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Im Zeitalter der ökologischen Katastrophen

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Im Zeitalter der ökologischen Katastrophen For Future?

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Gesellschaft

Es war 1975, da sang Rudi Carell noch „Wann wird's mal wieder richtig Sommer?“, und tatsächlich waren die Sommer in diesen Jahren meist kühl und verregnet.

Waldbrände in Kalifornien, September 2018.
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Waldbrände in Kalifornien, September 2018. Foto: California Department of Transportation (PD)

Datum 8. Oktober 2020
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Seit Anfang der Neunziger hat sich das fast schlagartig geändert, nicht schleichend, sondern prompt. Selbst im nördlichen Waldviertel, einer der kältesten Gegenden der Alpenrepublik, dort, wo ich aufgewachsen bin, spürt man die überbordende Hitze. Immer mehr Sommernächte werden zu Tropennächten. Meine Dachkammer wird zur Sauna. Wetterkapriolen häufen sich. Nicht nur wissenschaftlich belegbar ist der Klimawandel, er ist auch sinnlich erfahrbar.

Der anthropogene Treibhauseffekt ist strukturbedingt, kein Unfall der Natur, aber auch keine Böswilligkeit der Menschen, sondern unweigerlich Folge der Produktions-, Distributions- und Konsumtionsverhältnisse. Kurzum, die Emissionen sind die Ausdünstungen des Kapitalismus. An diesem herumzudoktern wird zu keiner Lösung führen, sondern die Probleme prolongieren und potenzieren. „Energie = Wachstum = Wohlstand“, so hiess früher und auch noch heute, was nie wieder so heissen darf. Es gilt nicht bloss den Strom alternativ herzustellen, es gilt den Energieverbrauch radikal zu senken.

Lösungen sind nicht primär in der Technik zu suchen, sondern in deren Begrenzung. Wir brauchen den Dreck nicht, der Dreck braucht uns. Und er verbraucht uns geradewegs so wie wir die Welt verbrauchen anstatt sie zu gebrauchen. Obsoleszenz ist den Produkten auszutreiben, nicht einzuverleiben. Es gibt viel zu tun. Ein Green New Deal ist nur eine Fortsetzung des Gehabten, kein Bruch. Der grüne Kapitalismus ist nicht mehr als eine Nebelgranate.

Ökologie hat radikal zu sein, ansonsten wird es ihr ergehen wie der Sozialdemokratie. Indes können wir uns das gar nicht leisten. Den Kapitalismus vor sich selbst zu retten ist eine gemeingefährliche Drohung. Von Reindustrialisierung und Wachstum zu schwärmen, ist einfach nur diesseits. Soeben hat man den Flughafen Schwechat und die AUA (Austrian Airlines) gerettet. Das begeistert. Indes, die Flugzeuge sind vom Himmel zu holen, damit dieser wieder so blau wird wie er des Öfteren sein könnte.

Der seit Wochen ganz vehement wieder einsetzende Individualverkehr in einer Grossstadt wie Wien demonstriert hingegen, es soll so weiterlaufen wie bisher. Ausserdem ist es doch seit Corona im Auto scheinbar sicherer als in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wenn man von allen anderen Gefahren absieht und lediglich die eine gelten lässt, ist diese Lüge eine glatte Wahrheit.

Wer meint, die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie sei eine Frage der Wirtschaftspolitik, irrt. Mit dem Kapitalismus muss der ihm immanente Industrialismus fallen. Der industrielle Trieb ist kein menschlicher Instinkt, er folgt dem kapitalistischen Getriebe. D.h. nun nicht, dass nichts mehr seriell gefertigt werden soll, doch jede Massenproduktion muss eingebettet sein in ein Dasein, wo Maschinen Menschen nicht durchstreichen und unterjochen.

Automaten haben keine Rhythmen vorzugeben, sie sind auf den Status von Werkzeugen zu reduzieren. Fabriken sind zu Werkstätten zu schrumpfen. Nicht nur der Profit, auch das Geld hat zu verschwinden. „Wer bei uns nun komplizierte Lösungen sucht, wird freilich enttäuscht – Produktion für konkrete Bedürfnisse anstatt für Geld, that's all“, schrieb Andreas Exner (Streifzüge Nr. 46/2009). Das gilt auch weiterhin.

Negativ pointieren ist besser als positiv denken. Guilleaume Paoli propagiert in der Berliner Wochenzeitung Freitag offen für den Alarmismus. Und zweifellos hat er recht, wird derlei nicht marktschreierisch, sondern gezielt eingesetzt. Es sind immer noch zu wenig Apokalyptiker unterwegs. Günther Anders sprach schon vor Jahrzehnten von einer Apokalypseblindheit. Wir verdrängen das gesellschaftliche Unglück, das wir uns antun, und verwandeln es durch positives Denken in positive Artefakte. Alles ist gut und was nicht gut ist, wird gut. So kann das Gute nicht werden, weil es schon vorab behauptet wird. Warum wollen wir uns nur immer betrügen? Was haben wir davon? Warum lassen wir nicht wanken, was ökonomisch und ökologisch wankt. Warum zurren wir es fest?

Drängt sich nicht ein Aspekt der multiplen Krise brachial in den Mittelpunkt, dann dominieren und reüssieren jedoch gänzlich andere Stimmen: Johan Norberg etwa, der ein schwedischer Bestsellerautor ist. Sein Band „Progress“ schaffte es beim renommierten Economist zum Buch des Jahres 2016. Also muss was dran sein. „Wir leben in der besten Epoche der Geschichte und gehen einer grossartigen Zukunft entgegen“, sagt er. Die Verkaufszahlen seines Werks belegen zumindest den Wunsch, dass es so zu sein hat.

Im Alten Testament lesen wir: „Dann segnete Gott Noach und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, vermehrt euch, und bevölkert die Erde! Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf alle Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf der Erde regt, und auf alle Fische des Meeres; euch sind sie übergeben. Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alle übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen.“ (Gen 9, 1-3)

In dieser instrumentellen Tradition steht die gesamte Menschheitsgeschichte, zumindest seit der ersten Globalisierung durch Imperialismus und Kolonialismus. Insbesondere auch Liberalismus und Marxismus sind Abkömmlinge dieses Denkens und Verhaltens. Auch wenn die Marx'sche Kritik weiterreicht, ist der Marxismus Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.

Ökologie behandelt die Rationalität des menschlichen Daseins hinsichtlich seiner stofflichen Bedingtheit – deren Form und Inhalt sind ihr Gegenstand. Die Ökologie kann als Disziplin von der stofflichen Grundlage menschlichen Seins verstanden werden. Stoff meint hier die materielle Basis, organisch wie unorganisch, es geht um den Stoffwechsel in allen Facetten. Die ökologische Problematik übersteigt freilich alle anderen Fragen in ihrer Dimension, sie ist keine zusätzliche Frage, sondern eine übergreifende. Letztlich die alles integrierende Frage. Die Evidenz der Zerstörung, ja der Vernichtung ist kaum noch zu leugnen.

Einer emanzipatorischen Transformation geht es nicht schlicht um Ökologie, sondern insbesondere auch um die Kritik der politischen Ökologie. Deren Vertreter sind Umweltbewegungen und Grüne. Durch sie manifestiert sich nicht das Andere, was meint, die gesellschaftliche Alternative, sondern die Bearbeitung der Umweltprobleme im konventionellen Rahmen. Analog zum Sozialen wird das Ökologische zu einem zusätzlichen Referenzpunkt der Politik. Die Befangenheit in der Form wird nicht gesprengt, es wird dieser vielmehr entsprochen.

„Wieso gelingt es, Ängste vor einer Öko(logie)-Diktatur zu schüren, ohne dass bemerkt wird, dass wir längst in einer Öko(nomie)-Diktatur leben?“, fragt Helga Kromp-Kolb in der Wiener Zeitung. Dieser Erkenntnis ist nichts entgegen zu setzen, aber warum folgt nichts aus ihr? Warum setzt trotzdem immerwährend das Gerechtigkeits- und Demokratiegelaber ein, das alles wiederum zukleistert. Mehr als eine andere Politik will einem nicht und nicht einfallen. Doch das Problem ist um vieles grösser. Dieser Lebensstil ist eine Katastrophe: ökologisch, sozial, mental. Der Kapitalismus untergräbt unsere Existenz, wobei es zwar nicht alle gleich trifft, aber auf jeden Fall alle trifft.

Ihre Äusserungen sind oft imposant und bunt, attraktiv und effektiv. Die neuen Bewegungen geniessen vorerst unsere Sympathien. Doch betrachten wir die Inhalte, die hier vorgetragen werden, so tut es uns leid, sagen zu müssen, dass die „Young rebels“ älter aussehen als sie sind. Was sie verbreiten, ist weniger modern als dass es modert. Frisch ist nur der kulturindustrielle Touch. Ihre Hypes und Stars hinterlassen einen fahlen Geschmack. Sie erregen zwar Aufmerksamkeit oderbesser Empörung, aber zuvorderst, weil sie sich des grossen Spektakels bedienen und damit dem grossen Spektakel dienen.

Die Kulturindustrie, in deren Strängen sie agieren, wird nicht nur nicht in Frage gestellt, jene wird nicht einmal als Problem begriffen. Bewegungen bewegen sich nicht gegen jene, sondern bloss in ihr. Sie reproduzieren, wogegen sie kommunizieren. Lediglich das Denkbare wird gedacht, nicht das Undenkbare – aber auf das kommt es an. Dieses Engagement ist im ehernen Gehäuse des Bürgerlichen und seiner Werte gefangen, ohne dass das den Engagierten auffällt. Man transportiert, aber man transformiert nicht. Wir leben im Déjà-vu. Perspektive bedeutet freilich auch, nicht nur etwas zu sagen zu haben, sondern auch etwas schaffen zu können. Insofern tappen wir selbst noch immer mehr im Dunkeln als uns recht ist. Überheblichkeit ist also fehl am Platz.

Das gute Leben ist auch nicht durch die Digitalisierung zu gewinnen. Das Virtuelle ist mehr Krücke als Brücke des Lebens. Nicht nur die friends sind keine. Ökologisch ist jene der nächste Fortschritt in der Akkumulation der Katastrophen. Der Kampf um das Lithium und der Abbau dieses Rohstoffes allein sollten uns schaudern lassen. Da müssen Bergwerke errichtet, Urwälder gerodet, Menschen vertrieben, Regierungen weggeputscht werden. Technik und Wachstum sind nicht unsere Zukunft, unsere Zukunft liegt in der Empathie für den Planeten, für Menschen, Tiere, Pflanzen. Der sollten wir uns auch verschreiben. Wir sind „Untergangsgegner“, wie Günther Anders sich und unsereins zurecht benannte. Was sonst?

Es geht nicht einfach um den Schutz der Natur – was immer die sein soll, wäre gesondert zu bestimmen. „Geschichte ist die Negation der Natur“, behauptete Herbert Marcuse. „Natur ist der erste Standpunkt aus dem der Mensch seine Freiheit in sich gewinnen kann“, so Hegel. Aber eben nicht muss und auch nicht einfach wird. Beschrieben wird hier eine Möglichkeit, deren Wahrscheinlichkeit allerdings immer weniger gegeben ist. Menschwerdung ist also nicht bloss als Heraustreten aus der Natur zu verstehen, sondern ebenso mit dem Einfügen in sie. Jede Vereinseitigung ist hier abzulehnen. Die Einfügung in die Welt ist keine einfache Fügung, sie ist eine sensible Anschmiegung, die prinzipiell gegen jede Unterordnung zielt. Aktuell spuren wir jedenfalls nach den ökonomischen Gesetzen, als wären diese Natur und unhintergehbar.

Franz Schandl
streifzuege.org