Solidarische Perspektiven gegen den technologischen Zugriff Leben ist kein Algorithmus
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Die Wellen informations-technologischer Entwicklungen schlagen in immer kürzeren Abständen über unsere Köpfe herein: sie wollen Daten, Daten und nochmals Daten. Google, facebook und deren Verwandte, die Nachrichtendienste aller Länder, saugen unsere Daten ab.
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2. November 2016
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Diese Liste liesse sich noch um einiges erweitern: Gentechnik, Drohnen, Künstliche Intelligenz... Big Data ist der Euphemismus dafür, Big Theft wäre ehrlicher. Überwachung ist ein klassisches Herrschaftsinstrument, jetzt ist es gelungen daraus auch noch ein erfolgreiches business-model zu machen, was die Anzahl der Akteure vervielfacht. Profitstreben wird zum neuen Motor der Überwachung und Datenerfassung. Sie dienen nicht nur der Kontrolle, sondern werden benutzt, um menschliches Verhalten vorherzusagen und gezielt zu manipulieren – eine Fremdbestimmung ganz neuer Qualität kündigt sich an.
Im Silicon Valley, dem Zentrum des technologischen Zugriffs auf unser Leben nennt man die Strategie der unumkehrbaren Veränderung sämtlicher Lebensgewohnheiten „disruptive Innovationen“: „Wir erzeugen Produkte, ohne die man nicht mehr leben kann“. Welche Auswirkungen haben diese Innovationen für das Geschlechterverhältnis, welche für unser Denken und Sprechen? Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Konsequenzen dieses tiefgreifenden Wandels inklusive der Verstärkung von Abhängigkeiten und Ungleichheiten hinkt so weit hinterher, dass deren technokratische Macher*innen leichtes Spiel haben. Sie brauchen unsere Kritik oder Gegner*innenschaft derzeit kaum zu fürchten. Das wollen wir ändern. Diese Konferenz soll dazu beitragen.
Die Pionier*innen des auf gleichberechtigter Teilhabe ausgerichteten Internets sagen angesichts der Praxis der totalen Erfassung und immer umfangreicherer Lenkungs- und Manipulationsmethoden durch die aktuellen HighTech-Konzerne: „Das Netz ist kaputt“. Wie gehen wir damit um? Weitermachen, das Netz „ein bisschen sicherer“ machen?
Oder sind wir in der Lage Alternativen zu erdenken, uns Techniken anzueignen, Techniken zu „hacken“ und sie gegen die beklemmende Totalität des Zugriffs auf unser Leben in Stellung zu bringen. Reicht das oder müssen wir nicht viel mehr die techno-imperiale Ideologie dieser Form der Vernetzung von allem mit allen angreifen, um uns ein Minimum an Autonomie zurück zu erkämpfen? Die Verweigerung, am digitalen Dauersenden teilzunehmen und unsere Selbstverteidigungsversuche gegen den digitalen Zugriff sind zwar absolut notwendig, aber definitiv nicht ausreichend, um uns langfristig der weitreichenden Fremdbestimmung zu entziehen. Wir wollen miteinander Möglichkeiten von Gegenwehr diskutieren.
Wie war es möglich, dass eine Massenbewegung in Indien Facebooks neokolonial bevormundendes Schmalspurinternet Free Basics Anfang diesen Jahres zu Fall bringen konnte? Wie wehren sich diejenigen, die die Hauptlast unseres Smartphone-Hungers in den (Coltan-) Minen zur Gewinnung der seltenen Erden tragen müssen? Gibt es überhaupt minimale Widerstandsnischen in den Produktionsstätten des weltgrössten Elektronikzulieferers Foxconn?
Was waren die wirklich selbstermächtigenden Momente bei der Nutzung sozialer Medien in der Arabellion und welchen Anteil an der sich aufheizenden Dynamik hatte die physische Zusammenkunft in den Strassen nach der Abschaltung sämtlicher Kommunikationsnetze durch die wankende Regierung? Welche Chancen haben die Kämpfe gegen Vertreibung in den „Smart Cities“ der Welt?
Dabei wird es ganz automatisch konkret. Über die staatlich repressive Datenspeicherung und -überwachung hinaus – die selbstverständlich auch Thema ist - müssen wir nicht künstlich nach „Anknüpfungspunkten“ suchen, denn der technologische Zugriff reicht tiefer in unser Leben und unsere politischen Auseinandersetzungen hinein, als uns lieb ist.
Ein Beispiel: Die Bundesnetzagentur markiert seit Oktober 2015 SIM-Karten von Geflüchteten mit einer elektronischen Signatur. Facebook und Twitter behindern in Kooperation mit Europol aktiv die Kontaktaufnahme von Flüchtenden mit Fluchthelfer*innen über soziale Medien. In Oberbayern führt die Kreisstadt Altöttingen die Refugee-Card ein, die Geflüchteten nur bestimmte Einkäufe räumlich begrenzt erlaubt – die „smarte“ Form des Lebensmittelgutscheins, deren Guthaben zum Monatsende verfällt.
Und noch ein Beispiel: Die EU-Kommission will langfristig das Bargeld für alle abschaffen und durch elektronische Bezahlsysteme ersetzen (Karten und Smartphone- Apps). Alle Transaktionen und alle Einkäufe wären dann nachvollziehbar. (Kranken-)Versicherungen wollen Zugriff auf diese Daten haben. Die ersten BigData-Apologeten haben Anfang diesen Jahres die Einführung einer universellen Versichertenkarte zur Speicherung dieser Alltagsdaten vorgeschlagen. Aus unserem Einkaufs- und Fitnessverhalten plus weiterer Informationen über unser Leben soll das Gesundheitsbewusstsein oder vielmehr das Bereitschaft zur Selbstoptimierung permanent bemessen werden. Der Versicherungstarif wird dann für jeden kontinuierlich neu kalkuliert.
Das ist nicht weniger als die endgültige Abkehr vom Solidargedanken einer Krankenversicherung – ersetzt durch das Prinzip des Individualversagens. So wie wir es von Hartz IV in Ablösung für die Arbeitslosenversicherung kennen.
Ray Kurzweil, Gott-Azubi und Chef-Ingenieur von Google prognostiziert: «Ende der 2020er werden wir das menschliche Gehirn komplett erforscht haben, was uns ermöglichen wird, nichtbiologische Systeme zu schaffen, welche dem Menschen an Komplexität und Raffinesse in nichts nachstehen – dies schliesst auch die emotionale Intelligenz mit ein.»
Dann ist es jetzt Zeit, diese Gott gleichen patriarchalen Männerfantasien anzugreifen, wie es die feministische Bewegung gegen Gen- und Reprotechnologien mit einigem Erfolg in den 80er Jahren getan hat.
Um nicht missverstanden zu werden: Unsere (unterschiedlichen) Vorstellungen von Verweigerung und Widerständigkeit sollten nicht mit puristischer Enthaltsamkeit, totaler digitaler Abstinenz oder Ausstieg aus jeglicher sozialer Vernetzung verwechselt werden. Es geht uns also nicht um den Erhalt einer nostalgischen Sozialität. Die Auswirkungen von Technologien auf Fremdbestimmung und Beherrschbarkeit hingegen interessieren uns sehr wohl! Wir suchen in einer Art praktischer Technologiekritik nach Wegen der Selbstbehauptung. Wir wollen mit dieser Konferenz Selbstvertrauen gewinnen, uns gegen eben diese Fremdbestimmung kollektiv zur Wehr zu setzen:
«(…) Es reicht also nicht, ihre Aktivitäten zu entlarven, wir müssen diese Geheim- und Nachrichtendienste eigenhändig niederreissen, wir müssen die Strassenlaternen zertrümmern wie in der Französischen Revolution. Dazu braucht man kein grosser Hacker oder hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter mit Zugang zu sensiblen Informationen zu sein, der dann zum Whistleblower wird. Wir müssen uns nur bewusst machen, welche Rolle wir bei der Aufrechterhaltung des Status quo spielen, uns über unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten klar werden, herausfinden, was die jeweilige Entsprechung von Snowdens Aktion in unserem eigenen Leben sein könnte, und dann das System zerlegen.»“ (Jeremy Hammond#)
Anmerkung:
Dieser Text ist ein Auszug aus der Konferenzankündigung zum Technologiekongress 2016 in Köln.
Fussnoten:
# Jeremy Hammond ist politischer Aktivist und Hacker – er sitzt nach einem der bedeutendsten Hacks der letzten Jahre gegen das regierungsnahe Sicherheitsunternehmen Stratfor in den USA aktuell eine zehnjährige Haftstrafe ab. Wir fordern seine Freilassung und die Straflosigkeit aller Whistleblower!
Dieser Text ist ein Auszug aus der Konferenzankündigung zum Technologiekongress 2016 in Köln.
Fussnoten:
# Jeremy Hammond ist politischer Aktivist und Hacker – er sitzt nach einem der bedeutendsten Hacks der letzten Jahre gegen das regierungsnahe Sicherheitsunternehmen Stratfor in den USA aktuell eine zehnjährige Haftstrafe ab. Wir fordern seine Freilassung und die Straflosigkeit aller Whistleblower!