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Die Geschichte der Freistadt Christiania in Kopenhagen

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Eine autonome Zeitreise über Häuserkampf und Regenbogenkrieger Die Geschichte von Christiania in Kopenhagen

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Gesellschaft

Die Historie der Freistadt Christiania ist bunt und lang - mit Kämpfen, Siegen und Niederlagen. Viele der Menschen, die das Experiment gestartet haben, sind leider nicht mehr hier. Aber der Traum von einem Leben in Freiheit und die Idee der Selbstverwaltung in einem Freistaat leben weiter.

Eingang zum Freistaat Christiania in Kopenhagen, Dänemark.
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Eingang zum Freistaat Christiania in Kopenhagen, Dänemark. Foto: News Øresund - Peter Mulvany (CC BY 2.0 cropped)(CC BY 2.0 cropped)Steffen Hildebrand (CC BY-SA 3.0 unported)

Datum 23. August 1996
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Leute von nah und fern fühlen sich seit Jahrzehnten angezogen von dem Freistaat, der mit seiner magischen Mischung aus Anarchie und Liebe auch heute noch, nach 25 Jahren, die verschiedensten Menschen zu begeistern vermag. Dies alles begann 1971, als eine Gruppe von Christianshavn, das Gelände an der Ecke von der Prinzessestrasse und Refshaleweg stürmten, dort wo die "Graue Halle" liegt.

Sie wollten einen Spielplatz für ihre Kinder im Viertel errichten und ein bisschen Grünes sehen. Im selben Jahr war im Charlottenborg eine Ausstellung unter dem Namen "Etwas für Etwas", wo verschiedene Hippies, Flipper und Makrobiotiker ihre Kunst ausstellten, ihre Waren und Malereien verkauften und diverse Theatervorstellungen und Happenings stattfanden.

Von dieser kunterbunten Szene wurde in Folge die alternative Zeitung "Hauptblatt" herausgegeben. In diesem Magazin konnte man einen Artikel über die verlassene Kaserne in der Baadsmandsstrasse lesen, der eine Menge an Ideen zur Verwendung der Kaserne, u.a. für die vielen Jugendlichen auf Wohnungssuche enthielt.

Auch die Besetzer und die alternativen Kräfte von der neuen Gesellschaft im Thy-Lager suchten 1970 einen Platz, wo sie ihre Träume realisieren konnten. Der Zeitungsartikel resultierte in einer massiven Einwanderung von Leuten aus Nah und Fern. Sie wollten endlich ein anderes Leben schaffen, auf der Basis einer Gemeinschaft und den Prinzipien der Freiheit. Das war die Geburtsstunde der Freistadt Christiania.

Die Polizei versuchte von Anfang an mehrere Male die Leute vom Gelände zu vertreiben, musste jedoch aufgeben, weil das Grundstück zu gross war und zu viele Leute anwesend waren. So wurde Christiania zu einer politischen Angelegenheit, die im Parlament landete. Der Freistaat vereinbarte mit dem Verteidigungs-Ministerium eine Abmachung über den Verbrauch von Elektrizität und Wasser und bekam einen offiziellen politischen Stempel als "Soziales Experiment".

Christiania wird zur politischen Angelegenheit

Geplant war, einen Ideen-Wettbewerb auszuschreiben um die Verwendung des Geländes in der Zukunft zu klären und so konnte das Experiment fortgesetzt werden bis das Resultat vorlag. Im Jahre darauf, 1973 - wechselte die Regierung und damit auch die politische Stimmung in Bezug auf Christiania. Jetzt sollte plötzlich doch wieder geräumt werden.

Die NATO hatte in diesem Jahr ein Topmeeting in Kopenhagen. Die Theatergruppe "SOLVOGNEN" von Christiania veranstaltete ein Total-Theater mit Hunderten von Mitwirkenden. Ein fiktives "NATO-Heer" besetzte das dänische Radio und verschiedene andere Schlüsselpositionen und suggerierte dem Volk vor, dass Dänemark von den Natotruppen besetzt wäre. Viele Stunden schwebte die ganze Nation in Unsicherheit ob dies nun Realität oder Fiktion war. Die "Nato-Soldaten" wurden auf richtige Soldatenweise exerziert und Abends war Unterhaltung für die freudigen Kerle mit der Revy "Klatsch für einen Schilling". Christiania hatte sich nun in mehreren Wohnbereichen organisiert, insgesamt 10, mit lokaler Selbstverwaltung.

Die Gemeinschaftsbesprechung für die Bewohner wurde die oberste Instanz der Freistadt, und während die Müllabfuhr an der Abfallsortierung arbeitete, schmiedete man Öfen aus alten Öltonnen. Im Loppen wurden regelmässig Musikarrangements abgehalten, das Spektrum reichte von türkischer Musik über Amateur-Rock bis zu traditionellem Jazz. Eine Vielfalt, die zum Kennzeichen für diese neue Musikanlaufstelle wurde. Theater, Kunst-Happenings, spezielle Konzerte und politische Aktionen prägten den Charakter von Christiania in den ersten Jahren.

1974 wurden 12 Listen von Christiania zur Wahl gestellt für die Gemeindewahl. Der Wahlverbund gewann ein Mandat - und das war die Frauenliste. Tine Schmedes nahm ihr Baby mit zu den Bürgerrepräsentatschafts-Meetings und als sie ihr Kind in der Öffentlichkeit stillte, entstand eine riesige öffentliche Debatte über das Stillen eines Kleinkindes im öffentlichen Raum. Nicht nur in der Bürgerrepräsentation, sondern in vielen Zeitungen im Lande Dänemarks fragte man sich: "Kann man das nun auch tun?".

Im gleichen Jahr arrangierte Christiania die weihnachtlosen Weihnachten. SOLVOGNENS WEIHNACHTSHEER nahm die Stadt Kopenhagen ein und teilte Geschenke aus in den grossen Warenhäusern - zur grossen Freude der Kinder und der alten Leute. Natürlich wurden die Weihnachtsmänner angehalten. Fotos auf denen zu sehen war, wie die Polizei auf Weihnachtsmänner einschlugen, erschienen am folgenden Tag in den Zeitungen des ganzen Landes. Die weihnachtslose Weihnacht ist bis heute eine Tradition geblieben, zu der sich jedes Jahr mehr als 2.000 Menschen zum Weihnachtsessen zusammenfinden.

Räumungsdrohungen und Regenbogenkrieger

1975 endete Christiania als Spielball zwischen der Gemeinde von Kopenhagen und dem Staat. Das Parlament beschloss am Ende erneut, dass das Gelände geräumt werden soll, spätestens zum 1. April 1976. In der Zwischenzeit wurde in Christiania eine Art Infrastruktur aufgebaut. Ein Badehaus entstand, ein Kinderhaus wurde errichtet, Müllabfuhr und Wiederverwertung nahmen ihren Betrieb auf. Gemeinschaftsstellen und Werkstätten wuchsen hervor und SOLVOGNEN hatte eine Theatervorstellung "Elverhoej" in der Grünen Halle. Diese Vorstellung erregte wegen seines provokanten Inhalts ziemlich viel Aufmerksamkeit in den Kulturkreisen der Stadt.

Währenddessen mobilisierte Christiania für eine Konfrontation mit dem Staat. Ein Regenbogenheer wurde organisiert und alle Leute wurden nach Farben eingeteilt, welche verschiedenen Funktionen repräsentierten. Rot = ausfahrende Kraft, Grün = Essen und Verpflegung, Blau = Bewusstheitsschaffend usw. Alle Leute in Dänemark wurden hierzu eingeladen und ca. 10.000 Leute strömten herbei. Eine trendige Rock-Gruppe spielte eine Platte ein zur Unterstützung für Christiania. Diese wurde ein riesiger Verkaufserfolg. Am 1. April geschah dann gar nichts.

Das Parlament hatte im letzten Augenblick die Räumung von Christiania ausgesetzt. Stattdessen wurde der 1. April zu einer riesigen Manifestation der Solidarität. Das dänische Nationalmuseum brachte ein Buch heraus über das alternative Stadtviertel des Freistaats und eine Reihe von bekannten Stadtplanern und Architekten äusserten sich nun begeistert über die Idee von Christiania.

Christianias Prozess gegen den Staat Dänemark

Christiania leitete nun gegen den Staat einen Prozess ein auf Grund des Wortbruches. Nach einer Abmachung von 1973 sollte ein Ideen-Wettbewerb ausgeschrieben werden für die zukünftige Verwendung des Geländes und bis dahin konnten die Christianiter dort wohnen bleiben. 1976 war der Wettbewerb immer noch nicht ausgeschrieben und deswegen meinte man von Christianias Seite, dass der Beschluss, das Gelände zu räumen, ein Bruch der Absprache sei. Der Prozess sollte eine Räumung verhindern, 1977 verliert der Freistaat Christiania jedoch die Auseinandersetung. Gegen das Urteil wurde beim höchsten Gericht Berufung eingelegt.

1977 arrangierte Charlottenborg eine Christiania-Ausstellung mit dem Titel "Liebe und Chaos" - ein gigantisches Arbeitsfestival wurde veranstaltet wobei vor allem aufgeräumt und repariert wurde. Leute von Christiania produzierten eine Schallplatte zur Unterstützung des Freistaates unter dem Namen "Unsere Musik", eine Präsentation der Werke von Dichtern und Musikern aus der Szene. 1978 verliert Christiania auch den Prozess am Höchsten Gericht und das Umfeld von Christiania mobilisiert erneut.

Ein Plan, der Hunderttausend Leute mobilisieren soll zur Verteidigung von Christiania wird eingeleitet und der Freistaat stellt wieder einmal auf zur Gemeindewahl. Die Christiania-Liste hat unter anderem auf dem Programm "Christiania für die Christianiter zu bewahren", unter der Bedingung, dass es Allen zu Gute bekomme.

Die Christiania-Liste hat einen Repräsentant in der Bürgerrepräsentation, Thorkild Weiss Madsen, der für sein Engagement und seine Reden gegen Wohnungsspekulation und Bulldozersanierung bekannt ist. Das Parlament beschliesst nun, dass ein Lokalplan ausgearbeitet werden soll für das Gelände und das Christiania normalisiert werden soll, ohne genauer zu benennen, was darunter zu verstehen ist oder wie das geschehen soll.

Neue Gefahren lauern

In Kopenhagen betreibte die Polizei eine regelrechte Hetzjagd auf Junkies, Drogensüchtige und Haschdealer. Gleichzeitig taucht Heroin in Dänemark auf. Diese Repressionswelle des Staates traf Christiania spürbar, wo der Haschhandel florierte und die Drogensüchtigen immer mehr wurden.

Christiania versuchte nun in Zusammenarbeit mit der Polizei den Haschmarkt von den restlichen Drogen zu reinigen, wird aber von der Polizei hintergangen, die indessen - eine riesige Razzia gegen die Haschpusher veranstaltete. Die Gemeinschaft des Freistaates nahm die Sache in die eigene Hand und organisierte Entzugsmöglichkeiten für die Drogensüchtigen und eine Aktion gegen die Drogendealer. Die Drogensüchtigen wurden vor die Wahl gestellt: Entzug von den Drogen oder Auszug aus der Freistadt. Die Pusher wurden rausgeschmissen.

Dieses waren schwere Jahre, trotzdem blühte die schwarze Kultur. Die Rockmaschine mauserte sich 1978 zur Heimat für Kopenhagens wachsende Punkszene. Bis 1981 - wo der Rockerterror die Aktivitäten stoppt. Das Cabaretleben blühte in der Opera und im Mondfischer. 1981 reiste ein Christiania-Cabaret z. B. nach Italien - eingeladen von der Stadtgemeinde in Modena.

1982 beauftragte die Regierung die Consulting-Firma Möller & Grönborg, um einen Plan für die zukünftige Anwendung des Geländes auszuarbeiten. Jedoch die Christianiter bauten auf und um, legten Gärten an und bekamen Kinder. Die Firma kommt am Schluss mit einem Raport und dem Vorschlag, "Christiania als Versuchsstadt" zu entwickeln, mit einer ausgedehnten Selbstverwaltung.

Die konservative Hetze

Das Land wählte im gleichen Jahr eine konservative-liberale Regierung, praktisch zeitgleich startete in Schweden eine gewaltige Hetze. Der Freistaat wurde als nordisches Narkocenter und Wurzel von allem Übel angeklagt. Christiania antwortete darauf mit der Aktion "Liebe für Schweden", worunter die Christianiten mit einem Marsch, Cabaret und Kunstausstellungen die Städte Stockholm, Göteborg und Malmö eroberten. Dies schaffte jedoch nur wenig Aufmerksamkeit in den schwedischen Medien. Rein politisch ging Christiania in Vergessenheit.

Dies gab dem Freistaat Christiania die Möglichkeit und Ruhe, neue kollektive Arbeitsplätze zu schaffen und mit den neu entwickelten Visionen zu arbeiten. Solidaritätsfeste für die Indianer im Big Mountain in den USA und Aassiviq-Konferrenze in Grönland wurden in der grauen Halle arrangiert, um Christiania's Bruderschaft mit anderen ethnischen Gruppen zum Ausdruck zu bringen.

Im Allgemeinen wurden in diesen Jahren viele internationale Kontakte mit alternativen Bewegungen geknüpft. Irma Clausen zeigte den Film "Wurzeln in Christiania", ein persönliches Dokument über den Alltag und das Leben in dem Freistaat mit Fokus auf die Kinder von Christiania.

1987 präsentierte die dänische Regierung einen "Handlungsplan für die Gesetzmässigkeit von Christiania" und eine Steuerungsgruppe wurde zusammengestellt, die den Kontakt zwischen Christiania und der Regierung vermitteln sollte.

Die Antwort von Christiania ist der Bericht "Voila", welcher zu erkennen gibt, dass Christiania im Stande ist, die Bauaufsicht für die Gebäude und für die Institutionen zu übernehmen, unter Voraussetzung, dass das Gewerbe keine Steuern zahlt. Sie sollen ihren Gewinn in die Gemeinschaftskasse von Christiania eizahlen, welche dann die Mittel intern verteilt.

Gesetzlichkeit und Normalisierung

Die Behörden wollten in der Zwischenzeit die Legalisierung der Gaststätten in Christiania erzwingen. Auch die Bertiebe selbst versuchten eine Verhandlung für eine Gemeinschafts-Bewilligung zu bekommen. Das ganze endete damit, dass die Polizei in einer riesigen Aktion alle Gaststätten schloss, das war Anfangs 1989. Danach handelten einige der Gaststätten erst eine Gebrauchsrechtabmachung mit dem internen Gebiet aus und danach eine individuelle Gaststätten-Bewilligung mit den Behörden.

Im gleichen Jahr beschloss die Regierung die Rechtmässigkeit für die Anwendung des Christiania-Gebietes. Das Gesetz soll die Grundlage für die "Normalisierung" von Christiania sein, in dichter Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Umweltschutz und nach Richtlinien des Lokalplanes von 1989. Der Plan teilt Christiania in zwei Bereiche ein. Einem "ländlichen", welches von Einwohnern befreit werden soll und einen "städtischen", welches unter gewissen Auflagen weiter experimentieren kann ohne Zeitfristen.

Im Sommer 1989 hörte man den Startschuss für Strictly Underground's Kulturwirksamkeit - mit "Skatebeat 89" versammelte sich eine grosse Menge der neuen dänischen Hip-Hop Szene in der grauen Halle mit Musik, Tanz und Graffiti. Vote 4 Truckers, eine dänische Rap-Band, nahm die Single "Finger weg von Christiania" auf als Unterstützung für die Freistadt. Ebenfalls 1989 erblickt "Christiania-RAP" das Licht.

In Verbindung mit der gesetzlichen Administration setzte das Verteidigungs-Ministerium ein Christiania-Sekretariat zusammen, die 1990 einen schriftlichen Bericht herausgat mit dem Titel "Ziel und Mittel für die Gesetzmässigkeit zur Anwendung vom Christiania-Gebiet". Die Einwohner von Christiania hatten insgesamt 90 Einwände gegen den Lokalplan und wendeten sich vor allem stark gegen die Einteilung in 2 Bereiche und die geplante Entfernung verschiedener Gebäude, die der Lokalplan voraus sah.

Als Antwort auf die Drohung der Behörden organisierte Christiania 1990 eine Liebeserklärung und lud alle Leute dazu ein, sich selber davon zu überzeugen, was im Freistaat vor sich geht, um den Alltag und den Lebensstil zu geniessen, für den die Christianitter gekämpft haben. Nils Vest produzierte den Film "Christiania, mein Herz gehört Dir", ein persönliches Dokument über das Leben in dem Freistaat.

Im Dialog mit den Behörden

Eine Zeitschrift für Dänemark über Christiania's Wirklichkeit erblickt das Tageslicht. Es ist "Nitten". Sie soll ein anderes Bild zeichnen als das der bürgerlichen Presse in den 80er Jahren, die bewusst versucht haben, ein Stadtviertel im Verfall mit Kriminalität und Gewalt zu schildern. Christianias Realität ist viel eher eine ökologische Stadt mit niedriger Ökonomie und bevorzugter Volks-Gemeinschaft.

Das Christiania-Sekretariat forderte eine Abmachung mit den Bewohnern von Christiania über die Bauaufsicht für die Gebäude und das Gelände. Der Freistaat wählte darauf eine Kontaktgruppe, die Sprachrohr für die Behörde sein sollte. Christiania feierte 20 Jahre Geburtstag und in der Zwischenzeit fielen die letzten Puzzle's auf den Platz für den Rahmenplan zwischen den Behörden und Christiania.

Die Gemeinschaftsbesprechungen und die Gebiete-Besprechungen brauchten viel Energie. Es waren lange und zornige Diskussionen und die Abmachung galt jeweils leider nur für ein Jahr und musste danach wieder neu verhandelt werden.

Als Antwort im ersten Vierteljahr-Bericht vom Sekretariat verlangt das Verteidigungs-Ministerium, dass der neue Fokus auf die Gebäude gelegt werden soll. Man hat anscheinend nicht bemerkt, dass Christiania eine technische Verwaltung etabliert hat, die die Aufsicht über die bautechnischen Renovierungen hat. Das Bauamt gibt Rat und Gebrauchsanweisung und führt eine Menge baugewerbliche Aufgaben durch. Die mehr als 100 Jahre alte Wasserleitung wurde repariert, welches zum drastischen Rückgang der Wasserrechnung führte und den Wasserverbrauch eminent reduzierte.

Christiania präsentierte somit seinen grünen Plan als ein visionäres Alternativ zum Lokalplan. Wiederverwertung von Wasser, Kompost und Küchenabfällen, alternative Energie, Hausboote im Wallgraben und Jugendhäuser aus Torf und Erde. 1992 steigt die Miete auf 800 Kr., doch die Behörde will nur 545 kr. für die Sozialhilfe-Klienten bezahlen. Nach langen Verhandlungen mit Hinweis auf den Christiania-Etat, welche die Finanzierung von den öffentlichen Institutionen dokumentiert und nach Verlangen der Aufsetzung von elektrischen Zählern in den Betrieben, akzeptiert die Behörde die Miete. Sie wissen auch, dass die Sozialhilfe-Klienten die billigsten in ganz Dänemark sind.

Das Kulturleben der Stadt blühte weiterhin. Unter anderem mit russischem Rock in der Opera, Tekkno im Jugendklub, Theaterkrieg in der Rockmaschine, Cabaret und Theater im Schwulenhaus. Tausende besuchten die Konzerte von Strictly Underground in der grauen Halle und es fanden Fussballturniere auf der Friedens-Weide statt. Neugierige Touristen aus der ganzen Welt studierten die Christiania-Fahrräder oder gingen auf Entdeckungstour auf dem Wallgraben.

Besetzt von der Polizei

Im September 1992 leitet die Polizei eine Kampagne ein, die Christiania vom Hasch reinigen sollte. Eine spezielle Christiania-Einheit wurde zusammengestellt, welche aus 70 Polizisten bestand, die das Gebiet Tag und Nacht überwachte. Die neue Repressionswelle gipfelte in einer 18 Monate langen gewalttätigen Kampagne. Der Haschverkauf war davon nicht wesentlich betroffen, jedoch führte die Polizei mehrere Male lebensgefährliche Situationen mit Schlagstöcken und Tränengas herbei, die Bambule und Barrikaden in der Prinzessestrasse auslösten.

Die Polizei führte regelmässig Leibesvisitationen an Unschuldigen durch wie z.Bsp. an Schulkinder und zufällig vorbeigehenden, nichtsahnenden Touristen - selbst der lokale Priester wurde mehrere Male durchsucht. Einmal mehr mobilisierte Christiania im Frühjahr 1993 alle Kräfte in einer Aktionswoche. "Woche 12 gegen Gewalt", mit Zirkus und Strassentheater, kleinen Gruppen mit dunkelblauen Fliegertrachten und Schildern auf dem Rücken mit der Aufschrift "Idioti", anstelle von Polizei. Eine Rechtsgruppe in Zusammenarbeit mit Anwälten und Amnesty International versuchte ebenfalls die Polizeieinsätze zu stoppen.

1993 ist das Jahr, in dem ein weiterer Dialog zwischen den Einwohnern des Freistaates, den Nachbarn, Juristen, Amnesty International, der Regierungs-Rechtsauswahl, der Presse und der Steuerungsgruppe von Christiania - ja sogar mit der Polizeileitung - stattfand. Die Polizeieinsätze wurden jedoch weiterhin durchgeführt.

Gleichzeitig befand es das Reichsarchiv für sinnvoll, Christianias Geschichte zu dokumentieren und bat die Aktivisten um archivarisches Material. Und das Bauamt führte eine umfangreiche Registrierung der Gebäude durch.

Antropopip führte in der grauen Halle die Show "Tiere und Klamotten" auf. Das Christiania-Aktionstheater bekam Unterstützung der europäischen Gemeinschaft zum weiteren Kampf gegen die Europäische Union. Die Freie Hasch-Bewegung feiert den 1. Mai mit einem riesigen Smoke-In im Gemeinschaftspark (Fälledparken). Loppen feierte das 20-jährige Jubiläum als lebender Erneuerer der Musikszene.

An der jährlichen Verhandlungen des Verteidigungs-Ministerium wurde eine Vereinbarung beschlossen zu einen kommunalen Beitrag einer Eigentumssteuer. Der Freistaat wurde auch zum Studien-Objekt für AKF (Amt und Kommune Forschungsinstitution).

Die Wissenschaftler erklärten, dass die Behörden von Christiania lernen könnten und dass die Erfahrungen der Einwohner von grossem globalen Nutzen seien. Am Jahresende gipfelte die 1 1/2 Jahre langen Polizeiaktionen mit Razzia und gewaltsamen Festnahmen auf dem ansonsten so idyllischen Weihnachtsmarkt. Nach einer Krisenbesprechung mit den Christianiten und dem Justizminister Erling Olsen wird der Weihnachtsfrieden gesichert, indem das spezielle Polizeikorps aufgelöst wurde.
Ausgangsportal der Freistadt Christiania in Kopenhagen, Dänemark.

Bild: Ausgangsportal der Freistadt Christiania in Kopenhagen, Dänemark. / Steffen Hildebrand (CC BY-SA 3.0 unported)

Bei einer Besprechung im Frühjahr 1994 mit dem Verteidigungsminister und dem Justizminister war der Ton widerum nicht sehr höflich und es wurde wieder einmal mit der Räumung gedroht, falls die Bewohner nicht den Hasch-Markt unter Kontrolle bringen. Christiania monierte jedoch, dass die Regierung die Drogen nicht unter Kontrolle hätten und somit die ganze Narkotikapolitik ein Fiasko wäre!

Amnesty International und die dänischen Krankenschwestern konnten massive Polizeigewalt nachweisen und nach mehreren Video-Dokumentationen und umfangreicher Debatte wird das sogenannte Beinschloss verboten. Die Regierung behandelte die dänische Narkopolitik ohne jede Formen von Neudenken. Dieses löst im März 1994 den ersten weltweiten Haschstreik in der Pusherstreet aus, hier wird die Arbeit niedergelegt im Protest mit der fehlerhaften Narkotikapolitik.

5 Tage wird kein Hasch in Christiania verkauft und es werden Smoke-Ins abgehalten, Unterschriften gesammelt und Unterstützungs-Demos gemacht gegen die harten Drogen in Vesterbro und eine Kampagne für "Pflanz einen Samen" ins Leben gerufen. Die Welt-Presse und der Justizminister besuchen Christiania um das Phänomen zu studieren. Nach dieser Demonstration gibt die Polizei für eine längere Periode die Überwachung in Christiania auf.

Das Ziel für die fernere Zukunft

Auf der sozialen FN-Topbesprechung nahm Christiania an der NGO-Konferenz auf Holmen teil und viele Aktivisten aus der ganzen Welt studierten, feierten und wohnten im Freistaat. 1995 ist die Kinderzahl so herangewachsen, dass die Eltern und Aktivisten eine neue 4. Kinderinstitution bauen mussten im Freistaat. Das ökologische Kinderhaus mit Sonnenkollektoren und organischer Toilette ist der erste Neubau für eine öffentliche Dienstleistung in Christiania. Die Gemeinschafts-Ökonomie verhindert leider den Start bis zum Sommer 1996.

Viele Kräfte für die "Bezahl Deine Gebrauchs-Miete"-Kampagne wurden aufgeboten, auch für die Diskussion der Rahmen-Abmachung und für das Verhältnis zur Steuerungs-Gruppe und den Behörden. Der Steuerungsrat initiierte eine "Gemeinschafts-Forum-Debatte" zwischen der Polizei und den Christianiten. Da man aber nur mit der Polizeileitung und nicht mit den allgemeinen Polizisten sprechen konnte, wies Christiania diesen Gedanken zurück.

Danach meinte die Steuerungsgruppe sie hätte getan, was getan werden konnte und löste sich selbst auf, das war Ende 1995. Neujahr 1995/96 teilt der Verteidigungsminister mit, dass Christiania als Musterbürger betrachtet werden kann, zumindest was die Bezahlung für die öffentlichen Mitteln betrifft. Die Kultur lebt weiter mit den neuen Christiania-Bands URD und Babajay, die beide CD's herausgaben.

In der grauen Halle, im Drachenflieger-Klub, in der Opera, Aussenkonzerte auf Dyssen und auf der Friedens Weide ziehen Techno- und Jungleraves, Tausende von jungen Leuten aus ganz Europa an. Gleichzeitig veranstalten Strictly Underground Konzerte mit den heissesten Bands, wie Alanis Morissette, Blur, Bob Dylan und Rage Against The Machine. Die Bewohner der Friedens Arche reparieren einen Holz Schwamm-Schaden in Millionenhöhe.

Im Juni 1996 versuchten der Verteidigungsminister und die Einwohner von Christiania einen länger währenden Entwicklungsplan zwischen dem Lokalplan von 1989 und Christianias grünem Plan herzustellen. Ob die Visionen der Bewohner innerhalb der vom Ministerium gesteckten Grenzen in dem selbstverwalteten grünen freien Staat realisiert werden können, wird die Zeit weisen.

Gleichzeitig bereitet sich Christiania für das 25 Jahre Jubiläum vor, mit einem riesigen Fest in den Tagen um den 26. September 1996 mit Zirkus, Theater, Ausstellungen, Konzerten und was sich ansonsten finden wird. Ein Foto-Postkarten-Buch in 6 Sprachen mit dem Titel "Christiania seit 25 Jahren" wird zu diesem Anlass gedruckt, heraugegeben von Irma Clausen und dem "Politisk Revy"-Verlag. Das Abenteuer ist noch nicht zu Ende...

Freunde und Freundinnen von Christiania

Vor beinahe 50 Jahren wurde das dänische Christiania in Kopenhagen besetzt - und ist bis heute Europas grösstes anarchistisches Projekt. In der Anfangszeit, 1976, haben dort diverse Leute einen Film gedreht (Christiania - Kommune in Kasernen), der kürzlich restauriert und online gestellt wurde. Hier:https://vimeo.com/ondemand/christiania

Ein seltener Blick auf unsere Geschichte der Anarchie.