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Und ewig lockt die Apokalypse

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Wieso sind Weltuntergangsspiele derzeit so unheimlich beliebt? Und ewig lockt die Apokalypse

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Digital

Womit verbringen die Kids heutzutage eigentlich ihre Freizeit?

Promo-Event für das Ego-Shooter Game «Killzone» aus den Niederlanden an der Electronic Entertainment Expo E3 in Los Angeles.
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Promo-Event für das Ego-Shooter Game «Killzone» aus den Niederlanden an der Electronic Entertainment Expo E3 in Los Angeles. Foto: E3 2013 Killzone (CC BY-SA 2.0 cropped)

Datum 7. August 2014
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Zum Beispiel mit dem ungemein populären Onlinecomputerspiel „Rust“, das den Spielern – hier einem Redakteur der populären Newssite rockpapershotgun – folgende aufregenden Erlebnisse beschert: „Mit einem Stein bewaffnet versuchte ich gerade, einen Hirsch zu erlegen, als plötzlich eine Kugel an mir vorbei pfiff.

Der Hirsch fiel tot zu Boden, und als ich mich umdrehte, sah ich zwei mit Gewehren bewaffnete Spieler in einiger Entfernung stehen. Einer rief mir über den Voice-Chat zu: ‚Keine Angst, wir wollen dir nichts tun. Nimm den Hirsch, er gehört ganz dir.' Voller Dankbarkeit, als Anfänger nicht abermals beim ersten Blickkontakt erschossen zu werden, machte ich mich über den Hirschkadaver her. Ich war so in meine Arbeit vertieft, dass ich gar nicht bemerkte, wie einer der Schützen sich von hinten an mich heranschlich, in aller Seelenruhe meinen Hinterkopf anvisierte, und abdrückte. Ich konnte noch das Lachen der Witzbolde hören, als es für mich abermals ,Game Over' hiess.“

Bei Rust, das sich wochenlang auf den Spitzenplätzen der bekannten Vertriebsplattformen für Games hielt, handelt es sich um ein postapokalyptisches Multiplayer-Game. Die obligatorische Zombieapokalypse hat die Zivilisation und einen Grossteil der Menschheit ausgelöscht, die wenigen Überlebenden kämpfen gegen die Untoten und gegeneinander. Das Ziel von Rust, wie von vielen ähnlichen Spielen, die derzeit den Markt fluten, besteht schlicht darin, möglichst lange zu überleben – unter Aufwendung aller dem Spieler zur Verfügung stehenden Mittel. Ein nahezu identisches Konzept verfolgt das Onlinemultiplayer Game DayZ, das auch ähnlich populär ist: Die Spieler bewegen sich in einer digitalen postapokalyptischen „Offenen Welt“, in der sie sich gegen Hunderte von Untoten und Dutzende von Konkurrenten durchsetzen müssen.

Diese aufwendigen Games bilden nur den bisherigen Höhepunkt einer seit etlichen Jahren anschwellenden Welle postapokalyptischer Spiele, mit der die in gigantische Dimensionen expandierende Computerspieleindustrie – die 2012 einen Umsatz von 78 Milliarden Dollar erreichte – den Markt überschwemmt. Spieler können inzwischen in Hunderten von Titeln immer wieder den Zusammenbruch der Zivilisation nachspielen und sich wahlweise mit Zombies, Mutanten oder Konkurrenten auf brutalstmögliche Art und Weise auseinandersetzen.

Die Anfänge des Spiels mit dem Weltuntergang lassen sich auf das Jahr 1985 datieren, als das mit noch archaischer Grafik ausgestattete Rollenspiel Wasteland publiziert wurde. Beliebt waren in den späten 90er Jahren auch die Rollenspiele Fallout und Fallout 2, doch fristete das postapokalyptische Setting in der Branche über lange Jahre eine Existenz am Rande. Den Durchbruch zum Mainstream der Spieleindustrie erlebte das Genre der Postapokalypse bezeichnenderweise während des Höhepunkts der Weltwirtschaftskrise 2008. Das 2008 erschienene Rollenspiel Fallout 3, das eine moderne 3D-Grafik aufwies, die mit ihrer düsteren Palette die Immersion des Spielers steigerte, verkaufte sich rund fünf Millionen mal binnen der ersten drei Monate.

Hiernach brach sich die Flut von Zombie- und Apokalypse-Games Bahn, die an diesen kommerziellen Erfolg anknüpfen konnten. Und tatsächlich ist der Bedarf an dem Eintauchen in düstere, deprimierend graue Trümmerlandschaften, in denen blutrünstige Gefechte mit ebenso schwarzgrau gehaltenen Gegnern absolviert werden müssen, immer noch ungebrochen. Mitunter konterkariert das Genre die grafischen Möglichkeiten der heutigen Computersysteme in merkwürdiger Weise: All die Rechenkapazität der aktuellen Grafikkarten wird hier nur dazu aufgewendet, ein möglichst trostloses Szenario, eine düster-graue, aus den Fugen geratene Welt möglichst realistisch darzustellen (wie etwa bei den Spielen der „Metro“ Serie). Selbst das Blut der erlegten Gegner – zumeist die einzigen Farbtupfer im Spiel – wirkt hier oftmals fahl und blass. Dennoch setzen die Spieleproduzenten weiterhin Millionen von diesen Spielen um, sodass ein Ende der Zombie- und Weltuntergangswelle nicht zu erwarten ist. Als Beispiel sei hier nur The Last of us genannt, ein exklusiv für die Playstation 3 produziertes Spiel, bei dem man sich quer durch die postapokalyptischen USA durchschlagen muss, das den besten Verkaufsstart in der Geschichte dieses Videospielsystems hinlegte: 3,4 Millionen Exemplare innerhalb von drei Wochen.

Generell wird die Bedeutung der Spielebranche innerhalb der Kulturindustrie – sowohl beim wirtschaftlichen Gewicht wie auch beim ideologischen Einfluss – immer noch sträflich unterschätzt. Das Videospiel ist gerade dabei, den Film als führendes kulturindustrielles Medium abzulösen, was sich nicht nur in Umsätzen und Spielerzahlen äussert, sondern auch in der Veränderung der ideologischen und letztendlich auch postideologischen Wahrnehmungsmuster der Realität, die von diesem Medium forciert wird. Mit einem Gesamtumsatz von rund 78 Milliarden US-Dollar liegt die beständig expandierende Gamesbranche nur noch knapp hinter der stagnierenden Filmindustrie, die etwa 2010 einen Umsatz von 94 Milliarden (Kartenverkäufe und DVD-Absatz) erreichte. Noch wichtiger sind die demografischen Verschiebungen, da unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Anteil der Spieler wie der für Spiele aufgewendeten Zeit weitaus höher ist als unter älteren Semestern. Wozu die Branche inzwischen fähig ist, machte der Kassenschlager Grand Theft Auto V (GTA5) vergangenen Herbst klar. Von diesem mit einem absurden Budget von 256 Millionen US-Dollar produzierten Spiel, in dem eine Los Angeles nachempfundene Grossstadtregion simuliert wird, berichtete das Wirtschaftsmagazin Forbes im vergangenen September: „Grand Theft Auto hat nicht nur eine Milliarde Einnahmen schneller realisiert als jedes andere Spiel zuvor (in nur drei Tagen!), es hat auch die grössten Filmstarts aller Zeiten um 16 Tage geschlagen.“

Solche mit gigantischem Aufwand hergestellten „Sandkastenspiele“, die dem Spieler scheinbar grösstmögliche Freiheiten lassen, kommen somit im Idealfall einer Lizenz zum Gelddrucken sehr nahe. Allein auf den Konsolenplattformen Xbox360 und PS3 wurden knapp 30 Millionen Exemplare abgesetzt. Wenn noch die blühende Raubkopiererei berücksichtigt wird, sind es inzwischen Hunderte von Millionen von Menschen, die in diese und ähnliche virtuelle Welten abtauchen. Somit stellt sich die Frage, welche ideologischen Verschiebungen dieser massenhafte Gebrauch des Mediums Computerspiel mit sich bringt. Wie verändert sich die Kulturindustrie unter dem Einfluss der immer perfekter dargestellten digitalen Welten, die dem Spieler bislang nicht gekannte Ausmasse von Immersion und Interaktion bieten?

Abbilder des Immergleichen

Auf den ersten Blick scheint die grundlegende Funktionsweise des kulturindustriellen Dauerbombardements auch für das Computerspiel zu gelten: Es findet die hinlänglich bekannte, öde Abbildung oder Dopplung der Oberfläche der Realität statt, wie sie für alle Produkte der Kulturindustrie charakteristisch ist. Schon immer bestand die Grundbewegung der Kulturindustrie in der ewigen „Wiederkehr des Immergleichen“ (Adorno), in der tausendfachen Spieglung der Oberfläche der Realität durch die Massenmedien, die in immer neue Formen gekleidet wurde. Die Kulturindustrie gleicht somit einer sich unaufhörlich um ihre eigene Achse drehenden Medienmaschinerie, die immer neuen ästhetischen „Treibstoff“ für die unentwegte Wiederholung ihres öden Mantras braucht, das allen Widerstand, jegliches Geschichtsbewusstsein, jegliche Gedanken an eine Alternative zum Kapitalismus längst abgetötet hat: „Es ist, wie es ist.“

In GTA 5 kämpft sich der Spieler als ein buchstäblich eigenschaftsloser Kleinkrimineller die Hierarchien mafiöser Netzwerke im virtuellen Los Angeles empor, bis er schliesslich den Laden gänzlich übernehmen kann. Hier scheinen Parallelen zu den unzähligen Gangsterfilmen auf – vom Paten, über Scarface, bis zu Casino oder Good Fellas –, in denen der kapitalistische Konkurrenzzwang anhand seiner ungehemmten Extremform in der Sphäre „illegaler“ Geschäftsfelder widergespiegelt wird. Ähnlich verhält es sich auch mit der populären Kriegsspielserie Call of Duty (deren Ableger Modern Warfare 3 konnte die obligatorische Milliarde US-Dollar an Einnahmen binnen 16 Tagen generieren), die in ihrer fast schon peinlich infantilen und debilen imperialistischen Propaganda, in ihrer Fixierung auf hirnlose Charaktere, pausenlose Action und grösstmögliche Explosionen einfach eine Kopie des entsprechenden Filmgenres darzustellen scheint, das uns solche Perlen der Filmgeschichte wie etwa die Rambo-Trilogie beschert hatte. Selbst diejenigen internetbasierenden Multiplayerspiele, die in einer Science-Fiction- oder Fantasywelt lokalisiert sein sollen, bilden im Endeffekt die Strukturen des Kapitalismus ab. Auch in einer Fantasywelt wie der von „World of Warcraft“ oder Diablo 3 wird der Spieler etwa mit Auktionshäusern konfrontiert, in denen er virtuelle Gegenstände gegen Echtgeld eintauschen kann.

Ein weiteres Moment der klassischen Kulturindustrie findet sich im kommerziellen Videospiel ins Extrem getrieben wieder. Auch das spielerische Amüsement stellt eine „Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus“ dar, wie es Adrono/Horkheimer formulierten: „Es wird von dem gesucht, der dem mechanisierten Arbeitsprozess ausweichen will, um ihm von Neuem gewachsen zu sein.“ Das entscheidende Moment ist hier die tatsächlich gegebene Aktivität des Spielers, die im schroffen Gegensatz zu der Passivität der Konsumenten der klassischen kulturindustriellen Produkte wie Film, Radio und Illustrierte steht. Das Spiel prüft die Geschicklichkeit oder Kombinationsgabe des Spielers ab, es offeriert ihm zumeist auch virtuelle Karrierewege wie auch webgestützte Möglichkeiten, sich mit anderen Spielern zu messen. Spiele sind somit zu regelrechten Trainings- und Rankingprogrammen verkommen, in denen die kognitiven Fähigkeiten der Spieler abgefragt und gesteigert werden können. Die Perspektive zwischen Arbeit und Freizeit – zwei Lebensbereichen, die ohnehin immer stärker verschwimmen und ineinander übergehen – ändert sich somit kaum noch: Nach der Arbeit, die ja immer öfter vor dem Homeoffice- oder Bürobildschirm verrichtet wird, folgt die „Freizeit“, in der die Leistungen vor der Glotze abgefragt werden. Nahezu alle Grossprojekte der Branche verfügen inzwischen über einen webgestützten Mehrspielermodus, der das Konkurrenzstreben im Büroalltag nahtlos ins Wohnzimmer überträgt.

Bei vielen AAA-Produktionen, wie etwa der Call of Duty Reihe, stellen die Mehrspielermodi inzwischen den Hauptteil des Programms dar, während die Einspielerkampagnen nur noch als nette Dreingabe betrachtet werden. Die mit Spielen verbrachte Freizeit im Spätkapitalismus ist so zu einer ununterbrochenen Leistungsschau verkommen, die gerade vermittels der Aktivität der Spieler, ihrer in Rankings erfassten Spielleistungen ermöglicht wird. Dieses permanente Ranking stellt die Fortsetzung des Arbeitsregimes in der Freizeit dar.

Affirmation der Barbarei

Die Aktivität des Spielers, die mehr oder minder ausgeprägte Möglichkeit, gestaltend in diese virtuellen Welten – die nichts weiter als Abbilder der Oberfläche spätkapitalistischer Realität darstellen – einzugreifen, stellt auch die Grundlage der neuartigen Momente dieses avanciertesten Mediums der Computerindustrie dar. Die von Film, Fernsehen und Rundfunk geprägte klassische Kulturindustrie hat den Konsumenten zur Passivität gegenüber dem falschen Ganzen dressiert, sie hat den Menschen – wie beschrieben – die Idee einer Alternative zur bestehenden Gesellschaftsunordnung ausgetrieben. Das von den Neoliberalen ab den 80ern ausgerufene Motto „There is no Alternative“ (auch als TINA-Prinzip bezeichnet) konnte gerade auf der oben dargelegten Vorarbeit der Medienindustrie aufbauen. Diese Verneinung von Realisierungsmöglichkeiten von Alternativen – die vermittels der endlosen Spiegelung der Oberfläche eben dieser Realität in den Waren der Kulturindustrie perpetuiert wird – setzt aber noch die Existenz eines Rudiments an Widerständigkeit und Opposition zum falschen Ganzen voraus: Eine Ahnung davon, dass der gegebene Zustand der Welt eigentlich unerträglich ist, dass sie grundlegend verändert, transformiert werden muss. Erst wenn dieser Impuls weitestgehend abgetötet ist, kann das Spiel die Passivität in Aktivität zugunsten des in Barbarei umschlagenden Bestehenden wandeln.

Die Passivität der klassischen Medien der Kulturindustrie, die mit der ohnmächtigen Hinnahme des gegebenen Gesellschaftszustandes einhergeht, schlägt im kommerziellen Videospiel in die Aktivität um: in die aktive Bejahung der spätkapitalistischen Realität. Das Bewusstsein davon, dass das kollabierende Weltsystem einer Transformation und Alternative bedürfte, ist nach Jahrzehnten kulturindustriellen Dauerbombardements in der Breite der Bevölkerung der meisten Industrieländer schlicht abgetötet worden. Mittels seiner Einbettung in die virtuellen Welten, mittels seiner Interaktion in diesen immer perfekter gestalteten Spielen wird der Konsument zu einer aktiven Rolle gedrängt, in der er die Spielvorgaben als scheinbar gegebene Freiheiten wahrnimmt. Die Teilnahme am krisenbedingt zunehmenden Massenmord oder der brutalsten Krisenkonkurrenz kann so zu einem spielerischen Erfolgserlebnis modelliert werden. Die Resignation angesichts der sich entfaltenden Barbarei, die von der klassischen Kulturindustrie produziert wurde, weicht nun der um sich greifenden Begeisterung für die Barbarei, für die Unmenschlichkeit – die eben mit möglichst viel Fantasie praktiziert werden soll. Das resignative „Es ist, wie es ist“ wandelt sich in ein begeistertes „Es ist geil, wie es ist“.

Gerade in den erfolgreichen scheinbaren „Sandkastenspielen“ der GTA-Serie wird diese massive Propagierung der Barbarei evident. Bei GTA V handelt es sich letztendlich um einen Massenmordsimulator, dessen Welt den Spieler dazu einlädt, mitunter sogar förmlich nötigt, möglichst viele virtuelle Spielfiguren auf möglichst brutale Art und Weise ins Jenseits zu befördern. Alles scheint in dieser virtuellen Welt auf grösstmögliche Realitätsdarstellung abzuzielen – mit Ausnahme der nicht gegebenen Konsequenzen, wenn man einen Passanten, eine Prostituierte oder eine nette alte Oma einfach mal totschlägt. Es gibt keinen Punkteabzug, kein „Game Over“ – aber auch keine Ironie, bei der es offensichtlich würde, dass das Spiel sich selbst nicht ernst nehmen würde. Es sind gerade die erfolgreichsten und aufwendigsten Spiele, die mittels einer Ästhetisierung der Barbarei den Spieler auch mit den schwersten Krisenverwerfungen versöhnen. Die Darstellung der Gewalt und die Perspektive, die der Spieler dabei immer wieder einnimmt, wirken inzwischen dank der grafischen Fähigkeiten weitaus interessanter als in der Realität. Das ästhetisch perfekt in Szene gesetzte Zerlegen der Gegner in Einzelteile, die durch die Luft fliegenden Gliedmassen und Körperteile, kommen ohne alle die Konsequenzen daher, die diesen Vorgängen in der Realität anhaften: den Gestank von Verwesung und verbranntem Fleisch, die Fliegenschwärme, die posttraumatischen Störungen.

Mann nimmt hingegen fast immer die Perspektive hinter dem Abzug ein: Immer wieder wird der Spieler mit überwältigender Allmacht ausgestattet, mit Superkräften, die ganze Städte einäschern können, oder er geht – insbesondere bei Call of Duty – als Teil der westlichen Interventionsstreitmächte auf die Jagd nach Aufständischen in den Zusammenbruchsgebieten der „Dritten Welt“, was zumeist als ein simples Abknallen von fliehenden Pixelhäuflein von irgendwelchen Hightech-Fluggeräten aus hinausläuft. Die Grundannahme eines jeden Spiels, das Vorhandensein einer Herausforderung, an der man auch scheitern könnte, ist bei solchen Sequenzen nicht mehr gegeben – es ist reiner Sadismus, der hier ausgelebt wird. Die Tendenz in der Spieleindustrie geht dahin, den Schwierigkeitsgrad der Einzelspielerkampagnen immer weiter abzusenken. Waren die ersten Spiele in den 80ern oder 90ern noch kaum zu bewältigen, so sind heutzutage hingegen kaum Spiele zu finden, die selbst vom ungeschicktesten Couch-Potato nicht durchgespielt werden könnten. Jeder Depp kann die massenmörderische Mafiakarriere in GTA 5 absolvieren, oder in Call of Duty Marschflugkörper auf Elendsmilizen abfeuern – und so erfahren, wie geil eine in Chaos und Barbarei versinkende Welt sein kann, wenn man nur hinter und nicht vor dem Maschinengewehr steht.

Die Darstellung der Gewalt in Computerspielen hat somit einen massiven Bedeutungswandel erfahren. In den Zeiten grobpixeliger Grafiken und einer subkulturellen Abgeschiedenheit des Computerspiels wirkte die Gewaltdarstellung noch als ein subversiver Tabubruch, der den verlogenen Mainstream mit einer verdrängten Realität konfrontierte: dass diese Gesellschaft auf Gewalt errichtet ist und Gewalt zu deren Aufrechterhaltung alltäglich aufgewendet werden muss. Mit dem Einzug der exzessiven und realistischen Gewaltdarstellung in den Mainstream wandelt sich aber das Verhältnis der Gesellschaft zu dieser hochästhetisierten Gewalt: Sie wird bejaht, die demokratisch verbrämten humanistischen Illusionen verschwinden, während die ganze Brutalität voll erfasst wird, die zur Aufrechterhaltung des krisengeplagten spätkapitalistischen Systems notwendig wird. Und genau diese Gewaltanwendung wird durch das kommerzielle Computerspiel bejaht. Die Ästhetisierung der Barbarei, die von der Branche mit einem Milliardenaufwand betrieben wird, steht in Wechselwirkung mit der zunehmenden Toleranz gegenüber der Barbarei in den Gesellschaften, die in Reaktion auf die Krisendynamik in einen Extremismus der Mitte verfallen.

Bandenkrieger

Die Spieleindustrie bildet somit den Höhepunkt und zugleich den Endpunkt der Entwicklung der Kulturindustrie, die nun in der totalen Affirmation des Gegebenen aufgeht. Der Anteil der „Verzerrung“ der Realität nimmt in der spätkapitalistischen Kulturindustrie immer weiter ab. Die klassische Kulturindustrie negierte den unerträglichen Zustand der kapitalistischen Welt eigentlich nicht mehr, sie stellte – dies war ihre zentrale Lüge – nur Alternativen in Abrede. Nun wird, mit dem sich immer deutlicher abzeichnenden Zusammenbruch der Wertvergesellschaftung, vermittels der Computerspielindustrie die totale Barbarei, die rücksichtslose Identifizierung mit den Folgen dieser Krise propagiert. Durch sein „Mitmachen“ in diesen virtuellen Welten, die immer genauer die krisenbedingte Barbarei duplizieren, wird der Spieler mit diesem – hochgradig ästhetisierten – Krisenzustand versöhnt und zu einer aktiven Rolle bei dessen Ausgestaltung ermuntert. Es geht nur noch darum, in der Krisenkonkurrenz austeilen zu können und nicht einstecken zu müssen.

In seiner Agonie verbreitet die Kulturindustrie keine Lügen mehr über die Hölle auf Erden, die das Kapital geschaffen hat, diese wird einfach ästhetisiert und bejaht. Die modernen Games sind somit ein Symptom für den Tod der Ideologie: Es findet eine unverzerrte Widerspiegelung der Realität statt, die gerade zur grösstmöglichen Barbarei in der kommenden Ära des Umbruchs erziehen soll. Nichts tötet jegliches Empathievermögen zuverlässiger ab als die millionenfach eingeübte Betätigung des Triggers in den unzähligen virtuellen Kriegen, die eigentlich nur die unzähligen realen Kriege spiegeln, auf die inzwischen schon die Jüngsten vorbereitet werden.

Wenn wir nun die eingangs erwähnten „postapokalyptischen“ Multiplayergames wie Rust und DayZ nochmals betrachten, dann wird nun auch klar, dass es sich hier streng genommen um kein fiktives Szenario mehr handelt. Immer wieder erzählen Spieler davon, dass man bei diesen Spielen nur in Gruppen – im Spielerjargon „Klans“ genannt – eine längerfristige Überlebenschance habe. Was sich auf den Servern dieser Spiele virtuell konstituiert, sind die realen Rackets, sind die Milizen und Banden, die bereits in weiten Teilen der Zusammenbruchsgebiete des kapitalistischen Weltmarkts herrschen. Es ist der „molekulare Bürgerkrieg“ (Robert Kurz), der immer neue Weltregionen erfasst, in denen die kollabierende Wertvergesellschaftung von anomischer Bandenherrschaft abgelöst wurde, der bei dieser Art von Spiel trainiert wird. Die Metropolenkids spielen das nach, was ihre Altersgenossen in den Zusammenbruchsgebieten – in Syrien, Irak, Somalia, Kongo – bereits zu praktizieren genötigt sind.

Das Spiel war schon immer auch eine Form des Trainings, mit dem sich Kinder und Heranwachsende fit machten für die Herausforderungen des Erwachsenenlebens. Da der Kapitalismus als die einzig mögliche Form menschlichen Zusammenlebens gilt, kann der sich immer deutlicher abzeichnende Kollaps des Kapitalverhältnisses – der von der Kulturindustrie in der Schwemme apokalyptischer Medienprodukte unbewusst verarbeitet wird – nur als ein Kollaps der Zivilisation dargestellt werden. Und selbst hier ist der Anteil der Lüge angesichts der gegenwärtigen Krisendynamik nur noch marginal, da das Weltsystem tatsächlich vollends in die Barbarei umschlagen wird, sollte das Kapital als totale Vergesellschaftungsform nicht von einer emanzipatorischen Gegenbewegung überwunden werden. Die allgegenwärtige Apokalypse im Computerspiel stellt somit die self-fulfilling prophecy eines allgemeinen Krieges aller gegen alle dar, auf die das Gesamtsystem seiner inneren Krisenlogik gemäss zusteuert – und die in der Peripherie des Weltsystems bereits Realität geworden ist.

Dabei muss aber abschliessend bemerkt werden, dass das Spiel – auch das Computerspiel! – durchaus eine Ambivalenz aufweist, die es auch zu einem progressiven Medium machen könnte. Beim Spielen geht es nicht nur um das „Training“, um die spielerische Einübung von Rollen, Fähigkeiten und Verhaltensmustern, die in der gesellschaftlichen Realität vorherrschen. Das Spiel war immer auch motiviert von der Sehnsucht nach „dem Anderen“, nach einem Zustand, der dem Spieler in der Realität unerreichbar scheint. Genau so wie in den Nischen der Filmindustrie durchaus noch subversive Werke produziert werden, erscheinen auch kaum beachtete Spiele, die – wie etwa das Werk Space Giraffe des Altmeisters Jeff Minter – eben diese Sehnsucht nach dem Anderen bedienen und vermittels eines abstrakten, audiovisuellen Feuerwerks den Spieler buchstäblich zur Bewusstseinserweiterung einladen.

Neben dem Stumpfsinn eines Call of Duty und dem routinierten Massenmord des molekularen Bürgerkrieges, den ein GTA perfekt in Szene setzt, finden sich selbstironische und subversive Meilensteine wie die Portal-Spiele oder der Independent-Klassiker Braid. Doch auch hier gilt die aus der Filmindustrie bekannte Gleichung: Es kommt auf die Multiplikatoren und die Reichweite der entsprechenden Produkte an. Auf ein selbstironisches Portal 2, in dem der Spieler letztendlich zu einem Versuchskaninchen zugerichtet wird, kommen hundert Massenmordsimulatoren. Die Ausnahme bekräftigt und festigt auch hier letztendlich den Regelvollzug der Branche.

Tomasz Konicz
streifzuege.org