In die Datei kann fast jeder gelangen, gegen den im Umfeld von Sportveranstaltungen ein Ermittlungsverfahren eröffnet wurde. Doch es geht nicht nur um Körperverletzung, Landfriedensbruch und Gewaltdelikte. Auch ein Verfahren wegen Beleidigung reicht aus, um in die Datei zu kommen. Andere Personen sind sogar in der Datenbank erfasst, weil die Polizei am Rande von Sportereignissen einfach nur ihre Personalien aufgenommen hat. Auch das ist möglich.
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Wer, wie und warum gespeichert werden kann, geht aus der Errichtungsanordnung zur Datei „Gewalttäter Sport“ hervor. Aufnahme in die Datei finden neben Beschuldigten, Verdächtigen und rechtskräftig Verurteilten auch- sonstige Personen, gegen die Personalienfeststellungen, Platzverweise und Ingewahrsamnahmen zur Verhinderung anlassbezogener Straftaten angeordnet wurden, weil bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Betroffenen anlassbezogene Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden […]
Dafür muss man nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sein. Weil so viele Menschen in der Datenbank landen, die keine Gewalttäter sind, diskutierte sogar die zuständige Bund-Länder-Arbeitsgruppe (BLAG) über eine Namensänderung der Datei. Sie kam zum Schluss, der Name sei „etabliert und bekannt“ und solle nicht geändert werden. So steht es im bislang unter Verschluss gehaltenen Abschlussbericht der Arbeitsgruppe, den wir hier veröffentlichen.
Sogar die Schuhgrösse darf gespeichert werden
Mehr als 50 Daten und Details zu Personen kann die Eintragung enthalten. Es dürfen nicht nur Personendaten wie Anschrift, Geburtsort und Geburtsdatum erfasst werden, sondern auch Merkmale wie die Schuhgrösse von Personen, der gesprochene Dialekt, die Stimme und Sprachmerkmale, Tätowierungen, spezielle Fähigkeiten sowie der erlernte Beruf und Funktionen in Fangruppen. Zudem gibt es Freitextfelder ausserhalb dieser Kategorien.Im März 2012 umfasste die Datei bundesweit mehr als 13.000 Personen. Heute sind es immer noch 10.907 Personen (Stand Dezember 2016). Wieviele Personen seit ihrer Errichtung insgesamt darin Eingang gefunden haben, weiss die Bundesregierung jedoch nicht. Diese Statistik würde nicht geführt.
Eine Erfassung in der Datei „Gewalttäter Sport“ hat konkrete Auswirkungen: In jeder Polizeikontrolle, auch abseits vom Stadion, müssen die Betroffenen mit einer schärferen Untersuchung und einer deutlich strengeren Behandlung durch die Polizisten rechnen. Grossteil der Betroffenen wird nicht über Speicherung benachrichtigt
Ein weiteres grosses Problem der Datei: Nur die Polizeien in Rheinland-Pfalz und Bremen informieren Betroffene automatisch über eine Eintragung. Alle anderen Bundesländer und die Bundespolizei benachrichtigen Betroffene nicht. Folglich haben diese auch erstmal keine Chance, sich gegen die Erfassung juristisch zur Wehr zu setzen.
Sie müssen dafür selbst bei der Polizei abfragen, ob sie in der Datei stehen. Und zwar bei allen. Denn die Polizei, die den Eintrag erstellt, ist die datenbesitzende Behörde. So läuft das auf insgesamt 15 Auskunftsersuche bei Länderpolizeien und der Bundespolizei hinaus. Allein, um herauszufinden, ob man in der Datei erfasst ist.
Dabei könnte eine Information von Betroffenen über einen Eintrag sogar präventiv wirken. In diese Richtung argumentierte das Bundesland Bremen in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wurde aber von einer Mehrheit der Teilnehmer überstimmt. Dort sieht man eine Benachrichtungspflicht als „nicht erforderlich“ an.
Einmal drin, kommt man schwer wieder heraus
Diese Hürde zeigt sich auch bei der Anzahl der Beschwerden: Seit 2013 haben sich bei der Bundespolizei nur neun Personen gegen eine Speicherung in der Datei gewehrt. Fünf Personen konnten dabei die Löschung ihrer Daten erreichen. Wie viele Personen insgesamt in Deutschland erfolgreich mit ihrer Beschwerde waren, erklärt die Antwort der Bundesregierung nicht. Hierzu wären einzelne Abfragen bei allen Länderpolizeien notwendig.Es ist auch nicht so, dass Personen, deren Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, automatisch aus der Datei Gewalttäter Sport gelöscht werden. Selbst Personen, die ein Gericht freigesprochen hat, können weiterhin als Gewalttäter aufscheinen. Es bedürfe für die Löschung immer einer Einzelfallprüfung, antwortet die Bundesregierung in der kleinen Anfrage.
Im internen Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe heisst es zudem: „Im Zusammenhang mit der Analyse des Datenbestandes wurde festgestellt, dass häufig die Maximalzeit von fünf Jahren als Ausschreibungszeitraum angewandt und nur in wenigen Einzelfällen von der individuellen Anpassung der Laufzeit Gebrauch gemacht wird.“ Im Klartext: Es wird bislang fast immer so lange gespeichert, wie das möglich ist.
Hinzu kommt, dass Teile der Datei „Gewalttäter Sport“ zu Fussball-Grossveranstaltungen auch an ausländische Sicherheitsbehörden übermittelt werden. So schickten Behörden die Daten von 3.812 Personen anlässlich der Europameisterschaft nach Polen 2012 und die Daten von 2.562 Personen nach Frankreich bei der Europameisterschaft 2016.
„Speicherung führt zu Stigmatisierung“
Die Arbeitsgemeinschaft Fananwälte kritisiert auf ihrer Webseite, dass die Datei anhand der Fülle an Daten und der Unterschiede der polizeilichen Speicherpraxis wenig aussagekräftig hinsichtlich einer tatsächlichen Gewaltbereitschaft der betroffenen Person sei:«In der Tat führt die Speicherung einer Person in der Datei Gewalttäter Sport allenfalls zu deren Stigmatisierung. Weder ist die Datei geeignet, die Sicherheit bei Fussballspielen zu erhöhen, und fördert sie die Gewaltprävention noch erleichtert sie die Strafverfolgung.»
Das kritisiert auch die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar:
«Allein der Name der Datei „Gewalttäter Sport“ ist irreführend. Wie die Bundesregierung zugeben musste, sind in der Datei bei Weitem nicht nur Gewalttäter gespeichert. Es kann schon eine Personalienfeststellung reichen, um dort zu landen. Das ist skandalös!“»
Datei soll noch einmal verschärft werden
In der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft wurde in mehreren Sitzungen über die Zukunft der Datei „Gewalttäter Sport“ beraten. Sowohl den Abschlussbericht wie auch die Empfehlungen der Arbeitsgruppe wollte die Bundesregierung nicht veröffentlichen. Aus den Dokumenten geht hervor, dass Polizeien nicht nur personenbezogene Daten austauschen, wenn es um Stadien und Austragungsorte geht, sondern sich auch bei sogenannten „Drittorten“ oder „Beschaffungsfahrten Pyrotechnik“ gegenseitig benachrichtigen.Laut Bundesregierung und der Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll es in diesem Jahr eine Reform der Datenbank geben. Hierzu soll die Errichtungsanordnung angepasst werden und jährlich eine Datenqualitäts- und Erforderlichkeitskontrolle durch die jeweils speichernden Behörden stattfinden. Das ist ein Fortschritt. Gleichzeitig soll die Datei aber verschärft werden. So sollen temporär präventiv-polizeiliche Massnahmen in die Datei eingehen und zudem auch der Straftatbestand „Bedrohung“ (§ 241 StGB) als Grund für die Erfassung hinzukommen.
Monika Lazar sagt gegenüber netzpolitik.org:
«Anstatt die Datei „Gewalttäter Sport“ weiter zu verschärfen, sollte die Bundesregierung lieber eine Informationspflicht einführen. Denn nur wer weiss, dass er in einer Datenbank gespeichert ist, kann auch dagegen vorgehen, falls er ungerechtfertigter Weise dort gelandet ist. Ausserdem hätte eine Benachrichtigung auffällig gewordener Fans auch eine präventive Wirkung.»
Zu der bundesweiten Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ kommen noch zahlreiche weitere sportbezogene Personendateien der Bundesländer und einzelner Polizeipräsidien. Schriftliche Anfragen der grünen Landtagsabgeordneten Katharina Schulze in Bayern brachten ans Tageslicht, dass dort mehr als 3.600 Personen samt Vereinszugehörigkeit gespeichert werden. In dieser Anfrage zeigte sich, dass gegen ein Drittel der Betroffenen nie ein Ermittlungsverfahren geführt wurde. Zudem waren Datenbanken ohne Kenntnis des zuständigen Datenschutzbeauftragten errichtet worden.
Noch heftiger war da nur Hamburg: Dort führte die Polizei die Fan-Datei geheim und belog die Bürger über deren Existenz.