Die neue Ministerin für Kultur, Miri Regev, kündigte an, die staatliche Unterstützung für Kultureinrichtungen und Produktionen, die dem Weltbild eines national geeinten Israel widersprächen, zu kürzen bzw. ganz zu streichen.
In einem ersten Schritt drohte sie, die Finanzierung eines Kindertheaters, Al Mina, in Jaffa einzustellen. Dessen Leiter, Norman Issa, weigert sich, jenseits der Grünen Linie in der Westbank als Schauspieler aufzutreten. Dann unterband ihre Behörde die Aufführung eines Stückes über einen inhaftierten Attentäter im El-Midan Theater in Haifa, indem Streichungen der Subventionen für das Theater angedroht wurden.
Obwohl sich das Ministerium vor der Sommerpause genötigt sah, einige der angekündigten Restriktionen wieder zurücknehmen, die Ministerin sich öffentlich mit Issa versöhnte (der doch noch zustimmte, im Jordantal in der Westbank aufzutreten), ist die öffentliche Debatte um die Freiheit der Kunst in Israel voll entbrannt. Diese Auseinandersetzung hat die gesamte Gesellschaft erfasst und die Form eines Kulturkampfes angenommen.
Die kulturelle Elite verliert ihre Deutungshoheit
Die israelische Publizistin und Politikwissenschaftlerin Naomi Chazan sieht die israelische Gesellschaft tief gespalten: politisch, religiös, wirtschaftlich und sozial. Der moralische Zusammenhalt der Gesellschaft drohe verloren zu gehen. In den Augen der bisher dominierenden zumeist aszkenasischen (d.h. europäischer Herkunft) Kulturelite ist es die Peripherie, die Minderheiten der israelischen Gesellschaft, die bisher sozial und politisch ausgegrenzt waren und in der dominierenden politischen Kultur des Landes bisher keine oder nur eine marginale Rolle gespielt haben.Vor allem die Misrahim (Juden orientalischer Herkunft) sind das Ziel von Vorurteilen. Sie gelten als ungebildet und mit demokratischen Werten nicht wirklich vertraut. Sie haben in der neuen Regierung nun eine Stimme. Mit ihren abfälligen Äusserungen über die linken Kulturschaffenden des Landes vertieft Miri Regev die Gegensätze zwischen den Bevölkerungsteilen und scheint sie zu bestätigen. Die Intellektuellen seien heuchlerisch und undankbar und meinten, sie wüssten alles, so liess sie verlauten.
Damit brechen die Gegensätze offen aus. Die Kulturelite fühlt sich in die Defensive gedrängt und reagiert in gleicher Weise polarisierend. So hat beispielsweise der Theaterdirektor Oded Kotler die Likudwählerschaft als eine „Herde strohkauendes Vieh“ bezeichnet, was wiederum den Schriftsteller Amos Oz zu einer Zurechtweisung von Kotler veranlasste.
Ist die Panik der Linken gerechtfertigt? Keineswegs war der Wahlausgang im März ein Indiz für einen überwältigen Wahlsieg der Rechten. Vielmehr beruhte er auf dem Stimmenzuwachs der stärksten Partei des rechten Lagers, dem Likud, der auf Kosten der restlichen rechten Parteien eine starke Mehrheit einfahren und damit die Regierung bilden konnte. Die Lageraufteilung zwischen links und rechts hat sich hingegen kaum verändert. Rein numerisch ist sogar ein leichter Zuwachs für das linke Lager zu verzeichnen.
Doch die meisten Kommentatoren sind sich darüber einig, dass diese Regierung eine Zäsur darstellt: Mit ihren Provokationen legt sie die tiefen Gräben innerhalb der Gesellschaft offen.
Folgt man der These des israelischen Soziologen Natan Sznaider, so ist die Zerrissenheit in der israelischen Gesellschaft heute ein Indiz dafür, dass die kulturelle und akademische Elite dabei ist, ihre Deutungshoheit zu verlieren. „Die alten kulturellen Eliten fühlen sich von der revolutionären Rechten bedroht, die wohl richtigerweise annimmt, dass die zionistische Revolution nicht zu Ende ist.“
Eine Neubegründung von Staatsbürgerschaft?
Auch der Verleger Amos Schocken, einer der bekannten Intellektuellen Israels und Herausgeber der linken Tageszeitung Haaretz, wirft den Rechten in einem Interview vor, die Definition des Zionismus verändert zu haben. Aus einer Weltanschauung, „die eine nationale Heimat im Land Israel für das jüdische Volk, im Kontext eines jüdischen und demokratischen Staates“ errichten wollte, werde Israel als das „Land für das jüdische Volk“ definiert. Dadurch werde die Existenz eines palästinensischen Nachbarstaates negiert. Schocken bezeichnet die „Anschauung derer, die sich heute Zionisten nennen“ daher als antizionistisch.Andererseits liefert Sznaider zugleich eine schonungslose Deutung der Rolle dieser Kultureliten: „Die alte Arbeitsteilung zwischen brutaler Besatzungspolitik und militärischer Kampfbereitschaft auf der einen Seite und humanistischem und kulturellem Judentum auf der anderen Seite wird langsam aufgebrochen.“
Was also ist von der linken Kulturelite in Israel zu erwarten? Welchen Herausforderungen muss sie sich künftig stellen, um ihren Beitrag zur Sicherung der demokratischen Grundlagen Israels zu leisten?
Naomi Chazan appelliert an die Fähigkeit des Landes zur Demokratie und zum Ausgleich. Sie fordert eine Neubegründung von Staatsbürgerschaft, die an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst ist und die die Israelis auffordert, ihre Unterschiedlichkeiten gegenseitig anzuerkennen und ein politisches Klima von Respekt und Toleranz zu schaffen.
Fraglich ist allerdings, ob dies ohne eine öffentliche Auseinandersetzung über die Besatzung gelingen kann, mit deren Aggressivität und Ungerechtigkeit jedes Jahr auf Neue eine ganze Generation Wehrpflichtiger konfrontiert wird und deren Realität die Mehrzahl der Israelis ausblendet. Über Israels Zukunft als zivile und demokratische Nation wird nicht nur in Tel Aviv, sondern auch in der Westbank entschieden. Der eigentliche Kulturkampf steht Israel also noch bevor.