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Wir brauchen eine Diskussion über die Karriereplanung der linken Studis

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Beruf und Bewegung Wir brauchen eine Diskussion über die Karriereplanung der linken Studis

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Gesellschaft

Wer kennt das nicht: Leute, die früher besetzte Häuser mitorganisiert, in konspirativen Antifa-Gruppen gearbeitet und Aufrufe zur Abschaffung von Staat und Kapital geschrieben haben, „gehen über ins Berufsleben“ und üben mit einem Mal an der Uni, in NGOs oder in Kulturinstitutionen eine Tätigkeit aus, die sie früher aufs Schärfste denunziert hatten.

Studentaktion in Melbourne gegen Kürzungen im Bildungsbereich, September 2013.
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Studentaktion in Melbourne gegen Kürzungen im Bildungsbereich, September 2013. Foto: Polly clip (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 14. März 2017
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Sie werden „erwachsen“: Es gehe doch darum, „real und konkret“ Änderungen zu erreichen.

„Real und konkret“: Man könnte auch sagen, unter den gegebenen Bedingungen. Mehrere Texte haben in den letzten Jahren die Herrschaftsfunktionen solcher Tätigkeiten kritisiert und dazu aufgerufen, dass Linke andere Berufe wählen sollen.i Demgegenüber meine ich zwar, dass es bedingt sinnvoll sein kann, auf solchen Stellen zu arbeiten, insbesondere wenn man damit genuin radikale Ziele umsetzen kann. Allerdings muss es tatsächlich darum gehen, die ausschliessliche Fixierung der linken Studierenden auf die Intellektuellenkarriere zu lösen. Denn genau diese Fixierung führt zur Notwendigkeit der Selbstanpassung, wodurch man die Möglichkeit zur Radikalität, für die man nämlich die Karriere riskieren muss, aus der Hand gibt.

Wir brauchen eine Diskussion über die Karriereplanung der linken Studierenden. Dafür müssen wir aber über die Widersprüche in ihrer subjektiven Situation sprechen. Aus denen kommt man nämlich gar nicht so leicht raus. Wir müssen über Anpassungszwänge und ihre Unmerklichkeit, über Ängste, Selbstzweifel und die Frage „Was will ich im Leben?“, über die Politisierung des Privaten und über Alternativen zur Intellektuellenidentität sprechen.

So gut wie alle linken Studierenden arbeiten sich an solchen subjektiven Widersprüchen ab, und doch werden sie in der Linken als etwas nicht Politisches, sondern bloss Privates abgetan. Es ist höchste Zeit, dass wir sie kollektiv zur Sprache bringen und uns ein gemeinsames Bewusstsein darüber erarbeiten.

„Wie kann ich meine radikalen politischen Ansprüche und Interessen mit meinem beruflichen Leben verbinden?“

Vergegenwärtigen wir uns zunächst die subjektive Situation linker Studierender hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft. Mehr oder weniger alle knabbern an der typischen Frage: Wie können sie ihre politischen Ansprüche und Interessen mit ihrem beruflichen Leben verbinden?

Man will politisch im Sinne der eigenen Ziele arbeiten oder zumindest die bisherige kritische Auseinandersetzung fortführen. Möglich könnte das in einer KZ-Gedenkstätte, in einer Gewerkschaft, in einer NGO oder an der Uni sein. Also Jobs, in denen man sich wiederfinden und weiterentwickeln kann, sinnvolle Jobs, im Gegensatz zur stupiden Arbeit in Behörden oder in der Wirtschaft. Allerdings stellen alle diese Institutionen keine Revolutionäre ein. Das genau ist der Widerspruch, vor dem die linken Studierenden stehen. Man will einen sinnvollen und politisch interessanten Job, kann ihn aber als Linksradikale nicht haben.

Immer wieder die Panik, ob man gut genug ist, ob man es schafft, reinzukommen. Es gibt so viele, die sich alle um die wenigen Jobs kloppen. Aber man muss es schaffen, man will ja gerade ein Leben als Intellektueller führen – nur das hat doch Sinn – und eben genau dadurch auch sein Geld verdienen. Ohne so einen Job kann man sich die Zukunft nicht wirklich vorstellen. Also sucht man nach Lösungswegen, versucht, eine Brücke von linksradikalen Positionen zu den herrschenden Diskursen zu schlagen.

Man arbeitet sich an den herrschenden Diskursen ab und versucht, sich in den Seminaren mit originellen Bemerkungen in der Sprache der Professorin zu präsentieren. Und siehe da, nach einer Hausarbeit lädt einen die Professorin zum persönlichen Gespräch ein und bietet einem eine Stelle als TutorIn an. Mit einem Mal tut sich eine äusserst rosige Zukunft auf.

Nicht lange und man findet auch den politischen Ausweg aus dem Dilemma von Beruf und Politik. Denn es ist doch klar: Mit dem Prinzipienradikalismus kommt man nicht weit. Welche reale Basis hätte denn auch eine radikale Kritik an Gewerkschaften und Parteien? Ein revolutionäres Subjekt ist doch weit und breit nicht in Sicht. Heute kommt es darauf an, auf reale Veränderungen innerhalb der Institutionen hinzuarbeiten.

Auch wenn – nehmen wir jetzt als Beispiel mal die Musik- und Theaterlandschaft – es nicht möglich ist, den Klassen- und Ideologiecharakter der Kunstwerke herauszuarbeiten, so kann man die gegenwärtigen Diskurse doch immer wieder auf die Spitze treiben und den gesellschaftlichen Gehalt der Kunst hereinbringen. Steht man ausserhalb der Institutionen, der Theaterhäuser, Verlage, Musikjournals, so hat man halt gar keine Stimme und kann nichts ändern.

In Bezug auf rechte Tendenzen lässt sich in den bestehenden Institutionen zwar nicht benennen, dass es sich dabei um Krisenreaktionen bürgerlicher Subjekte vor dem Hintergrund ihrer objektiven Eigentumslosigkeit handelt. Dennoch ist es nicht falsch, sie als subjektive Wahl gegen Toleranz einzustufen. So kann man sich in NGOs und Gedenkstätten gegen rechts engagieren und wird dafür bezahlt. Dass man dort die Totalitarismustheorie mitträgt, darüber will man lieber nicht sprechen.

Ja, es stimmt, dass die heutige Kritische Theorie – also Honneth, Jaeggi, Forst – keinen Bezug auf eine kommunistische Praxis oder die Thematisierung der Grundwidersprüche der kapitalistischen Produktionsweise in der Philosophie erlaubt. Aber trotzdem! Man kann immerhin Sozialismus, Revolution und Subjektkritik diskutieren. Andererseits ist es ja schon so, dass es mit dem Marxismus und der Arbeiterbewegung ja auch ein wirkliches Problem gibt, das letztlich auch etwas mit Marx zu tun hat.

An die Stelle von Kapuzenpulli und schlichtem Top oder T-Shirt treten das Hemd und die elegante Bluse. Die Studentin hat ihren Weg gefunden. Sie weiss: Nicht um des Geldes wegen nimmt sie die Strapazen des Betriebs auf sich, es ist vielmehr politisch erforderlich, als Linke solche Jobs zu bekommen, weil der Kampf innerhalb der Institutionen geführt werden muss.

Der Authentizitätszwang der Intellektuellenberufe

Der beschriebene Widerspruch der linken Studierenden hat zwei Gründe. Der eine betrifft die besonderen subjektiven Anforderungen der Intellektuellenberufe, der andere die Identitätsnot der Studierenden. Ich beginne mit dem ersten Grund.

Das Studium ist zunächst nichts anderes als eine Ausbildung bzw. die Produktion von Arbeitskraft in Warenform, und zwar der spezifisch intellektuellen Arbeitskraft. Während dieser Ausbildung müssen die Studierenden sich der Zwecksetzung unterwerfen, später als diese Ware Arbeitskraft verwertbar zu sein oder als Intellektuelle Arbeit zu finden. Tun sie das nicht, so droht der Misserfolg auf dem Arbeitsmarkt und das Studium verliert den ökonomischen Sinn, den die meisten Studierenden mit ihm verbinden.

Die kapitalistische Entfremdung trifft natürlich jede Lohnarbeit und jede Ausbildung. Gegenüber nichtintellektuellen Berufen haben die Intellektuellenberufe aber das – für meine Argumentation hier – entscheidend Besondere, dass man die jeweilige Institution authentisch vertreten können muss. Egal ob als GewerkschaftlerIn, KuratorIn, JournalistIn oder NGO-ReferentIn, es gibt jedes Mal eine bestimmte diskursive Formation, innerhalb derer man kreativ sein, Ideen entwickeln und Texte schreiben muss. Es geht nicht simpel darum, die Unterstützung zu einzelnen Sätzen zu erklären, vielmehr muss man sich die diskursive Formation als Ganze aneignen, muss sie glaubhaft vertreten können und authentisch auf sie ansprechbar sein. Eine ProgrammiererIn, Foodora-LieferantIn oder SchreinerIn mag die grösste KommunistIn sein; solange sie den Vertrag erfüllt und ihr Produkt liefert, kann es der Kapitalistin egal sein. Bei den Intellektuellen herrscht dagegen ein Authentizitätszwang vor, bei ihnen ist das Eintreten für die Werte der Institution gewissermassen Teil des Verkaufs der Ware Arbeitskraft.

Dieser Zwang wirkt aber in die Psyche der Studierenden selbst. Er unterscheidet sich auch spezifisch vom Authentizitätszwang der ProgrammiererIn oder Amazon-MitarbeiterIn, die ihre Überzeugung immer noch vorspielen können, weil sie nicht den Kern ihrer Tätigkeit betrifft. Dem Authentizitätszwang der Intellektuellen zu genügen ist praktisch nur so möglich, dass die Intellektuellen wirklich einen Sinn darin finden, die diskursive Formation dieser Institution zu vertreten, sie also – wie vermittelt auch immer – nicht nur des Gelderwerbs wegen, sondern aus eigener Überzeugung unterstützen. Insofern die Studierenden auf einen Intellektuellenberuf hinarbeiten, sind sie also bereits im Studium diesem Zwang unterworfen, eine eigene Überzeugung zu entwickeln, die authentisch innerhalb der herrschenden Diskurse funktioniert.

Während jedoch die objektive Seite der Ausbildung verwertbarer geistiger Fähigkeiten klar auf der Hand liegt und von den Studierenden mit Bewusstsein verfolgt wird, wird der subtile Zwang, eine eigene, aber passende Überzeugung zu entwickeln, kaum erkannt. Die Erkenntnis dieses Authentizitätszwangs ist unter anderem deswegen so schwierig, weil das Eintreten für bestimmte Positionen praktisch nie eingefordert wird – es widerspräche ja gänzlich der wissenschaftlichen Liberalität. Die Anforderungen machen sich indirekt und implizit gelten: Etwa wird eine politische Benotung einer Abschlussarbeit nicht politisch begründet, sondern vielmehr wird auf die „unzeitgemässe Sprache“ (Ideologie, Widerspruch, Klasse), die fehlende Auseinandersetzung mit dem „Stand der Forschung“ und die unverständliche Argumentationsweise verwiesen. Der Ausschluss wird praktisch nie offen vollzogen, sondern läuft über eine Logik der Konkurrenz, der besseren und schlechteren Chancen, und das verstärkt die Subtilität des Anpassungsdrucks.

Es gibt eine spezifische Weise linker studentischer Wissensarbeit, die mir eine typische Konsequenz der Unterwerfung unter die eigene Verwertbarkeit zu sein scheint. Man verfolgt diverse Anliegen radikaler Gesellschaftskritik, was zunächst nicht viel mit dieser Verwertbarkeit zu tun haben scheint. Allerdings hat man stets „nebenbei“ im Blick, dass man bei dieser Wissensarbeit zumindest prinzipiell einen Nutzen ziehen kann. Man beschäftigt sich mit Geschlechtertheorie und Nationalsozialismus, Adorno und Butler, aber eher nicht mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Imperialismustheorie, Wilhelm Reich und Hans-Jürgen Krahl. Man rezipiert für diese Wissensarbeit die akademischen Debatten zu dem Gegenstand – man muss sein Urteil ja diskursfähig darstellen können.

Die Angst vor dem Scheitern

Obwohl die vom Intellektuellenberuf ausgehenden Zwänge bis ins Innerste hineinreichen, scheinen sie bisher ganz pragmatischen Charakter zu haben, schlicht objektiv mit dem Intellektuellenberuf verbunden zu sein. Man könnte soweit wohl irgendeinen Umgang damit finden.

Sie erscheinen aber nur so pragmatisch, tatsächlich bergen sie wahre Abgründe in sich. Das führt uns zu dem zweiten Grund für den Widerspruch der linken Studierenden. Wie ich oben versucht habe darzustellen, erscheint die Option, keinen solchen Job zu erhalten, als etwas ganz und gar Inakzeptables. Sie würde die gesuchte Selbstverwirklichung und Anerkennung unmöglich machen und wäre mit dem Verlust der eigenen Identität als Intellektueller verbunden. Anzeichen für Misserfolg sind regelmässig Anlass zu tiefgreifenden Selbstzweifeln und Depressionen.

Aber gerade diese „existentielle“ Logik entzieht sich der Wahrnehmung, wenn man unmittelbar persönlich in dieses Geschehen involviert ist. Genauer: Es entzieht sich der Wahrnehmung, dass diese „existentielle“ Logik nicht an eigene Schuld und eigenen Verdienst, sondern überhaupt an das eigene spezifische Identitätsstreben als Intellektueller geknüpft ist. Damit dies wahrnehmbar wäre, müsste man gerade diese seine eigene Intellektuellenidentität aufgeben. Dazu müsste diese überhaupt als etwas Disponibles erscheinen, aber sie ist ja gerade das, als was man sich selbst sieht. Man kann daher diesen inneren Konflikt nur pragmatisch wahrnehmen, d.h. nicht so, dass es ein Konflikt zwischen politisch-theoretischen Positionen ist, der an das eigene Identitätsstreben geknüpft ist, sondern nur so, dass es objektive Anforderungen der herrschenden Diskurse gibt, für die man mit bestimmten Fähigkeiten aufwarten muss.

Aber über diese Identitätslogik vollzieht sich ein innerer Anpassungszwang, den man daher ebenfalls als Zwang nicht wahrnehmen kann: Man muss sich auf den herrschenden Diskurs zubewegen, in seine Bahnen hineinfinden, um der Sinnlosigkeit der „Existenz“ zu entgehen. Man kann den Zwang nicht wahrnehmen, und spürt dennoch ständig den von ihm ausgehenden Druck, auf den man reagiert. Es gibt in dieser angst- und kickgetriebenen Suchbewegung daher eine typische Weise, wie man in den herrschenden Diskurs hineinfindet: In plötzlicher Weise überkommen einen Einsichten, in denen sich Thesen des herrschenden Diskurses als völlig sinnvoll darstellen. Es sind jedoch Einsichten, die nicht die Gestalt eines Arguments haben, sondern in denen man sich selbst mit der eigenen kritischen Haltung eingemeindet in die Gemeinschaft des herrschenden Diskurses fühlen kann.ii

Was tun gegen die Anpassungszwänge?

Um diesen Anpassungszwängen und Konflikten zu entgegnen, ist dreierlei nötig.

1. Wir müssen uns ein Bewusstsein über die bei uns konkret wirkenden Anpassungszwänge erarbeiten, müssen uns bewusstmachen, dass die Anforderungen des Intellektuellenberufs ebenso wie unser widersprüchliches Streben nach Intellektuellenidentität nicht individuelle Fehler und Probleme unsererseits, sondern gesellschaftliche Zwänge sind.

2. Es bedarf des praktischen Bruchs mit der Intellektuellenkarriere. Der Hauptpunkt ist ja, dass man auf möglichst hohe Chancen auf dem Intellektuellenarbeitsmarkt hinarbeitet und eben davon der perfide innere Druck ausgeht. Man muss sich also konkreten nichtintellektuellen Einkommensmöglichkeiten zuwenden, in denen keine solche innere Anpassung nötig ist. Wenn man die zeitlichen und finanziellen Ressourcen hat, gibt es auch die konkrete Möglichkeit, sich entsprechend auszubilden: Man kann dann etwa auf handwerkliche Berufe (SchreinerIn, GärtnerIn), technische (ProgrammiererIn, ChemikerIn) oder soziale (KindergärtnerIn, KörpertherapeutIn) hinarbeiten. Man kann dann auch durchaus einen Weg nehmen, der einem sehr viel Spass macht. Das schliesst gleichzeitig nicht aus, dass man auch Jobs als Intellektuelle anstrebt – mit einer zweiten Option des Lebensunterhalts hat man aber nun die Möglichkeit, diese Jobs auch tatsächlich politisch zu machen. Man kann in Kauf nehmen, im Betrieb nicht mehr weiterzukommen.

3. In linksstudentischen Vorträgen, WGs und Lesekreisen sucht man zwar ständig nach der radikalen Kritik, ist aber so schizophren, gerade die individuellen praktischen Konsequenzen dieser Kritik nicht zu thematisieren und als Privatsache zu belassen. Das wäre auch darum nötig, weil die Entscheidung gegen die Intellektuellenkarriere keineswegs leicht ist. Wir brauchen daher die offene und politische Diskussion über die Karriereplanung der linken Studierenden.

Aber Adorno war doch auch Professor!

Es gibt natürlich immer wieder besondere Situationen, in denen linksradikale Positionen innerhalb von Institutionen möglich sind. In den 1920er Jahren konnte mit einem ordentlichen Batzen Geld ein ganzes marxistisches Institut, das Institut für Sozialforschung, gegründet werden. Nach dem Krieg konnte die Gründung angesichts der politischen Lage nach Nazizeit und Holocaust wiederholt werden. In den 70ern gelang es aufgrund des politischen Drucks durch die 68er-Bewegung, eine ganze Reihe von marxistischen ProfessorInnen zu installieren.

Selbstverständlich ist es wichtig, für kritische Wissenschaft an der Uni oder politisch wichtige Ausstellungen zu kämpfen. Genauso kann es völlig Sinn machen, zeitweise oder nebenbei Tätigkeiten „im Betrieb“ zu übernehmen, z.B. weil man auf dieser Stelle linke Politik machen kann oder bezahlte Reportagen über kapitalistisch produziertes Elend schreiben kann. Es geht hier also weder darum, dass man in solchen Berufen nicht arbeiten „darf“, noch um eine verbalradikale Gegnerschaft zu bürgerlichen Institutionen, noch um eine Entsolidarisierung mit Linken, die dort arbeiten. Das Problem beginnt da, wo man ausschliesslich auf die Intellektuellenkarriere fixiert ist. Die politischen Möglichkeiten, die solche Stellen eröffnen können, hat man genau dann nicht mehr, wenn man keine andere Option für den Lebenserwerb hat und sich die radikale Stellungnahme verbieten muss. Dann landet man ziemlich schnell dabei, dass man sich selbst Ideologieproduktion und Sozialpartnerschaft als linke Praxis innerhalb der Institutionen verkauft.

Wir müssen unser Leben ändern

Dass man mit der Intellektuellenkarriere brechen soll, sagt sich leicht, ist aber eine ziemlich extreme Entscheidung. Man muss auch mit dem brechen, was man selbst ist, mit der eigenen Identität, und dazu noch einen sozialen Kampf mit Eltern, bürgerlicher Meinung usw. durchstehen.

Wenn die eingangs erwähnten Texte also einfordern, einen nichtintellektuellen Beruf zu wählen, reicht das nicht. Man muss auch über eine Kritik der bürgerlichen Persönlichkeit sowie eine alternative Lebensperspektive zur Intellektuellenidentität sprechen. Die kann allerdings nicht darin bestehen, dass man als HeldIn der Revolution die „eigene Karriere“ für die Sache aufopfert. Die Rede vom Berufsrevolutionär in den 70ern war die falsche Abzweigung und war sie auch schon bei Lenin, von dem sie ursprünglich kommt.

Wenn es um einen Bruch mit dem Intellektuellenberuf geht, dann kann das nicht heissen, auf die Uni zu scheissen. Im Gegenteil. Wir brauchen scharfsinnige und gebildete politische Intellektuelle. Das Studium wäre insofern als politisches zu führen, mit dem Ziel, sich zur kritischen Wissenschaft, zur politischen Analyse und Textproduktion auszubilden. Wichtig ist hierfür die universitätsunabhängige Organisierung für kritische Theoriearbeit während des Studiums und darüber hinaus.

Die Privatsache der Berufsperspektive muss politisiert werden. Dazu muss sie aber auch in der eigenen politischen Organisierung aufhören, Privatsache zu sein. Die politische Organisierung muss aufhören, das Politische gegen das Private zu halten, und Entscheidungen gegen bürgerliche Lebensläufe nicht mehr individuell, sondern gemeinsam fällen, dafür Rückhalt geben und ihre Härten auffangen.

Wenn es um die Identität geht, muss es last but not least darum gehen, sein Leben zu ändern. Und das findet zu einem ganz relevanten Teil als individuelle Reproduktion und zwischenmenschliche Beziehung statt. Der Drang, als Intellektueller, als Repräsentant von Geist & Kultur zu reüssieren, gründet in einer Identitätsnot, und die rührt aus unserer isolierten Lebensweise als Privatpersonen. Diesen Nöten und Ängsten praktisch zu entgegnen heisst, kollektive Lebens- und Reproduktionszusammenhänge aufzubauen.

Das Private ist politisch!

Bis Ende der 70er war es selbstverständlich, so berichten ältere GenossInnen, das eigene Leben und insbesondere die eigene Lohnarbeitssituation politisch zu thematisieren und gegebenenfalls zur Disposition zu stellen. Seit etwa 1980 wird dagegen das eigene Leben als etwas Privates angesehen, an das kein politischer Anspruch zu richten ist und das nur einen selbst etwas angeht.

Mittlerweile bewegt sich da wieder etwas. Etliche Stellungnahmen haben eine Neuausrichtung der linksradikalen Strategie auf Basis- und Selbstorganisierung gefordertiii und dies mit individuellen Konsequenzen verbunden: Linksradikale AktivistInnen müssen aufhören, sich als über den Kämpfen stehend zu begreifen, sie müssen sich selbst als Proletarisierte begreifen und im eigenen Arbeitsverhältnis politisch agiereniv. Die Diskussion über den eigenen Beruf, über die eigene Klassenlage und über ihre Widersprüche müssen zum Teil dieser Debatten werden.

Emanuel Kapfinger / lcm

Fussnoten:

i Wildcat (2014): „Beruf und Bewegung“, http://www.wildcat-www.de/wildcat/96/w96_berufubewegung.html. Wildcat (2014): „Bewegung und Beruf, Teil II. Kritik der gesellschaftlichen Arbeitsteilung“, in: Wildcat 97. Olly Hill (2014): „The miseries of political life“, https://rdln.wordpress.com/2014/10/28/symposium-on-the-way-forward-3-the-miseries-of-political-life.

ii Ich möchte mir an dieser Stelle einige subjekttheoretische Schlussfolgerungen erlauben:

1. Man kann die Anerkennungssuche, den Selbstverwirklichungsdrang und die Fixierung auf die Intellektuellenidentität sicherlich in einer inneren „libidinösen“ Logik analysieren. Dennoch sind sie untrennbar mit ökonomischen Verhältnissen und Zwängen verbunden. Die Intellektuellenidentität setzt zu ihrer Stabilisierung überhaupt einen entsprechenden Intellektuellenjob voraus. Die typischen Selbstzweifel der intellektuellen Arbeiterin entzünden sich gerade an der Diskrepanz zwischen dem herrschenden Diskurs und den eigenen wissenschaftlichen und politischen Interessen. Wäre die Konkurrenz zwischen intellektuellen ArbeiterInnen niedrig, wäre auch der Anpassungsdruck gelockert und damit viel weniger Anlass zu Selbstzweifel und Depression gegeben.

2. Umgekehrt kann die subjektive Situation der Studierenden nicht verstanden werden, wenn man sie bloss ökonomisch analysiert, als spezifischen Fall der Produktion von Arbeitskraft, der zu spezifischen Konflikten mit den Ausgangspunkten der Studierenden führt. Man muss die Identitätslogik für sich betrachten.

3. Was analytisch getrennt werden muss, ist in der Realität immer verschmolzen. Die Angst vor Misserfolg ist immer beides: sie ist Angst vor dem ökonomischen Abstieg und Angst vor Identitätsverlust. Der ökonomische Abgrund stellt sich immer zugleich als existentielle Sinnlosigkeit dar und umgekehrt. Anerkennungserfolge beruhigen zugleich über die ökonomischen Aussichten. Gerade diese Verschmelzung erschwert die Analyse der Mechanismen.

4. Ohne das bürgerliche Bedürfnis, „jemand zu sein“, ohne die Bedürfnisse auf Anerkennung, Selbstverwirklichung und Identität, also ohne die bürgerlichen Formen des Bewusstseins, gäbe es den ganzen Zirkus des unsichtbaren Anpassungszwangs und seiner Widersprüche nicht. Die Kritik der Studierenden erfordert daher nicht nur die Kritik der intellektuellen Arbeit im Kapitalismus und die Kritik der Universität, sondern ebenso die Kritik der Produktion des bürgerlichen Subjekts.

iii Antifa Kritik & Klassenkampf (2015): „Der kommende Aufprall“, http://akkffm.blogsport.de/images/DerkommendeAufprall_web.pdf. radikale linke berlin (2016): „Geschichte wird gemacht“, https://radikale-linke.net/blog-posts/geschichte-wird-gemacht. kollektiv bremen (2016), „Für eine grundlegende Neuausrichtung linksradikaler Politik“, https://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/2016/05/1882461437.pdf. Basisgruppe Antifa Bremen (2016): „Thesen zur Strategie in sozialen Kämpfen“, http://basisgruppe-antifa.org/wp/thesen-zur-strategie-in-sozialen-kaempfen-2016/.

iv Vergleiche „Der kommende Aufprall“, a. a. O., Abschnitt 3.1: Selbstorganisierung und Klassenkampf. „Für eine grundlegende Neuausrichtung linksradikaler Politik“, These 5: Das Leben mit einbeziehen.