von Bytes ganz unverdächtig sind, haben das verstanden – sie fördern und propagieren die Pflege und den Ausbau dieser gemeinschaftlich verfügbaren Infrastruktur nach Kräften. Zum einen, weil das den Standort stärkt und zum anderen weil die eigenen Behörden mit so manchem Open-Source-Produkt einfach billiger fahren. Übrigens: Durch sein Universitätswesen hat der bürgerliche Staat schon lange vor dem C64[23] dazu beigetragen, dass Grundlagenforschung und Wissen zum Wohle des nationalen Wirtschaftswachstum verwendet werden. Dazu passt auch ganz gut, dass die zwei prominentesten Open-Source-Lizenzen (GPL und BSD) an amerikanischen Eliteuniversitäten (MIT und Berkeley) entwickelt wurden.
Auch hat der moderne bürgerliche Staat erkannt, dass sein Patentrecht nicht nur Hebel für die private Ausnutzung von Innovationen ist, sondern eben auch Schranke – insofern versteht er auch die Sorgen der Open-Source-Aktivisten ganz gut. Wenn Innovationen nicht als Grundlage für neue Innovationen genutzt werden können, sieht es schlecht aus mit dem Wirtschaftswachstum. Darum hat er sich ein Patentrecht gegeben, das Patente jeweils für nur begrenzte Zeiträume schützt. Damit gibt er den widersprüchlichen Interessen von Einzelkapitalisten (die ihre patentierten Erfindungen ordentlich ausbeuten wollen, qua Ausschluss aller anderen nicht-Zahler von der Nutzung der Patente) und ideellem Gesamtkapitalist (der Rest der Wirtschaft will und soll die Patente als Grundlage und Mittel des eigenen Wachstums nutzen können) an der Ausnutzung und Fortschreibung der Technik eine Verlaufsform.
Im kulturellen Bereich, also dort, wo CC-Lizenzen verbreitet sind, verhält sich die Sache oft nicht anders. Übrigens auch nicht bei denen, die ihren Produkten eine nicht-kommerzielle CC-Lizenz verpassen, also eine Lizenz, derzufolge man ein Produkt nur im nicht-kommerziellen Rahmen verwenden darf. Darin steckt die Absicht, andere davon auszuschliessen, von den eigenen Arbeitsergebnissen geldmässig zu profitieren. Dieser prinzipielle Vorbehalt, selbst im Falle etwa eines online gestellten Urlaubsfotos der Einzige zu sein, der von dessen Verbreitung profitieren könnte, hat selbstverständlich nichts zu tun mit der Kritik an einer Gesellschaft, die auf wechselseitigem Ausschluss von nützlichen Dingen und notwendiger Angewiesenheit jedes einzelnen auf eigenes Eigentum oder eigene Arbeitskraft basiert. Das Beharren auf dem Recht des Urhebers ist keine Eigentumskritik, sondern der Standpunkt des Eigentümers in Konkurrenz zu anderen.