Die Spanier fanden diese Sitte also weit verbreitet und griffen ein, als sie auch die erstaunliche Wirkung beobachteten; die katholische Kirche ächtete Coca als Teufelswerk. Das Verbot konnte aber nicht aufrechterhalten werden. Im Gegenteil wurde sogar unter herrschaftlicher Aufsicht der Anbau intensiviert, da man nur durch Coca in der Lage war, den Mangel an Güte und Quantität der Nahrung auszugleichen und die Arbeitskraft der versklavten Bevölkerung zu steigern. Ab dem 18. Jahrhundert wurde das Staatsmonopol für Coca aufgegeben, private Unternehmungen besorgten nun den Anbau.
Durch den Kolonialismus war Coca im 15. und 16. Jahrhundert nur eine von vielen Drogen, die Europa erreichte, und ihr wurde weniger Aufmerksamkeit als dem Tabak, Tee, Kaffee oder Opium geschenkt. Es herrschte auch keine Klarheit darüber, ob die der Coca zugeschriebene Wirkung nicht blosse Einbildung war, da die Blätter nach der langen Seereise kaum noch Wirkstoffe enthielten. Erst 1750 wurden Coca- Pflanzen untersucht und als Erythroxylum coca und Erythroxylum novogranatense klassifiziert (nur diese beiden Arten werden auch kultiviert), die zur Familie der Erythroxylazeen gehören, zu der mehr als 250 Arten gerechnet werden.
Die Gattung Erythroxylum ist die einzige natürliche Quelle des Alkaloids Kokain und verwandter Verbindungen. Die Erythroxylum novogranatense ist wegen der Fülle an Aromastoffen begehrt. Coca-Blätter dieser Art, denen das Alkaloid Kokain entzogen wurde, werden bei der Herstellung von Coca-Cola verwendet. Ab 1780 wurde Coca dann für Europäer interessanter, da festgestellt wurde, dass die Wirkungskraft nicht nur für Südamerikaner gilt. Coca-Blätter sollten auch ein fester Bestandteil von Schiffsvorräten werden. So führte das zunehmende Interesse zur weiteren Erforschungen der Pflanze.
1860 wurde dann erstmals das Hauptalkaloid der Pflanze isoliert und Kokain genannt. Die Wirksamkeit von Coca bei der Behandlung von Zahnschmerzen, Verdauungsstörungen und Neurasthenie ("Übererregbarkeit") gaben den Auftakt zur Anwendung als Heilmittel. Eine Zubereitung aus Cocablätterextrakt und Wein wurde nicht nur zu einem beliebten Getränk, sondern auch eine häufig genutzte Medizin. In den USA gewannen Coca und Kokain um 1860 immer grössere Popularität als Heilmittel und Stimulantium, was durch bekannte Persönlichkeiten und Berichte der medizinischen Presse gefördert wurde. Dort und in Europa beschrieben Publikationen auch die erfolgreiche Anwendung in der Heilung Morphiumabhängiger. Nach 1880 wurde damit begonnen, Kokain als Betäubungsmittel einzusetzen, bei der örtlichen Betäubung und vor allem bei Augenoperationen.
Nach dem ersten Weltkrieg, in den 20er Jahren, kam es zu einer ersten Kokainwelle in Deutschland. Schätzungen über die Zahl derer, die Kokain konsumierten - beliebt war insbesondere das Schnupfen -, gehen von mehreren Tausend GebraucherInnen aus, zum grössten Teil Künstler, Menschen der Boheme oder der begüterten Halbwelt. Das damals noch wenig bekannte Kokain wurde nach Kriegsende an Strassenecken, in Nachtcafes und in anderen Spelunken angeboten und war schon nach kurzer Zeit unter der Bezeichnung Koks verbreitet.
Kokainkonsum galt als modern; er wurde zu einem beliebten Gegenstand der Unterhaltungsliteratur und des Films. Auch Menschen der Oberschicht nahmen sich dieser Droge an; sie machten sie zum Mittelpunkt von Parties, von regelrechten Kokainnächten. Sportler, Schauspieler, Artisten und Menschen, die Nachts arbeiteten (Kellner, Pagen, Portiers, Musiker, Varietekünstler) schnupften sie, um ihre Müdigkeit zu bekämpfen und ihre Arbeitssituation besser zu ertragen. Doch der Konsum von Kokain in der Öffentlichkeit wurde problematisiert. Mediziner behaupteten, dass durch die Droge der Mensch moralisch verfalle, vor allem Frauen würde sie zu sexuellen Entgleisungen verleiten; schliesslich fehle den KonsumentInnen jedes Gefühl für Ordnung.
Kokain wurde illegalisiert, die Polizei griff verstärkt ein und der 'Kokainismus' ebbte ab, bis die Droge in den 40er und 50er Jahren kaum noch eine Rolle spielte. Neben der Illegalisierung war ein anderer Grund für den Rückgang des Kokaingebrauchs - insbesondere in den 30er Jahren - die Entdeckung des billigeren Amphetamins als Stimulantium. Erst in den 70er Jahren tauchte Kokain wieder auf, wurde in den 80er Jahren zur Modedroge finanziell bessergestellter Kreise, der KünstlerInnen, Intellektuellen, Yuppies und des "Rotlichtmilieus" und behielt einen Marktvorteil als Beweis, sich etwas besseres als Amphetamin leisten zu können.
GEBRAUCH
Neben ihrem Gebrauch bei religiösen Handlungen wurde und wird die Coca als Genussmittel benutzt. Sie kann auf verschiedenen Wegen appliziert werden: Kauen, Essen, Schnupfen - man kann aber auch einen Tee daraus machen. Aber am häufigsten wird Coca gekaut, vor allem im Anden-Hochland unter MinenarbeiterInnen, selten geschnupft; das Coca-Essen ist im Amazonas- Tiefland die gebräuchlichste Form des Konsums. Der Genuss bewirkt in der Regel eine Mobilisierung von Energiereserven, Verminderung des Appetits, lokale Betäubung, Erhöhung der Körpertemperatur, eine Verbesserung der Stimmung. Coca ist gehaltvoll an Vitaminen und Spurenelementen. Auf ihrem Weg zum Kokainhydrochlorid werden die Blätter durch Zugabe diverser Stoffe erst zur Kokapaste, danach zur Kokainbase. Die Paste ist das erste (Zwischen-)Produkt und kommt in den Produktionsländern als Bazuco auch auf den Markt.Es wird gewöhnlich durch Pfeifen geraucht, enthält aber weitere basische Substanzen, was den Konsum ungesund macht. Es ist billig und wie bei jedem Kokainderivat, das geraucht wird, beschreiben die Konsumenten den Rausch als sehr kurz und sehr high. Aus den städtischen Lumpensammlern Lateinamerikas rekrutieren sich die User. Nun wird vom grössten Teil der Bevölkerung dort ihre Gepflogenheit als Signal, des Lebens überdrüssig zu sein, verstanden, was den Raum für wirtschaftliche Interessengruppen verschiedener Provenienzen schafft, Todesschwadronen mit ihrer Exekution zu beauftragen. Bazuco-Konsumenten sind eine Hauptgruppe der Opfer der makaberen "sozialen Säuberungen" z.B. in Kolumbien.
Kokainhydrochlorid hingegen, das hierzulande handelsübliche Pulver, wird gewöhnlich geschnupft, seltener injiziert, gegessen oder auf andere Schleimhäute aufgetragen. Zusammenhänge seines Gebrauchs sind geselliges Beisammensein, Steigerung der Arbeitsleistung, Stimmungsaufhellung und sexuelle Stimulation. Als Effekte, die beim Konsum erlebt werden können, wurden Euphorie, verminderte Müdigkeit, Appetitverlust, Redseligkeit, angenehme Wunschbilder und Gedankenreichtum verzeichnet. An negativen psychischen Begleiterscheinungen wurden Unruhe, Ängstlichkeit, übersteigerte Erregbarkeit, Gereiztheit und Paranoia beschrieben.
Psychotische Zustände treten in seltenen Fällen bei intensivem Konsum ein und sind - wie die erwünschte Kokainwirkung selbst - fast ausnahmslos von kurzer Dauer. Wie z.B. ladenübliche Appetitzügler hat die Einnahme von Kokain einen blutdruck- und herzrhythmussteigernden Effekt - bei mässiger Dosis in weit weniger dramatischem Ausmass als es bei sportlicher oder sexueller Betätigung der Fall ist. Höhere Dosen (mehrere Gramm pro Tag) bergen jedoch höhere Risiken. Herzblutgefässe können kaputt gehen, Herzanfälle und -attacken können die Folge sein. Individuelle physiologische Besonderheiten - man gedenke der Tausenden Todesfälle, die aufgrund von Überempfindlichkeit gegen Insulin, Benlos, ASS, Paracetamol, Digitalisglykosiden u.a.m. sich ereignen ein - können selbstverständlich auch bei Einnahme dieser Droge tödliche Folgen zeitigen. Diese Quote ist aber auch hier marginal. (1)
Negative Auswirkungen dauerhaften Konsums können durch das Sniefen allerdings chronischer Schnupfen, Geschwürbildung und Eiterung der Nasenscheidewand sein. Überhaupt sind die heute verbreiteten Konsumformen Ursache manchen vermeidbaren Übels. Ähnlich wie beim Heroin werden von verelendeten Gebrauchern Konsumformen unter dem Gesichtspunkt der wirkungsmässigen Mobilisierung eines möglichst grossen Teils der teuer bezahlten Stoffmenge gewählt. Hinzu kommen dann noch Sekundärfolgen dieser Konsumweisen durch ihre staatliche Verwehrung: So entsteht vor allem durchs "Needle Sharing" das Risiko gegenseitiger Ansteckung mit HIV oder Hepatitis.
Will der Konsument Kokain rauchen und hat Kokainpulver (Kokainhydrochlorid) als Ausgangsstoff, wird er - nur wenn er reichlich hiervon hat - das Pulver in eine locker gestopfte, filterlose Zigarette (Cocarette) aufziehen und rauchen. Im üblichen Falle wählt er die Methode des Freebasing, die weitaus wirksamer ist, da eben prinzipiell nur basische Substanzen in der Lunge effizient genutzt werden. Hierbei wird der Schnee zunächst in Wasser gelöst, mit etwas flüssiger Base (Ammoniaklösung, Ätznatron oder Backpulver (Natriumhydrogencarbonat) versetzt und sanft erwärmt. Als Ergebnis hat der Kokain, wenn er genügend Base zugesetzt hat, nach diesem Schritt bereits die freie Kokainbase gelöst vorliegen. Um sie in reiner Form zu schöpfen, setzt er daraufhin ein Lösungsmittel zu. Gewöhnlich nimmt er Äther oder Benzol (beide wirklich leicht entflammbar/explosiv, giftig und schwer zu bekommen (2)).
Er gibt das nun zweiphasige Gemisch in seinen Perkolator (oben offener, unten mit Ablassrohr und Hahn versehener Glaszylinder), um die Phasen voneinander zu trennen. Ökonomisch rational gewinnt er aus der Interessanten der beiden das Lösungsmittel, das sich unter Normalbedingungen schnell verflüchtigt, unter Zuhilfenahme der üblichen Mittel zurück. Muss er/sie aber nicht. Es bleibt so oder so Cocainum basicum anhydricum domesticum zurück, kleine Kristalle, die in Pfeifen geraucht werden. Es wirkt so intensiv wie kurz. Diese Methode ist seit langem bekannt und die Herstellungsprozedur wird gewöhnlich von Endkonsumenten durchgeführt - von denen sich nicht wenige selbst in die Luft jagen.
Mitte der 80er kam in den USA Crack in Mode. Hier wird das Kokainhydrochlorid schon von den Händlern aufgebrochen und in "rock"- Form, als "Stein" verkauft. Die gleiche Prozedur wie beim Freebasing wird zunächst angewandt, doch auf das Lösungsmittel, die Reinigung, wird arbeitsreduzierender- und risikominimierenderweise verzichtet. Nach dem Erhitzen des mit Wasser und oben genannten Basen vermengten Kokainhydrochlorids wird die Lösung abgekühlt, woraufhin das Cocainum basicum ölteppichähnlich ausfällt. Es wird mit Nadeln rausgefischt, oder man seiht die Suppe durch einen geeigneten Filter ab. Crack (3) ist also Fast-Food-Freebase, das in der BRD auch als "Gossenkokain" bekannt ist. In der Praxis unterscheidet sich der eingeatmete Rauch in seiner stofflichen Zusammensetzung aber nicht bedenklich vom reinen Freebaserauch. (4) Das hellgräuliche Crack selbst enthält bloss weniger Kokainmasse, was wegen der geringen Menge, die zur wirksamen Dosis im Falle gerauchten Kokains vonnöten ist, kein Vermarktungsproblem darstellt. Dadurch wurde die Möglichkeit des Kokainkonsums für die armen Schichten in den "south-centrals" dieser Welt erst wirklich. Ein Portion kostet nicht mehr als $ 5.
Nicht selten wird auch ein Cocktail mit Heroin gemischt, "Speedball" genannt, der geraucht, geschnupft oder in Form einer wässerigen Lösung gespritzt werden kann. Wird der Cocktail noch durch LSD erweitert, erhält man den "Frisco Speedball", der meist injiziert wird. Mitte der 80er machte auch die sogenannte "space-base" Furore. Es handelt sich um Crack-rocks, die zusätzlich mit PCP (5), LSD, Heroin und anderen Drogen, von denen man sich versprach, das Kokain-High zu verlängern, versetzt waren. Häufig wird zum Kokain auch Alkohol beikonsumiert, was objektiv die Gefahren von Gesundheitsschäden erhöht und subjektiv den Rausch verstärkt. Zur konkreten Wahrnehmung der psychischen Wirkungen ist hier natürlich genauso wenig eine allgemeingültige Aussage möglich, wie diese bei anderen Drogen gemacht werden kann. Einen Konsumenten der Crack-PCP-Kombi aus Miami zu Rate gezogen, erhalten wir aber eine schöne Impression: "Two or three good doses of space-base and 'schizo-city here I come!'. It's wild, absolutely wild, and you can 't get it out of hand. You just can ' t do it all the time or you 'll fry your brains."
SAFER USE
Die jeweilige Konsumform ist auch Determinante der Gefahr: Irgendwann ist jede Nasenscheidewand aufgekokst, jede Arterie brüchig und sind alle Einstichmöglichkeiten vernutzt. Ein Folgeproblem des raschen Anflutens des Wirkstoffes mit gigantischem Kick, das sich beim Rauchen und Injizieren ereignet, ist der schwer zu bändigende Drang zur Auffrischung danach. Nicht alle Konsumenten erleben nach der Euphorie des Rausches auch die Dysphorie danach, doch es handelt sich hierbei um ein verbreitetes Phänomen. Bei Rauch-/Spritzgelagen ist dabei nicht das Problem, dass eine grössere Substanzgesamtmenge als z.B. beim Sniefgelage konsumiert würde, sondern dass das schnelle Auf- und Abfluten der Kokainkonzentration im Hirn den Neurotransmitterhaushalt tiefer zerrüttet. Dies muss keine negativen Konsequenzen zeitigen, doch erfahrungsgemäss wird es jeder Intensiv-User irgendwann leid. Wenn es zu bunt wird, mal in Urlaub fahren - diesmal vielleicht nicht nach Südamerika.Eine physiologische Abhängigkeit, vergleichbar der von Opiaten oder Alkohol, kann sich beim Kokain gleichwohl nicht einstellen. Auch kann nicht die Rede davon sein, dass die Wahl der jeweiligen Applikationsform notwendig ein intensives Konsummuster zur Folge habe. Ein Bruchteil aller Kokainprobierer erlebte je Phasen intensiveren Konsums. Dieser Bruchteil reduziert seinen Konsum und steigt auf sanftere Applikationsmethoden um, wenn körperliche Probleme auftreten. Oder man quittiert seinen Konsum aufgrund finanziellen Ruins, der bei den heutigen Preisen schnell drohen kann. Schliesslich sollte man eingedenken, dass die Leistungsfähigkeit zwar real gesteigert ist, mehr Körper dem Geist gehorcht, doch mit dem maximalen Ausschöpfen dieser Möglichkeit das Risiko von Herzklabastern ungleich höher ist; auch sonst ist es eher unangenehm, nach der Leistung nicht fünfminütig, sondern halbstündig mit einem Puls von 160 im Sessel zu hecheln.
MYTHENPRÄVENTION
Die neuerliche Sympathie und Bonanza des Kokain hat weniger mit hochkonspirativen Absprachen zwischen US-amerikanischer Cosa Nostra und kolumbianischen Gangsterbossen zu tun, als mit kontinuierlich verschärften Bezugsbedingungen von Amphetamin und seinen Freunden. Dem Rush in den USA gingen weiter Schläge gegen die illegale Umleitung des für medizinische Zwecke produzierten Speeds voraus. Die Träger des akkommodierten und aufstrebenden Leistungswillens, welche die 80er charakterisieren, verlangten förmlich nach ihrem Mittelchen, Tiefphasen zu überbrücken. Kokain leistet dies und ist mit einem Preis von 100 bis 250 DM pro Gramm im Endhandel zudem noch exklusiv.Doch überall mythenumwobener als das Kokainhydrochlorid ist das Crack: Heute über einen Crack-Stein gestolpert, wird die Mutter sofort süchtig, kloppt ihr im Mutterleib crackdeformiertes Kind in die Tonne, um sich nun voll und ganz dem Morden zu widmen - so wollten es staatliche Drogenzaren und massenmediale Reporter Mitte der 80er in jeder amerikanischen Grossstadt täglich beobachtet haben. Wo liegt der Anlass dieser willkürlichen Stigmatisierung? Nun, Crack hatte Pech. Gerade als die Substanz sich unter neuem Namen auf dem Markt starker Beliebtheit erfreute, wurde "den Drogen" durch die US-Regierung der Krieg erklärt. Von "neuen" Drogen auf dem illegalen Markt wird durch die Bürger meist "noch Schlimmeres" erwartet. Es lässt sich zumal manche Schlagzeilen sicher stampfen, wenn es sich bei den Konsumenten um Angehörige der metropolitanen Unterschicht handelt. Diese sozial Stigmatisierten haben im Kampf ums Überleben in der Regel die Freiheit, zwischen Mac Job und illegaler Vermögensaneignung zu wählen.
Die Kriminalitätsrate stieg indes nicht besonders an, als Crack kam. Aber man hatte über Crack mal wieder eine religiöse Erklärung herbeigeredet, warum nicht die kapitalistischen Verhältnisse die Menschen auf Kriminalität bringen - die ja auch nichts weiter als eine innerkapitalistische Setzung ist. Agens sei "die Droge", die die schwachen oder schlechten Mitglieder der Gesellschaft zu Marionetten des Bösen mache. Das Kokainhydrochlorid schützte seine gutsituierte Konsumentenschar indes vor solch massloser Hetze. Unter breitester Zustimmung wurden nun Gruppen südamerikanischer ImmigrantInnen hoppsgenommen. Länder im Hinterhof an die Leine gelegt, deren Bürger in US-Augen Kokainproduktion angeblich hauptsächlich toll finden, weil sie damit das amerikanische Volk vergiften. Kokainunternehmer in Kolumbien wurden zu dem Zerrbild des Unmenschen, für das die Sowjetunion allen Reaganschen Dementis zum Trotz ausgedient hatte.
From bench to bedside: Es folgte keine höhere Rate intensiver Crackkonsumenten als intensiver Kokainkonsumenten auf den Erstkonsum. (6) Ja, die Fortsetzungsrate des Kokain-/Crackkonsums erwies sich gar als geringer als bei den meisten anderen Drogen. (7) Fast müssig auch zu sagen, dass von behaupteten Todesfällen wegen Crackrauchens der grösste Teil sich als anderer Ursachen geschuldet erwiesen.
Auch beweisen seit den 60ern Naturwissenschaftler durch Tierversuche, in denen sich z.B. Affen durch einen rücklings befestigten Apparat Kokain selbst injizieren können, dass Kokain erstens körperlich abhängig mache und zweitens der Drang zur Suchtbefriedigung sogar so stark sei, dass diese Affen sich nach kurzer Zeit tödlich überdosieren. Es sticht bei diesen Versuchen die Tristesse der Umgebung ins Auge, in der Affen sich durch Injektionen Abwechslung verschaffen müssen: Teilweise hungrig, einzeln in kleine Käfige gesperrt und nur über diese Möglichkeit zum Spielen verfügend, würden die Tiere wohl auch Arsen sich solange applizieren, bis der Tod sie ereilte. Sobald das Setting aufgelockert wird, andere Betätigungsmöglichkeiten offen stehen, setzt denn auch das skandalisierte Phänomen aus - und die ohnehin kaum plausibel beweiskräftige Analogisierung von Mensch und Tier erweist sich als Dummheit oder Betrug.
Der letzte Schrei sind Crack-Babys. Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft Crack rauchen, sollen physisch und psychisch deformiert und "süchtig" zur Welt kommen. Diese Vorurteile sind medienkreiert. Kein Verlangen nach Kokain konnte bei unter solchen Bedingungen Neugeborenen ausgemacht werden. Untersuchungen ergaben, dass anders als z.B. bei Ratten die menschliche Plazenta die Menge aktiven Kokains durch Metabolisierung minimiert. In hohen Dosen reduziert Kokain/Crack den Blutstrom von der Mutter zum Fötus. Dies führt aber nicht zu Gefässschäden beim Fötus. Schädigungen des Fötus' ereignen sich in seltenen Fällen eventuell an Harn- und Geschlechtsorganen. Doch auch der Ursprung dieser im Kokain-/Crackkonsum muss ungesichert bleiben, da einem Konsum anderer Drogen während der Schwangerschaft nicht ausreichend nachgegangen wurde. (8)
Wir wissen nicht viel über die Interdependenz zwischen Kokain und dem Gehirn des Säuglings, doch erscheint hiermit befassten Forschern die Wahrscheinlichkeit cardiovascularer oder zentralnervaler Schäden gering. Es wird gemeinhin angenommen, dass das zentrale Nervensystem des Kindes sensibler sei als das Erwachsener. Doch es ist genauso gut möglich, dass gegenteiliges beim Kokain der Fall ist. Einige Drogen sind für den Säugling schädlicher als für Erwachsene, bei anderen ist dies umgekehrt. Wir wollen nicht ausschliessen, dass Kokain/Crack irgendein Risiko für den Fötus darstellt, aber die höhere Zahl kriminalisierter Gebraucher von Crack als von Kokainhydrochlorid erklärt sich einzig als der ihrer unterprivilegierten sozialen Situation. Und auch Schwangerschaftsrisiken sind unter Slumbedingungen höher als ausserhalb.