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Googles gesellschaftliche Gestaltungsmacht

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Wegbereiter eines smarten Totalitarismus? Googles gesellschaftliche Gestaltungsmacht

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Digital

Google, Facebook, Twitter, Apple, Amazon und Co sind die idealen Dienstleister eines neuen digitalen „Panoptikums“. Sie sammeln und liefern unsere individuellen Lebensmuster und schaffen damit ein umfassendes Instrumentarium, Verhalten zu kategorisieren, vorherzusagen und zu beeinflussen.

Google Campus in Mountain View, Kalifornien.
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Google Campus in Mountain View, Kalifornien. Foto: Sebastian Bergmann (CC BY-SA 2.0 cropped)

Datum 11. Juni 2015
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Die Monetarisierung und Monopolisierung von Informationen verleiht diesen Diensten eine historisch noch nie dagewesene gesellschaftliche Gestaltungsmacht. Unsere „freiwillige“ Teilhabe am digitalen „Dauersenden“ trägt massgeblich zu dieser Machtkonzentration bei. Warum begeben wir uns digitalexhibitionistisch in den Zustand völliger Durchleuchtung unserer Privatsphäre? Warum liefern wir freiwillig die Datenbasis, die jegliche Überwachung zur Selektion zwischen „normalem“ und „abweichendem“ Verhalten benötigt? Warum sind diese Big Brothers zu unseren engsten Freunden geworden? Warum vertrauen wir den Maschinen mehr als uns selbst und unseren menschlichen Freunden? Warum tragen wir willentlich zur beschleunigten Ausbeutung und Stabilisierung des Kapitalismus bei?

Ein trendig, handlichmobiles Lifestyle-Smartphone ermöglicht „soziale“ Teilhabe an einer nahezu allumfassenden digitalen Informationswelt. Alles in dem angenehmen Glauben, das eigene Leben und Arbeiten „smarter“ kontrollieren und effizienter dirigieren zu können. Die Animation zu Selbstoptimierung und Entblössung ersetzt überkommene Kategorien eines Orwell'schen Überwachungsstaates – niemand wird zum Schweigen gebracht, sondern vielmehr zum geschwätzigen „always-on“ gedrängt. Dabei geben wir Kontrolle über sensible Details unserer Persönlichkeit an Dritte ab und büssen Selbstbestimmung durch eine völlig fremdbestimmte digitale Verwertung unserer permanenten Netzaktivität ein.

Erfassung und Vermessung aller Lebensabläufe

Meine über das Handy übermittelten Standorte markieren für mich „gewöhnliche“ Orte. Mein über Kredit, ECoder Payback-Karten protokollierter Geldverbrauch hinterlässt ebenfalls eine individuelle Alltagssignatur in Höhe, Ort und Verwendungszweck meiner Ausgaben. Telefon, Email, Twitter und facebook liefern ein nahe zu vollständiges Soziogramm meiner Kontakte: Eine einfache Software stellt die Frage „Wer ist mit wem wie intensiv verknüpft?“ grafisch dar.

Stichwort und semantische Analyse unverschlüsselter Kommunikation legen den Charakter der sozialen Beziehungen offen und liefern ganz nebenbei meinen typischen „Sprachabdruck“. Schon eine Analyse weniger Monate bildet mein individuelles „Durchschnittsverhalten“ hinreichend präzise ab und macht das für mich „normale“ Verhalten vorhersagbar. Abweichungen von diesem Verhalten sind leicht detektierbar und lösen gleichsam bei Schnüffelbehörden und ökonomischen Datenverwerter*innen erhöhte Aufmerksamkeit aus. Keine der genannten Auswertungsmethoden erfordert unmittelbaren Personalaufwand für die abhörende Behörde oder ihren privatwirtschaftlichen Partnerdienst. Niemand muss sich explizit für mich interessieren!

Selbstlernende Algorithmen erledigen die Analysen über die Rechenzentren in der „cloud“ automatisch und parallel für Millionen von „freiwilligen“ Datenlieferant*innen. Wer sich ein Smartphone der neuesten Generation zulegt, nimmt in Kauf, dass es niemals ganz abgeschaltet ist. Denn es lässt sich komfortabler Weise auf „Zuruf“ wecken und ansprechen. Neben dem Mikrofon ist auch die Kamera immer an, damit wir das Handy per Augenbewegung steuern können. Vollgestopft mit insgesamt 20 Sensoren nimmt es permanant unsere Umgebung wahr. Bei den Schnittstellen zum Datenaustausch hingegen spart der Hersteller bewusst, denn unsere Daten sollen alle in der „cloud“, also auf Googles Festplattenfarmen, landen – unverschlüsselt, damit Google den Inhalt analysieren kann.

Fitnessarmband und Health-Kit - Werkzeuge der Selbstoptimierung

Die Sensorik unserer ständigen Begleiter nähert sich dabei unserem Körper immer weiter an. Über 30.000 Apps (Anwendungsprogramme für Smartphones und Tablets), gibt es bereits zum Thema „Gesundheit und Fitness“, nochmal so viele zum Thema „Sport“ und etwa 25.000 aus dem Bereich „Medizin“. In kabelloser Verbindung zu einem der zahlreichen Fitnessarmbänder oder smarten Uhren zählen die Apps Schritte, messen Kalorienverbrauch, Puls und Blutzuckerspiegel, und sagen uns, wie gut wir schlafen. Wer sie nutzt, soll genau kontrollieren, ob er die selbstgesteckten Ziele erreicht – ob es nun ums Abnehmen geht, um neue sportliche Bestleistungen oder darum, „gesünder“ zu leben. Ganz nebenbei wird auf spielerisch, smarte Weise die gesellschaftliche Doktrin der Selbstdisziplinierung und -optimierung verinnerlicht. Für moderne Leistungsträger*innen gehören die hippen Fitnessarmbänder als funktionales Lifestyle-Accessoire bereits zum Standard.

Die ersten Versicherungsunternehmen bieten bereits billigere Tarife an für Personen, die digital nachweisen können, dass sie am Tag mehr als 5000 Schritte gemacht haben. Während sich Patient*innen und Ärzt*innen bislang noch gegen den staatlich verordneten Funktionsausbau der elektronischen Gesundheitskarte zur digitalen Patientenakte wehren, lassen Google und Apple diesen konfliktreichen Aushandlungsprozess links liegen, in dem sie das Smartphone von der Fitness zur vollständigen Gesundheitszentrale ausbauen. Google Fit und Apples Health -Kit fordern zur optimalen Gesundheitsbetreuung auf dem Smartphone die digitale Verwaltung von Arzt und Laboruntersuchungen inklusive Medikation sowie die Eingabe der Ernährungsgewohnheiten. Bei der Erfassung und Entschlüsselung des menschlichen Erbguts versucht Google die Datenvorherrschaft zu erlangen. Mit der im Juni 2014 vorgestellten Zugangssoftware für Genomdateien stellt Google die wichtigste Plattform seines Projektes „Google Genomics“ vor. Die Google Cloud ist fortan für Analyse und Austausch von Daten der beiden weltgrössten Genomdatenbanken zuständig.

Alle Daten sind Kreditdaten - Googles Life Operating System

„Wir sind nicht die Kunden, wir sind die Produkte“ von Google, facebook, twitter und Konsorten. Begünstigt durch die Snowden-Enthüllungen und die Debatte um umfassende Ausspähung durch Geheimdienste und ihre privatwirtschaftlichen Partner*innen dringt diese Erkenntnis ganz langsam durch. Viele hatten lange geglaubt, Google sei im Wesentlichen eine Suchmaschine und die Erstellung der Datenbank aller Suchbegriffe samt „sinnvoller“ Ergebnisse diene in erster Linie der Angebots und Wissensvermittlung.

Mittlerweile jedoch klingt es nicht mehr verschwörerisch, dass die Analyse der personalisierten Verknüpfung aller individuellen Suchanfragen das eigentliche Geschäft mit der Suchmaschine darstellt und die Suchmaschine lediglich das Herzstück für die Monopolstellung bei der Erfassung sämtlicher Lebensregungen ist. Denn hierauf gründet sich Googles Marktführerschaft bei Internet-Browsern (Google Chrome), bei Betriebssystemen für mobile Endgeräte (Android), OnlineVideos (youtube) und auf dem Bereich der Mail-Anbieter (GoogleMail). Google macht mittlerweile kein Geheimnis mehr aus dem Zugriff auf sämtliche unverschlüsselte Inhalte, die der Konzern auf diesen Geschäftsbereichen sammelt.

Eine von Google unerwünschte, von Anfang bis Ende verschlüsselte Kommunikation ist die einzige Chance, dem zu begegnen. Googles Finanzdienstleister „Zest“ benutzt nach eigenen Angaben sage und schreibe 80.000 verschiedene Indikatoren zur Überprüfung der Kreditwürdigkeit von Personen für seine Kund*innen und schreibt folgerichtig zum Geschäft mit der Inwertsetzung sämtlicher Lebensspuren: „Alle Daten sind Kreditdaten“. Die Breite der erfassten Parameter lässt eine viel umfassendere „Bonitäts“prüfung zu: Wer ist Versicherungs-, Bildungs-oder Gesundheitsvorsorgewürdig?

In Zukunft sollen alle uns umgebenden und steuerbaren Dinge ein Betriebssystem haben und mit ihresgleichen und uns vernetzt sein. Google arbeitet aufgrund seiner Marktstellung und Finanzkraft mit Nachdruck daran, dass es sich hierbei um das Google Betriebssystem Android handelt. So dienen die letzten Unternehmenszukäufe auf dem Bereich Thermostate, Rauchmelder, Haushaltsroboter, Überwachungskameras, selbst fahrende Autos, Satelliten, Drohnen, Internetseekabel, Internet-Ballons dazu die eigene Systemsoftware zu platzieren und den Datenzugriff auf möglichst grosse Teile der Daten- Infrastruktur zu gewährleisten.

Es geht um mehr als Monetarisierung und Monopolisierung von Information

Die Beschreibung von Googles Aktivitäten wäre jedoch hoffnungslos gestrig, wenn wir den Eindruck vermittelten die Erfassung samt Analyse personenbezogener Informationen wäre das eigentliche Ziel von Google.

Es geht um nicht weniger als die Erschaffung neuer Realitäten. Wer genauer auf das ehemalige Kernstück von Google schaut, stellt fest, dass auch die Suchmaschine hochgradig manipulativ programmiert ist. Nicht nur im überkommenen Sinn möglichst zielgerichteter Werbung, sondern bezogen auf die Erreichbarkeit von Information an sich. Über den komplexen Algorithmus zur Gewichtung von Einträgen erhalten verschiedene Nutzer*innen unterschiedliche Informationen auf die gleiche Frage.

Mit der Detailgenauigkeit der persönlichen Profile ist schon auf dieser Ebene eine subtile und hoch wirksame Beeinflussung von Nutzer*innen möglich. Ein anonymisierter Internetzugriff ist daher die absolute Grundvoraussetzung, dieser Manipulationsmöglichkeit zu begegnen. Googles offen deklariertes Ziel ist es, diese Vorrangstellung als smart manipulativer Lebensbegleiter auszubauen. Schon bald werden wir Google nicht mehr nach Begriffen suchen lassen, sondern fragen, was als nächstes zu tun sei, so Google-Verwaltunsratschef Eric Schmidt. Denn Google, so seine selbstbewusste Vorstellung, organisiert unsere gesamte Umgebung. Google widmet seit neuem der Frage der Willensbildung und der Nachbildung menschlicher Gehirne mit dem Projekt Google Brain einen eigenen Unternehmenszweig.

Smarte Totalität - die neue Freiwilligkeit

Im Unterschied zu Orwells Überwachungsstaat geht es nicht mehr um die Beschneidung des Gedankenspielraums also das Unterdrücken von „Delikten“ im Stadium ihrer gedanklichen Entstehung z.B. durch das Eliminieren des Vokabulars zur Formulierung solcher Gedanken. Im Gegenteil, das „digitale Panoptikum“, das Google, facebook und Co derzeit stärker bestimmen als ihre staatlichen Partnerdienste bringt niemanden zum Schweigen sondern ermutigt alle zum „always-on“ dem digitalen Dauersenden.

Statt Schweigen anzuordnen, animiert die neue Macht auf smarte Weise zur exhibitionistischen Organisierung und Optimierung des Selbst. Offenkundig wird niemand gefügig sondern vielmehr abhängig gemacht. Keine bedrohliche, repressive Fratze, sondern die bunte, freundliche Welt der apps wird dazu benötigt. Kreativität und Effizienzsteigernde Hilfsprogramme auf unseren Smartphones stimulieren zur „freiheitlichen“ Selbstentblössung. Wer nicht mitmacht beim digitalen Dauersenden, macht sich zwar verdächtig, aber er wird nicht repressiv eingefangen. Er wird auch nicht isoliert – er isoliert sich selbst.

Ansätze von Widerstand

Wer sich gegen die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch das Ausspionieren jeglicher Netzdaten, gegen DNA-Datenbank, Drohnen- und Kameraüberwachung politisch aktiv zur Wehr setzen will, sollte auch mit der Preisgabe der eigenen Alltagsdaten nicht nur sparsamer sondern vor allem strategisch umgehen. Gerade das Zusammenführen meiner verschiedenen Aktivitäten, Interessen, Neigungen, Einkäufe, Kommunikation zu einer integralen digitalen „Identität“ ist die Grundlage für die Mächtigkeit von schnüffelnden Analysewerkzeugen. Methoden des Identitäts-Splittings können mit annehmbarem Aufwand das reale Ich auf unterschiedliche digitale Identitäten „verteilen“.

Wir rufen dazu auf, den Grundsätzen eines freien und anonymen Netzes angesichts der Überwachungsrealität nicht ohnmächtig und tatenlos „hinterher zu diskutieren“, sondern a) die Möglichkeiten einer alltäglichen Verweigerung gegenüber digitaler Erfassung zu nutzen und b) den alltäglichen Übergriff aktiv anzugreifen.

Kick glassholes

Versuchen wir, Googles gesellschaftlicher Gestaltungsmacht eine deutliches und symbolträchtiges Zeichen entgegenzusetzen – Googles Datenbrille bietet dazu eine gute Gelegenheit, denn sie ist in breiten Teilen der Bevölkerung höchst umstritten. Google ist im Bereich des sozialen Widerstands übrigens extrem empfindlich. So war die Verunsicherung im Konzern gross, als im letzten Jahr mehrfach Googles Shuttle-Busse in San Francisco gestoppt und angegriffen wurden. Aktivist_innen hatten mit diesen Aktionen mobil gemacht gegen enorme Mietpreissteigerungen im Einzugsbereich der klimatisierten Luxus-Busse, die die solventen Google-Mitarbeiter* innen zur Konzernzentrale ins Silicon Valley fahren. Konkret: Wenn wir unserem Gegenüber in der Bahn oder auf der Strasse die Google-Brille absetzen, zündet die Diskussion um unfreiwillige Datenweitergabe vermutlich von selbst.

Wer will schon per Bild, Video- oder Tonaufzeichnung inklusive GPS- genauer Ortsinformation aufgenommen und auf Googles Festplatten verewigt werden? Wer will unmittelbar zum Zeitpunkt des Angeblicktwerdens per Abgleich mit Googles Bilderdatenbank im Internet von jeder daher gelaufenen Datenbrillenträger*in identifiziert und gegoogelt werden? Die Gesichtserkennungssoftware einer App für die Datenbrille greift zunächst auf eine Datenbank von 450.000 Sexualstraftätern in den USA zurück. Unser Leben soll laut Softwarehersteller deutlich sicherer werden, wenn wir erkennen, in wessen Nähe wir uns aufhalten!

Wir schlagen vor, die smarten Herren und Damen mit der „Google-Glass“ im Gesicht von der Seite anzumachen und aufzufordern, ihre Daten-Brille umgehend wegzupacken - sonst machen wir das! Ziel ist es, mit alltäglicher Konfrontation den rücksichtslosen Techno- Trendsetter_ innen ihr 24h-Dasein als Googles unbezahlte Datensammler*innen unattraktiv zu machen und die öffentliche Debatte um die Erfassung und Auswertung persönlicher Daten zu befeuern. In den USA kam es bereits zu handfesten Auseinandersetzungen wegen der berechtigten Sorge, heimlich aufgezeichnet oder unmittelbar „gescant“ zu werden. Viele Kneipen und Clubs beteiligen sich an der Kampagne gegen Google „glassholes“ und schmeissen Datenbrillenträger*innen zum Schutz ihrer Kundschaft raus. Nicht ohne Grund wurde die Einführung der Datenbrille in Europa auf 2015 verschoben - im Überwachungskamera gewohnten England ist die Brille hingegen seit Juni 2014 erhältlich.

Don't be their networker – Time for disruption

Ihr Verständnis vom networking bindet uns menschliche Quellen als „Knoten“ in ein Netz ein, das alles und jeden global einwebt. Ihre vollständig Netzbasierte und Netz „erzwingende“ Vision einer technokratischen Gesellschaft kommt ganz ohne direkte menschlich-soziale Beziehungen aus. Im Gegenteil, sie ist dazu gedacht, überkommene soziale Strukturen wie z.B. solidarische, auf gegenseitiger Hilfsbereitschaft basierende Nachbarschaften in unseren Vierteln zu zerstören.

Diese verkrusteten Strukturen sind weniger „flüssig“ und damit weniger leicht zugänglich und auszubeuten auf einer fortgeschrittenen Stufe kapitalistischer Kybernetik. Je stärker wir in ihrem Netz isoliert sind, desto besser passen wir hinein und tragen bei zu einer stabilen, durchkapitalisierten, vollständig realen Cyber-Welt. Eine Unterscheidung in „reale Welt“ und „Internet“ gibt es nicht mehr. Wir leben bereits im Post-Internet- Zeitalter, denn das Netz hat unsere Welt durchdrungen. Nicht nur unsere „Avatare“ sondern wir selbst sind durch die vorgegebene Begrenztheit des Mediums beschränkt. Sie geben vor, uns näher zusammen zu bringen, doch real entfernen sie uns voneinander. Unsere Abhängigkeit von ihrem Medium erhöht sich durch diese Distanz umso mehr.

Je mehr wir glauben, in unseren Alltag packen zu können, weil wir alle „Aufgaben“ mal eben mobil mit unseren Smartphones und Laptops erledigen können, desto weiter verdichtet und beschleunigt sich unser Alltag. Wir werden „eingeladen“, ständig zum digitalisierten Ganzen beizutragen, es und uns ständig zu verbessern. Wir gewinnen keine Zeit, wir verlieren eine Menge davon in ihrem Netz. Was wir tatsächlich „gewinnen“, ist Abhängigkeit. Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass uns das Netz einige Möglichkeiten zur Koordinierung politischer Arbeit über grosse Distanzen hinweg bietet. Wir haben auch nicht vergessen, welche Möglichkeiten der Mobilisierung und Verständigung sich kurzfristig in den aufkeimenden Revolten der letzten Jahre durch die sozialen Medien ergeben hatten. Dennoch fällt unsere Bilanz nach intensiver Betrachtung eindeutig negativ aus.

Bei der digitalen Durchdringung unseres Alltags handelt es sich nicht um eine technologiebasierte gesellschaftliche „Entwicklung“, genauso wenig wie es einen neutralen „Prozess“ der Gentrifizierung urbaner Areale gibt. Wir sind konfrontiert mit einem in vollem Umfang beabsichtigten und aggressiv vorwärts getriebenen technologischen Angriff gegen unser soziales Leben zugunsten einer historisch noch nie dagewesenen Machtkonzentration. Wenn wir das verstehen, macht es keinen Sinn, den sogenannten „Zeitgeist“ technologiekritisch zu kommentieren. Linkskonserkative Feuilletonisten tun dies, ohne den technologischen Fortschritt gefährden zu wollen. Wir müssen dringend zum Gegenangriff auf die Feinde des Sozialen übergehen, deren Protagonist*Innen übrigens leicht auszumachen sind. Wir müssen ihr Netz mit ihren Regeln hinter uns lassen, ihren Zugriff auf uns blockieren.

aus Guccio no. 1