Passend zu dieser Diskussion hat das (unter anderem von Microsoft finanzierte) US-amerikanische Forschungszentrum „Data & Society“ jetzt eine Reihe von Texten veröffentlicht, die in Zusammenhang mit einem Workshop Ende Februar entstanden sind. „Who Controls the Public Sphere in an Era of Algorithms?“ lautete die Leitfrage der Veranstaltung, deren bewusstes Ziel es war, auch über den akademischen Diskurs hinaus relevante gesellschaftliche Herausforderungen aufzuzeigen. Die Mischung aus journalistischen und akademischen Veröffentlichungen bietet weit über das aktuelle Beispiel hinaus informative und gut strukturierte Einordnungen zur immer noch jungen „digitalen Öffentlichkeit“.
Der Fokus liegt dabei nicht auf schnellen Lösungen und verkürzten Antworten, sondern zeigt in erster Linie zentrale Spannungsfelder und Fragen auf, die im gesellschaftlichen Diskurs um die Macht von intermediären Plattformen wie Facebook, Google oder Twitter und ihren filternden Algorithmen bearbeitet werden sollten.
Aktuelle Debatten
Einen lesenswerten Einstieg bietet das Eröffnungsreferat von Ethan Zuckerman. Er ordnet darin aktuelle Veränderungen und das Entstehen der „digitalen Öffentlichkeit“ in einen historischen Kontext ein. Durch einen Vergleich mit der Entstehung des Postwesens in den USA verdeutlicht er nicht nur die politische Bedeutung von Medien als Diskursräumen, sondern zeigt auch auf, dass die derzeitige Scheu vor Regulierung in krassem Gegensatz zur Entstehungszeit erster Medieninfrastrukturen in den USA stehen:«Our founders built and regulated the postal system in such a way that its function as a sphere of public discourse was primary and its role as a tool for commerce and personal communication was secondary. They took on this massive undertaking explicitly because they believed that to have a self-governing nation, we needed not only representation in Congress, but a public sphere, a space for conversation about what the nation would and could be.»
Den wohl aktuellsten Beitrag liefert danah boyd mit ihrem „Facebook Must Be Accountable to the Public“. Darin argumentiert die Gründern des Forschungsinstituts, dass alle Systeme tendenziös seien und dies auch für algorithmisch konstituierte Öffentlichkeiten gelte:
«What is of concern right now is not that human beings are playing a role in shaping the news — they always have — it is the veneer of objectivity provided by Facebook's interface, the claims of neutrality enabled by the integration of algorithmic processes, and the assumption that what is prioritized reflects only the interests and actions of the users (the “public sphere”) and not those of Facebook, advertisers, or other powerful entities.»
In Anbetracht der grossen Rolle, die etwa Facebook als Plattform für öffentliche Diskurse spiele, sei es verantwortungslos von Marc Zuckerberg, zu behaupten, die von ihm kontrollierte Infrastruktur sei neutral:
«I have tremendous respect for Mark Zuckerberg, but I think his stance that Facebook will be neutral as long as he's in charge is a dangerous statement. This is what it means to be a benevolent dictator, and there are plenty of people around the world who disagree with his values, commitments, and logics. As a progressive American, I have a lot more in common with Mark than not, but I am painfully aware of the neoliberal American value systems that are baked into the very architecture of Facebook and our society as a whole.»
Statt Neutralität zu simulieren, sollten deshalb Wege gefunden werden, Verantwortung zu übernehmen. Neigungen müssten erkannt und Wege des Umgangs damit gefunden werden. In klassischen Medien gebe es dafür etablierte Mechanismen wie Obmbudspersonen, Whistleblowing oder eine Vielzahl an Alternativmedien – es werde Zeit, auch die neuen Technologie-/Medienriesen in die Debatte um Manipulation und Verantwortlichkeit einzubeziehen.
Grundsätzliche Herausforderungen
Dazu leisten die akademischen Veröffentlichungen im Kontext des Workshops zur Diskurskontrolle im Zeitalter der Algorithmen einen hilfreichen Beitrag. Einen guten Überblick über die Praxis der algorithmischen Manipulation bieteteine Zusammenstellung von acht Fallbeispielen, inklusive Empfehlung von weiterführenden Studien. Im ersten von zwei Whitepapers, „Questions and Assumptions“, nehmen die Forscherinnern verkürzte Grundannahmen in der Debatte um Algorithmen und Medienmacht unter die Lupe. Alltagsmythen wie die, dass es die eine Öffentlichkeit gebe, Medien als unabhängige „Vierte Gewalt“ fungieren, „das Internet“ an sich bereits eine Lösung oder Algorithmen neutral seien, werden dekonstruiert und um wohltuende Vielschichtigkeit bereichert.Im zweiten Whitepaper„Mediation, Automation, Power“ werden aktuelle Fragestellungen in den Blick genommen. Die grosse Bedeutung der digitalen Medieninfrastruktur für Wirklichkeitswahrnehmung, Bedeutungszuweisung und Diskurs mache die besondere Bedeutung der Frage aus, wie Filtermechanismen funktionieren und von wem sie manipuliert werden: „What that means is that the mechanisms underlying this networked infrastructure, particularly big data and algorithms and the companies controlling these information flows, are having a profound affect on the structure and formation of public and political life.“
Auch ohne am Ende der Lektüre konkrete Antworten zu haben, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit und die Kontrolle der neuen Medienmacht aussehen soll, ist man am Ende doch ein ganzes Stück schlauer. Anhand von unterschiedlichen, jeweils einzeln beleuchteten Bedenken, Spannungsfeldern und Lösungsansätzen zur Rolle vom Algorithmen für die digitale Öffentlichkeit geben Robyn Caplan und danah boyd wichtige Anregungen für den politischen Umgang mit den neuen Gatekeepern.