Teil 1: Kinderbetreuer*innen und Buchhändler*innen
500'000 Frauen* legten am 14. Juni 2019 die Arbeit nieder und streikten. Die Bewegung mobilisierte wie keine zuvor. Neben Kinderbetreuer*innen schoben Senior*innen ihre Rollatoren auf die Strasse und Mütter demonstrierten mit ihren Kindern neben Ärzt*innen in weissen Kitteln. Jetzt, 9 Monate nach dem Frauen*streik, stehen wir kurz vor dem internationalen Frauenkampftag, dem 8. März. Wir haben verschiedene Zürcher Kollektive, die sich während oder nach dem Frauen*streik gebildet haben, zu ihren Erfahrungen befragt. Bis zum 8. März werden wir täglich zwei Stimmen publizieren.TrΩtzphase: Wir bleiben weiter trotzig!
«Wir sind die TrΩtzphase, eine Gruppe aus Kinderbetreuerinnen, die sich vor ca. drei Jahren zusammengeschlossen haben. Hauptgrund für unseren Zusammenschluss sind die unhaltbaren Arbeitsbedingungen im Care-Bereich. Dass unsere Organisierung aber schliesslich wirklich vorangetrieben wurde, war der Mobilisierung für den Frauen*streik zu verdanken. Klar haben wir auch schon ans Streiken gedacht, aber das ist bei der Kinderbetreuung halt gar nicht so einfach. Die Leidtragenden sind da leider auch die Kinder.
Gründe für uns, uns zu organisieren und schliesslich zu streiken, gib es Tausende: Chronische Unterbesetzung, kein Gesamtarbeitsvertrag, tiefe Löhne, mangelnde Wertschätzung und vieles mehr. Die grössten Schwierigkeiten, am 14. Juni 2019 zu streiken, war dann aber nicht nur, dass die Leidtragenden die Kinder sein könnten. Wir wollten unbedingt verhindern, dass bei einem Streik in der Kita dann einfach die Mütter auf die Kinder aufpassen müssen. Wir haben deshalb schon sehr früh das Gespräch mit den Kitaleiter*innen gesucht und Lösungen vorgeschlagen. Zum Beispiel, dass verschiedene Hort- oder Kitagruppen zusammengelegt werden. Am Morgen des 14. Juni 2019 haben wir eine Kita-Tour gemacht und die Arbeitenden nochmals auf unsere Aktion am Nachmittag auf der Bäckeranlage in Zürich hingewiesen. Unzählige Fachfrauen Betreuung (FaBe) und Kinderbetreuerinnen haben sich dann am Nachmittag auf der Bäckeranlage versammelt und gemeinsam die alltägliche Care-Arbeit bestreikt. Zusammen sind wir dann mit unserem Soundwagen an die Demo. So viele Frauen* auf der Strasse zu sehen war sehr ermutigend!
Im Gegensatz zur Zeit vor dem Frauen*streik «outen» sich jetzt auch immer mehr Betreuer*innen in den Kitas selber als TrΩtzphasen-Mitglieder. Das war zuvor undenkbar. Die Angst, bei den eh schon strengen Arbeitsbedingungen Stress zu bekommen und eventuell sogar seinen Job zu verlieren, war zu gross. Das hat sich seit dem Streik geändert. Auch wenn wir nach dem Streik ein bisschen in ein «Aktivitätsloch» gefallen sind: Der Frust über die Zustände ist noch da. Die aktuelle und umstrittene Situation in den «Globegarden»-Kitas sind Fehler des Systems. «Globegarden» ist nicht die einzige KiTa-Kette, in der miserable Bedingungen herrschen. Die Stadt muss endlich einsehen, dass Kinderbetreuung keine Privatangelegenheit der Eltern ist! Vor ein paar Monaten reichte die SVP gemeinsam mit der FDP und CVP einen Vorstoss ein, mit dem sie die Vorschriften in Krippen «flexibilisieren und womöglich ganz abschaffen» wollen. Ein Angriff auf die ohnehin schlechten Arbeitsbedingungen der FaBes. Wir wehren uns und kämpfen weiter.»
Deshalb versammeln wir uns auch am 8. März um 10 Uhr auf der Lutherwiese (in der Nähe vom Stauffacher) in Zürich und lassen gemeinsam die unter- und unbezahlte Care-Arbeit liegen!
Paranoia City: Lesen bildet Banden!
«Wir sind drei Buchhändlerinnen, die selbstbestimmt arbeiten wollen, uns weder einem Grosskonzern noch einem Chef unterstellen wollen. Wir wollen keinen alten Männern den Rücken freihalten, ihren Traum zu leben und dabei ungesehen bleiben. Wir wollen als junge Buchhändlerinnen nicht ausgenutzt werden, sondern unsere Kräfte für andere Kämpfe nutzen.
Das Jahr 2019 war voller feministischer und starker Aktionen: Der grosse feministische Streik vom 14. Juni, die lauten Demos, die vielen Vernetzungen – das Durchbrechen des Schweigens. All das hat uns motiviert und gestärkt, die Paranoia City Buchhandlung in Zürich zu übernehmen und daraus einen explizit feministischen Buchladen zu machen.
Der feministische Streik hat uns gezeigt, dass es weitere Räume braucht, die von FINTQ*-Personen [1] gestaltet werden müssen. Die Übernahme der Buchhandlung hat viel Mut gebraucht und das ganze letzte Jahr, all die Kämpfe darin und all die vielen Vernetzungen haben uns gestärkt, diese Entscheidung zu treffen. Somit haben wir Anfang 2020 die Geschäftsleitung in der Paranoia-City-Genossenschaftsbuchhandlung übernommen. Eine Buchhandlung soll ein Ort sein, wo Kritik nicht nur theoretisch in all den zu verkaufenden Büchern ihren Platz findet, sondern auch praktisch umgesetzt wird. In vielen Buchhandlungen der Stadt Zürich finden wir diese Möglichkeit nicht.
Jeder Tag ist feministischer Kampftag! Wir als Buchhändlerinnen nutzen den kommenden 8. März, um neues Bewusstsein zu schaffen, breiter verschiedenste Menschen auf feministische Themen zu sensibilisieren und auch uns selbst neuen Fragen zu stellen – und natürlich auch als Individuen auf andere Arten ausserhalb des Buchladens!»
Teil 2: Ärztinnen und Architektinnen
«Während des Frauen*streiks arbeitete ich als Assistenzärztin auf der chirurgischen Klinik in einem der grössten Spitäler der Schweiz. Die Arbeitszeiten sind lang, Überstunden selbstverständlich und der Umgangston schroff. Das fast achtzigköpfige Team wird durch eine starre Hierarchie unterteilt. Die Assistenz- und Oberarzt-Etage ist gleichmässig von Frauen wie Männern besetzt, Leitungspositionen und Chefetage bestehen mit Ausnahme einer einzigen Frau ausschliesslich aus Männern.Ärztin: Wässeriger Kaffee auf der Chirurgie
In meinem sozialen Umfeld ausserhalb der Arbeit war der Frauen*streik omnipräsent, für mich kam dennoch die Teilnahme am Streik nicht im Entferntesten in Frage. Wenn eine Ärztin ausfällt sorgt für erhebliche Mehrbelastung für diejenigen, auf welche die Arbeit zurückfällt. Wenn man eine Station betreut und jemand wird krank, ist man plötzlich für zwei Stationen zuständig. Oder wenn man im Notfall arbeitet, ist man bei einem Ausfall alleine statt zu zweit. Bei Beschwerden erinnern die Chefs gerne daran, dass zum Beruf «des Chirurgen» ein solcher Arbeitsdruck dazu gehört, wem es zu viel sei, soll doch gerne gehen. Zudem sei früher alles viel extremer gewesen und die heutige Generation sei zu weich. An eine Teilnahme am Frauen*streik wagte ich schlichtweg nicht zu denken und musste meinen gesamten Mut zusammennehmen, den lila Badge zu tragen, den die Pflegerinnen im ganzen Haus verteilten. Nicht weil ich es nicht wagte, als Frau meine Gleichberechtigung einzufordern – sondern weil ich es nicht wagte, als Ärztin meine juristischen Rechte einzufordern.
Einen Tag vor dem Frauen*streik nahm mich eine Oberärztin zur Seite und liess mich kurz und knapp wissen, dass wir Frauen am morgigen nicht zum Morgenrapport erscheinen und stattdessen mit der Pflege Kaffee trinken werden – «die Leitende kommt auch, da können die Säcke nichts sagen», fügte sie hinzu, drehte sich um und liess mich völlig perplex zurück. Am nächsten Tag begab ich mich um 7.30 Uhr in den Aufenthaltsraum der Pflege, statt wie üblich zum Morgen-Rapport. Die leitende Ärztin tauchte als Letzte auf. Gut gelaunt, die violette Fahne schwenkend, pferchte sie uns zu einem Gruppenfoto zusammen, welches sie kurzerhand per WhatsApp dem Klinikchef schickte. Unsere Absenz im Rapport blieb bis auf Weiteres unkommentiert, nach einer Viertelstunde kehrte wieder Normalität ein.
Diese Erfahrung liess mich begreifen, wie eng Kapitalismus und Patriarchat zusammenhängen. Es war nur eine Viertelstunde, mit wässrigem Kaffee aus Pappbechern, kein Austausch von Erfahrungen, kein geschützter Frauenzirkel. Nur ein kurzes Innehalten von etwa zwanzig überarbeiteten Arbeiterinnen im Gesundheitswesen unter dem schützenden Flügel einer Führungsperson. Nur ein kurzes Eingeständnis eines Missstandes, um ihn vor lauter Schlafmangel nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren.»
Architektinnen: sie baut
«Wir sind eine lose Gruppe von Architektinnen, die sich spontan für den Frauen*streiktag zusammengeschlossen hat, um eine Diskussion über die Stellung der Architektinnen in ihrer Branche zu ermöglichen. Im Vorfeld der Streikvorbereitungen haben wir keine Gruppe gefunden, die unsere Bedürfnisse nach Austausch unter Architektinnen vertritt und der grösste schweizweite Verband von Architektinnen (Frau + SIA) konnte uns keinerlei Auskunft über Aktivitäten am Frauenstreik geben.
Deren ratlose Untätigkeit hat uns radikalisiert. Zudem hat der Bund Schweizer Architekten (BSA), den eine Architektin(!) präsidiert, just am Frauen*streiktag eine der jährlich wichtigsten Sitzungen für berufstätige Architekten und Architektinnen einberufen! Diese fehlende Solidarität zwischen erfahrenen Architektinnen in Machtpositionen – die sich selber hochkämpfen mussten und symptomatisch systemische Benachteiligungen verneinen – und jungen Anfängerinnen hat uns bestärkt, gegen die extrem träge und nachlässige Baubranche ein Zeichen zu setzen.
Nur einige Tage vor dem Streik veröffentlichten wir einen Aufruf zur aktiven Beteiligung und Gestaltung eines Spazierganges durch Zürich, dem über hundert Architektinnen und Planerinnen folgten! Fünf historische und zeitgenössische Bauten, die als Meilensteine in der Praxis von Frauen fungieren, wurden vorgestellt und mit einer Plakette für eine grössere Öffentlichkeit sichtbar gemacht.
Das grosse Interesse und die breite Beteiligung waren überwältigend. Dies lässt uns hoffen, dass solche Aktionen die von uns so vermisste und vor allem generationenübergreifende Solidarisierung zwischen Architektinnen sowie den Austausch untereinander fördert.
Im selben Eigenengagement entstand daraus das Netzwerk siebaut.org. Vielleicht entsteht zukünftig ein Netz der gegenseitigen Förderung. Dies soll nicht heissen, patriarchale Machtstrukturen wie Zünfte, Kartelle und Gentlemen's Clubs gespiegelt zu reproduzieren, davon sind wir weit entfernt und biegen lieber vorher links ab. Aber Gefässe zu schaffen oder zu erweitern, in denen diejenigen, die Erfolg haben, auch Frauen sein können, erscheint uns in der gegenwärtigen Lage noch sehr wichtig.»
Teil 3: Feministisches Hochschulkollektiv Zürich und F.I.S.T.
«Wir sind ein Kollektiv von FLINT-Personen[2], die mit den Hochschulen in Zürich verbunden sind. Ende 2018 haben wir uns zusammengefunden, um auch an den Hochschulen Zürichs auf den feministischen Streik am 14. Juni 2019 zu mobilisieren. Wir organisierten uns vor allem wegen den patriarchalen Strukturen, die immer abgestritten werden, und weil sexuelle Belästigung an den Hochschulen Alltag ist.Feministisches Hochschulkollektiv Zürich: «Solidarität ist unsere Waffe»
Die Menschen, die im Bereich der Gastronomie und Reinigung an der Hochschulen arbeiten, sind hauptsächlich Frauen. Dabei gibt es aber eine klar hierarchische Trennung: die wenigen Männer in diesem Bereich sind die Chefs respektive in der Reinigung diejenigen, welche in den Reinigungsmaschinen herumfahren. Die Frauen arbeiten bei der Essensausgabe und putzen die Klos. Es ist unglaublich, wie krass einem das auffällt, sobald man sich darauf achtet.
Aber auch bei den Studis: Wir lesen die ganze Zeit nur Texte von irgendwelchen weissen Männern und es wird überhaupt keine Anstrengung unternommen, um das zu ändern. Während mittlerweile Studentinnen* rund 57% der Studierenden ausmachen, beträgt der Anteil an Professorinnen* nur 23%. FTIQ*[3] sind in Doktoratspositionen unter- und dafür im Tieflohnsegment der Uni übervertreten.
Während der Mobilisierung zum feministischen Streik hatten wir eigentlich den Anspruch, mit allen FLINT, die an den Hochschulen arbeiten, ins Gespräch zu kommen. Das stellte sich als äusserst schwierig heraus. Gerade die FLINT im Dienstleistungssektor (Gastronomie, Reinigung etc.) waren meistens so unter Druck, dass sie keine Zeit hatten oder sich nicht trauten, an die Treffen zu kommen. Ausserdem haben wir uns auch allzu schnell in einem akademischen Diskurs bewegt, was nicht wirklich fördernd war, um Menschen, die nicht studieren oder studiert haben, mit einzubinden.
Nach dem 14. Juni 2019 wollte uns die Unileitung noch die Reinigungskosten für die Sprühkreide aufdrücken, die bei der Uni Irchel verwendet wurde. Da haben wir kurzerhand aufgelistet, wie viel Gratisarbeit wir in die Vorbereitung des Streiks gesteckt hatten. Der Streik müsste ja auch im Interesse der Uni gewesen sein, schliesslich haben sie in ihren Dokumenten klar das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter. Also hätten wir mit den Streikvorbereitungen schon genug Arbeit für die Uni geleistet und würden die Reinigungskosten für die Sprühkreide nicht bezahlen.
Seither haben wir eine zweite Aktionswoche organisiert im Hinblick auf den 8. März 2020. Es ist wichtig, dass FLINT in allen Bereichen und überall aktiv sind. Am 8. März gehen wir gemeinsam mit FLINT auf der ganzen Welt auf die Strassen. Solidarität ist unsere Waffe und gemeinsam werden wir kämpfen, bis alle FLINT befreit sind.»
F.I.S.T.: «Uns eint der feministische Kampf»
«F.I.S.T. ist das feministische internationalistische, solidarische Treffen in Zürich. Das Treffen gibt es seit Anfang 2019. Es entstand aus dem Bedürfnis heraus, vielfältigere Stimmen, Aktions- und Organisierungsformen in den feministischen Kampf einzubringen. Migrantinnen*, geflüchtete Frauen*, Frauen und FLINT in Gefängnissen und Asylunterkünften oder auch arme Frauen* werden in unserer Gesellschaft wenig bis gar nicht gehört.
In FIST sind wir Frauen* mit verschiedenen Erfahrungen, Realitäten und unterschiedlicher Herkunft: Einige haben jahrelange Erfahrung in politischen Organisationen oder Bewegungen, manche leben seit Jahrzehnten weit weg von ihrer Familie, andere sind alleinerziehende Mütter, waren in Gefängnissen, unterstützen tagtäglich migrantische und illegalisierte Frauen*, leben in besetzten Häusern, viele erleben Rassismus. Uns eint der feministische Kampf. Denn wir alle erleben die kapitalistische und patriarchal-heteronormative Einengung und Ausbeutung. Wir treffen uns deshalb regelmässig, essen gemeinsam, organisieren Aktionen sowie Veranstaltungen und vernetzen uns mit feministischen Gruppen in der Schweiz oder mit Aktivistinnen* im Ausland. Gemeinsam überlegen wir, wie wir unsere Kräfte zusammenführen können, so dass sich viele Frauen* an der feministischen Bewegung beteiligen können.
Während des Frauen*streiks 2019 konzentrierten wir uns auf die staatliche Gewalt, die sich insbesondere auch in der Ausgestaltung der Institutionen zeigt. Wir fuhren im Autokorso zu den Frauen* im Gefängnis Dielsdorf und liessen sie mit Reden und Musik wissen, dass sie nicht vergessen werden. Später versammelten wir uns beim Bezirksgefängnis Zürich, um mit Transparenten das Gefängnis zu umspannen. Unsere Aktionen sind von einer starken Dynamik der Spontanität und des Tatendrangs geprägt und werden immer auch von Frauen* mitgetragen, die wir aus anderen Zusammenhängen oder gar nicht kennen.
Der Frauen*streik 2019 gab uns viel Kraft, war für uns aber weder Anfang noch Ende. So haben wir auch am 25. November 2019, dem Tag gegen Gewalt an Frauen*, die staatliche Gewalt angeprangert. Vor dem Palace des Nations in Genf haben wir der UNO symbolisch den Prozess gemacht. Dabei hielten unter anderem Frauen* aus Chile, Hong Kong, Rojava, der Schweiz, den Philippinen, Mexiko Reden über die alltägliche (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen und FLINT, über die staatliche Verfolgung von Aktivist*innen und über Folter und Morde durch Polizeiapparate. Solange die Unterdrückung und Repression anhält, solange sind wir der Widerstand.
Jeder Tag ist Frauen*kampftag! Aber der 8. März ist insbesondere wichtig für die Vernetzung und die Stärkung der internationalistischen feministischen Bewegung. Dieses Jahr wird FIST die Performance „Ein Vergewaltiger auf deinem Weg“ an einigen Stadtzürcher Orten aufführen, die besonders krass für Ausbeutung und Unterdrückung stehen.»