Alles und jede ist heutzutage in den sogenannten „sozialen Netzwerken“ vertreten. Auch viele linke Gruppen nutzen Facebook. Bei Organisationen, die darauf angewiesen sind, im medialen Diskurs als cool und poppig wahrgenommen zu werden wie Campact oder pengg-collective, macht die Mobilisierung über Facebook oder Twitter einen grossen Teil ihrer Aktivitäten aus.
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8. März 2016
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Doch ausgerechnet im gesellschaftlichen Mainstream fängt man an, sich Sorgen um die Verwendung der dort gesammelten Daten zu machen. So glaubt z.B. der Schauspieler Christoph Waltz, dass„Facebook ein Schritt Richtung Faschismus“ sei. Was ist von solcher Kritik zu halten? Eine Analyse der postmodernen Überwachungsstrukturen mithilfe des Panoptikums von Michel Foucault.
Foucaults Panoptikum
Der französische Uni-Prof Michel Foucault (1926-1984) veröffentlichte 1975 die Studie „Überwachen und Strafen“. Darin untersucht er, wie sich Machtstrukturen auf dem historischen Weg durch die Neuzeit in die Moderne verändern. Symptomatisch für die von ihm gefundenen Veränderungen sind die Machtbeziehungen im sogenannten „Panoptikum“. Dieser Begriff geht auf den britischen Früh-Liberalen Jeremy Bentham (1748-1832) zurück. Dieser Mitbegründer des liberalen Utilitarismus entwickelte auch Ideal-Pläne für ein Gefängnis.
Panoptische Gefängnisse
Diese „panoptische“ Gefängnis ist kreisrund. Die Zellen liegen kreisförmig an der Aussenwand. In der Mitte ist ein Turm für die Wachmannschaft. Von diesem Turm kann man in alle Zellen schauen. Die Fenster des Turmes sind jedoch nur von Innen blickdurchlässig. So können die Gefangenen nicht sehen, ob die Wachperson gerade zu ihnen schaut, oder nicht.
Prominente Beispiele
Um das anschaulich zu machen, sei heir ein kurzer Exkurs in die Gefängniswelt erlaubt. Ein prominentes Beispiel dürfte das Kilmainham Goal in Dublin, Irland, sein. Diese ehemalige Haftanstalt ist heute eine „sogenannte nationale Gedenkstätte“ (mehr Infos zur Erfindung und Kritik des ideologischen Konstruktes Nation). Dort war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das „Who is who“ der irischen Politik inhaftiert. Quasi „nebenbei“ hat dieser mit den Auseinandersetzungen um die irische Unabhängig zusammenhängende Treppenwitz der Geschichte ein panoptisches Gefängnis konserviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Deutlich sieht man auf dem Bild die Individaulisierbarkeit und Kontrollierbarkeit jeder Zelle und damit der einzelnen Gefangenen. Darüber hinaus lässt sich erahnen, wie wenig Personal und teure Technik für den Routine-Betrieb einer solchen Freiheitsberaubungsanlage notwendig ist.
Panoptikum in Berlin
Als weitere nicht ganz so typische Beispiele sind in Berlin die strahlenförmigen Haftanstalten an das panoptische Prinzip angelehnt. Auch dieses Prinzip macht eine Reduzierung der Wachmannschaft möglich. Bei der noch im Betrieb befindlichen JVA Moabit lässt sich die Baustruktur gut auf Luftbildern nachvollziehen. Und nord-westlich des Hauptbahnhofes befindet sich heute der Geschichtspark Moabit. Dabei handelt es sich um das ehemalige Gelände des ersten Zellengefängnisses Preussens, dass ebenfalls vom Panoptikum inspiriert war.
Totale Sicherheit durch totale Verunsicherung
In diesen Gefängnis-Ensemble können die Gefangenen nie wissen, ob sie gerade beobachtet werden. Sie müssen aber ständig damit rechnen, überwacht zu werden. Dieser Zustand führt zu einer Verinnerlichung der Herrschaft und Kontrolle. Diese auf den menschlichen Körper zielende Verinnerlichung von Herrschaft nennt Foucault „Biomacht“. Diese Herrschaft, die mit Individualisierung und der Verinnerlichung von Normen arbeitet, hält Foucault für zentral in der Moderne. Er ist sogar der Meinung, dass diese Form von Herrschaft über Normen und Normenkontrolle die gesamte Gesellschaft zu einem Gefängnis machen würde. Der Kontroll- und Disziplinierungseffekt des Panoptikums lässt sich laut Foucault auf alle Bereiche des Lebens übertragen, in der der Obrigkeit eine Masse von potentiell zur Organisation von Gegenmacht fähigen Subalternen gegenüber stünde.
Durch Individualisierung liessen sich Fabrikarbeiter kontrollieren, Kranke in Hospitalen verwalten und SchülerInnen und Studierende vom Schummeln und Abschreiben abhalten: „Was ist daran verwunderlich, wenn das Gefängnis den Fabriken, den Schulen, den Kasernen, den Spitälern gleicht, die allesamt dem Gefängnis gleichen?“ (S. 299, Suhrkamp-Ausgabe). Aufgrund seiner Effektivität bei der Steigerung von Macht über Menschen durchzieht das panoptische Prinzip nach und nach im Verlauf der Entwicklung des Kapitalismus die gesamte Gesellschaft. Sie wird zur „Kerkergesellschaft“.
Daten als Grundlage für Listen
Facebook, Google, twitter spielen hierbei in erster Linie eine Rolle, weil sie Grundlage für grosse ausführliche Listen sind. Listen waren schon immer in der Geschichte für Repression wichtig. Eindringlich führt dies bereits die Einrichtung der „Proskription“ in den römischen Bürgerkriegen 133- 30 v. Chr. vor Augen, um sich politischer GegnerInnen „in einem Abwasch“ zu entledigen. Dem Holocaust ging eine nie dagewesene Erfassung der Bevölkerungen vorher. Neu war zudem, dass es mittels den Anfängen der maschinellen Datenverarbeitung zum ersten Mal möglich war, aus den Milliarden von Daten, die die Volkszählungen ergeben hatten, effizient Informationen zu gewinnen. Dadurch liessen sich aussagekräftige Listen in angemessener Zeit mit angemessenem Personalaufwand generieren (vgl. dazu Aly, Götz; Roth, Karl-Heinz: Die restlose Erfassung: Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main, 2000).
Ein nie dagewesener Datenstrom
Mit Facebook, Google, twitter ist ein Datenstrom entstanden, dessen Qualität alles bisher dagewesene überschreitet. Doch das Schlimmste ist, dass die meisten Daten hier freiwillig anfallen. Was bisher in Volkszählungen verheimlicht wurde, wird hier bereitwillig in die digitale Welt hinaus posaunt. Den Zusammenhang zwischen individueller Selbstdarstellung und Vergesellschaftung der Überwachung beschreibt Foucault übrigens auch bereits 1977: „Die Kreise der Kommunikation sind die Stützpunkte einer Anhäufung und Zentralisierung des Wissens. (…) Die schöne Totalität des Individuums wird von unserer Gesellschaftsordnung nicht verstümmelt, unterdrückt, entstellt; vielmehr wird das Individuum darin dank einer Taktik der Kräfte und der Körper sorgfältig fabriziert“ (S. 279).
Von den Knackis in die Welt
Spätestens mit der Verlagerung eines grossen Teils des sozialen Lebens in die sogenannten „Sozialen Netzwerke“ weitet sich die im Panoptikum noch nur über Knackis herrschende Biomacht definitiv auf die gesamte Gesellschaft aus. Es gibt fast keinen Bereich mehr, der nicht digital erfasst würde. Über Handys und mobiles Internet geben wir ständig unser gesamtes Bewegungsprofil preis, ohne auch nur darüber nachzudenken. Über Metadaten und sogenannte „Freundeslisten“ geben wir unser gesamtes Netzwerk gedankenlos preis. Wir lassen elektronisch speichern, was wir denken, fühlen, lesen, meinen. Und dank Bioaktivitätstrackern ist mittlerweile sogar unsere körperliche Verfassung elektronisch auslesbar. Und alles bei Bedarf verfügbar für die Geheimdienste, Gerichte, Paramilitärs, Mafia und andere Repressionsorgane.
Die ganze Gesellschaft als Gefängnis
Doch ganz wie im Panoptikum glaubt die Mehrheit der diesem Kontrollregime unterworfene Bevölkerung, dass sie nichts zu befürchten hätten, da sie ja nichts zu verbergen hätten. Hier zeigt sich der panoptische Effekt: Weil jeder weiss, das er oder sie oder es jederzeit beobachtet werden könnte, disziplinieren sich die Individuen dahingehend selbst, dass sie nichts mehr zu verbergen haben. So ist es durch die sogenannten „neuen Medien“ und das viel gefeierte „Web 2.0“ endgültig gelungen, das panoptische Prinzip aus den Knästen zu holen und der gesamten Gesellschaft überzustülpen.
Web 2.0: Die neue Tyrannei?
Und auch auf die Eingangs aufgezeigte These von Christoph Waltz, das Facebook ein Schritt Richtung Faschismus sei, antwortet Michel Foucault bereits in „Überwachen und Strafen“ : „Es besteht also keine Gefahr, dass die der panoptische Maschine zu verdankende Machtsteigerung in Tyrannei entarten könnte, die Disziplinaranlage wird demokratisch kontrolliert, da sie dem „grossen Ausschuss des Weltgerichtes“ ständig zugänglich ist“ (S. 266). Die Integrationskräfte des demokratischen Herrschaftssystem sorgen dafür, dass fast alle sich nicht betroffen fühlen und begeistert sind, von all den neuen Möglichkeiten...