Die Bürgerrechtsorganisationen Human Rights Watch, Amnesty International und die American Civil Liberties Union hatten den US-Präsidenten Barack Obama gemeinschaftlich aufgefordert, den Whistleblower Edward Snowden zu begnadigen, bevor ein neuer Präsident das Amt antritt. Wir haben Kommentare auf den Begnadigungsaufruf zusammengetragen.
Der Beginn der Kampagne der Bürgerrechtler für Snowdens Straffreiheit war nicht zufällig auf die Woche vor dem Kinostart von Oliver Stones Film „Snowden“ gelegt worden. Man wollte die Aufmerksamkeit für den Hollywoodfilm nutzen, um Obama unter Druck zu setzen.
Ein Leitartikel der Washington Post (WaPo) hatte kurz zuvor ein ganz anderes Bild gezeichnet und gegen die Begnadigung von Snowden argumentiert. Barton Gellman, Reporter der WaPo, war einer der Journalisten, der aus dem Snowden-Fundus Dokumente für ebenjene Zeitung auswertete und veröffentlichte. Der Leitartikel wandte sich nicht nur gegen Snowden, sondern konterkarierte auch Gellmans Leistung, für dessen Artikel die Zeitung den renommierten Pulitzer-Preis erhalten hatte.
Bereits seit Juni 2013 – als sich Snowden noch in Hongkong befand – ist eine Strafanzeige des US-Justizministeriums öffentlich bekannt, die Snowden der Spionage und des Diebstahls von Regierungseigentum bezichtigt. Es gab ohnehin kaum Zweifel, dass die US-Regierung die Bestrafung Snowdens anstreben würde, da in der Amtszeit Obamas regelmässig eine harte Linie gegenüber Whistleblowern gefahren wurde.
Unterstützer für Snowden-Amnestie
Eine illustre lange Liste an Unterstützern kam zusammen: Prominente aus der Tech-Szene, Wissenschaftler, Schriftsteller, Politiker und Künstler schlossen sich der Forderung nach Begnadigung für Snowden an, darunter Jimmy Wales (Wikipedia), Micah Lee (Intercept), Thurston Moore (Sonic Youth), Sophie in't Veld (Europa-Parlament), Ron Deibert (citizenlab) oder Jack Dorsey (Twitter). Steve Wozniak, einer der Apple-Gründer, nannte den Whistleblower ohne Umschweife einen Helden.In der LA Times unterstützt Anthony Romero die Begnadigungsforderung und findet klare Worte zu dem immer wieder vorgebrachten Argument, Snowden hätte sich doch einfach an die zuständigen Stellen wenden können:
«It's frankly laughable to pretend that if Snowden had only used „lawful avenues“ to express his „ethical qualms“, anything would have been done to change programs and practices approved at the highest level of government.»
«Es ist einfach lächerlich, sich vorzumachen, dass – hätte Snowden nur „legale Wege“ genutzt, um seine „Gewissensbisse“ zum Ausdruck zu bringen – alles getan worden wäre, um die Programme und Praktiken zu ändern, die zuvor von den höchsten Regierungsebenen abgenickt worden waren.»
Kenneth Roth von Human Rights Watch und Salil Shetty schrieben in der New York Times:
«From George Washington onward, the pardon power has enabled American presidents to further the national interest. Whistle-blowers can perform a vital role in protecting human rights, and those who disclose rights violations that are shielded by an official cloak of secrecy are among the most important of all.»
«Seit George Washington hat die Begnadigung amerikanischen Präsidenten die Möglichkeit gegeben, nationale Interessen voranzutreiben. Whistleblower können eine wesentliche Rolle in der Verteidigung der Menschenrechte spielen, und solche, die Rechtsverstösse öffentlich machen und dabei unter einem offiziellen Schutzmantel der Geheimhaltung stehen, zählen zu den wichtigsten von allen.»
Snowden wäre tatsächlich nicht der erste Whistleblower aus Geheimdienstkreisen, der begnadigt würde. Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist John Poindexter, ein Sicherheitsberater im Geheimdienstbereich und Ideengeber für das Programm „Total Information Awareness“, der in den 1980er Jahren in der Iran-Contra-Affäre verurteilt worden war und später von US-Präsident Ronald Reagan begnadigt wurde. Wenn man auf der richtigen Seite der Fronten steht, ist ein Erlassen der Strafe nicht unmöglich.
Roth und Shetty tragen mit vielen Beispielen zusammen, warum gerade Snowden Straffreiheit verdienen würde. Vor allem aber blicken sie auf das grössere Bild:
«Three years on, the news media still refer to Mr. Snowden and his revelations every day. His actions have brought about a dramatic increase in our awareness of the risks to our privacy in the digital age — and to the many rights that depend on privacy.»
«Auch nach drei Jahren sind Mr. Snowden und seine Enthüllungen noch täglich in den Nachrichten erwähnt. Sein Tun hat einen dramatischen Zuwachs an Bewusstsein für die Privatsphäre-Risiken im digitalen Zeitalter gebracht – und auch für die viele Rechte, die mit der Privatheit zusammenhängen.»
Snowden hatte sich zum Start der Kampagne auch selbst in einem live übertragenen Statement zu Wort gemeldet und sein Erstaunen zum Ausdruck gebracht, wieviel Solidarität ihm auch nach drei Jahren noch entgegenschlägt.
Jenseits von Amerika
Im deutschen Spiegel schrieb Jakob Augstein in „Amnestie für Snowden!“:«[Snowden] ist einer der mutigsten Männer unserer Zeit.»
Er fügte noch die folgende Weissagung hinzu:
«Im Rückblick werden auch jene, die Snowden heute für einen Verräter halten, erkennen, wie viel sie diesem Mann schulden. Er hat dazu beigetragen, dass wir unsere Welt besser verstehen.»
Zumindest für das geheimdienstliche Überwachen und Brechen von Verschlüsselung kann man das mit Sicherheit unterschreiben.
Wenn man mal von Julian Reichelt, Online-Chef der BILD, absieht, ist generell die Wahrnehmung Snowdens in Deutschland wohl positiver als in den Vereinigten Staaten. In den vergangenen drei Jahren wurde er vielfach geehrt, der Kasseler Bürgerpreis ist nur die jüngste Auszeichnung, die ihm verliehen wird.
Zu Demonstrationen kam man in Deutschland aktuell aber nicht zusammen. In Hongkong allerdings haben sich in einer Kundgebung für Snowden vor allem Flüchtlinge für die Straffreiheit des Whistleblowers ausgesprochen. Nach der ganz konkreten Hilfe von Flüchtlingen in Hongkong in den allerersten Tagen der Flucht des Whistleblowers zeigten sie damit nochmals öffentlich ihre Solidarität.