„Wir wollen eine Front machen gegen die grosse Zahl der rückständigen Familien- und Frauenzeitungen, die das Gemüt und den Sinn unserer Frauen und Kinder mit den farblosen Idealen einer vergangenen Zeitepoche nähren und es bis jetzt nicht verstanden haben, sich auf den Boden der Revolution zu stellen.“ [1] Mit diesen Worten positionierte sich Aimée Köster in einem Brief an Pierre Ramus vom 28. Februar 1925, mit dem sie sich immer wieder um die politische Ausrichtung ihrer Zeitung stritt. Aber was war Die Schaffende Frau für eine Zeitschrift? Welche inhaltliche Einordnung können wir vornehmen und wie schaffte es Aimée Köster dieses Projekt zu bewerkstelligen? Der folgende Artikel soll sich diesen Fragen widmen. Grundlage ist eine bisher unveröffentlichte wissenschaftliche Arbeit zu dem Thema.
„Der Belagerungszustand ist aufgehoben! Die Schaffende Frau ist frei!“ [2]
Aimée Köster war die alleinige Herausgeberin, die den inhaltlichen Rahmen selbstständig und unabhängig bestimmte, aber auch die finanziellen und rechtlichen Konsequenzen scheinbar allein zu meistern hatte. Mit der ersten Ausgabe im Oktober 1919 erschien Die Schaffende Frau monatlich im gleichnamigen Verlag. Aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten konnte dieses Organ während der wachsenden Krise und Inflation zeitweilig nur noch alle zwei Monate erscheinen. Die Etablierung der Zeitschrift erfolgte durch den Versand der ersten Ausgabe an verschiedene Frauen, „die in irgend einer Art in Beziehung zur freiheitlichen Bewegung stehen, sei es dass sie sich zur Weltanschauung des Pazifismus, des humanistischen oder des politischen Sozialismus bekennen.“ [3] Als Form des Feedback wurde all jenen, denen die Zeitung nicht gefiel, vorgeschlagen, die erste Nummer einfach zurückzuschicken. [4]
Doch eine Zeitschrift zu publizieren, barg verschiedene Probleme, und dies musste auch Aimée Köster erleben. Neue Zeitschriften benötigten die Genehmigung des Reichswehrkommandos in Dresden. [5] Die Beantragung der Schaffenden Frau wurde allerdings abgelehnt und damit begründet, „dass kein Bedürfnis für eine sozialistische Frauenzeitung da sei!“ [6] Die Herausgeberin räumte in einem Rückblick in der 50. Ausgabe selbst ein, dass sie diese Genehmigung etwas leicht genommen hatte und davon ausgegangen war, dass es kein Problem sein würde, eine solche zu erlangen. [7] Während sie versuchte, die Genehmigung rückwirkend zu erhalten, wurden bereits die ersten Nummern ihrer Zeitschrift erfolgreich veröffentlicht. Aufgrund der fehlenden Genehmigung erfolgte allerdings am 21. Februar 1920 die polizeiliche Beschlagnahmung der ersten vier Ausgaben. [8] Bereits im sechsten Heft berichtete Aimée Köster aber: „Der Belagerungszustand ist aufgehoben! Die Schaffende Frau ist frei!“ – die Genehmigung war erfolgt.
Sozialistische Zeitschrift mit Modebeilage
Die Zeitung trug wechselnde Untertitel, so zum Beispiel: Sozialistische Zeitschrift mit Modebeilage, Erörterung der sozialen Probleme, Erziehungs-, Schul-, Frauen- und freireligiöse Fragen, Weltbürgertum und Pazifismus, Sozialistische Romane und Novellen, Berufsfragen, Mode- und Handarbeitsvorlagen, Technische Aufsätze für die Handfertigkeit der schneidernden Hausfrau. [9] Dies deutete bereits auf den übergeordneten Charakter des Periodikums hin. Aimée Köster und damit auch Die Schaffende Frau standen zwar der anarchosyndikalistischen Theorie und Praxis nah. In ihrer Breite an Diskussionen und Ideen ging die Zeitung aber über diesen Kontext hinaus und skizzierte unterschiedliche zeitgenössische Ansätze zur Rolle der Frau in der Gesellschaft. Ihre Zielgruppe war „die aufgeklärte Frau, […] die vorurteilslose Frau aus den Reihen der Intellektuellen und die denkende Frau aus den sozialistischen Arbeiterkreisen.“ [10]Aimée Kösters Motivation, dieses Projekt ins Leben zu rufen, begründete die Herausgeberin mit dem Mangel „im Charakter und im Geist der Frauenzeitungen einen der Gegenwart angepassten freiheitlichen Zug und die Erörterung der modernen Fragen in neuzeitlicher, radikaler Beleuchtung.“ [11] Einzige Ausnahmen im Chor der reaktionären und arbeiterfeindlichen Frauenzeitungen waren in Kösters Augen Die Neue Generation, herausgegeben von Helene Stöcker, Die Gleichheit, redigiert von Clara Zetkin sowie Die Frau im Staat, herausgegeben von Anita Augspurg. Allerdings hatten diese keine Modebeilagen, weshalb die bürgerlichen Modezeitungen trotzdem von den Arbeiterfrauen bezogen wurden. Aufgrund der finanziellen Lage waren die Arbeiterinnen auf Schnittmusterbögen zur Herstellung der eigenen Kleidung angewiesen. [12]
Auf dem ersten Titelblatt wurde die schaffende Frau als Säerin in einem Strahlenkranz (siehe Abbildung) abgebildet. Dieses Bild hatte eine starke politische Ausdruckskraft, es zeigte die produktive Arbeiterin, die als Synonym für eine Frau gelesen werden kann, die neue gesellschaftliche Ideen säte, verbreitete und sich damit selbst befreite. Das Titelblatt bildete zwischenzeitlich verschiedene Modezeichnungen (siehe Abbildung) ab, die im Heft besprochen wurden. Damit wurde der Fokus optisch auf den Modeteil gelegt. Im vierten Jahrgang wurde die Säerin in neuem Glanz [13] zurück auf das Cover geholt. Anstoss dafür erhielt Die Schaffende Frau unter anderem durch einen Leser*innenbrief, in welchem sich die Säerin als Inbild der produktiven Arbeit zurückgewünscht und darum gebeten wurde, die hübsch gekleideten Mädchen, die nicht unbedingt die Realität widerspiegelten, gehen zu lassen. [14]
Der Modeteil nahm mit vier bis sechs Seiten in den späteren Ausgaben mit Schnittmusterbogen einen grossen Teil ein. Trotzdem wurde die Zeitschrift den inhaltlichen Fragen, die sie aufwarf, gerecht. „Es sind die Felsen der Kirche und des Staates, der Gesetze, die von Männern und zugunsten der Männer ersonnen wurden und deshalb die natürlichen Rechte der Frau niedertreten […], es sind sie Ehegesetze und jene, die die Mütter unterdrücken und betrügen, […] es sind vor allem die ungeschriebenen Gesetze, die laut Sitte und Brauch die Frau zum minderwertigen Wesen stempeln […]“ – „Wir alle wissen, dass die Befreiung des Proletariats das Werk des Proletariats sein muss. Jeder muss sich selbst befreien – auch die Frau! […] Die Frau muss selbst den Weg finden zur Freiheit, sie muss selbst die Ketten sprengen […]!“ [15] Begleitend zu diesem Text zeigte die Ausgabe 37 auf dem Titelblatt eine Frau durch Ketten an einen Felsen geschmiedet. Haushalt und sozialistische Gesellschaftsidee
Die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Zeitschrift lag im Bereich gesellschaftspolitischer und alltagspraktischer Themen. Fragen um Beruf, Familie und Haushalt wurden im Zusammenhang einer sozialistischen Gesellschaftsidee besprochen. Fortsetzungsreihen zur „Geschichte des Sozialismus“ von Fritz Oerter, „Die Frau in der kommunistischen Gesellschaftsordnung“ von Alexandra Kollontai oder im vierten Jahrgang eine Serie mit dem für eine Frauenzeitung ungewöhnlichen Titel „Von grossen Männern“ von Rudolf Rocker [16] wurden abgedruckt. Themen wie die gesellschaftliche Stellung des unehelichen Kindes, Prostitution, die Rolle der Frau in Bezug auf Haushalt, Mutterschaft und Lohnarbeit, die Organisation der Gesellschaft in der Praxis, mit Einküchenhäusern oder Siedlungsprojekten, Geschlechterrollen, Sexualität, Verhütung – all dies wurde in Aufsätzen oder Leser*innenbriefen diskutiert.
Auch die Frage der Erziehung und Bildung nahm einen grossen Stellenwert ein, da die Vermittlung neuer sozialistischer und fortschrittlicher Ideen und Entwürfe, um die zukünftige Gesellschaft zu gestalten, ein zentrales Thema war. Fortsetzungsromane, Gedichte und Novellen versuchten auf literarische Weise gesellschaftskritische und klassenkämpferische Ansichten zu vermitteln. Besprechungen von Büchern aus der im Laufe der Zeit etablierten Versandbuchhandlung, die dem Verlag angegliedert war, wurden ebenfalls regelmässig abgedruckt. Besprochen wurden Bücher über sexuelle Aufklärung und Verhütung bis hin zu anarchistischen Theoretikerinnen und Theoretikern. Syndikalistischer Frauenbund Am 13. November 1921 gründeten 22 Frauen einen Syndikalistischen Frauenbund in Dresden. [17] Mitglieder waren unter anderem Aimée Köster, Hanna Strube, Mathilde Wachsmuth und Elisabeth Windhoff. Die Schaffende Frau war also mit den syndikalistischen Frauenbünden personell und inhaltlich verwoben. Sowohl Aimée Köster, als auch andere Mitglieder des Dresdner Frauenbundes publizierten im Frauenbund (die Beilage der Frauenbünde in Der Syndikalist). Die Schaffende Frau berichtete unter dem Titel Die Frauenbünde im Reich über aktuelle Diskussionen und Projekte der Frauenbünde, mit besonderem Fokus auf die Dresdner Ortsgruppe. Ebenso wurden Aufrufe, Frauenbünde zu organisieren, und Hinweise, wie das am besten umgesetzt werden könnte, abgedruckt.
Reichweite der Schaffenden Frau
Wenn auch die anarchistische Frauenbewegung in Deutschland quantitativ eher unbedeutend war, ist die Zeitschrift doch als bedeutend für libertäre Sozialist*innen einzuordnen und ermöglicht einen Blick auf parteiunabhängige Frauen im Arbeiter*innenmilieu. Die Reichweite der Schaffenden Frau war ebenfalls durchaus beachtlich, wenn auch die Auflagenstärke nicht bekannt ist. Sie wurde nicht nur in Deutschland gelesen, sondern auch in der Schweiz, Österreich und in Luxemburg vertrieben. In Luxemburg wurde der Vertrieb zum Beispiel durch die Gewerkschaftskämpferin Lily Becker übernommen.Zudem wurde Die Schaffende Frau unter anderem an Privatpersonen in die Tschechoslowakei geschickt sowie nach Brasilien. Fritz Kniestedt bestellte in einem abgedruckten Brief 36 Ausgaben nach Brasilien, mit revolutionärem Gruss. [18] „Wer in der Versandbuchhandlung Die Schaffende Frau Bücher bestellt, unterstützt den Verlag und hilft damit beitragen, dass unsere Zeitung sich weiter erhält. Die Schaffende Frau ist ein Unternehmen, das ohne Kapital anfing, ohne Kapital besteht und nur auf die Einkünfte der Zeitung und des Buchvertriebs angewiesen ist.“ [19] Zu Beginn war die Zeitschrift für 60 Pfennig zu erwerben. Später, während der Hochzeiten der Inflation, gab es keinen Festpreis mehr, da die Preisentwicklung zwischen Produktion, Druck und Auslieferung erheblich schwankte. So schrieb Aimée Köster in der Septemberausgabe von 1923: „Ich wage es nicht, den Preis der Schaffenden Frau nach der Schlüsselzahl des Börsenvereins zu kalkulieren, […] weil dann die Zeitung heute, am 25. August, bereits 600.000 Mark kosten würde.“ [20] Um diesem Problem entgegenzuwirken, organisierte sie die Bezahlung auf Vorschlag von Leser*innen durch Vorauszahlungen; wenn das Geld aufgebraucht war, wurden weitere Beträge nachgereicht. [21]
Der Druck der Zeitschrift erfolgte bis Oktober 1920 in der Albanus'schen Buchdruckerei und wurde danach in der USPD Druckerei Genossenschafts-Druckerei Gross-Dresden e.B.m.b.H vollzogen. [22] Aus persönlichen und finanziellen Gründen veröffentlichte Aimée Köster im 19. Heft im April 1921,„dass der Verlag der Schaffenden Frau am 1. April 1921 in den Besitz der Genossenschafts-Druckerei Gross-Dresden, e.B.m.b.H. in Dresden übergegangen ist. Die Herausgeberin und verantwortliche Schriftleiterin Frau Aimée Köster behält jedoch wie bisher die Redaktion der Schaffenden Frau.“ [23]
Im Rückblick beschrieb sie in der 50. Ausgabe: „Es war mir nicht mehr möglich, die redaktionellen, die geschäftlichen, die Expeditionsarbeiten, die Buchführung, die Korrespondenz allein zu bewältigen, ich litt körperlich und geistig unter der stehts grösseren geschäftlichen Verantwortung, hatte ausserdem Schwierigkeiten mit Wohnung und Geschäftsraum und war natürlich verschuldet beim Drucker.“ [24] Im 36. Heft im September 1922 schrieb sie, dass sie den Verlag zum 1. Oktober zurück übernehmen wird. Vor allem die politische Unabhängigkeit war ihr sehr wichtig.
Das Aus nach sechs Jahren
Am 17. August 1925 liess sich die ökonomische Situation nicht mehr bewältigen und Aimée Köster schrieb an ihre Leser*innengemeinschaft, dass Die Schaffende Frau für einige Monate eingestellt werden würde, bis die „steigende[n] Erwerbsmöglichkeiten den gegenwärtig unter schweren Entbehrungen leidenden Bildungsbetrieb des arbeitenden Deutschlands wieder aufleben lassen, [dann] wird auch […] die Schaffende Frau wieder auf dem Plan erscheinen und mit altgewohnter Entschiedenheit für die Interessen der arbeitenden Frauenwelt voll eintreten.“ [25] Die Wiederkehr fand nicht statt und somit stellte Die Schaffende Frau mit ihrer 66. Ausgabe im sechsten Jahrgang ihre Arbeit ein.Aimée Köster spielte für die Herausgabe der Zeitung eine zentrale Rolle. Deshalb ist die Frage nach ihrer Person spannend. Wie ist ihre individuelle politische Entwicklung einzuordnen und wo schlägt diese sich in der Schaffenden Frau wieder? Die Tatsache, dass Aimée Köster Mitbegründerin des Dresdner Frauenbundes war, lässt eine klare Überschneidung mit dem anarchosyndikalistischen Spektrum der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) erkennen und erklärte die inhaltliche Nähe zu libertären Themen und Positionen, die einen grossen Anteil der Zeitschrift ausmachten und sich ebenfalls in ihren Artikeln in anderen Zeitungen niederschlugen.
Die Forderungen und Inhalte der syndikalistischen Frauenbünde wurden allerdings nicht programmatisch in Die Schaffendene Frau übernommen. Sie spiegelten sich aber wider und wurden durchaus radikaler weiterentwickelt. Die Zeitschrift prägt kein in sich geschlossenes Weltbild, sondern eine Offenheit zur Diskussion und der Versuch, verschiedene Ansätze auf ihre Inhalte zu prüfen und im Sinne der Emanzipation der Frau zu einer Handlungsperspektive zu entwickeln.