In meiner Eigenschaft als Autorin und Referentin für feministische Theorie bin ich in jüngster Zeit mehrmals zur Adressatin von Rassismusvorwürfen geworden. Kurz gesagt, wurde mir von queerfeministischer Seite vorgeworfen, die Rechte meiner weissen Sprecherinnenposition auf diskriminierende Weise zu überdehnen – indem ich über die Ausgrenzung von Sinti und Roma gesprochen hatte und über den islamistischen Kopftuchzwang als eine frauenfeindliche Praxis, die sich mehrheitlich gegen women of color richtet. Stattdessen hätte ich mich damit bescheiden sollen, Betroffene zu Wort kommen zu lassen, Volksvertreterinnen sozusagen, die authentisch die letzte Wahrheit zum Stand der Dinge verkündet hätten. Dieses nicht einzusehen, sondern darauf zu beharren, als westliche Feministin das Recht und auch die Verantwortung zu haben, mich mit der Situation nichtweisser und nichtwestlicher Frauen und anderer Menschen auseinanderzusetzen – das zeige nur meine Unfähigkeit, Kritik anzunehmen, und damit unverbesserlichen Rassismus.
In der gängigen Forderung, Whities, Kartoffeln, Bleichgesichter etc. hätten in antirassistischen Interventionen gefälligst die Klappe zu halten und kommentarlos solidarisch zu sein, zeigt sich nicht allein das verständliche Ansinnen, migrantischen GenossInnen die grössere Definitionsmacht zuzusprechen. Darin zeigt sich auch die bemerkenswerte westliche Selbstverachtung queerfeministischer Aktivistinnen, die alle möglichen Marginalisierten bemuttern (ob die es nun wollen oder nicht), mit dem Ziel, damit die Schuld ihrer gesellschaftlichen Privilegien abzuarbeiten, die sich in weisser Haut, deutschem Pass, Hochschulabschluss und der Nichtbetroffenheit von Behinderung und Transgeschlechtlichkeit äussern.
Bemerkenswerterweise aber werden diese Feministinnen scham- und zornrot, wenn es darum geht, für ihre Rechte als Frauen auf die Barrikaden zu gehen. Der reflexhafte Verdacht gegen frauenrechtliches Engagement, ob dieses denn wirklich alle, die sich als Frauen verstehen, einbeziehe, erhält die Position der Fürsorgerin und lenkt vom eigenen Opferstatus ab. Auf den Punkt bringt es ein Aufruf des Leipziger Bündnisses Feministischer Kampftag 12.03.2016 (das nicht zufällig den Namen »Frauentag« weit hinter sich gelassen hat): »Wir wollen einen Feminismus, der antirassistisch ist. […] der antikapitalistisch ist. […] der Herrschaft ablehnt. […] Wir wollen […] einen Feminismus, der für mehr ist als ›Gleichheit‹ und ›die Befreiung der Frau‹. […] einen Feminismus, der queer und trans* ist.«
Der Punkt ist also, dass der Queerfeminismus die grundlegende feministische Anklage, die der Frauenunterdrückung, nicht mehr auf den Punkt zu bringen vermag. Der Fokus liegt auf Geschlechtervielfalt, Antirassismus und auf der Ablehnung von Unterdrückung ganz allgemein: Das Thema Frauen wird zum einen ins Unkenntliche diversifiziert und zum anderen gemieden, nur in der Abgrenzung vom präbutlerschen Feminismus benannt, der eben vieles noch nicht berücksichtigt habe.
Judith Butlers Adeptinnen propagieren ein Geschlechterverständnis, das auf Selbstaussage statt auf der Analyse gesellschaftlicher Zuschreibungen beruht. Diese unglückliche Verallgemeinerung einer (an sich sinnvollen) transgender-politischen Strategie verspricht freie Wahl des individuellen Gender-Identity-Tickets anstelle der frustrierenden Beschäftigung mit der herrschenden Zweigeschlechtlichkeit und ihren Zwängen, zu denen die Einzelne samt ihren Bedürfnissen immer schon in leidvollem Widerspruch steht. Queerfeministinnen sind ideologisch nicht mehr genötigt, sich mit der benachteiligten weiblichen Subjektposition zu identifizieren. Obwohl – oder gerade weil – die Konfrontation mit der frauenfeindlichen Aussenwelt ganz unvermeidbar ist, wird dank vielfältigster Geschlechterdefinitionen und im geschützten Raum der queeren Szene ausgeklammert, welche alltäglichen Angriffe und Kränkungen das Patriarchat allen seinen als Frauen kategorisierten Insassinnen beschert.
Wir haben es also mit einem Feminismus zu tun, dem das politische Subjekt Frau abhandengekommen ist. An den distanzierenden Anführungszeichen, in die das Kampftagsbündnis die Begriffe »Gleichheit« und »Befreiung der Frau« einkleidet, lässt sich der Ernst der Lage ablesen. Ein Feminismus, der für mehr stehen will als Gleichheit und Befreiung der Frau, hat in der Regel mit beidem nichts mehr am Hut. Dass gleiche Rechte für Frauen und die Freiheit von den Zumutungen des weiblichen Geschlechtscharakters überhaupt politische Ziele sein könnten, ist hier, wenn noch nicht ad acta gelegt, so doch ernsthaft in Frage gestellt. Es ist dann nur folgerichtig, die alltägliche patriarchale Ausbeutung z. B. von Hausfrauen, Putzfrauen und Prostituierten im Sinne der Entscheidungsfreiheit schönzureden und die Überlebensstrategien dieser Frauen in selbstbewusstes und vielfältiges Empowerment umzumünzen.
Der Feminismus, dem die leidenden Frauen abhandengekommen sind, sucht sich konsequenterweise andere Schlachtfelder – er übt sich, als Teil der postkolonialen Linken, hauptamtlich in kultureller Sensibilität. Der antirassistische Fokus, den schwarze Aktivistinnen völlig zu Recht in die feministische Debatte brachten, erfüllt dort heute eine eigentümliche Stellvertreterfunktion als Hauptwiderspruch. Das zeigt sich besonders in der Abwehr von Islamkritik. Der Islam wird dabei »als Religion der Unterdrückten verstanden und darüber hinaus zum Kernbestand kultureller Identität der Marginalisierten und Ausgegrenzten« erklärt.
Einer Politikauffassung zufolge, die den Standort der Sprecherin und ihre Betroffenheit von verschiedenen Formen der Diskriminierung verabsolutiert, dürfen nichtmuslimische Feministinnen einerseits keine inhaltliche Position zum Islam beziehen; andererseits stehen sie in der Pflicht, sich mit MuslimInnen als unterdrückter Minderheit zu solidarisieren. Wie diese ihrerseits zu Frauenrechten stehen, fällt nicht ins Gewicht.
Das Verdikt, Kritik zu äussern, verträgt sich dabei ausgezeichnet mit dem Vorwurf der Islamophobie. Die muslimische Journalistin Sineb El Masrar beschreibt Islamophobie als Kampfbegriff iranischer Islamisten, der gezielt die Kritik an islamischen Praktiken zur Beleidigung aller MuslimInnen ummünze und damit zumindest in die Nähe zum Rassismus rücke.
Wer den Islam oder Muslime aus nichtmuslimischer Perspektive kritisiert, darin sind sich Islamisten und Queerfeministinnen einig, argumentiert also unweigerlich rassistisch. Folglich kann es keine angemessene (oder auch schlicht unzutreffende) Islamkritik geben; westliche Feministinnen hätten in der Auseinandersetzung mit dem Islam keine weitere Möglichkeit, als sich mit den Kämpfen muslimischer Feministinnen zu solidarisieren – oder aber im antimuslimischen Rassismus zu landen. Im zweiten Fall bedienten sie den rechten Diskurs und stünden, wie eine anonyme Kritikerin mich beschuldigte, »auf einer Linie mit Alice Schwarzer und Thilo Sarrazin.« Der Vergleich verdeutlicht, welchen Stand gleichheitsfeministische und säkulare Forderungen im Queerfeminismus innehaben.
Abschliessend sei gesagt, dass ich den Begriff des antimuslimischen Rassismus durchaus für sinnvoll halte – obwohl er häufig analog dem der Islamophobie benutzt wird, nämlich um Islamkritik grundsätzlich zu denunzieren. Dennoch lässt sich die grassierende Feindlichkeit, wie sie am offensivsten Pegida, die AfD und die AnzünderInnen von Flüchtlingsheimen hegen, als spezifisch gegen MuslimInnen als solche gerichteter Rassismus beschreiben: Der Islam wird zum grossen Gegenspieler des heimischen Abendlandes halluziniert, das von den fremden Sitten und Gebräuchen, die den muslimischen Zuwanderern unabänderlich zu eigen wären, überrannt werde. Der Rassismus argumentiert also nicht mehr nur biologistisch, sondern auch er hat einen cultural turn vollzogen.
Ideologiekritisch betrachtet, haben antirassistische Queerfeministinnen – die in der Flüchtlingshilfe durchaus Gutes tun – wenig entgegenzusetzen, wenn NazibürgerInnen die islamische Religionszugehörigkeit zum »rassischen«, das heisst unveräusserlichen Merkmal von MigrantInnen besonders aus dem Nahen Osten erklären.
Zweite Frauenbewegung und Materialismus
Was lässt sich diesem argen Treiben entgegensetzen? Der skizzierte queere und postkoloniale Feminismus ist heute zwar nicht der einzig vertretene, aber er hat seinen Marsch durch die Institutionen längst begonnen und ist in den Sozial- und Geisteswissenschaften, in linker Politik und Pädagogik wirkmächtiger und strahlkräftiger als jede andere feministische Strömung. Die Veteraninnen der Zweiten Frauenbewegung, mögen sie es im Einzelfall auch zur Gleichstellungsbeauftragten oder zur Professorin gebracht haben, erweisen sich dieser Entwicklung gegenüber als erstaunlich widerstandslos.Der EMMA-Feminismus um Alice Schwarzer hingegen lässt sich in seinem unerbittlichen Blick auf sexistische Missstände nicht von einem falsch verstandenen und entmündigenden Antirassismus beirren. Auch die islamische Frauenunterdrückung in Deutschland sowie etwa im Iran wird hier seit Jahrzehnten thematisiert, dabei wird nach pragmatischen, realpolitischen Lösungen gesucht: aktuell etwa mit einem Forderungskatalog zur Flüchtlingsintegration, der genügend Frauenhausplätze für geflüchtete Frauen ebenso auflistet wie eine konsequente Ahndung mangelnden Respekts gegenüber Polizistinnen, Sozialarbeiterinnen und anderen seitens männlicher Flüchtlinge.
Jedoch tendiert EMMA gerade in diesem erfrischenden Positivismus zunehmend zur Versöhnung mit der Nation: In vielen neueren Beiträgen dominieren das Wohl und Wehe der deutschen Frau, der deutschen Familie und des deutschen Rechtsstaats, die vor Zuwanderern und Bordellen in der Nachbarschaft geschützt werden müssen. Antisexismus ist hier – bei allen treffenden Analysen des Status quo – zum staatstragenden Argument geworden und EMMA damit für einen linksradikalen Feminismus leider nur begrenzt anschlussfähig.
Dennoch kommt man nicht um eine eingehende Beschäftigung mit der Zweiten Frauenbewegung herum, in der Schwarzer, auch aufbauend auf den Ideen von Simone de Beauvoir, federführend war. Die Zweite Frauenbewegung, die sich im Zuge der 68er-Bewegung in Nordamerika und Westeuropa etablierte, bildet den politischen Ausgangspunkt eines materialistischen Feminismus, der bestenfalls auf Erkenntnisse des historischen Materialismus, der Psychoanalyse und der Kritischen Theorie zurückgreift. Gegenwärtig denken ihn etwa Andrea Trumann, Roswitha Scholz und Susie Orbach weiter.
Grob gesagt, geht der materialistische Feminismus in der Betrachtung der Frauenfrage, anders als der Queerfeminismus, vom Vorrang des Objekts gegenüber den Imaginationen des Subjekts aus. Dies Objektive ist in erster Linie die patriarchale Unterdrückung auf allen Ebenen der Gesellschaft: in Familie, Partnerschaft und Sexualität, in Bildung, Beruf und Politik. Es handelt sich um eine strukturelle Benachteiligung, die eng mit der Wertvergesellschaftung zusammenhängt und mit dem globalisierten Kapitalismus universal geworden ist – allen kulturellen, sozialen und individuellen Differenzen zum Trotz.
Sie richtet sich gegen Frauen als Trägerinnen der weiblichen Subjektform, in der die Zumutungen und die Versprechen des bürgerlichen Subjekts mit der Bürde der Reproduktion gepaart sind: Frauen gelten ungeachtet des Imperativs zur Verwertung ihrer Arbeitskraft, der unterschiedslos an alle Subjekte ergeht, als Objekte männlicher Herrschaft, als Repräsentantinnen von Körperlichkeit, Liebe und Sexualität. Es sei nicht ein geteiltes Wesen, das alle Frauen vereine, sondern ein geteiltes Problem, so hat es Herta Nagl-Docekal einmal zusammengefasst (und dabei gleichzeitig eine Grenze zu Essenzialismus und Esoterik gezogen, die schon früh einige Teile der Frauenbewegung aufsogen). Der materialistische Feminismus macht die patriarchale Gesellschaft zum Gegenstand seiner Kritik und berücksichtigt dabei die Existenz einer Geschlechtsnatur, die sich in ständigem Konflikt mit der gesellschaftlichen Zurichtung entwickelt – statt sie, wie der Queerfeminismus, zu leugnen.
Er versucht, die Lust, das Begehren und den Zorn von Frauen zu reklamieren: gegen den Hauptfeind dieser Affekte, die weibliche Sozialisation. Die Kritik an der weiblichen Sozialisation als einem äusserst repressiven Vergesellschaftungsprozess birgt zumindest das Potenzial einer Kritik patriarchal verfasster Religionen. Mona Eltahawy, die in Ägypten, Grossbritannien und Saudi-Arabien aufwuchs, stellt fest: »Es braucht einen starken Überlebenswillen, um die kulturellen und religiösen Zwänge zu überwinden und zu sagen: ›Ich will Sex. Es ist mein Recht, Sex zu wollen. Ich freue mich an der von mir empfundenen Lust.‹«
Das Unvermögen, eigene Bedürfnisse zum Beispiel nach Genuss und Machtausübung zu erkennen und zu artikulieren, und die fatale Konsequenz, sich stattdessen für Andere aufzuopfern, sind konstituierende Bestandteile weiblicher Subjektivität und werden Frauen vom ersten Atemzug an einsozialisiert. Die Zweite Frauenbewegung trat auf den Plan, just als die ökonomische Lage die Einbindung von viel mehr Frauen in den Produktionsprozess erforderte und damit den Subjektstatus der Frauen stärkte. Diese feministische Generation nutzte den günstigen historischen Moment, die jahrhundertealte weibliche Selbstverleugnung und -aufopferung plus die damit zusammenhängende Verdrängung weiblicher Aggressivität zu erkennen und zu kritisieren.
Im Queerfeminismus ist diese so wichtige wie schmerzhafte Einsicht zugunsten nur imaginierter (Selbst-)Befreiungen zurück ins Unbewusste gesunken, wodurch die genannten Mechanismen sich wieder unreflektiert reproduzieren können. Geschlechterdefinitionen wie genderfluid oder agender, nach denen die Welt sich bitteschön gestalten möge, damit man nicht verletzt werde, sind solche reizvollen, zutiefst narzisstischen Realitätsumdeutungen, die mit den objektiven Ketten des Frauseins nicht in Berührung kommen wollen. An derjenigen, die diese Berührung dennoch anstrebt, entlädt sich die unverkennbare passiv-aggressive Selbstverachtung queerer Wohlfühloasen. Kein Wunder, wenn Queerfeministinnen beispielsweise den Kampf westdeutscher Frauenrechtlerinnen um die Teilhabe am Berufsleben verurteilen, weil sie darin nur den Aspekt sehen können, dass ein Teil der verschmähten Hausarbeit in der Folge auf Migrantinnen in prekären Arbeitsverhältnissen abgewälzt wurde. Die Queerfeministin kann für ihre Rechte nur in grosser, aber kaum wirkmächtiger Pose eintreten: im Rahmen von strenger Sprachregulation und unter Einbeziehung aller Unterdrückten dieser Erde – womit die frauenrechtliche Perspektive konsequent vernachlässigt wird.
(Ex-)muslimische Feministinnen
Wenn materialistische Feministinnen heute in der Minderzahl sind und die Schnittmenge mit dem hegemonialen Queerfeminismus überschaubar ist – welche feministischen Akteurinnen kommen als Diskussions- und Bündnispartnerinnen und als Denkanstoss in Frage? Meine These lautet, dass es sich lohnt, das kostbare Erbe der Zweiten Frauenbewegung mit bestimmten muslimischen und exmuslimischen Feministinnen zu diskutieren. Damit meine ich Feministinnen, die in islamisch geprägten Staaten oder Communitys aufgewachsen sind, in Europa oder den USA gelebt haben und diese biographische Erfahrung zum Ausgangspunkt ihres Kampfes für die Durchsetzung universaler Frauenrechte auf säkularer Grundlage gemacht haben. Dazu gehören Mona Eltahawy und Sineb El Masrar, Mina Ahadi, Necla Kelek und Ayaan Hirsi Ali. Nicht dazu gehören muslimische Feministinnen wie die von vielen Linken hofierte ehemalige taz-Kolumnistin Kübra Gümüsay, die sich gegen Rassismus und Islamophobie engagiert, zugleich aber dem Salafismus eine offene Flanke bietet, der immerhin die Jugend von der Strasse hole.Auch Reyhan Sahin alias Lady Bitch Ray, die jede Islamkritik als Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft verunglimpft, ist kaum des feministischen Universalismus verdächtig. Anders als Gümüsay und Sahin ruft etwa Sineb El Masrar Musliminnen nicht allein zum Einstehen für ihre Rechte als Angehörige einer religiösen Minderheit auf, sondern auch zur kritischen Reflexion von Glaubensinhalten: »Muslimas müssen sich auf Augenhöhe und ohne Tabu selbst artikulieren dürfen, auch wenn ein Kopftuch manche nichtmuslimische Feministin irritieren mag. Kritisch wird es jedoch bei jenen muslimischen Feministinnen, bei denen die Solidarität für andere dort endet, wo sie entscheidend weitergehen müsste. Die Solidarität mit nicht verhüllten oder verhüllten Muslimas sowie mit muslimischen LGBTs oder mit Muslimas, die bireligiöse Beziehungen befürworten, oder mit jenen, die sich von der Religion abwenden […]. Positionen wie diese stellen für manche politisierten Muslime einen schweren Verlust und eine Schwächung der Umma [der islamischen Glaubensgemeinschaft, K. L.] dar. Doch in einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren in Europa, wo Akzeptanz für die eigene Lebensform gewünscht und eingefordert wird, muss auch dies von jenen Muslimen ausgehalten werden, die solche Lebensformen persönlich nicht erstrebenswert finden.«
Die Forderung nach der Selbstaufklärung muslimischer Communitys ist ein zentraler Punkt in der Argumentation dieser (ex-)muslimischen Feministinnen – der gerade die westliche Linke zum Nachdenken bewegen sollte, die in ihrer alles dominierenden Angst, rassistisch zu sein, gerne glauben möchte, islamistischer Terror, Ehrenmorde an weiblichen Familienmitgliedern und antisemitische Parolen in Berlin-Neukölln hätten nichts mit dem Islam zu tun. Gegen die unerbittliche Toleranz, die reaktionären MuslimInnen auch von Queerfeministinnen entgegengebracht wird, kommt Mina Ahadis Appell an die westliche Zivilgesellschaft: »Bitte mischen Sie sich ein!«, bisher nicht an.
Sowohl vom kulturalistisch geprägten Feminismus als auch von muslimischen Organisationen und Communitys werden säkulare muslimische und ex-muslimische Feministinnen als Nestbeschmutzerinnen diskreditiert, die ihre Kultur und Religion verraten. So beklagt die Kommunistin Ahadi, dass sie von Pegida eingeladen werde, nicht aber von den linken deutschen Parteien. Dass ihre Veranstaltungen unter Polizeischutz stattfinden und ihr Name nicht am Klingelschild steht, verdankt sie hingegen ihren muslimischen Feinden.
El Masrar, Herausgeberin eines multikulturellen Frauenmagazins in Deutschland, nimmt eine herausragende Pionierinnenrolle ein, wenn sie feststellt: »Die Litanei von ›Islam ist Frieden‹ und ›Die Terroristen sind keine Muslime‹ oder ›Das Töten hat mit dem Islam nichts zu tun‹ fordert nur mehr Leid. Es gilt, sich mit der islamischen Expansionsgeschichte zu beschäftigen, um verstehen zu können, warum muslimische Terroristen sich mit ihren Handlungen auf den Koran, die Hadithe und die Scharia berufen können. Dass sie eine Perversion des Glaubens betreiben, wird nur von Ignoranten in Abrede gestellt. Es gilt, sich mit der Realität, der Geschichte und den Quellen auseinanderzusetzen und anzuerkennen, dass das Leid vor allem von muslimischen Gelehrten und Herrschern legitimiert und befeuert wurde, und dass dies bis heute anhält.«
Bedenkenswert bleibt, inwieweit es mit der alltäglichen antimuslimisch-rassistischen Diskriminierung zu tun hat, dass Muslime die Tatsache stärker abwehren als zum Beispiel Christen, dass eine Menge orthodoxer und militanter Fanatiker im Namen ihrer Religion zerstören, vergewaltigen und morden. Der Mangel an scharfer innermuslimischer Kritik, wie El Masrar sie leistet, mag durchaus mit der gegenwärtigen historischen und politischen Situation des Islam zusammenhängen, auf die ich hier nicht eingehen kann. El Masrar wie Mona Eltahawy betonen, wie konflikthaft sich Emanzipation für MuslimInnen auch auf ganz persönlicher Ebene gestaltet – dass die Drohung sehr präsent ist, von der Dichotomie westlicher versus islamischer Lebensstil zerrieben zu werden. Besonders Frauen und Mädchen, aufgrund ihrer Erziehung eng an die Familie gebunden, sei es kaum möglich, einen eigenen Weg zwischen Herkunftscommunity und der Anpassung an die rassistisch geprägte westliche Gesellschaft zu suchen.
Necla Kelek und Ayaan Hirsi Ali sind für patriarchale Strukturen im Westen unempfindlich. Bei aller Enttäuschung über den bornierten queeren Antirassismus schmerzt ihre daraus resultierende Anschlussfähigkeit für antimuslimische Politik: So war Hirsi Ali Abgeordnete der rechtsliberalen Partei der Niederlande, weil diese die Zuwanderung besonders von MuslimInnen stark reglementieren will; und Keleks Sympathien für die deutsche Leitkultur reichen tatsächlich bis zum Schulterschluss mit Sarrazin. El Masrar dagegen sieht entscheidende Parallelen zwischen muslimischer und westlicher Frauenunterdrückung. Sie vergleicht die organisierte Frauenverachtung und -instrumentalisierung von Männerbünden wie den Salafisten oder den Muslimbrüdern mit rechten Strukturen hierzulande. Auch sieht sie Ähnlichkeiten im sexistischen Gebaren von scheinbar modernen Familienvätern, die islamistischen Strömungen anhängen, und andererseits jungen westlichen Intellektuellen, die sich von ihren Freundinnen mit grösster Selbstverständlichkeit Kaffee kochen und die Hausarbeiten schreiben lassen: »Die Kontrolle über die Frau gleicht dabei einem schützenden Dach, unverzichtbar für jede Kultur, für alle Religionsgelehrten und für die Gesellschaft sowieso.«
Eltahawy analysiert das in arabischen Ländern brodelnde »giftige Gebräu von Kultur und Religion«, das demokratische Entwicklungen behindere – vor allem zu Lasten der Frauen. Sie berichtet von der auf den Strassen Ägyptens wütenden sexuellen Gewalt, die sich hervorragend von den um ihre Vormachtstellung ringenden Muslimbrüdern instrumentalisieren lässt, um Frauen aus dem öffentlichen Raum und damit von direkter politischer Partizipation fernzuhalten. Eltahawy setzt dabei auf den Graswurzelansatz vor Ort: Sie lebt zeitweise wieder in Kairo, um dort in regionalen Frauengruppen zu arbeiten, und bezeichnet sich in der Tradition von Audre Lorde und bell hooks als Dritte-Welt-Autorin. Sie ist bemüht, an verschüttgegangene Emanzipationsbestrebungen muslimischer Frauen anzuknüpfen; beispielsweise führt sie »die grossen arabischen Dichterinnen des Verlangens« verschiedener Jahrhunderte an oder die westlich gebildete Ägypterin Huda Sharaawi, die 1923 öffentlich den Schleier ablegte und damit eine Bewegung gegen das Kopftuchtragen einläutete. Eltahawy beleuchtet die verheerende Dynamik, dass seither »die Verteidigung der Frauenrechte der Kolonialmacht zugeschrieben wurde, und den Gegnern von Besatzung und europäischer Einflussnahme auf diese Weise unmöglich gemacht wurde, den Hidschab zu kritisieren, ohne dass es so aussah, als würden sie sich auf die Seite des Westens schlagen.«
Alle hier genannten Feministinnen kritisieren die muslimische Frauenfeindlichkeit durch Kleidungsvorschriften, Jungfräulichkeitskult, die alternativlose Bestimmung zu Heirat und Mutterschaft und die Tabuisierung von sexueller Lust und intellektueller Eigenständigkeit – ihre Anliegen sind mithin urfeministische Themen. Ihre Vorschläge, wie die patriarchalen Missstände im Islam abzuschaffen seien, lauten a) Emanzipation vom Islam oder b) Emanzipation innerhalb des Islam. Naheliegend, dass die Vertreterinnen der ersten Linie Atheistinnen sind, die sich von der islamischen Religionszugehörigkeit losgesagt haben, wie Ayaan Hirsi Ali oder die Exiliranerin Mina Ahadi, die den Islam für derzeit nicht reformierbar hält und daher, wie auch Necla Kelek, für ein striktes Kopftuchverbot im öffentlichen Raum eintritt. Kelek sieht die Frauenfeindlichkeit ebenfalls bereits in den Grundzügen der Religion und im Leben und Wirken des Propheten Mohammed angelegt.
Auch der bedingungslose Gehorsam gegenüber der Glaubensgemeinde gehört laut Kelek zum islamischen Grundbestand – während der aufgeklärte Westen zumindest ideell das selbst denkende und dem eigenen Gewissen verpflichtete Subjekt hervorgebracht habe. Anders als Kelek findet El Masrar, wie Eltahawy praktizierende Muslimin, in vielen Koranstellen die Anregung zum Selberdenken – die aber im gängigen Koranunterricht kaum im ursprünglichen Sinn vermittelt werde. El Masrar und Eltahawy treten mit ihrer feministischen Kritik an Glaubenspraktiken für eine »fortschrittliche Neuinterpretation des Islam« ein.
Sie sehen im Islam die Gleichberechtigung der Geschlechter angelegt und verurteilen es als eine Art Priesterbetrug, dass machthungrige Herrscher und Imame seit Jahrhunderten die Minderwertigkeit der Frau predigen: »Wir verschliessen uns der Realität, wenn wir nicht ernsthaft in Betracht ziehen, dass Religion zum Erhalt der patriarchalen Macht dient. […] Gegen die idealisierte Vorstellung von einem ›richtigen Islam‹ können wir am besten angehen, wenn wir den Blick auf die gelebten Realitäten von Mädchen und Frauen richten. Die Idealisten werden uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass die letzte Predigt des Propheten die Liebe und Achtung gegenüber Frauen hervorhebt. Aber hat diese Lehre etwa Eingang in das Personenstandsrecht gefunden?«
Ähnlich sehen beide Autorinnen im Kopftuchgebot eine Fehl- oder Überinterpretation des Koran und der entsprechenden Hadithe und treten, selber nicht tuchtragend, für eine liberale Haltung innerhalb der Glaubensgemeinschaft ein, die die Entscheidung der einzelnen Muslimin in den Vordergrund stellt. In der Einschränkung, dass das Kopftuch in seiner Funktion als frauenverachtender Fetisch der Islamisten verurteilt werden müsse, sind sie sich allerdings mit Kelek und Ahadi einig. Eltahawys und El Masrars Argumentationen legen also nahe, dass der Koran, ähnlich wie Bibel und Talmud, feministisch und progressiv ausgelegt und das patriarchale Potenzial der entsprechenden Religion somit entschärft werden kann. Im Sinne einer solchen Öffnung des Islam für Säkularisierung und Frauenrechte können diese muslimischen Feministinnen ebenso interessante Bündnispartnerinnen sein wie ihre exmuslimischen Pendants Kelek, Ahadi und Hirsi Ali.
Standortbestimmungen
Bei aller Sympathie für die universalistisch argumentierenden (ex-)muslimischen Feministinnen ist doch offenbar, dass westliche Feministinnen deren Kritik am Islam nicht einfach übernehmen können. Das wäre dem schlechten Beispiel des antideutschen Herrensofas gefolgt, das sich seit Jahren der Kritik etwa Necla Keleks bedient, um strukturelle Frauenunterdrückung in die muslimische Welt zu externalisieren, und im westlichen Hier und Jetzt sowie in der eigenen Praxis partout kein Patriarchat mehr wahrnehmen kann.Feminismus ist immer auch Identitätspolitik. Jedoch ist es ein queerfeministischer Irrtum, den eigenen Standort als einzig mögliche Perspektive zu vergötzen. Materialistisch bestimmt, bezeichnet der Standort einer Feministin ihren Erfahrungshintergrund als Frau in dieser Gesellschaft, ihre Lebens- und damit Erkenntnisbedingungen, die ihrem politischen Denken zugrunde liegen – aber keinesfalls mit ihm gleichzusetzen sind. Das ist ein grosser Unterschied zum Identitätsangebot »queer«, das sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität mit einer bestimmten politischen Ausrichtung in einen bunten Topf wirft, als ginge das eine mit dem anderen automatisch einher.
Der materialistische Feminismus lebt von der Spannung, einerseits vom subjektiven weiblichen Leiden am Patriarchat auszugehen, andererseits aber gerade aus diesem Leidensdruck heraus auf eine objektive, revolutionäre Theorie der Gesellschaft abzuzielen. Das erfordert gründliche Selbstreflexion, die Vermittlung eigener Unterdrückungserfahrung mit feministischer Theorie und den Abgleich mit anderen feministischen und interessenpolitischen Standorten. Die Bekenntnisliteratur der Zweiten Frauenbewegung setzt sich hier in den Büchern (ex-)muslimischer Feministinnen fort, die ihre Erkenntnisse entlang autobiographischer Darstellung entfalten.
Feminismus darf nicht darauf verzichten, Interessenpolitik von Frauen zu sein: wobei Frausein nicht essentialistisch oder rein identitär zu bestimmen ist, sondern als Zwangskategorie des kapitalistischen Patriarchats, die das individuelle Leben entscheidend formt, ohne es indes völlig zu determinieren. Das Leben und die Erfahrungen jeder Einzelnen sind geprägt von der dem Kapitalismus inhärenten Subjektform, die Weiblichkeit als ihr Anderes abspaltet und diskriminiert; vor dem Hintergrund dieses »geteilten Problems« muss die feministische Verständigung über Differenzen zwischen Frauen, seien sie sozialer, religiöser, erotischer oder biologischer Natur, erfolgen.
Das politische Subjekt Frau wieder wachrufen zu wollen, hat ebenso dessen realpolitische Interessen zum Ziel wie letztlich seine Abschaffung. Der materialistische Feminismus hantiert mit einem zweifachen Emanzipationsbegriff: Im utopischen Sinn fordert er die Aufhebung der Kategorien Frau und Mann, wie wir sie kennen – zugunsten einer Gesellschaft, in der Geschlecht mit Lust und zahllosen Möglichkeiten verbunden wäre statt mit Repression und Ausbeutung. Zu diesem Traum von der befreiten Gesellschaft gehört, in guter aufklärerischer und Marx'scher Tradition, auch eine grundsätzliche Kritik von Religion als einem wesentlichen Herrschaftsinstrument ausser- und innerhalb des Subjekts. Im gesellschaftsimmanenten Sinn hingegen geht es um politische Ziele wie Frauenrechte und Säkularisierung, etwa durch den Protest gegen patriarchale religiöse Ansichten, wie sie sich im Verschleierungsgebot und der Dämonisierung weiblicher Sexualität äussern.
Das heisst nicht, dass Feministinnen die Kämpfe gegen Rassismus, Homo- und Transphobie, Diktaturen oder ökonomische Ausbeutung gleichgültig sein sollten. Im Gegenteil: Seit de Beauvoir haben feministische Denkerinnen die Verwandtschaft zwischen der Unterdrückung von Frauen und der anderer gesellschaftlicher Gruppen theoretisch fruchtbar in den Blick genommen. Auch ist Frauenbefreiung letztlich nicht denkbar ohne breite Bündnisse. Aber sinnvolle Bündnisse entstehen nur, wenn eigene interessenpolitische Forderungen analysiert und abgrenzt werden können, bevor man sie mit anderen zusammenbringt. Dem gegenwärtigen Feminismus, der oft von vornherein die Anliegen anderer Marginalisierter verfolgt, fehlt dieses Selbstbewusstsein.
Was bedeutet das für die Auseinandersetzung westlicher Feministinnen mit ihren (ex-)muslimischen Genossinnen? Es bedeutet anzuerkennen, dass die Stellung dieser Aktivistinnen zum westlichen Patriarchat aufgrund ihres Standortes eine andere, zumeist sehr viel positivere ist. Für Mona Eltahawy, die durch die am eigenen Leib erfahrene brutale Frauenunterdrückung des saudischen Regimes zum Feminismus gefunden hat, stellt sich der Westen, wo patriarchale Repression viel subtiler und weniger ausweglos funktioniert, leichter als Reich der Freiheit dar als für Feministinnen, die hier aufgewachsen sind. Mina Ahadi pointiert, ihre politische Utopie sei eine Gesellschaft, in der Frauen ungehindert Miniröcke tragen und Marx lesen können – wobei auffällt, dass der Minirock hier nur als Symbol weiblicher Selbstbestimmung gilt, nicht ebenso als Zeichen patriarchaler Zurschaustellung.
Diese zweite Bedeutung des Minirocks ist den Erfahrungen einer westlichen Feministin häufig viel näher: Röckchen tragen, schön, schlank, fürsorglich und unkompliziert sein, in schönster Vereinbarkeit mit schulischer und beruflicher Leistung – das sind die Anforderungen, die der hegemoniale Sexismus des Westens an Frauen stellt. Alice Schwarzer weist seit vielen Jahren darauf hin, dass Verhüllung und Entblössung von Frauenkörpern zwei Seiten derselben patriarchalen Medaille sind, weil sie im selben Masse Frauen auf ihre Sexualität reduzieren, die als ebenso gefährlich wie schützenswert gilt.
Diesen Zusammenhang gilt es weiterhin differenziert zu erforschen – gerade in Zeiten, da die Dichotomie zwischen Westen und Islam auf beiden Seiten propagandistisch ausgeschlachtet wird. Islamisten, antimuslimische RassistInnen und auch Feministinnen wie Necla Kelek vermögen nicht zu sehen, dass es sich bei den Gesellschaften Westeuropas und Nordamerikas einerseits und der arabischen Welt andererseits um verschiedene Ausprägungen einer globalen patriarchalen Moderne handelt, in der die Repressionen des Islamismus keine mittelalterlichen Traditionen darstellen, sondern ideologisch wie technisch hochmoderne Phänomene sind.
Auf der anderen Seite war die europäische Aufklärung, die Säkularisierung und Subjektform hervorbrachte, von Anfang an patriarchal, d. h. auf den Ausschluss und die Beherrschung von Frauen gegründet. Es wäre daher unglaubwürdig, schlicht die Befreiung der muslimischen Frau hin zum westlichen Patriarchat vorantreiben zu wollen, das gegenwärtig das kleinere Übel zu sein scheint, weil das demokratische Patriarchat zumindest formal die juristische und die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen erlaubt. Dennoch ist der Gedanke universaler Frauen- und Menschenrechte, ebenso wie der Kapitalismus selbst, westlichen Ursprungs – und im globalen Kapitalismus sind diese vertraglich vereinbarten Rechte die einzige Möglichkeit, erträgliche Lebensbedingungen einzuklagen. Da die (ex-)muslimischen Feministinnen, die hier in aller Kürze vorgestellt wurden, ihre Forderungen meist unter sehr hohem persönlichen Einsatz und Risiko vertreten, mit deutlich realpolitischem Fokus, bleibt es vorderhand die Aufgabe westlicher Frauenrechtlerinnen, diesen »Realuniversalismus« der Moderne (Ernst Lohoff) feministisch auszuloten.
Was muss feministische Islamkritik demnach leisten? Sie setzt sich dafür ein, dass MuslimInnen alle bürgerlichen Rechte, darunter das Recht auf Religionsfreiheit, wahrnehmen können; dabei berücksichtigt sie den politisch hoch aufgeladenen Status des Islam als Religion einer nicht nur in Deutschland angefeindeten Minderheit. Gleichzeitig nimmt sie die juristischen, gesellschaftlichen, familiären und sozialen Bedingungen dieses Glaubens in den Blick. Sie versteht Religiosität durchaus als etwas, was Bestandteil von Identität, zumal marginalisierter Identität sein kann – legt aber ihr Augenmerk darauf, die individuellen wie die gesellschaftlichen Emanzipationsmöglichkeiten vom Islam wie auch innerhalb des Islam zu unterstützen.
Das besondere Interesse feministischer Islamkritik muss der Situation muslimischer Mädchen und Frauen, (ex-)muslimischer Feministinnen sowie den patriarchalen Aspekten des Islam gelten. Scharfe Kritik gebührt dem politischen Islam, dem Islamismus, als einer »politischen Bewegung, die dafür eintritt, Regierung und Gesellschaft nach den vom Islam vorgeschriebenen Regeln umzustrukturieren« – denn Islamisten bedienen sich eines extrem frauenverachtenden Geschlechterverständnisses. Parallel dazu muss feministische Islamkritik die sexistische Motivation im antimuslimischen Ressentiment hierzulande entblössen, das die patriarchale Unterdrückung der Frau auf den Islam externalisiert und MuslimInnen und solche, die dafür gehalten werden, rassistisch drangsaliert.
Auf der realpolitischen Agenda muss auch auf westlicher Seite das Verhältnis von Staat und Religion stehen. Westliche Feministinnen kommen beispielsweise nicht umhin, wenn sie sich der Forderung nach der Säkularisierung muslimischer Länder anschliessen, konsequenterweise dieselbe Säkularisierung auch in Bezug auf die christlichen Kirchen hierzulande zu fordern, die grossflächig soziale Aufgaben wie Pflege, Beratung, Betreuung übernehmen und dabei mit staatlicher Finanzierung ihre Weltanschauung verbreiten und teils ihren Angestellten erpresserisch aufnötigen. Ein weiteres Kritikfeld eröffnen die umfangreichen BürgerInnenproteste gegen Sexualaufklärung und Homoehe, ob in Paris oder Baden-Württemberg.
Die dort propagierten christlich-fundamentalistischen Werte, wozu ganz entscheidend die Rolle der Frau als treusorgender Ehefrau und Mutter gehört, spiegeln sich im zunehmenden Selbstbewusstsein, mit dem auch die freien Kirchen in Deutschland gegen Ethik- und Biologielehrpläne agitieren. Des Weiteren muss, bei allem Verständnis fürs kleinere Übel, die affirmative, ja andachtsvolle Haltung kritisiert werden, mit der manche staatlichen Institutionen der mutmasslichen Frömmigkeit von Flüchtlingen begegnen – worüber die individuellen Nöte geflüchteter Frauen und Mädchen leicht ins Hintertreffen geraten. Über eine treffende Islamkritik hinaus sollte es Nestbeschmutzerinnen aller Lager also um eine scharfe feministisch-materialistische Kritik der Religion als solcher gehen. Diese fusst auf einer utopischen Hoffnung: Wenn es um die Emanzipation der Menschen hin zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft gehen soll, muss Religion, wie wir sie kennen, aufhören.