Alex Feuerherdt: Fest der Völker. Eine Sportrundschau im Zeitalter des Antizionismus
Feuerherdt stellt bereits zum Anfang seines Artikels klar, dass es ihm darum geht, zu skandalisieren was nicht passiert ist: Die Olympischen Sommerspiele 1972 in München hätten bereits vor ihrem Beginn ihren ersten Skandal gehabt. „Besser gesagt: Es war etwas passiert, das eigentlich ein Skandal hätte sein müssen – aber grösstenteils bloss achselzuckend zur Kenntnis genommen wurde“ Und das, obwohl es sich dabei „um einen schweren Verstoss gegen den olympischen Geist“ [80] gehandelt habe: Gemeint ist hier das Verhalten des libanesischen Teamchefs Saim al-Haj Nakoula, der die isrealische Mannschaft daran hinderte, den gemeinsamen Shuttlebus zu betreten. Desillusioniert stellt Feuerherdt daraufhin fest: „Der Sport ist in Bezug auf den Umgang mit dem jüdischen Staat ein getreues Spiegelbild der Politik, und deshalb lehnen jene Staaten, die Israel nicht anerkennen, auch jeglichen Wettstreit, ja, überhaupt jegliche Begegnung mit Israelis im Rahmen von Wettkämpfen rundweg ab“ [81].Es folgt eine Aneinanderreihung von antisemitischen Übergriffen, Beleidigungen und Boykotten gegenüber den israelischen Mannschaften und ihren Sportlern, die durch „unzählige weitere Beispiele für Boykotte und weitere antisemitisch motivierte Massnahmen“ [82] ergänzt werden könnten. Dabei durchzieht den ganzen Artikel der Widerspruch, diese einerseits als einen einzigen Verstoss gegen den olympischen Geist darzustellen, „so man diesen denn überhaupt noch geltend machen möchte“ [80] und auf der anderen Seite darum zu wissen, dass die Staatenwelt sich nicht ohne Grund diese sportliche Selbstdarstellung gönnt: „Die Boykotte, Anfeindungen und Behinderungen mit denen sich Israel im Sport seit jeher herumschlagen muss, entsprechen also denjenigen, mit denen das Land auf der politischen Bühne permanent konfrontiert ist. Alles andere wäre auch erstaunlich, denn selbstverständlich ist der Sport ein einziges Politikum, auch wenn er sich selbst gerne apolitisch gibt und so tut, als könnten der Wettkampf und der Appell an das Fairplay eine überparteiliche Identität stiften. Ohnehin führen sich Sportfunktionäre auf wie UNO-Generalsekretäre […]“ [86]
Dass der ganze Skandal – also das Ausbleiben eines solchen – von seinem eigenen Idealismus gegenüber dem olympischen Geist lebt, legt Zeugnis über eine Zeitschrift ab, die sich gar nicht Rechenschaft ablegen will darüber warum, sondern wie israelische Sportler behandelt werden. So entsteht eine lange Liste, die skandalös nur für denjenigen ist, der sich schon vorher entschieden hat, für den olympischen Geist oder Israel Position zu beziehen.
Lea Wiese: Der „liebenswürdige Weltweise“ und seine Pace-Flagge
Lea Wiese nimmt den Tod Arno Gruens zum Anlass einer kritischen Würdigung seines Lebenswerkes. Dabei zeigt sie in Vollendung, dass Kritik auch einfach Missverstanden werden kann als Nachweis davon, dass ein Autor von der eigenen Sicht der Dinge abweicht. Bei „Weder historisch noch ideologisch ist bei Gruen also noch eine Differenz [zwischen Shoa und anderen Gräueltaten] denkbar, da im Zuge seiner relativierenden Zivilisationskritik alles ohne Unterschied auf die gleiche üble Wurzel zurückzuführen ist“ [89] Diese Avantgarde der Ideologiekritik scheint es überhaupt nicht mehr nötig zu haben, für ihren Standpunkt zu argumentieren: Die schlichte Abwesenheit ihres Standpunktes von der Unvergleichbarkeit der Shoa reicht da bereits als Kritik an einem Autor. Da habe er „zunächst allgemein richtig“ [89] über Ich-Schwäche fabuliert, dann aber als Beispiel ausgerechnet israelische Siedler verwendet. Dass sich dieses Beispiel von selbst verbietet ist der Autorin wie der Leserschaft scheinbar so klar, dass dem unbedarften Rezensenten nicht einmal mehr ein Hinweis gegeben wird, warum das nun eigentlich ein verkehrtes Beispiel für eine „Ich-Schwäche“ sein soll.Nebst Artikeln dieses Kalibers gibt es allerdings noch mehr: Einen ganzen zweiten Teil der Sans phrase macht eine Sammlung von Essays aus, die, teilweise schon früher veröffentlicht, nur teilweise eine kurze Einordnung durch die Redaktion erfahren.
Leah C. Czollek: Sehnsucht nach Israel
Czollek schreibt in ihrem Essay über ihre eigenen Erfahrungen als jüdische Überlebende der zweiten Generation - also als selbst nicht mehr von der Shoa, dafür von der deutschen Therapie betroffene Frau: „Deutsche TherapeutInnen sollten sich der Begrenztheit ihres eigenen Kanons von Anschauungen bewusst werden. Sie sollten sich bewusst machen in ihrem ganz alltäglichen Leben, welche Privilegierung es bedeutet, zu dieser Gesellschaft zu gehören. Es ist ein Privileg, aufzuwachsen in dem sicheren Gefühl, dass die Gesellschaft, das Rechtssystem, alle Räume für sie da sind. Dass die Erde, über die sie gehen, ihnen gehört. Aufzuwachsen ohne eine Hypothek von so viel gewaltsamem [sic!] Tod auf den Schultern, so viel Demütigung“ [109].Czollek verwandelt hier ihre brutale Erfahrung der Exklusion aus der deutschen Gesellschaft als Jüdin in ein Lob der Inklusion – ganz so, als ob das eine im anderen Stecken würde. Sie verfährt einfach so, dass die eigene negative Erfahrung - keinen Platz zu haben wo man hingehört, Ausschluss, Diffamierung und Gewalt - als Teil des Kollektiv gleichsam aufgehoben sein müsste, sobald einer dazu gehört. Dabei muss das weder der Fall sein, noch ist er es in diesem speziellen: Dass „die Erden, über die sie gehen, ihnen gehört“ dürfte wohl zu einer Erfahrung gehören, die kaum ein deutscher Lohnabhängiger in seinem Leben jemals gemacht hat. Dass sogar das deutsche Rechtssystem ausgerechnet „für sie da“ ist – also seine Bestimmung in der Dienst für den deutschen Arbeiter hätte, lebt wirklich von der schlechten Negation Czolleks Ausschlusses: Weil es für sie nicht da ist, muss es ja für die Deutschen da sein.
Der Artikel von Andrea Trumann illustriert die Verrücktheiten einer Zeitschrift, die von Klassenanalyse so gar nichts mehr hält: „Doch selbst wenn das Opfern der Kindheit dazu führt, dass man später erfolgreich die Karriereleiter hinaufklettert, sind gerade die gesellschaftlich erfolgreichsten diejenigen, deren Arbeitspensum am grössten ist, und die das Geniessen ihrer Früchte Arbeit bis auf die Rente verschieben können, die auch immer weiter ausgehöhlt und nach hinten verschoben wird.“ [134] Ganz abgesehen von der empirisch zu widerlegenden Behauptung, dass es die Friseurinnen und Krankenschwestern der BRD wären, die wenigstens über Freizeit verfügen würden: Dass es einen Unterschied geben könnte zwischen „erfolgreich die Karriereleiter hinaufklettern“ und den „gesellschaftlich erfolgreichsten“ fällt hier gar niemandem mehr auf. Es mag ja sein, dass sich die studierten Chemiker und Ingenieure mit langen Arbeitstagen plagen.
Die gesellschaftlich Erfolgreichsten sind sie aber nicht nur deswegen nicht. Aus Geld mehr Geld zu machen, also ganz ohne Arbeit am Reichtum dieser Gesellschaft zu partizipieren ist immer noch die Königsdisziplin im Kapitalismus. Kapitaleigner zu sein ist aber bekanntlich kein Jobangebot, das einem Aufstiegs- und Kindheitsopferwilligen Proleten in der BRD gemacht wird.
Wer keine Lust hat, sich darüber aufzuregen, dass der olympische Geist so richtig gar nicht praktiziert wird, sondern die Staaten eben auch im Spiel an ihrer Konkurrenz festhalten; wer sich also nicht darüber informieren will, was gerade für die Redaktion der sans phrase mal wieder eine Einstellung ist, die gar nicht geht – der sei daran erinnert, dass man seine 15 Euro pro Heft wirklich auch anders investieren kann.