Trotz Versammlungsverbot und Medienhetze in den bürgerlichen Zeitungen beteiligten sich am Samstagnachmittag über 1000 Frauen* an der traditionell unbewilligten Demo des 8. März Frauen*bündnisses. In verschiedenen Beiträgen wurde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die strukturelle Diskriminierung von Frauen* und FLINT und die patriarchale Gewalt angeprangert. Die internationalistische Demo solidarisierte sich unter anderem mit den feministischen Kämpfen in Chile und Kurdistan. Ebenfalls machten sich die Frauen* für Nekane Txapartegi stark, der erneut politische Verfolgung droht. Die Polizei unter der Führung der Grünen Stadträtin Karin Rykart riegelte die traditionelle Route via Paradeplatz in den Kreis 4 mittels massiven Polizeiaufgebots ab. Weil die Polizei die Route einschränkte, blockierte die Demo kurzerhand den Verkehrsknotenpunkt am Central.
«Bitches and Witches – Take Back the Night»
Am Samstagabend nahmen sich erneut mehrere Hundert Frauen* und FLINT die Strassen. Mit kämpferischen Parolen, Musik, Farbe und viel Feuerwerk zogen sie durch die Ausgehmeile Langstrasse. Sie sprachen sich für feministische Kompliz*innenschaft aus und wandten sich gegen patriarchale Gewalt, Repression, kapitalistische Konkurrenz und Verdrängung aus dem Arbeiter*innen-Quartier. Auf der Piazza Cella brachte die Demo den Verkehr über längere Zeit zum Erliegen. Es wurde ein riesiges Transparent mit dem Schriftzug «Yes Means Yes, No Means No» aus einem Gebäude gehängt, verschiedene solidarische Lokale und Personen liessen den gleichen feministischen Radiosender laufen. Mitten auf der Strasse wurde der patriarchale «Böögg» verbrannt. Die Polizei wurde von der Aktion überrumpelt und hatte keine Mittel, diese zu verhindern oder einzuschränken.Feministischer Streik am 8. März
Für Sonntag, 8. März rief das Zürcher Streikkollektiv «alle Mütter, Grossmütter, Gottis, FaBes und alle jene, die in ihrer Freizeit und bei der Arbeit für andere Menschen sorgen» zum feministischen Streiktag auf. Im Reinigungswesen, in der Gastronomie, in der Pflege, im Verkauf wird sonntags gearbeitet – also in Bereichen, in denen besonders viele Frauen* beschäftigt sind. Auch die häusliche Reproduktionsarbeit ruht am Sonntag keineswegs. Die Forderungen des feministischen Streiktags bezogen sich aus diesen Gründen auf bessere Arbeitsbedingungen und wandten sich gegen die Gratisarbeit im Haushalt.In der ganzen Stadt fanden Aktionen statt. Das Gastra-Kollektiv, ein Zusammenschluss aus FLINT*, die in der Gastronomie arbeiten, veranstaltete einen «Gastrathlon». Mit einer Performance machten sie auf den alltäglichen Sexismus am Arbeitsplatz aufmerksam. Das Feministische Internationalistische Solidarische Treffen (F.I.S.T.) demonstrierte gegen Gewalt an Frauen* und Feminizide (Frauenmorde) und solidarisierte sich insbesondere mit der #NiUnaMenos-Bewegung. An mehreren Orten in der Stadt führte die Gruppe die Performance «Un violador en tu camino» auf. Dabei kam es im ShopVille zu einem tätlichen Angriff auf zwei Aktivistinnen durch einen Migros-Sicherheitsmann. Die Trotzphase, eine Basisgruppe von Kinderbetreuer*innen, rief zu einer Kundgebung mit anschliessender Demo auf. Dabei thematisierte sie die Zustände im Care-Sektor und machte darauf aufmerksam, dass vor allem Frauen* unbezahlte Care- und Reproduktionsarbeit verrichten.
Um 15 Uhr versammelten sich über 1000 Frauen* und FLINT-Personen auf dem Sechseläutenplatz. Als «gemeinsamer Moment» angekündigt, formierte sich die Versammlung zu einer Demonstration. Erneut wurde dann aber ein zentraler Verkehrsknotenpunkt besetzt, diesmal die Quaibrücke und Teile des Bellevues. Es gab Essen, Reden, ein feministisches Quiz – die Stimmung war hervorragend. Nach rund 1.5 Stunden lief die Demonstration erneut über das Limmatquai und schaffte es diesmal, der Polizei ein Schnippchen zu schlagen und in die Bahnhofstrasse einzubiegen. Vor dem Hauptbahnhof gab es nochmals eine Kundgebung, bevor es die Demonstration und damit ein ereignisreiches Wochenende vor dem Streikhaus zu Ende ging.
Ein langanhaltender feministischer Frühling
Das Wochenende hat eindrücklich gezeigt, dass die feministische Bewegung auch neun Monate nach dem Frauen*streik dynamisch und vielfältig ist. Und sie ist kämpferisch und unbequem: Alle Aktionen und Demonstrationen fanden ohne polizeiliche Bewilligung statt und haben jegliche Dialog- und Spaltungsversuche seitens des Staates entschieden zurückgewiesen. Das martialische Polizeiaufgebot der rot-grün dominierten Stadtregierung war weitgehend wirkungslos beim Versuch, die erstarkte Bewegung in kontrollierte Bahnen zu lenken.In Solidarität mit den Feminist*innen in Chile wurden 900 Masken für die Teilnehmenden der Demonstration produziert. Trotz Vermummungsverbot haben sich die traditionellen Masken dort als gängige Vermummung und somit Schutz vor Repression sowie als Symbol des Widerstandes etabliert. Auch in Zürich trug eine Mehrzahl der Teilnehmenden eine solche Maske. Gleichzeitig konnte damit ein Zeichen gegen die Versuche gesetzt werden, die feministische Bewegung in Gut und Böse zu unterteilen. Wenn alle Beteiligten eine Maske tragen, werden auch diejenigen Frauen und FLINT geschützt, die sich ausserhalb der Legalität bewegen.
Im Vorfeld des 8. März-Wochenendes gab es einige Kontroversen um die Raumpolitik der Mobilisierungen. Die Auseinandersetzungen innerhalb der feministischen Bewegung in Zürich taten dem Erfolg des 8. März-Wochenendes jedoch keinen Abbruch. Einig waren sich alle in einem Punkt: Die grossen Demonstrationen fanden ohne Cis-Männer statt. Das gesamte Wochenende über waren es Frauen* und FLINT, welche Aktionen organisierten und auf die Strasse gingen. Schon im Zuge des Frauen*streiks am 14. Juni 2019 bildeten sich viele Basisgruppen und feministische Zusammenschlüsse. Der diesjährige 8. März hat gezeigt, dass es sich dabei um alles andere als um Eintagsfliegen handelt. Es ist diese selbstbestimmte Organisierung, die zuversichtlich stimmt, dass der feministische Frühling noch lange andauern wird.