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Protest fotografieren – Das neue Magazin Bella Ciao

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Protest fotografieren Das neue Magazin Bella Ciao

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Gesellschaft

In Hochglanz im A5-Format ist ein neues Magazin erschienen, in welchem Protestereignisse im deutschsprachigen Raum fotografisch und mit Berichten festgehalten werden.

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Foto: Cover des Magazins «Bella Ciao»

Datum 12. Dezember 2021
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Wem ein paar Euro für linke Zine-Kultur und kritischen Journalismus nicht zu schade sind, kann die unregelmässig erscheinende Bella Ciao[1] von nun an bestellen. Auf 164 Seiten werden von 16 Demos und Aktionen zivilen Ungehorsams berichtet, sowie drei Interviews geführt. Von Freiburg bis Hamburg, von Zwönitz bis Karlsruhe sind darin unterschiedliche linke Ereignisse in der BRD dokumentiert.

Diese Arbeit ist wichtig, um das Geschichtsbewusstsein in emanzipatorischen sozialen Bewegungen aufrecht zu erhalten. Um das Umbruch-Bildarchiv ist eine ähnliche Gruppe organisiert, welche sich seit 1988 dieser Tätigkeit widmet und ihre Homepage vor einiger Zeit auf den neuesten Stand gebracht hat[2]. Mit dem Geschichtsbewusstsein verbunden ist auch das Selbst-Bewusstsein von Aktivitis. Weil die fotografische Dokumentation Reflexion über das eigene Handeln ermöglicht, trägt sie dazu bei, mit den eigenen Ansichten und Anliegen selbstbewusst umzugehen. Nicht zu Letzt auch deswegen, weil längerfristig sichtbar wird, was in verschiedenen Orten in einem Jahr so geschieht.

Ein Spektren-übergreifender Fokus auf den sichtbaren Protest

Der Fokus auf Protestereignisse ist dahingehend sicherlich klassisch. Gruppenprozesse oder Treffpunkte werden vom Redaktions-Team in der ersten Ausgabe nicht festgehalten. Dabei ist auch dies wichtig, da die Bedeutung linksradikaler Zentren für die Grosse, den Organisationsgrad und das Bewusstsein von sozialen Bewegungen oftmals erst in den Blick gerät, wenn sie an eigenen Widersprüchen scheitern, zu bloss subkulturellen Orten verkommen oder durch staatliche Repression zerstört werden.

Ähnliches gilt für (anti-)politische Gruppen oder auch Einzelpersonen, die sich trauen, ihr Gesicht zu zeigen. Sie brauchen dabei nicht als für „besonders wichtig“ zu gelten. Es reicht, wenn sie interessante Geschichten zum Thema zu erzählen haben, die mit ihrem Leben verbunden sind. Zugleich schärft die Konzentration auf Demonstrationen das Profil von Bella Ciao.

Sinnvoll ist ebenso der Spektren-übergreifende Ansatz des Magazins. So sehen und lesen wir etwa von einem sehr „schwarzen“ ersten Mai in Hamburg, wie von einer sehr „roten“ Demonstration zum selben Tag in Frankfurt am Main. Vom Fridays for Future Zentralstreik und Mietendemo, über Ende Gelände und der Blockade des Ausbaus der A100, bis hin zu Antifa und autonomen Demos sind alle dabei.

Die ästhetische Darstellung von Protestereignissen ist eine wichtige Aufgabe, welche nie auf Kosten der Inhalte oder deren Beliebigkeit geschehen sollte. Denn es ist kein Wert an sich, wenn sich irgendwer irgendwohin bewegt, sondern auch dabei gilt es sich zu positionieren. Die Mitglieder des Redaktions-Teams versuchen dahingehend eine Brücke zu schlagen zwischen sympathisierender Bezugnahme und professioneller Distanz. Sie würde ihnen meiner Ansicht nach noch etwas besser gelingen, gäbe es auch eine knappe Sparte zur Debatte darüber, was emanzipatorischer Protest im fortgeschrittenen 21. Jahrhunderts ist und sein kann.

Die Bedeutung von Demonstrationen für soziale Bewegungen

Mit anderen Worten ist es erforderlich, dass wir begreifen und diskutieren, was wir überhaupt auf welchen Demonstrationen tun. Erstens sind sie ein wichtiges Ausdruckssymbol, das unsere Stärke symbolisieren kann. Zweitens sind Demos Räume der Versammlung, in denen wir das erwähnte Selbst-Bewusstsein entwickeln und daraus auch Motivation und Kraft für die oft unsichtbaren sozialen Kämpfe im Alltag ziehen können.

Drittens werden mit ihnen auch aktuelle Probleme und Herausforderungen der sozialen Bewegungen sichtbar: Etwa ein zu geringer Organisationsgrad in Bezugsgruppen, die diesem Anspruch gerecht werden, eine zu grosse Beliebigkeit und Unsicherheit in den eigenen Inhalten und Visionen oder die Ausbaufähigkeit von kreativem und spontanem Handeln. Und viertens können Demos Orte des Austauschs und der Begegnung unterschiedlicher Menschen sein – wenn sie denn so gestaltet werden, dass dies möglich ist.

In all dieser Hinsicht haben Demonstrationen wichtige Funktionen für die Integration, Verständigung und Stärkung sozialer Bewegungen. Doch für sozial-revolutionäre Bestrebungen sind sie nicht genug bzw. nicht das Eigentliche, gerade weil sich Aktive mit ihnen massgeblich auf der politischen Ebene bewegen. Ohne im Detail einen Plan zu entwickeln, was es zu tun gälte, kann gesagt werden, dass der Aufbau langfristig funktionierender (anti-)politischer Gruppen und Basisstrukturen ebenso wichtig ist, wie die Ausübung direkter Aktion, die Ausprägung rebellischer Haltungen und Bildungstätigkeiten, inklusive theoretischer Auseinandersetzung. Demonstrationen dürfen also nicht zum Substitut für den langwierigen, anstrengenden und meist unsichtbaren Basisaktivismus im Alltag werden.

Das Selbst-Bewusstsein in emanzipatorischen sozialen Bewegungen entfalten

Dies spricht aber umgekehrt nicht dagegen, sie festzuhalten. Die fotografisch qualitativ wertvollen Bilder, sowie die fokussierten Berichte in Bella Ciao stellen deswegen auch eine Wertschätzung des Handelns von Aktiven in emanzipatorischen sozialen Bewegungen dar. Dies ist ein Gegenbild zum verbreiteten jämmerlichen Selbstverständnis – einem im Endeffekt sozialdemokratischen Rudiment –, mit welchem auch radikale Linke ihre Handlungsmacht an Politiker:innen abtreten und sich letztendlich nicht vom Irrglauben an die nutzbare Staatsmacht lösen können. Doch selbstorganisiert und nach Autonomie strebend, tat und tut sich einiges – gerade wenn die (anti-)politische Aktivität über den Symbolcharakter und das Ereignis des Protestes hinausgeht und langfristig das Leben von Menschen verändert. Dabei sollten „wir“ nie vergessen, das „wir“ auch Erfolge zu verbuchen haben.

Insofern ist es wünschenswert, dass das Bella Ciao-Magazin auf Dauer gestellt und weiter entwickelt werden kann. Die Herausgeber:innen fordern auch zur Beteiligung am Projekt auf, womit auch weitere Ereignisse (beispielsweise der feministische Streik am 8. März, die jährliche Demo zum Frauenknast in Chemnitz oder die pro-kurdische Solidaritätsbewegung) festgehalten werden könnten. Ein Blick in die erste Ausgabe lohnt sich in jedem Fall.

Jonathan Eibisch