Was ist überhaupt Trash TV?
Starten wir erst mal mit den Grundlagen; Trash TV ist kein eigenes Genre, sondern ein Oberbegriff, für Sendungen, die man grob in Scripted-Reality-Sendungen wie „Mitten im Leben“, Dating Shows wie „Der Bachelor“ und Castingshows wie „Germany's Next Topmodel“ einteilen kann. Es gibt aber auch noch andere Formate, wo sich vor allem Z-Promis gegenseitig die Köpfe einschlagen, wie bspw. „Promis unter Palmen“. Sie alle haben gemeinsam, dass sie möglichst realistisch wirken sollen, auch wenn es in den meisten Fällen mindestens ein grobes Script, Anregungen durch die Produktionsfirma oder einen Schnitt gibt, der Sachen in ein ganz anderes Licht rücken soll. Diese vermeintliche Realität ist also ziemlich gekünstelt und wird dem Drameneffekt entsprechend zurechtgebogen. Viele können das auch nicht erkennen und so fällt es ihnen dann auch schwer, zwischen den Teilnehmer:innen einer Show und ihnen als Privatperson zu unterscheiden. Und auch den Darsteller:innen fällt das auf die Füsse, wenn sie für meist wenig Geld ziemlich entwürdigende Sachen tun müssen (es sei denn, sie sind Promis mit hochdotierten TV-Verträgen und Agenturen).Trash TV gibt es in der deutschen Fernsehgeschichte noch nicht so lange, denn nach dem 2. Weltkrieg und der Zweiteilung Deutschlands wurde im BRD-Fernsehen eher ein Fokus auf „Erziehung zur Mündigkeit“ gelegt, weswegen es hauptsächlich ernsthafte Formate gab, in denen auch in vielen Fällen Wissen vermittelt wurde. Erst mit der Einführung der Privatsender wie z. B. RTL in den 1980er Jahren wurde ein neuer Fokus deutlich: Es ging auf einmal um Einschaltquoten (und Werbeeinnahmen), denn anders konnte man sich nicht gegen die gefestigten Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchsetzen. So gab es bspw. Shows wie „Tutti Frutti“, eine Erotik-Spielshow in den 1990er Jahren auf RTL.
Klares Vorbild: das US-amerikanische DayTime TV. Gerne wurden hier vor allem Talkshow-Formate mit skandalträchtigen Dramen als Anregung übernommen. Diese waren besonders in den späten 1990ern bis zu den frühen 2000ern angesagt, zum Beispiel „Britt – der Talk um eins“. Aber auch heute noch kann festgestellt werden, dass alle Trash-TV-Formate ein Art Äquivalent im englischsprachigen Raum haben, sei es nun „Love Island“ oder „Too hot to handle“.
Medienwissenschaftler:innen sehen die Vorläufer ausserdem in Freakshows und französischem Kasperletheater: Mit anderen Worten, reisserische Inhalte, Fremdscham und seichte Unterhaltung prägen die Sendungen und sind auch deren Erfolgsrezept. Denn ja, natürlich wollen wir sehen, wie 10 Singles gegen ihren Sexdrive ankämpfen und uns darüber lustig machen, dass sie es wirklich nicht 14 Tage aushalten können wie bei „Too hot to handle“. Wenn die Einschaltquoten stimmen, klingeln natürlich auch die Werbeeinnahmen im Portemonnaie (oder wie bei Netflix die Einnahmen aus den Abogebühren). Aber der Fokus auf Geld und Aufmerksamkeit ist mitnichten das einzige Problem, das die beliebten Shows haben. Sie lenken uns ab von den wichtigen Themen des Lebens, lassen uns abstumpfen, haben also eine Art Zerstreuungseffekt, der uns vom Leben während kapitalistischer Krisen ablenken soll. Ausserdem vermitteln sie auch in vielerlei Hinsicht falsche Werte und Bilder über bestimmte Personengruppen.
Klassismus und der Hass auf Hartz-IV-Empfänger:innen
Besonders sieht man das zum Beispiel in Scripted-Reality-Sendungen wie „Mitten im Leben“, „Familien im Brennpunkt“ oder im Doku-Format „Hartz aber herzlich“, umgangssprachlich auch als „Asi-TV“ bezeichnet, in welchen Stereotypen über Menschen, welche in Armut leben, vermittelt werden. Oft soll es so wirken, als hätten diese selbst Schuld an ihrer Lage, seien faul, egoistisch, drogen- und alkoholabhängig, schlechte Eltern mit viel zu vielen Kindern, aus denen auch nie etwas werden wird. Auch werden sie auffällig oft als besonders dick mit krass ungesunder Ernährung dargestellt, die den ganzen Tag nur auf der Couch sitzen und fernsehen. Das alles passiert, während in Deutschland Hartz-IV-Empfangende Sanktionen hereingedrückt bekommen und in Massnahmen gezwungen werden, wollen sie nicht ohne das Minimum an Lebensstandard dastehen.Laut Armutsforscher Christoph Butterwegge wird durch diese Darstellung einerseits Angst angeheizt, ebenso wie Dome & Co. im Plattenbau zu landen. Den Zuschauenden fällt es aber auf Basis der Stereotypisierung und extremen Überspitzung umso leichter, sich zu distanzieren und zu erheben und sich auch im realen Leben als etwas Besseres zu fühlen. Diese These lässt sich gut daran bekräftigen, wie die Sendungen in sozialen Netzwerken kommentiert werden. Hier wird gefordert, den Frauen in Armut ihre Kinder wegzunehmen. Es wird darüber gelästert, dass sie es wagen, von ihrem Hartz IV nicht nur Lebensmittel einzukaufen, sondern auch mal Zigaretten oder sich die Nägel machen zu lassen. Wer arm ist, verdient nur das Allernötigste, so der Tenor.
Allerdings sei an dieser Stelle gesagt, dass die Herabwürdigung der Armen in den letzten Jahren eher subtiler geworden ist, als es vorher noch üblich war, und der Blick vermeintlich differenzierter wirkt. Aber die Distanzierung und der Argwohn bleiben natürlich trotzdem bestehen. Denn nicht immer ist das Gefühl der Zuschauenden, etwas Besseres zu sein, ausschliesslich reine Arroganz. Manchmal zeigt es sich auch eher in der Hinsicht, dass man sich denkt, dass man es im Vergleich zu „denen“, doch eigentlich ganz gut hat und sich nicht beschweren kann.
So wachsen Vorurteile und Hass. Es kommt zu einer Entsolidarisierung und Spaltung innerhalb der Arbeiter:innenklasse, was natürlich besonders schlimm ist, wenn es aufgrund der Krise wieder Sozialkürzungen gibt und die geeinte Solidarität gegen diese umso notwendiger wird.
Den Traumprinz in 10 Folgen finden?
Aber im Trash TV geht es nicht immer nur um Armut und Elend. Oft genug werden auch Datingshows produziert, die meistens an exotischen Orten spielen, wo alle Teilnehmenden halbnackt am Pool flanieren, Party machen und ab und zu ein paar „anstrengende“ Challenges bewerkstelligen oder auf Einzel- und Gruppendates gehen. Was das Ziel ist, ist eigentlich klar: Hier soll der/die Traumpartner:in gefunden werden. An dieser Stelle wird also ein bestimmtes Ideal von romantischen, hetero- und cis- normativen Beziehungen vermittelt, die auch schön monogam zu sein haben. Denn wer es wagt, bei den Datingshows nicht nur eine Person im Visier zu haben, wird unter Garantie mit Drama oder, je nach Format, sogar mit dem Ausschluss konfrontiert.Doch so romantisch das Ideal einer Zweierbeziehung auch wirken mag, oberflächlicher als in diesen Shows geht es eigentlich gar nicht. Der Fakt, dass es insbesondere in Shows wie „Der Bachelor“, wo es einen Hauptcharakter und um ihn konkurrierende Teilnehmende gibt, darum geht, jemanden von sich in ca. 10 Folgen zu überzeugen und die restlichen Kandidat:innen auszuschalten, klingt nicht nach einem Rahmen, in welchem sich eine zwischenmenschliche Beziehung, basierend auf Gemeinsamkeiten, Kommunikation und Nähe entwickeln kann. Konkurrenz zwischen potentiellen Love Interests, wie wir es aus der Realität von Datings Apps kennen, wird hier noch einmal zugespitzt und durch symbolische Interaktionen wie die Rosenübergabe untermauert. Die Oberflächlichkeit dieser Beziehungen zeigt sich auch an ihrer Dauer, die meistens kaum den Zeitraum von Produktion und Ausstrahlung überschreitet.
Auch wird in den meisten dieser Sendungen Sexualität zwar konstant durch Anspielungen angedeutet, aber es wird immer auf den „richtigen“ Moment gewartet oder gleich klargemacht, dass sie im Rahmen der Sendungen keinen Raum einnehmen darf und bis nach dem Finale gewartet werden muss, wobei vorher das Höchste der Gefühle schlabbrige Zungenküsse sind. Auch das entspricht der bürgerlichen Sexualmoral, dass man, wenn man es mit jemandem ernst meint, nicht gleich drauflosvögeln darf und Intimität aufgespart werden muss (was natürlich in extremer Form auf das Warten bis zur Hochzeitsnacht zurückzuführen ist).
Des Weiteren haben viele, vor allem männliche Teilnehmer, ein sehr rückschrittliches Geschlechterbild. Frauen werden als passive Objekte gesehen, die „klargemacht“, „abgeschleppt“ oder überredet werden müssen, die ruhig sein sollen, wenn der Mann spricht, kein Drama machen und sich ganz einfach unterordnen sollen. Der Mann hingegen tritt als klassischer, aktiver Macho und Eroberer auf, der sich nimmt, was ihm vermeintlich zusteht. Auch werden sie schon nach einer kurzen Kennenlernphase oder auch, wenn sie gerade mal ein Auge auf den oder die Angebetete geworfen haben, ziemlich schnell besitzergreifend.
Das alles basiert natürlich auf der Rollenverteilung, die uns allen im Kapitalismus auferlegt wird, um die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die doppelte Ausbeutung der Frau durch unbezahlte Reproduktions- und Lohnarbeit zu legitimieren. Ebenso basiert darauf das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie, mit all seinen Einschränkungen, aus dem sich auch die hier reproduzierte bürgerliche Sexualmoral ergibt.
Aber wer macht da eigentlich alles mit?
Wenn wir uns die Anforderungen anschauen, im Bikini oder in der Badehose am Pool zu lungern, wird schnell klar: vor allem normschöne Menschen, die auch als Models und Influencer:innen tätig sein könnten oder dies bereits spätestens nach Ausstrahlung sind. Die Männer sind durchtrainiert und sollen teilweise durch Tattoos noch männlicher wirken. Die Frauen kommen mit langen Haaren, makelloser Haut und schlanken Kurven daher.Personen abseits dieser Ideale sieht man so gut wie gar nicht. Vor allem im Format „Love Island“ wird auch oft in der Villa trainiert und über Ernährung philosophiert. Ausserdem geben viel Teilnehmende in den Interviews an, dass ihre Partner:innen durchtrainiert, schlank und bloss nicht dick sein sollten. So wird auch das Bild zementiert, dass nur normschöne Personen es verdient haben, geliebt zu werden. Und für alle anderen gibt es dann Datingshows, in denen ausschliesslich Plus-Size-Personen auftreten, sie sich also nur „unter ihresgleichen“ umsehen dürfen.
Ausserdem sind die meisten, die dabei sind, weiss und stehen auch offenkundig auf weisse, blonde Frauen, wie Onyi, Teilnehmerin der aktuellen Staffel „Too hot to handle Germany“, kritisiert. Netflix hatte sie zwar als Diversity Bonus gecastet, aber es war klar gewesen, dass die meisten anderen Teilnehmenden ganz andere Präferenzen haben. Das hat sie als Aussenseiterin dastehen lassen, wie sie selber und andere auf TikTok kritisierten. Das ist natürlich alles andere als gute Repräsentation in dieser Show und es ist verständlich, dass dieser Umgang mit einer WOC (Woman of Colour; farbige Frau) im TV dem Selbstbewusstsein von Rassismus-Betroffenen nicht gerade guttut, sondern sogar schadet.
Aber nicht nur in dieser Hinsicht sollten sich die Produktionsfirmen überlegen, ob sie sich Diversität wirklich auf die Fahne schreiben sollten. Grundsätzlich wird nämlich immer davon ausgegangen und die Sendungen sind auch so aufgebaut, dass alle hetero sind und eine binäre Geschlechtsidentität haben. Denn die Einteilung in Mann und Frau spielt eine grosse Rolle in Challenges oder Auswahlverfahren bzw. Pärchenbildungen bspw. bei „Love Island“. Ausser in der aktuellen Staffel von „Too hot to to handle Germany“, wo Bisexualität aber auch eher eine untergeordnete Rolle spielt, gibt es keine gleichgeschlechtlichen Verpaarungen, es sei denn, es ist ein explizit homosexuelles Datingformat. Dasselbe in Regenbogenfarben oder alles besser bei Prince(ss) Charming?
Explizit queere Datingformate gibt es in Deutschland für Schwule mit Prince Charming seit 2019, mit Princess Charming für Lesben seit 2021. Alleine, dass es so lange gebraucht hat, ist schon ein Witz, die ersten Heterofolgen von „Der Bachelor“ gab es bereits erstmals 2003 in der deutschsprachigen Version!
Aber so gut, wie es gemeint ist, so schlecht ist es auch umgesetzt. Werfen wir einmal einen Blick auf Princess Charming. Vor allem in der ersten Staffel gab es einiges an „Problemen“, was fast noch beschönigend ausgedrückt ist. Die Teilnehmer:innen konnte man queeren bzw. lesbischen Stereotypen geradezu zuordnen, vielleicht mit einigen Ausnahmen. Wer da nicht reingepasst hat, wurde unter den Teppich gekehrt, denn auch hier wurde bspw. Bisexualität nicht ernst genommen, denn in der Show geht es ja „nur um Frauen, die auf Frauen stehen“. Realistische Repräsentation sieht anders aus. Ebenso, dass immerzu von lesbischen Frauen gesprochen wurde, obwohl sich unter den Teilnehmenden auch eine nicht-binäre Person, nämlich Gea, befand. In einer Folge wurde sogar über their nicht-binäre Identität gesprochen und they musste einer anderen Kandidatin alles genaustens erklären. Die Sendung ist also auch ziemlich cis-normativ.
Weitere Kritikpunkte sind der unbegrenzte Zugriff und der damit zusammenhängende Konsum von Alkohol. Im Prinzip sieht man die Teilnehmer:innen ständig mit einem Glas Sekt in der Hand und natürlich werden auch so die eigenen Hemmungen fallengelassen. Einerseits trägt das natürlich zur gesamtgesellschaftlichen Normalisierung dauerhaften Alkoholkonsums bei, auf der anderen Seite kam es (unter anderem, aber natürlich nicht nur deswegen) auch mehrfach zu übergriffigem Verhalten am Set. So gab es zum Beispiel einen Outcall wegen sexualisierter Gewalt gegenüber der Influencerin Wikiriot durch Jo, eine andere teilnehmende Person.
Besonders in der Kritik steht hier neben der Täterin auch die Produktionsfirma, die sich nicht zu den Vorkommnissen äussern will und ein An-die-Öffentlichkeit-Treten für die betroffenen Personen durch eine Verschwiegenheitsklausel erschwert hat. Auch in der zweiten Staffel kam es zu bedrängenden Szenen während einer Party mitsamt aufgezwungenen Küssen, obwohl vorher Grenzen aufgezeigt wurden. Statt, dass die Produktionsfirma hier eingreift und verantwortungsvoll handelt, wurde das sogar in die Dramaturgie mit eingebaut!
Wir sehen also: Nur weil LGBTIA+ draufsteht, ist leider nicht alles perfekt, im Gegenteil. Denn natürlich werden auch diese Sendungen im Kapitalismus produziert und sind somit den gesellschaftlichen Zwängen und Einschaltquoten unterworfen. So positiv, wie höhere Diversität erst einmal scheinen mag, zeigen diese Beispiele doch einmal mehr, dass Unterhaltung, welche auf Basis von Kapitalinteressen erstellt wird, nicht derartig progressiv sein kann, wie wir uns das vielleicht erhoffen.
Daher fordern wir:
- Gegen unterdrückerische Schönheitsideale in Werbung und Medien! Enteignet die grossen Medienhäuser und die „kulturschaffende“ Industrie (Gameentwickler, Filmproduktionen, …) genauso wie Google, Instagram und Co.!
- Für organisierte Medienarbeit durch Räte aus Zuschauer:innen, Arbeiter:innen und Kreative ohne die Reproduktion von Unterdrückung!
- Für eine internationale, proletarische antisexistische Bewegung!