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Facebook the Conqueror

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Die neokoloniale Seite des technologischen Angriffs Facebook the Conqueror

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Digital

Facebook ist seit kurzem die grösste Nation der Welt - mit über 1,5 Mrd. Einwohner*innen ist Facebook grösser als China und Indien. 2015 wählte Facebook eine neue Strategie, um noch schneller zu wachsen.

The Prayer Is In Town.
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The Prayer Is In Town. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

Datum 26. Oktober 2016
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Facebook ist seit kurzem die grösste Nation der Welt - mit über 1,5 Mrd. Einwohner*innen ist Facebook grösser als China und Indien. 2015 wählte Facebook eine neue Strategie, um noch schneller zu wachsen. Mit dem anmassenden Projekt internet.org, das aufgrund erheblichen Widerstands kurze Zeit später in Free Basics umbenannt wurde, beabsichtigt Facebook insgesamt 100 ärmere Länder smart zu «entwickeln»: Ein stark beschnittenes Umsonst-Internet per App auf dem Smartphone soll den Armen Facebooks Auswahl von Internetangeboten und Facebooks Form der Konnektivität aufprägen. In Indien hat dieses neokoloniale Vernetzungsprojekt heute, am 8.2.2016 aufgrund massiven Widerstands einen herben Rückschlag erlitten.

Google und Facebook wollen jeweils ein möglichst engmaschiges Netz über die Welt legen, das alle mit allen und allem verbindet. Insbesondere die noch unerschlossenen Gegenden ärmerer Länder sollen unter grossem technischen und finaziellen Aufwand (Ballons, Satelliten, Drohnen) vernetzt werden. So ist Facebooks grösste philantropische Initiative Free Basic imperialer Anspruch, die Entwicklungs- und Schwellenländer informations-technologisch zu erobern.

Man kartografiert nichts, was man sich nicht anzueignen gedenkt

Es geht um nicht weniger als die weltweite Erschliessung der Kommunikation als maximal invasive Manipulationsmöglichkeit aller Menschen. So wie die politische Ökonomie herrscht, in dem sie uns die Freiheit konkurrierender wirtschaftlicher Interessen lässt. So kontrolliert und lenkt die Kybernetik, in dem sie uns zugesteht zu kommunizieren und Informationen abzurufen. Free Basics soll rund eine Mrd. bislang unerschlossene Inder*innen in Facebooks Umsonst- Netz bringen. Das Einengen ihres Informations-Horizontes auf eine Filterblase von weniger als 40 Plattformen und Dienste-Anbieter, die mit Facebooks IT-Sicht auf die Welt konform gehen, stellt eine neue Stufe von kolonialer Entmündigung dar.

Ein technologischer Angriff ganz im Sinne von Schumpeters Schöpferischer Zerstörung: radikale Zerschlagung überkommener Informations- und Sozialstrukturen zugunsten maximaler Isolierung des Individuums um jeden einzeln gänzlich neu in ein Netz algorithmisch gelenkter Interaktion einweben zu können. Kein Zugriff, keine Manipulation lässt sich umfassender gestalten und das ohne unmittelbare Anwendung von Zwang. Heute spricht man im Silicon Valley bei dieser Strategie der unumkehrbaren Veränderung sämtlicher Lebensgewohnheiten von disruptiven Innovationen: Wir erzeugen Produkte, ohne die man nicht mehr leben kann.

Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Konsequenzen dieses tiefgreifenden Wandels hinkt so weit hinterher, dass deren technokratische Macher*innen leichtes Spiel haben. Sie brauchen unsere Kritik oder Gegnerschaft derzeit kaum zu fürchten. Während sich im Kolonialismus des 19 Jahrhundert die christlichen Missionare noch die Mühe machten, getrennt von den einfallenden Kolonialtruppen zu reisen, kommen im heutigen Techno-Imperialismus Bibel und Knarre gemeinsam daher - in Form einer smarten Technologie, die den Eroberten die Vernetztheit und die Macht zu teilen bringt. Selbstverständlich zu den Konditionen des Eroberers.

Techno-imperiale Charity Strategien

Hübsch verpackt als Entwicklungshilfe investierte bereits Microsoft in den 90ern viel Geld in Computer- Schulungszentren in Indien. Die wenig überraschende Bedingung war der Betrieb sämtlicher Rechner unter Windows und die Nutzung von Microsofts Programmen. Mehrere Generationen von Schüler*innen erwarben daraufhin sämtliche Computer-Fähigkeiten unter der Alleinherrschaft von Microsoft: von der Anwendungssoftware über die Systemadministration bis zur Software-Entwicklung. Alles, was nicht Hardware war, war Microsoft.

Bill Gates raubte Hunderten von Millionen Kids die Perspektive auf Kenntnisse zur Entwicklung von freier Software sowie die Vorteile bei deren Nutzung. Das mag Computer-fernen Menschen spitzfindig erscheinen, doch für die heutige Form des Crowdworking war die Eroberung und lenkende Erziehung der Jugend in Ländern wie Indien zu digitalen Arbeitsnomaden eine wichtige Voraussetzung.

In vielen lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern markierte die Initiative des Bostoner MIT One Laptop Per Child einen weiteren technologischen Eroberungszug. Auch dieses zunächst selbstlos daher kommende Projekt (jedem Kind soll ein Laptop geschenkt werden) verblieb im klassisch paternalistischen Verständnis der IT-Entwicklungshilfe, in der häufig weisse, männliche IT-Unternehmer armen, unterentwickelten Kindern im globalen Süden eine glorreiche Zukunft versprechen, sollten sie dieses Gerät, diese App, oder was auch immer nutzen.

Die Einschränkungen bzw die Bevormundung der zu entwickelnden Armen im Rahmen der aktuellen Zwangsbeglückung von Facebook reichen deutlich weiter. Und tatsächlich ist auch die Dankbarkeit sehr viel kleiner und der Gegenwind deutlich heftiger.

Widerstand auf hohem Niveau

Obwohl Facebook sein zensiertes Umsonst-Internet als Empowerment darzustellen versucht, dominieren die Begriffe der Netzaktivist*innen und kleinen Start-Ups rund im die Initiative SaveTheInternet.in die breite öffentliche Debatte. Free Basics wird dort mit Bildern wie grüne Gärten umgeben von hohen Mauern belegt.

Als Zuckerberg im Herbst letzten Jahres auf einem viel beachteten Besuch in Indien aussprach: Besser ein bisschen, als gar kein Internet, wurden die Vorwürfe seiner teils prominenten Gegner*innen noch deutlicher. Von Landnahme (landgrab) war die Rede und von ökonomischem Rassismus. Die Diskussion kochte so hoch, dass mehrere Unternehmen - so auch die Indian Times als eines von 37 auserwählten Unternehmen deren Webseite (neben facebook) ab Ende November Indien-weit im beschränkten Zuckerberg-Internet zugänglich sein sollten, die Kooperation mit facebook aufkündigten. Sie schlossen sich der Kampagne für Netzneutralität an, die mit über 400.000 Menschen gegen das Facebook-zentrierte Internet protestierten.

Der öffentliche Druck mit der Forderung nach unbeschränktem Internetzugang geht so weit, dass sich am 24.12.2015 die indische Behörde zur Regulierung der Telekommunikation (TRAI) genötigt sieht, das Projekt auf Eis zu legen zumindest solange bis die in der Debatte aufgeworfenen Fragen zur Netzneutralität hinreichend geklärt sind. Tags darauf findet sich ein bemerkenswert klarer Kommentar im (keineswegs linken) Indian Express:

«(...) Diese Millionen von Nutzern ausserhalb von Europa und der USA müssen als gleichwertige Nutzer online gebracht werden, andernfalls wird die Digitalisierung nur die Ungleichheiten von Klasse, Geschlecht und Rasse reproduzieren, die wir dadurch zu eliminieren versuchen, dass wir allen unbegrenzte Information verschaffen.»

Seitdem inszeniert Facebook eine regelrechte PR-Schlacht mit zweifelhaften Methoden. Zuckerberg fordert alle Facebook-Nutzer*innen auf, mit einem vorformulierten Schreiben gegen die Abschaltung zu protestieren und den Weiterbetrieb von Free Basics bei der Aufsichtsbehörde einzufordern. Die Kampagne SaveTheInternet.in hat zahlreiche Fälle protokolliert in denen Nutzer*innen beschreiben, dass sie ohne ihr Zutun oder sogar trotz ihrer Ablehnung dieses Schreibens als Unterstützer der Facebook-Kampagne hinzugefügt wurden. Auch deaktivierte Facebook-Pro- file sollen plötzlich als Unterstützer*innen agiert haben.

Seine Gegner*innen diffamiert er mit den Worten: Anstatt allen Zugang zu einigen Basis-Internetdiensten zu geben, fordert eine kleine Gruppe von Kritikern, dass alle gleich viel bezahlen sollen um sämtliche Internetdienste erreichen zu können; auch wenn das bedeutet, dass 1 Mrd. Menschen sich gar keinen Zugang zu irgendeinem Dienst leisten können. Mit einer gigantischen PR-Kampagne #DigitalIndia versuchen Zuckerberg und der Indische Premier Modi gemeinsam verlorenes Terrain zurück zu gewinnen. Erfolglos am 8. Februar hat die Aufsichtsbehörde dem Projekt endgültig eine Absage erteilt: Kein Anbieter dürfe auf Baisis der Inhalte diskriminierende Tarife anbieten. Schluss, aus, Ende; zumindest für die nächsten zwei Jahre ist diese Entscheidung unumstösslich.

Der breite Widerstand gegen Facebooks koloniale Bevormundung hat Signalwirkung für weitere 35 Länder in denen Free Basics bereits läuft: Am 2. Januar diesen Jahres schaltet auch Ägypten nach nur zwei Monaten das Facebook Netz wieder ab ohne eine Begründung zu nennen. Auch in Nigeria machen sich starke Proteste gegen eine begrenztes Internet breit. Hier lautet der Slogan der Bewegung:

All the internet. All the people. All the time

Damit ist der moderne Techno-Imperialismus natürlich nicht gebannt. Weiterhin zahlt Facebook Menschen in Indien, Mexiko, der Türkei und den Philippinen nur vier Euro pro Stunde für die Suche nach Nacktfotos und Pornografie auf seinen Seiten. Das ist die Hälfte des US-amerikanischen Mindestlohns. Und natürlich auch jenseits von Facebooks unmittelbarer Einflusssphäre arbeiten weiterhin viele der Armen in Asien und Afrika zu Hungerlöhnen auf den Müllhalden, auf denen allein aus den USA 10 Millionen Tonnen Elektronikschrott lagern. Und weiterhin arbeiten Kinder in den (Coltan-)Minen zur Gewinnung der seltenen Erden, die zur Deckung unseres Smartphone-Hungers benötigt werden.

Die Hauptlast des technologischen Angriffs bleibt also weiterhin ganz unsmart kolonial exportiert.

Entschlüsselung auf Zuruf in nur einem Tag gekippt

Weltweit versuchen derzeit Regierungen in einem neuen Anlauf starke end-to-end-Verschlüsselung von Kommunikation und Datenspeicherung auszuhebeln. Die Strategie dabei: die Geheimdienste versuchen nicht mehr nur über eine back-door in verschlüsselte Dokumente, Mails, Sprach- und Text-Nachrichten einzudringen. Mit Verweis auf die globale Terrorismusgefahr fordern die Sicherheitsbehörden vielmehr offensiv durch die front-door gehen zu dürfen.

Während die indische Regierung zuvor die maximal zulässige Schlüssellänge begrenzt hatte, lancierte sie im September 2015 einen Gesetzentwurf, nach dem jede/r den Inhalt ihrer verschlüsselten Kommunikation 90 Tage lang im Klartext vorhalten muss, um ihn bei Aufforderung den Sicherheitsbehörden ausliefern zu können. Diese heimische Entschlüsselungs-Vorratsdatenspeicherung sollte sowohl für jeglichen privaten als auch geschäftlichen Datenverkehr gelten.

Die Empörung und der unmittelbar folgende Widerstand waren überwältigend gross. Am Montag, den 21.9.2015 veröffentlicht und am späten Nachmittag um die Ausnahmen WhatsApp und Facebook korrigiert, wurde der Gesetzesvorschlag am Dienstag (nach nur einem Tag!) gänzlich zurückgezogen.

capulcu.blackblogs.org / ab