Erstaunlicher als die PR-Darstellung Microsofts ist, dass auch weite Teile der Grünen und der (professionalisierten) Klimabewegung diese Vision übernommen haben. Der massive Ausbau des Einsatzes von Technologie und insbesondere von sogenannter Künstlicher Intelligenz wird als grosse Chance, wenn nicht gar Notwendigkeit, im Kampf gegen die menschengemachte Klimakrise wahrgenommen. Kein Tag vergeht, ohne dass nicht eine neue Technologie als „die“ Lösung für das Klimaproblem präsentiert wird.
Sollte die Vision des umfassenden Einsatzes von KI zur Lösung politisch-sozialer Probleme Realität werden, käme es zu tiefgreifenden sozialen Umwälzungen im Sinne der leistungsfähigen, progressiven bürgerlichen und inzwischen oft grünen Eliten. Im diesem Artikel wollen wir uns genauer mit der grünen Technologie-Gläubigkeit befassen. Leitend für unsere Überlegungen ist die Frage, welche Folgen für individuelle und kollektive Selbstbestimmung von der Bekämpfung des Klimawandels mittel Künstlicher Intelligenz zu erwarten sind.
Die Hoffnung auf technische Lösungen
Die Initiative, einen informationstechnologischen Vorstoss in die Weiterentwicklung des Kapitalismus einzubringen, reicht weit zurück. Die Idee entstand jedoch – anders als man meinen könnte – zunächst nicht in Konzernzentralen wie der von Microsoft, sondern in der US-amerikanischen Gegenkultur der 60er Jahre. Die aktuellen grünen Vorstellungen eines sich selbst regulierenden Klimaschutzes und einer mittels Rückkopplungsschleifen von Informationsströmen optimierten Gesellschaft knüpfen an die Utopien der damaligen Alternativbewegung an.2 Diese Vorstellungen münden heute in dem Vorstoss, Klimapolitik und KI in einem technopolitischen Komplex neuer Art zum Kern eines totalisierenden Durchbruchs in eine neue Ära des Kapitalismus zu machen.Bei der Heinrich-Böll-Stiftung läuft dieser Ansatz unter der Reflexion und Offenheit betonenden Überschrift: „KI & Klimawandel – Hype oder Chance?“ Die Heinrich-Böll-Stiftung ist, mehr als jede andere politische Stiftung anderer Parteien, das Strategie- und Diskursorgan (zur Meinungsbildung und Stimmungstest) der Grünen. Klimapolitik erscheint dabei sowohl als Vehikel des technologischen Durchbruchs, als auch als Vehikel zur Verdrängung alternativer politischer Ansätze (des radikalen Klimaschutzes und der gesellschaftlichen Veränderung) und weist den IT-Technologien ein Monopol in der Klimapolitik zu. Auch Ralf Fücks, einer der Gründer:innen des grünen Thinktanks Zentrum Liberale Moderne und ehemaliger Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, schwärmt von einer leuchtenden Zukunft dank technologischer Innovation:
„Aus dem Wettlauf gegen den Klimawandel […] kann eine neue ökonomische Dynamik entstehen, eine lange Welle umweltfreundlichen Wachstums. Ihre Treiber sind Künstliche Intelligenz und die kybernetische Steuerung von Produktion und Logistik, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe, E-Mobilität und Batterietechnik, nachwachsende Werkstoffe, Bionik und das weite Feld der Biotechnologie mit ertragreicheren, robusteren Nutzpflanzen und Lebensmitteln aus Zellkulturen.“ Von dem Literaturwissenschaftler Roberto Simanowski wird diese Haltung so zusammengefasst: „Die Hoffnung, dass die Technik uns rechtzeitig aus dem Desaster, auf das wir zusteuern, errettet, indem sie, gepaart mit ‚nachhaltigem' Konsum, ein ‚grünes' Wirtschaftswachstum ermöglicht, ist […] nur Ausrede dafür, am Status quo nichts Wesentliches ändern zu müssen. KI in ihrer schwachen Form ist erklärter Ausdruck dieser Hoffnung, sich mit Technik, statt einer Kehrtwende, vor den Folgen der bisher entwickelten Technik schützen zu können; durch den effizienten Einsatz von Wärme mittels intelligenter Thermostate, die Optimierung von Verkehrslenkung in der intelligenten Stadt oder die CO2-Rückbindung aus der Atmosphäre in den Boden.“3
Die Hoffnung auf Technik ist demnach ein solutionistischer Ansatz, d.h. das sozial erzeugte Problem des Klimawandels wird in technische Ersatzprobleme, z.B. den enormen Verbrauch von fossiler Energie übersetzt, die dann mittels KI gelöst bzw. weg-optimiert werden können.4
Technozän statt Anthropozän?
Technokrat:innen und Solutionist:innen sehen in der (derzeitigen) politischen Unfähigkeit, einen klimagerechten Richtungswechsel auch nur einzuleiten, die Bestätigung dafür, dass ‚der Mensch' nicht in der Lage sei, a) über seine eigenen Bedürfnisse hinaus und b) über das unmittelbare Hier und Jetzt hinaus rationale Entscheidungen im Sinne eines (globalen) Gemeinwohls zu treffen. Als quasi naturgesetzlich soll diese Einsicht in die ‚menschliche Unfähigkeit' den Weg für eine Künstliche Intelligenz ebnen. Sie könne die Klimakrise weit besser als der Mensch lösen, weil sie viel besser Daten prozessieren und komplexe, klimarelevante Zusammenhänge detektieren kann.Mensch könnte zynisch anmerken, eine KI (ausgestattet mit weitgehender Entscheidungsbefugnis) könne kaum eine noch schlechtere Klimapolitik machen als die derzeitige Politik. Doch anders, als es James Lovelock, eine der intellektuellen Referenzen von Teilen der Ökologiebewegung in seinem Buch Novozän – Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz analysiert, stehen wir schon lange nicht mehr vor einem Wissens- sondern vor einem Willensproblem. Der politische Wechsel vom Fokus des Individuums in seiner Jetzt-Zeitigkeit hin zu einer Gesellschaft, welche die zukunftsfähige Gemeinschaft radikal in den Mittelpunkt stellt, lässt sich nicht per Entscheidungs-Überantwortung an eine künstliche Intelligenz abkürzen. Der Grund dafür liegt weniger im technischen Problem einer niemals ausgewogenen Datenbasis, die zum Training selbstlernender Algorithmen der KI herangezogen wird, und damit zu einer unbrauchbaren Verstärkung dieser Datenvorurteile durch die KI führt. Der Grund liegt vielmehr in der konzeptionellen Unzulänglichkeit des Maschinenlernens, eine brauchbare Notion von Gemeinwohl abzubilden.
Eine semantisch ahnungslose KI, die lediglich Mustererkennung und -optimierung statistischer Gewichte betreibt, hat keine Idee von dem, was ein Gemeinwohl sein könnte und wie es sich sinnvoll dynamisch weiterentwickeln lässt, egal wie beeindruckend ‚menschenähnlich' selbstlernende Sprachmodelle à la ChatGPT Problemlösungsstrategien bereits jetzt imitieren. Schlimmer noch – das Konzept der Optimierung auf der Basis bestehender Daten schreibt unweigerlich Vergangenes (herrschaftsstabilisierend) in die Zukunft fort.
Damit entpuppt sich eine entmündigende KI als Empfehlungs- und Entscheidungsassistent zur Lösung der ökologischen Krise als sozio-technologische Sackgasse – sie ist als (techno-)revolutionäres Hilfsinstrument untauglich. Ihre Attraktivität speist sich lediglich aus einer doppelten Verantwortungsabgabe erstens für die Mehrheit der Menschen, die sich nicht mehr mit dem von ihnen verursachten Klimawandel befassen müssen, da eine KI ohnehin bessere Lösungen findet als sie selbst, und zweitens für die Entscheidungsträger:innen, die den politischen Charakter wegweisender gesellschaftlicher Entscheidungen verschleiern und ihre eigene Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber auf die KI abwälzen können, um so ggf. auch unpopuläre Massnahmen durchsetzen zu können.
Grüne KI als Akzeptanzbeschaffung für soziale Umwälzungen
Es ist festzustellen, dass die Hoffnung auf Technik in der grünen Vision nicht lediglich als bewahrend im Sinne der „Verwaltung einer bereits etablierten Ordnung“ zu charakterisieren ist, sondern die Verheissung der KI gegenüber denjenigen, die über ihren Einsatz bestimmen, gerade darin besteht, die geltenden Regeln bis in die letzten Verästlungen des sozialen Gefüges durchsetzen zu können. Eine solche Optimierung der Durchsetzung sozialer Ordnung mittels KI-getriebener Automatisierung – auch wenn diese den progressiven Zielen im Geiste des Klimaschutzes folgt – ist mehr als nur eine Erfassung immer weiterer Bereiche menschlichen Lebens im Sinne quantitativer Expansion.Sie bildet die Grundlage für eine tiefgreifende qualitative Transformation sozialer Beziehungen. Die Politik eines kombinierten klimapolitisch/technologischen Durchbruchs kann daher als total, oder besser „totalisierend“ bezeichnet werden in dem Sinne, wie es vor hundert Jahren die Kombination von Taylorismus/Fordismus und Durchsetzung von Ersparnissen und durchaus, wie in den USA, ökologischen Zielsetzungen gewesen ist. Totalisierend ist die grüne KI-Offensive auch deswegen, weil sie im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung bis in die Mentalitäten der Menschen hinein wirkt und wirken soll.
Das lässt sich aus der Schrift der Heinrich-Böll-Stiftung „Smarte Technologie gegen den Klimawandel, 15 Fakten über künstliche Intelligenz“ bis ins Einzelne ablesen.5 Sie stellt den Aufriss eines umfassenden gesellschaftspolitischen Projekts dar. Hier wird der klimapolitische/technologische Einsatz auf den Gebieten von Ressourcenverbrauch, Industrie 4.0, Verkehr und Mobilität, Landwirtschaft, Waldwirtschaft, Artenverwaltung durchgespielt.
Eindeutig mit der Tendenz der Ausweitung auf weitere gesellschaftliche Bereiche. Herausheben möchten wir hier Folgendes: Eine Politik unbedingter Vermeidung der Katastrophe wird gar nicht erst verfolgt, es geht um „gesellschaftliche Anpassung“ (S.8). Kapitalismuskritische Gesichtspunkte tauchen ebenfalls nicht mehr auf, wenn es heisst „Energiemarkt nachvollziehbar machen“ (S. 14). Die Propaganda einer „Präzisionslandwirtschaft“ unter Einsatz von KI steht in frappanter Analogie zu der stalinistischen Strategie eines totalisierenden Zugriffs, die gesamte Landwirtschaft bis ins Letzte in eine fordistische/tayloristische Maschine zu transformieren, mit den bekannten katastrophalen Ergebnissen, wie Josephson sie als „Brute-Force-Technologie“ beschrieben hat.
Die totalisierende Tendenz zu einer neuen klimapolitisch-technologischen Expertokratie ist derart hermetisch, dass alternative politische Formen der Klimapolitik und des Verhältnisses zu den neuen Technologien gar nicht mehr auftauchen. Klima- und KI-Politik nehmen die Form eines geschlossenen Systems an, das Spielräume für autonome Prozesse nicht mehr zulässt. Kritik? „Um Vertrauen in die KI zu schaffen, müssen wir uns auch mit ihren möglichen negativen Folgen auseinandersetzen“ (S.32).6
Mit ihrer betont reflektierten Herangehensweise an das Thema sind die Grünen nicht alleine. Immerhin hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) schon 2021, also noch vor der grünen Regierungsbeteiligung, auf Bundesebene ein „Fünf-Punkte-Programm ‚Künstliche Intelligenz für Umwelt und Klima'“ ins Leben gerufen. Darin geht es vor allem um die Schaffung sogenannter KI-Leuchttürme, „Projekten also mit Strahlkraft für den Umweltschutz.“7 Und auch im BMU gibt man sich gern kritisch: „Denn es gibt ökologische Schattenseiten, die wir in den Blick nehmen müssen: Die Milliarden von Berechnungen auf Hochleistungsprozessoren, die den KI-Systemen ihre beeindruckenden Fähigkeiten verleihen, verschlingen viel Energie,“ heisst es im zugehörigen Factsheet, nur um einen Absatz weiter davon zu träumen, „eine starke Marke ‚Sustainable AI made in Europe'“ zum eigenen Wettbewerbsvorteil zu machen.
Zusammen mit den Bundesministerien für Arbeit und Soziales sowie für Familie, Frauen, Senioren und Jugend hat das BMU auch das Forschungsprojekt „Civic Coding ‒ Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl“ gefördert. Darin legt die Bundesregierung einen international einzigartigen Fokus auf „gemeinwohlorientierte“ KI-Entwicklung, wobei einer der Schwerpunkte mit der „KI-Ideenwerkstatt“ auch hier auf Umweltzielen liegt.8 Die faktisch genannten Projekte sind dann allerdings meist eher mickrige Leuchttürme. Da werden hier mal ein paar Bienenstöcke mit Sensoren ausgestattet, um dem Bienensterben auf den Grund zu gehen, und dort mal der Bewässerungsbedarf von Stadtbäumen prognostiziert. Es drängt sich der wenig überraschende Eindruck auf, dass komplexere Probleme von einer automatisierten Lösung durch KI weit entfernt sind und es eher darum geht, den Diskurs über diese Technologien von Seiten des Ministeriums aktiv mitzugestalten.
Klimakiller KI
Die Bundesregierung gibt den KI-Leuchttürmen nicht ohne Grund einen kritisch-reflektierenden Anstrich. Denn es ist keineswegs ausgemacht, dass KI Teil der Lösung und nicht Teil des Problems ist. Schliesslich ist der Ressourcen- und Energieverbrauch des maschinellen Lernens enorm. So schätzt etwa Facebook die beim Training des eigenen Sprachmodells LlaMA verbrauchte Energie auf 2638 MWh.9 Zur Einordnung: Ein modernes Windrad, das etwa 3500 Haushalte mit Energie versorgen kann, muss über drei Monate laufen, um eine solche Menge an Energie zu produzieren.10Während Facebook in Aussicht stellt, dass nach dem einmaligen Trainingsprozess der Energieverbrauch relativ gering ausfalle und u.U. schon eine einzelne GPU ausreichen könne, um die trainierte KI zu betreiben, muss hier festgestellt werden, dass zumindest durch den geplanten massenhaften Einsatz der KI ein enormer Energiebedarf zu erwarten ist – von anderen versteckten Energiekosten wie der Herstellung der nötigen Hardware einmal gänzlich abgesehen.
Schon heute wird geschätzt, dass etwa 12 Prozent des weltweiten Strombedarfs in digitale Geräte fliessen. Tendenz steigend.11 Eine einzelne Google-Anfrage – wohlgemerkt ohne Verwendung KI-basierter Chat-Assistenten – verbraucht etwa 0,3 Wh – soviel Energie, wie benötigt wird, um eine energiesparende LED für drei Minuten zu betreiben. Eine Chat-GPT3-Anfrage, die mittels bereits trainierter KI beantwortet wird, verbraucht dagegen schon 1,3 Wh, also mehr als das 4-fache – wobei das besonders energieintensive Training hier nicht beachtet wird.12 Diese Zahlen sind natürlich lediglich Schätzungen und der reale Energieverbrauch dürfte um ein Vielfaches höher liegen.13 Schliesslich wird nicht nur der Strom zum Betreiben der Rechenzentren verbraucht, sondern auch Produktion und Transport der Hardware sowie Entwickler:innen und ihre Ausstattung verbrauchen Energie, die in den genannten Schätzungen oftmals nicht einbezogen wird.
Angesichts des enormen Energieverbrauchs digitaler Technologien ist Skepsis angebracht, wenn diese als Mittel zur Senkung des Energieverbrauchs angepriesen werden. Die Bundesregierung scheint sich jedoch das Ziel gesetzt zu haben, diese Zweifel zu zerstreuen. Daher befinden sich unter den erwähnten KI-Leuchttürmen auch einige Projekte mit dem Zweck, den Ressourcenverbrauch der KI selbst zu optimieren bzw. ihn transparenter zu machen. Ein solcher Leuchtturm ist das Projekt NADIKI an der Universität Stuttgart, das sich zum Ziel setzt, den realen Energie- und Ressourcenverbrauch von KI über eine Software-Schnittstelle bereitzustellen. In der Pressemeldung zum Förderbescheid heisst es:
„Für eine nachhaltige KI-Nutzung ist es daher wichtig, vorhandene Infrastruktur bestmöglich zu nutzen, um den Bau neuer Rechenzentren, Server oder Netzwerkequipment zu reduzieren oder zu vermeiden. Gleichzeitig sollten KI-Systeme optimal ausgelastet sowie der Ressourcenverbrauch erfasst und offengelegt werden.“14
Damit ist der Rahmen der kritischen Auseinandersetzung über die ökologischen Folgen abgesteckt. Eine ergebnisoffene Hinterfragung, ob KI – und sei es lediglich aus ökologischer Sicht – überhaupt eingesetzt werden sollte, steht nicht im Fokus. Zu klären ist lediglich noch, wie ihr Einsatz „nachhaltig“ gestaltet werden kann – oder anders ausgedrückt: Der Einsatz von KI wird zu einem Optimierungsproblem zweiter Ordnung. Eines ist auch ohne die Ergebnisse der Stuttgarter Forscher:innen sicher – zunächst steigt der Energiebedarf durch den Einsatz maschinellen Lernens. Die hohen Fixkosten, die im Training von KI-Modellen stecken, führen dazu, dass ein effizienter Einsatz nur dann denkbar ist, wenn das Modell anschliessend im grossen Stil angewendet wird. KI-Modelle kommen daher zur Lösung spezialisierter (Klima-)Probleme, bei denen kein gross angelegter Einsatz zu erwarten ist, kaum in Frage.
Es gibt noch einen weiteren Grund, den Energiespar-Versprechungen grüner KI gegenüber skeptisch zu sein: den sogenannten Rebound-Effekt. Dieser besagt, dass Effizienzsteigerungen beim Energieverbrauch nicht dazu führen, dass der Verbrauch insgesamt sinkt, sondern lediglich dazu, dass die Kosten sinken und die überschüssige, nicht mehr benötigte Energie stattdessen an anderer Stelle verbraucht wird.15
Ein einfaches Beispiel: die Senkung des Kraftstoffverbrauchs moderner PKW hat nicht dazu geführt, dass weniger Kraftstoffe verbraucht werden, sondern dazu, dass erstens mehr Auto gefahren wird, weil es sich mehr Menschen leisten können, und zweitens grössere Autos wie SUVs produziert werden, die wiederum einen sehr hohen Kraftstoffverbrauch haben und ohne die Effizienzsteigerungen gar nicht denkbar gewesen wären. Eine Optimierung der bestehenden Wirtschaftsbereiche wird nicht zu einer realen Senkung des Energieverbrauchs führen.
Unter diesen Voraussetzungen wiederum erscheinen auch die Effizienzsteigerungen durch grüne KI wenig geeignet, einen wesentlichen Beitrag für die Bekämpfung des Klimawandels zu leisten. Dennoch setzen viele Liberale, wie der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze, angesichts des Widerstands der politischen und wirtschaftlichen Eliten gegen grundlegende soziale Veränderungen – mal mehr, mal weniger zähneknirschend – vor allem auf technische Lösungen.16 Das wirft die Frage auf: Wie kann es gelingen, eine Debatte über ein Ansetzen an den polit-ökonomischen Ursachen des Klimawandels zu führen, die nicht durch den Verweis auf bevorstehende technische Lösungen schon im Ansatz abgewürgt wird?
Progressiv, aber nicht emanzipatorisch
In ihrer taz-Kolumne kritisiert Charlotte Wiedemann die Grünen scharf für das „nicht ergründete Ausmass europäischer Gewaltgläubigkeit im Ukrainekrieg,“ das die Grünen in Deutschland mit ihrer „feministischen Aussenpolitik“ wie keine andere politische Kraft vorantreiben.17 Sie präzisiert:„Heute sind die Grünen indes eine Kraft der Disziplinierung, der Einhegung geworden, der Betäubung und Verbravung des Denkens. Während sich andere verzweifelt ans Pflaster kleben, sind die Grünen mit den herrschenden Verhältnissen verleimt.“
Und tatsächlich – nicht nur die grüne Position im Ukrainekrieg, sondern auch der Einsatz von KI zur Bekämpfung des Klimawandels sind Symptom einer fatalen Idee, wie sie typisch ist für postdemokratische Gesellschaften: die Durchsetzung progressiver Politik bei gleichzeitiger Aufgabe emanzipatorischer Ansprüche. Sozial bzw. ökologisch progressiv ist diese Politik deswegen, weil der Klimawandel gestoppt werden muss, um die katastrophalen Folgen insbesondere für arme Menschen und die Natur zu verhindern. Die Grünen möchten – in Teilen – die Bekämpfung des Klimawandels auf die Umsetzung algorithmisch errechneter Massnahmen reduzieren.
Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über die konkreten Ziele und daraus folgenden Massnahmen ist da lediglich Beiwerk. Der Verweis auf technologische Lösungen hat somit gerade den Zweck, eine solche Debatte über tiefgreifende Änderungen an den ursächlichen gesellschaftlichen Machtverhältnissen von vornherein abzuschmettern. Anders als der oben zitierte Adam Tooze bedauern es die meisten Grünen daher nicht, mangels politischer Mehrheiten fast ausschliesslich auf technische Lösungen zu setzen.
Im Gegenteil: Die kybernetische Gesellschaft soll uns als grüne Utopie verkauft werden, obwohl sie doch eigentlich vor allem mehr vom Bestehenden enthält. Immerhin erkennen weite Teile der Klimabewegung, dass diese grüne Haltung einen Frontalangriff auf all jene bedeutet, die an der zapatistischen Parole „Eine andere Welt ist möglich“ festhalten wollen. Am deutlichsten wurde dieser Dissens zwischen grüner Parteispitze und Klimabewegung Anfang des Jahres am breiten Widerstand der Bewegung gegen die von den Grünen ausgehandelte Räumung des Dorfes Lützerath.18
Auch wenn die Grünen nicht – wie es im Sinne emanzipatorischer Politik wäre – die gemeinsame und offene Aushandlung von Massnahmen gegen den Klimawandel betreiben, so bleiben sie auf einem liberalen Weg und unterscheiden sich (noch) von einem autoritären Weg, wie er etwa in China gegangen wird. Für diese spezifische Haltung, die zwar formal die liberalen Grundfreiheiten hochhält, gleichzeitig den Fokus aber gänzlich auf die Effektivität der Umsetzung politischer Ziele verschiebt, hat Colin Crouch den Begriff der Postdemokratie geprägt.19 Der schon erwähnte Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne grenzt sich dementsprechend scharf von einem dezidiert autoritären Projekt ab, indem er typisch neoliberale Argumentationsmuster mit der Idee nationaler Wettbewerbsfähigkeit kombiniert:
„Wer Freiheit und Ökologie in Einklang bringen will, muss vor allem auf Innovation setzen und den Wettbewerb um die besten Lösungen fördern. Dafür braucht es einen ökologischen Ordnungsrahmen, der die Dynamik der Marktwirtschaft in eine ökologische Richtung lenkt. Auch eine marktwirtschaftliche Klimapolitik kommt nicht ohne Gebote und Verbote aus. Sie sind aber nicht der Königsweg für die Bewältigung der ökologischen Krise. Eine Top-Down-Steuerung durch engmaschige staatliche Vorgaben kann niemals die Innovationskraft der Marktwirtschaft ersetzen, die das Wissen und die Eigeninitiative von Abermillionen Produzenten und Konsumenten bündelt.“20
Und die Klimabewegung?
Progressiv, aber nicht emanzipatorisch – mit einer solchen Haltung ist die grüne Parteispitze nicht allein. Vielmehr spiegelt sich hier eine grössere gesellschaftliche Entwicklung wider. Nicht von ungefähr gilt mit der Letzten Generation eine Kraft als die medial meist beachtete politische Bewegung in Deutschland 2023, die ihr Desinteresse an den Werten von Aufklärung und der Tradition (linker) Befreiungskämpfe offen kundtut.Carla Rochel, ein Mitglied des sogenannten Strategieteams der Letzten Generation, macht emanzipatorischer Politik eine unmissverständliche Absage zugunsten der vermeintlichen real-politischen Durchsetzung der eigenen Ziele: „Wir tun alles für eine gute Feedback-Kultur, aber wir haben leider bei anderen Organisationen gesehen, dass Basisdemokratie zu viel Zeit braucht, die wir nicht haben.“21 In der Praxis bedeutet dies, dass das Strategieteam, also eine handvoll Leute, plant und die sogenannten „Bienen“ bloss auf ihren Einsatzbefehl warten, der ihnen mitteilt, wann und wo sie sich auf die Strasse zu kleben haben.
Nicht unwahrscheinlich, dass eine solche Haltung der Gruppe noch auf die Füsse fallen wird. Wenn sich nämlich herausstellen sollte, dass das Aktions-Know-how nicht breit genug verteilt ist, um trotz staatlicher Repression gegen die Gruppe auf Dauer weiterzumachen und flexibel auf politische Veränderungen zu reagieren, könnten auch die Vorteile dezentraler Organisationsformen wieder in Erinnerung geraten.
Es gibt jedoch auch andere Ansätze innerhalb der Klimabewegung, die mehr Hoffnung machen, weil sie sich der grünen Einhegung des Denkens nicht kampflos fügen wollen. Zu nennen sind da neben dem bereits erwähnten Widerstand gegen den Kohletagebau (in Lützerath) auch die Proteste in Sainte Soline, Frankreich, gegen die sogenannten Mega-Bassins, riesige künstliche Seen, mit dem Zweck, die industrielle Landwirtschaft in Zeiten sich häufender Dürren mit Wasser zu versorgen.22 Oder auch viele kleinere Aktionen, wie sie auf dem Blog https://switchoff.noblogs.org/ dokumentiert werden. In dem dort veröffentlichten Aktionsaufruf heisst es explizit:
„Wenn uns die Illusion verkauft wird, der Klimawandel wäre technologisch zu stoppen, dann liegt dem das Vertrauen zugrunde, die Machthabenden müssten nur die richtigen Schritte unternehmen, die richtigen Massnahmen ergreifen, um diese Welt zu retten. Zum einen haben sie überhaupt kein Interesse an einem Ende des Expansionskapitalismus, der ihre Machtposition sichert. Und zum anderen ist die technologische Reform mit den neuen Abhängigkeiten, die sie produziert, ebenfalls zum Scheitern verurteilt.“
Fragt sich, ob eine solche Haltung in Klima- und linker Bewegung noch mehrheitsfähig ist, oder ob der technologische Angriff auf die Aufgabe emanzipatorischer Politik schon zu weit vorangeschritten ist.