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Die Klimapolitik denkt, der Energiemarkt lenkt

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Wachstum hat Vorrang Die Klimapolitik denkt, der Energiemarkt lenkt

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Gesellschaft

Die Kluft zwischen den Wünschen der Klimapolitik und den Ergebnissen des Energiemarkts wächst weiter.

Kohlekraftwerk Neurath F und G in Deutschland.
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Kohlekraftwerk Neurath F und G in Deutschland. Foto: gtphotgraphy (PD)

Datum 12. Dezember 2017
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Die Sachwalter der Umwelt freuten sich wie Kinder unter dem Weihnachtsbaum, als die Klimakonferenz in Paris am 12. Dezember 2015 zu Ende ging. «Nach vielen Jahren intensiver Verhandlungen haben sich damit alle Staaten dazu verpflichtet, die Weltwirtschaft auf klimafreundliche Weise zu verändern», schrieb, um nur ein Beispiel zu zitieren, das deutsche Bundesministerium für Umweltschutz und bezeichnete das – inzwischen in Kraft getretene Abkommen von Paris – als «historischen Schritt».

Dieses Abkommen verlangt, dass die globale Erwärmung der Erde gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf «deutlich weniger als 2 Grad Celsius, möglichst 1,5 Grad Celsius» begrenzt wird. Das ist vorerst ein frommer Wunsch. Um nur schon die 2-Grad-Limite mit einiger Wahrscheinlichkeit einhalten zu können, so rechnen die im IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) vereinten Klimawissenschafter, darf die Menschheit künftig nur noch klimawirksame Gase im Umfang von insgesamt 800 Milliarden Tonnen CO2-Equivalent in die Atmosphäre puffen.

Anspruch der Klimapolitik ...

Beim Emissionsstand von rund 40 Milliarden Tonnen im Jahr 2016 (davon 35 Mrd. t. allein in Form von CO2) wäre dieses Kontingent schon in 20 Jahren ausgeschöpft. Das heisst: Ab 2036 wäre Schluss mit der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas. Oder etwas sanfter gerechnet: Um die Klimaerwärmung auf maximal 2 Grad zu begrenzen, müsste die 2016 emittierte CO2-Menge bis 2020 stabilisiert, ab 2030 halbiert, ab 2040 auf einen Viertel und ab 2050 auf einen Achtel vermindert werden.

Absichtserklärungen und Ziele zur Emissionsbegrenzung prägen die globale Klimapolitik schon seit 1992, als die Regierungen am Erdgipfel in Rio die erste Klimakonvention formulierten. Doch auch 25 Jahre später, an der 23. Folgekonferenz (COP 23), die zurzeit in Bonn stattfindet, werden sich die Staaten dieser Erde auf keine verbindlichen Ziele zur Emissionsreduktion verpflichten, geschweige denn auf die notwendigen politischen Massnahmen oder Unterlassungen, um die notwendigen Emissionslimiten zu erreichen.

... contra Zunahme des Energiekonsums

Im Unterschied zur Klimapolitik gibt es beim globalen Energiekonsum keine Ziele. Aber klare Resultate: Der Energiekonsum wächst stetig, und die Verlagerung von fossiler auf erneuerbare Energie kommt nur sehr langsam voran. So stieg der fossile Energieverbrauch (Summe von Kohle, Erdöl und Erdgas) von 1992 bis 2016 weltweit um nahezu 60 Prozent. Ebenso stark erhöhte sich in diesem Zeitraum der energiebedingte CO2-Ausstoss und damit der Löwenanteil aller klimawirksamen Treibhausgase. 25 Jahre nach Rio, wo die dort versammelten Regierungen erstmals eine wirksame Klimapolitik ankündeten, und zwei Jahre nach der «historischen» Konferenz in Paris ist noch immer keine Wende in Sicht.

Das bestätigen die neusten Daten und Prognosen: Im ablaufenden Jahr 2017 wird der weltweite Verbrauch von Erdöl um weitere 1,7, jener von Erdgas um 1,0 Prozent steigen und damit den leicht rückläufigen Verbrauch von Kohle (minus 0,2 Prozent) in der CO2-Bilanz mehr als aufwiegen. Das zeigt der neuste Bericht über die «Marktentwicklung fossiler Energieträger», den das Bundesamt für Energie kurz vor der Klimakonferenz in Bonn auf seiner Homepage veröffentlichte.

Letzten Monat publizierte die Internationale Energieagentur (IEA) ihre neuste jährliche Prognose und kam damit zum gleichen Schluss wie schon 2016: Bis 2040 ist bei unveränderter Energiepolitik eine weitere Zunahme der CO2-Emissionen um 40 Prozent zu erwarten. Und selbst wenn die Staaten alles unternehmen, was sie vor der Konferenz in Paris ankündigten, wird die Kluft zwischen steigenden CO2-Emissionen und klimapolitischen Wünschen weiter zunehmen. Das illustriert eine Grafik, welche die IEA 2016 veröffentlichte, nachdem das Pariser Abkommen in Kraft getreten war (siehe Grafik: «Wunsch und Wirklichkeit»).

Wachstum hat Vorrang

Für die auseinanderdriftenden Kurven zwischen klimapolitischen Anforderungen und realem Energiekonsum gibt es eine einfache Erklärung: Die Energiewirtschaft will weiter wachsen, ebenso wie die Wirtschaft als Ganzes. Dazu verfügt sie über wirksame ökonomische Hebel – von den Investitionen über Arbeitsplätze bis hin zu den Kapitalrenditen. Dem Klimaschutz hingegen fehlt es an kurzfristigen ökonomischen Anreizen, weil sich die Erderwärmung erst langfristig auswirkt. Und die Regierungen als politische Instanzen spielen ein Doppelspiel: Einerseits bekunden sie die Absicht, die Erderwärmung zu bremsen. Andererseits fördern sie den Wachstumsdrang der Energieverkäufer. Dabei haben energiepolitische Taten meist Vorrang gegenüber klimapolitischen Ansprüchen.

Beispiele: Die Staaten subventionieren den fossilen und erneuerbaren Energiekonsum direkt und indirekt mit mehreren hundert Milliarden Franken pro Jahr. Lenkungsabgaben auf CO2 oder Energie scheitern am politischen Widerstand oder sind viel zu gering, um die Folgekosten des Klimawandels zu decken. Vorschriften zur Begrenzung der CO2-Emissionen hinken dem Stand der effizientesten Technik stets hinterher. Verbrauchsnormen für neue Personenautos etwa sind zwar gut fürs Labor, aber wenig wirksam in der Praxis.

Wie der Frosch im Wasser

Der Erfolg der Energiewirtschaft und die Ohnmacht der Klimapolitik lässt sich auch mit dem Verhalten eines Frosches erklären: Wirft man den Frosch ins heisse Wasser, reagiert er schnell, springt sofort wieder raus und rettet sich. Legt man den Frosch hingegen ins kühle Wasser und heizt es langsam auf, reagiert der Frosch nicht und lässt sich langfristig zu Tode kochen.

Hanspeter Guggenbühl / Infosperber