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Griechenland: Kapitalverwertung, Manipulation und der Mainstream

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Ein Kommentar oder Nachwort oder Vorwort Griechenland: Kapitalverwertung, Manipulation und der Mainstream

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Gesellschaft

Wie widerlich, wie ekelhaft, wie widerwärtig das alles ist. Unfassbar! möchte der Knabe in mir schreien, das Bürschlein, das ich vor Jahrzehnten war, als mir klar war, dass jegliche Ungerechtigkeit auf dieser Welt – sei es die eines Kindergartenfräuleins gegen meine erste Freundin, sei es die der US-Amerikaner in Vietnam – gefälligst geahndet werden muss.

Protest vor der EZB in Frankfurt gegen die Sparbeschlüsse der Troika.
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Protest vor der EZB in Frankfurt gegen die Sparbeschlüsse der Troika. Foto: Steve0001 (CC BY 3.0 unported - cropped)

Datum 6. Juli 2015
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Das kann man doch nicht durchgehen lassen! Da muss doch eine Vernunft sein, die an den Knöpfen dreht, an den Hebeln hebelt, und wenn es schon nicht Gott ist, dann vielleicht der aufgeklärte, am Glück aller Artgenossen interessierte Mensch …

Dann wird man älter. Dann gerät man in Flüsse. Dann wird man gebadet, gesalbt oder unters Wasser gedrückt, je nachdem. Dann wird man geschult und lernt, zwischen Interessen, Ambitionen, Emotionen, Charakteren zu unterscheiden – bis man merkt, dass man in summa eine scheissmanipulierte Person ist. Beziehungsweise merkt man, dass man keine scheissmanipulierte Person ist. Aber es fällt schwer und schwerer, sich aus dem trägen Sumpf Mainstream zu ziehen. Und dünn ist das Haar des eigenen Gedanken-Schopfes, soviel Selbstkritik muss sein in einer Welt der Kotz-über-alles-Besserwisser, der Wir-sind-die-Gläubiger-der-Welt-und-Wahrheit-Schisser …

Wie degoutant ist diese Scheisse, die ich seit Tagen und Wochen über die griechische Regierung, das griechische Volk einerseits und über das achsosolidarische Europa, zu dem die Griechen offenbar gar nicht mehr gehören, hören und lesen muss. Also wäre es nur folgerichtig, sie verabschiedeten sich in die Weiten der Welt; bloss weg von Brüssel!

Und dann diese Vergewaltigung des Wortes ‚Solidarität', wenn es aus den lippengestifteten Mündern der Welt-Anti-Entrepeneur-Schweine quillt wie – Kotze, die nach Kakao schmecken soll! Muss ich diese stinkige Luft atmen, die das Kapital und ihre journalistischen und wissenschaftlichen (?) Apologeten ausstossen? Muss ich dieses kotzige Gemenge aus amateur-psychologischer Persönlichkeits-Deutung, einseitigem, einseifigem Spezialisten-Getue und ziemlich deutlichem politischem Abscheu gegen die Menschlichkeit ertragen? Ja ich muss. Ich entkomme ihm nicht. Höchstens für ein paar Wochen nach Lappland; und auch da sollte ich besser nicht über die Minderheit der Samen, über Rentiere und über das Verhältnis von Öl und Wohlstand nachdenken …

Und ich muss nicht. Ich kann es wenigstens lindern.

Ich kann mich umtun. Im Netz. In der Freiheit der Informierung. Ich kann Gleichgesinnte treffen. Wir können zusammen eine Kotztüte benutzen. Wir können dem Mainstream der Herrschenden, diesem Wechsel-Balg aus Politik, Bank, Journaille, in den Bach spucken. Den stört das nicht. Den stören nicht mal ein paar Zentner Kotze. Obwohl man das nicht wissen kann. Auch aus Kotze kann ein Damm werden, vermute ich jetzt mal ein bisschen poetisch.

Nee, natürlich nicht. Die Arschbande, die Klump-Bande, diese bräsige Beschiss-Bande, die sich europäische Elite im Namen des Neoliberalismus nennt (noch mal: Politiker, Banken, Journalisten) – die liegt so breithüftig und besserwisserisch und lebens- und menschenzerstörerisch über Europa, dass mir jeder Finger recht ist, der sie zum Kotzen bringt. Vielleicht ersticken sie daran.

Nee, natürlich ersticken sie daran nicht. Da bricht nur mal wieder der alte junge Knabe in mir durch. Der sich dann doch noch erinnert, dass die ganze Scheisse des Griechen-Bashings durchaus mit der Scheisse von Kapitalverwertung, Ausbeutung, Einflusssphären, Pseudopsychologie, Manipulation etc. pp. erklärt werden kann. Aber um Erklärung, Lösungen, Vernunft geht es nicht.

Wichtig ist, dass alle hübsch im Mainstream bleiben. In einem Mainstream, in dem schon der Hass auf sich zieht, der Motorrad fährt; in dem schon der verachtet werden muss (mindestens medial), der keinen Schlips trägt und seinen Reden Pathos unterlegt. (Den wünschte ich den deutschen Politikern, die vor lauter Nüchternheit und Angst, etwas Falsches zu sagen, blablablubbern – Falsches? woran gemessen? am Klick der Vollidioten im Netz? am Twitter-Konto, auf dem am Abend, wenn gezählt wird, mehr Ablehnung als Zustimmung stehen könnte?)

Dem Maler Max Liebermann wird nachgesagt, er habe angesichts des Fackelzuges zu Adolf Hitlers Machtübernahme (30. Januar 1933) gesagt: "Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte." Es ist beim Versuch, den Kopf überm Mainstream zu halten (oder zu glauben und zu hoffen, man tut es) viel härter, viel schlimmer, viel übler: „Ich kann nicht so viel trinken, wie ich kotzen möchte.“

Eckhard Mieder