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Why have kids?

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Begehren in pädagogischen Beziehungen Why have kids?

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Gesellschaft

Wer sich gegen Kinder entscheidet oder in einem gewissen Alter keine Kinder hat, wird – besonders als Frau – diesen Umstand immer wieder begründen müssen.

Es kann kein politisches Ziel sein, den Kinderwunsch als Ideologie zu »entlarven«, denn hinter dem Kinderwunsch liegt keine verborgene Wahrheit.
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Es kann kein politisches Ziel sein, den Kinderwunsch als Ideologie zu »entlarven«, denn hinter dem Kinderwunsch liegt keine verborgene Wahrheit. Foto: Alex Proimos (CC BY 2.0 cropped)

Datum 1. September 2016
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»Wie, du willst keine Kinder? Warum denn?« Kinderlosigkeit ist immer noch eine Abweichung von der Norm und wird selten als eine souveräne Entscheidung gedeutet, sondern eher als unfreiwilliges Unglück. [1]

Eine Entscheidung für Kinder hingegen ist kaum begründungsbedürftig. So wird es äusserst selten passieren, dass frisch gebackene Eltern sich dafür rechtfertigen müssen, ein Kind bekommen zu haben (ausser vielleicht in linken Hausprojekten). Dass Leute Kinder bekommen wollen, erscheint vollkommen selbstverständlich. Die Selbstverständlichkeit des Kinderwunschs müsste jedoch angesichts der Umstände überraschen: Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, in der Autonomie, Flexibilität und Leistung, aber auch persönlicher Genuss und Begehrenswertsein zentrale Werte sind, ist Elternschaft ein enormes Risiko.

Trotz Eltern-Life-Style-Magazinen wie Nido und ähnlichen – und selbst in denen wird ständig mit den Nachteilen von Elternschaft gehadert – ist Elternschaft nicht nur irgendwie uncool, sondern mit ökonomischen Nachteilen, Einschränkung im Lebensstandard, einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen und anderen Backlashs verbunden.

Auch in feministischen Kreisen wird die Entscheidung für Kinder viel zu oft als eine Privatentscheidung gedeutet, was rechtfertigt, deren Nachteile und Risiken ebenfalls zur Privatangelegenheit zu erklären. Frauen, die immer noch überproportional die Verantwortung für Kinder übernehmen, sind die Leidtragenden dieser Interpretation. Deshalb möchte ich der individualpsychologischen Erklärung des Kinderwunschs eine gesellschaftstheoretische Deutung gegenüberstellen.

Ich werde im Folgenden vorschlagen, den Kinderwunsch aus einem Begehren zu begründen, das auch das weitere Verhältnis von Erwachsenen zu Kindern strukturiert. Dieses Begehren will ich nicht als biologischen Instinkt denken, sondern als Bestandteil einer bestimmten Subjektkonfiguration, die Element einer gesellschaftlichen Totalität ist. Damit ist der Kinderwunsch – genauso wenig wie das Verhältnis zu Kindern insgesamt – keine Privatangelegenheit, sondern geht alle an.

Kinderwunsch als ein Problem der Neuzeit

Die Frage, ob man Kinder bekommen möchte, stellt sich heutzutage anders. Dass Fortpflanzung eine Frage von Entscheidung ist, also kontrolliert werden kann, ist unter anderem eine Folge der besseren Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln und der (zumindest teilweisen) Legalisierung von Abtreibung. Mit der zunehmenden Kontrollierbarkeit der Reproduktion sind Kinder nicht mehr notwendiges Ergebnis von (heterosexuellem, penetrierendem) Sex, sondern Folgen von Entscheidungen oder wie der Philosoph Marcel Gauchet es formuliert: »privates Produkt des Wunsches seiner Erzeuger«.

Mit der Möglichkeit über die Kontrolle von Reproduktion geht auch eine Veränderung der Familienstruktur einher: War das Kind früher eine Folge von Familienbildung, ist es jetzt ihr Grund. Familie stellt sich nicht mehr als notwendiger biographischer Schritt, als sichtbares Zeichen des Erwachsenwerdens mit der Heirat her, sondern wird nur notwendig als Versorgungsgemeinschaft für den Nachwuchs. Die Psychoanalytikerin Martine Lerude spricht von einem Übergang vom Gründervater zum Be-Gründerkind [2], der zur Folge hat, dass dem Kind nicht nur die Aufgabe zukommt, Familie zu begründen, sondern ihr auch mit seinem späteren Glück oder zukünftigen Selbstvertrauen Sinn zu geben.

Spannend wird die Frage nach dem Kinderwunsch erst, seit Kinder keine ökonomische Notwendigkeit mehr sind. Hatten Kinder früher in vielen Fällen noch eine überlebenssichernde Bedeutung, etwa als Arbeitskräfte im eigenen Betrieb oder Hof, als Altersvorsorge und soziale Absicherung, sind sie heute eher von ökonomischem Nachteil. Mit einer staatlichen und privatisierten Altersvorsorge sind (eigene) Kinder für die Absicherung nach der Arbeitsfähigkeit nur noch von geringer Bedeutung. Im Gegenteil: Die finanziellen Nachteile, die sich aus einem verringerten Einkommen durch Kindererziehung ergeben, wirken sich auch auf die Höhe der Renten aus. Und nur noch in seltenen Fällen müssen Kinder den Job der Eltern übernehmen, um z.B. ein Familienunternehmen zu erhalten. Damit wird die Entscheidung für Kinder zumindest ökonomisch irrational.[3]

Darüber hinaus scheint Elternschaft den Anforderungen zu widersprechen, die an die gegenwärtige Subjektivität gestellt werden. Gehörte die Vaterschaft für das (männliche) autonome Subjekt der bürgerlichen Moderne noch zur allgemeinen Norm – möglich durch die Verbannung von Frauen ins Private und ihren Ausschluss aus der Sphäre der Subjekte –, passt Elternschaft nicht mehr gut zu einer nun an alle Geschlechter gerichtete Forderung nach Autonomie und Flexibilität. Elternschaft ist mit zahlreichen Eigenschaften verbunden, die im hegemonialen Diskurs eher abgewertet sind, wie Fürsorglichkeit, Abhängigkeit oder die Zurücknahme eigener Bedürfnisse. Warum also bekommen Leute Kinder?

Der Mythos vom Elternglück, Oxytocin und die Liebe zum Kind

Why have Kids? – wozu Kinder haben, fragt Jessica Valenti in ihrem gleichnamigen Buch. Darin setzt sie sich besonders mit der Vorstellung vom Kind als grösstem Glück der Eltern auseinander. Dass Kinder die Entsagungen wert sind und mit jedem Kinderlächeln der Schlafentzug und die körperlichen Entbehrungen von Schwangerschaft und Geburt vergessen sind, deutet sie als moralische Leitsätze, denen Eltern nicht ohne Schuldgefühl widersprechen können.

Nach wie vor gelte Mutterschaft als die Erfüllung eines weiblichen Lebenslaufs, Frauenkörper würden auch von Gesundheitsinstitutionen bis zur Menopause als potentiell schwanger betrachtet. Damit einher gehe ein unrealistisch hoher Anspruch an Elternschaft, so dass diese als eine herausfordernde und verantwortungsvolle Tätigkeit erscheine (»der härteste Job der Welt«): Der richtige Umgang, ob nun Tragetuch, Attachment Parenting oder die passenden Schlafrituale, wird sich – das verspricht die endlose Ratgeberliteratur – positiv auf die Eigenschaften des Nachwuchses auswirken. Elternschaft und Pädagogik werden in einer solchen Perspektive enorm aufgewertet: schliesslich liegt die Zukunft in ihren Händen.

Den hohen Ansprüchen an Elternschaft und den Mythen, die sich um sie ranken, stellt Valenti die vielen Nachteile und die Realität des alltäglichen Scheiterns gegenüber. Den Kinderwunsch erklärt sie somit letztlich als ein Produkt unrealistischer Vorstellungen – als eine Utopie von Sinnhaftigkeit, die mit wirklicher Elternschaft wenig zu tun habe und dazu führe, einem Ideal hinterherzujagen, das aufzugeben ein zu hoher Bedeutsamkeitsverlust wäre.

Valentis Erklärung für reproduktives Verhalten ist sympathisch, hebt sie sich doch von den verbreiteten biologistischen Erklärungen des Kinderwunsches und der Freude an Kindern ab. Nicht selten wird gerade in den letzten Jahren die Beziehung zu Kindern in pseudomedizinischen Begriffen beschrieben: So ist beispielsweise viel vom Liebeshormon Oxytocin die Rede, das bei Körperkontakt und Stillen ausgeschüttet wird, so dass Frau sich gar nicht gegen ihre Mutterliebe wehren könne. Valenti hält dem die Erklärungskraft des Diskurses entgegen. Der Kinderwunsch ist bei ihr die subjektive Seite der diskursiven Norm. Die gesellschaftliche Erzählung vom Elternglück und die medial präsente Vorstellung, dass ein Leben ohne Kinder ein Verlust wäre, ist in den Individuen wirksam und bringt diese dazu, sich für Kinder zu entscheiden.

Was in dieser Erklärung jedoch vernachlässigt wird, ist die Liebe zum Kind, die Eltern dazu bringt, trotz des Wissens um Schlafentzug, ständiges Scheitern und Freiheitsverlust ein zweites Kind zu bekommen oder in den Chor des Jubels über das Elternglück einzustimmen. In der Beziehung von Eltern zu ihren Kindern ist diese Liebe, ja Verliebtheit, offensichtlich. In aktuellen psychologischen Diskursen wird sie vor allem mit Hilfe des Begriffs »Bindung« erklärt. Interessanter jedoch ist die emotionale Haltung, die über Bindung, die dem konkreten und vorhandenen Gegenüber gilt, hinausgeht. In der Liebe von Eltern zu ihren Kindern gibt es etwas, für das die Individualität des Kindes überhaupt keine Rolle zu spielen scheint, das vielmehr an das abstrakte Kind im Kind gerichtet ist. Etwas, das auch schon vor dem Kind in Form des Kinderwunschs existiert haben kann, das auch einem fremden Kind gilt, das man im Arm hält, oder – in abgeschwächter Form – dem abstrakten Kind aus Nachrichtenmeldungen. Ich werde diese Liebe zum abstrakten Kind im folgenden Begehren nennen und mich damit auf ein psychoanalytisches Konzept beziehen.[4]

Dieses Begehren will ich als eines beschreiben, das unterschiedlichste Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern strukturiert. Die Frage nach dem Kinderwunsch will ich damit also ausweiten auf die Frage nach dem Lustgewinn von Erwachsenen in Beziehungen zu Kindern im Allgemeinen und zwar nicht nur zu den »eigenen« Kindern, sondern zu jedem situativen Gegenüber, das zum kindlichen Anderen wird.

Begehren und Phantasma

Eine Theorie des Begehrens bietet die Lacan'sche Psychoanalyse, ja, in gewissem Sinn kann man Lacans gesamtes Schaffen als den Versuch einer Theorie des Begehrens verstehen.[5]

Begehren versteht Lacan nicht als eine irgendwie biologisch begründete Energie des Organismus oder als vorgesellschaftliche Triebnatur des Menschen. Stattdessen beschreibt er Begehren als das, was das Subjekt in seiner Einbindung in Gesellschaft ausmacht. Damit ist Begehren keine Privatsache, sondern Modus Operandi des Verhältnisses des Subjekts zu seinem gesellschaftlichen Gegenüber. Für Begehren in diesem psychoanalytischen Sinn ist charakteristisch, dass es sich nicht im konkreten Objekt erschöpft und seine Wurzel im Selbstverhältnis des Subjekts hat.

Das Begehren entsteht in Antwort auf den konstitutiven Mangel des Subjekts, den dieses mit den Objekten des Begehrens zu füllen versucht. Diesen konstitutiven Mangel beschreibt Lacan als Resultat der sprachlichen Verfasstheit des Subjekts. Kurz gesagt: In Anlehnung an strukturalistische Theorien begreift er das Gesellschaftliche, das dem Subjekt vorausgeht, als ein Netz aus Signifikanten. In der Signifikantenstruktur lässt sich jede Identität nur aus der Differenz zu allen anderen bestimmen. Da die Summe der Signifikanten unendlich ist, ist die Identität der einzelnen Signifikanten nie vollständig. Dem endlosen Verweisungsspiel unterworfen, ist sie damit auch nicht endgültig feststellbar.

Subjekt zu sein bedeutet für Lacan in erster Linie, einen Platz in dieser Differenzstruktur des Gesellschaftlichen einzunehmen, in die Sprache einzutreten und Signifikant für andere Signifikanten zu werden. Identität ist für Signifikanten nicht mehr endgültig bestimmbar. Der Mangel des Subjekts ist also gleichbedeutend mit dem Mangel an Selbstidentität des Signifikanten. In dieser Situation siedelt sich das an, was Lacan das Phantasma nennt. Das Phantasma bezeichnet die Phantasie von einem Objekt, das den Mangel des Subjekts zu beheben verspricht. Durch den Bezug auf ein Objekt scheint das Subjekt zu der als Urzustand imaginierten Vollständigkeit zurückzukehren. Im Objekt sucht es das durch den Eintritt in die Differenzstruktur verlorene Sein, eine Fülle ohne Mangel, das sprachlose, vollständige Geniessen. Nur im Objektbezug findet das Subjekt zu sich.

Das im Phantasma erscheinende Objekt wird zum Deckobjekt, das seinen Mangel und den Mangel in der Signifikantenstruktur verbirgt. Durch das phantasmatische Objekt ist zumindest temporär eine Identität des Subjekts möglich. Allerdings handelt es sich dabei um einen Irrtum, denn das phantasmatische Objekt – Lacan nennt es Objekt a – ist nie zu erreichen. Es scheint sich in den verschiedenen Objekten, auf die sich das Subjekt bezieht, zu verbergen. So kann beispielsweise das gewisse Lächeln einer Person die Vorstellung entfachen, dass diese das Objekt a enthält – dass mit ihr das Leben vollkommen oder sinnvoll wäre. Diese Person wird zum Widerschein des verlorenen Glücks, sie erscheint als das eine Puzzlestück, das von Anfang an gefehlt hat. Dabei handelt es sich jedoch notwendigerweise um eine Täuschung: Das Objekt a hat nie existiert und wird nie zu finden sein.

Kind als phantasmatisches Objekt

Nun hält der gesellschaftliche Diskurs Bilder bereit, die Auskunft über den Verbleib des Objekts a zu geben scheinen. Beispielsweise deutet das medial verbreitete Bild der erotisierten, sexuell verfügbaren Frau an, dass hier etwas zu finden ist, dessen Besitz zu einer endgültigen Befriedigung, einem vollständigen Geniessen führen würde. Jede tatsächliche sexuelle Begegnung verfehlt dieses Geniessen notwendigerweise, da das Objekt a zweifellos verloren ist. Die gesellschaftliche Übereinkunft, dass es sich jedoch hier zu befinden habe, tröstet über das Verfehlen hinweg und lässt eine Ruhepause in dem unendlichen Zirkulieren der Begehrensobjekte zu.

Auch beim Kind als Begehrensobjekt handelt es sich um solch eine gesellschaftliche Konstruktion: In Absehung von dem konkreten Kind mit seinen spezifischen Eigenschaften richtet sich das Begehren an DAS Kind, das Kind als solches. Das Kind ist dann ein affektbesetztes Bild, das historisch spezifische Ausformungen hat. Das Bild vom Kind löst bestimmte Verhaltensimpulse aus und fordert, dass das Subjekt sich zu ihm in Beziehung setzt. »Kind« als dieses imaginäre Bild hat also eine gesellschaftliche Wirkmacht.[6]

In Momenten, in denen die kindliche Andersheit besonders hervortritt, wird diese Wirkung sichtbar: Beispielsweise werden nur wenige der Rührung widerstehen, wenn ein Kind friedlich im eigenen Arm einschläft, und kaum jemand empfindet beim Anblick grosser trauriger Kinderaugen kein Mitleid. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Druck, unter den eine österreichische Innenministerin geriet, nachdem sie sich nach eigenen Worten von den kindlichen »Rehlein-Augen« nicht erpressen lassen wollte und eine Familie mit zwei kleinen Kindern abschieben liess. Das Kind, das durch seine kindlichen Attribute zu Schutz und emotionaler Anteilnahme aufruft, wird zur Erpressung, weil es nur eine legitime Handlung zulässt.[7]

Das Subjekt des Phantasmas

Es liegt allerdings nicht in der Natur eines Objekts, phantasmatische Bezüge auszulösen. Denn nicht alle organisieren ihr Begehren durch das Phantasma. Das durch das Phantasma, also den Bezug auf Objekt a, strukturierte Begehren ist – das wird deutlich, wenn Lacan über Geschlecht nachdenkt – für Lacan ein männliches Begehren und damit partikular.

Lacan bezeichnet das Subjekt, das sich auf das phantasmatische Objekt a bezieht, daher auch als das männliche Subjekt. An dieser Stelle kann und will ich die Geschlechtertheorie Lacans nicht ausführen[8] und muss mich auf Folgendes beschränken: Mit männlich bzw. weiblich bezeichnet Lacan eine Art das eigene Begehren zu organisieren, die mit der Form der Einbettung in Sprache bzw. Gesellschaft einhergeht. Die Begehrensstruktur lässt sich nicht daraus ableiten, ob eine Person eine männlich oder weiblich konnotierte soziale Rolle einnimmt (gender) oder ihren Körper weiblich oder männlich liest (sex).

Ganz vereinfacht gesagt, bedeutet eine männliche Organisation des Begehrens, sich als Subjekt des Begehrens zu setzen und sich auf ein scheinbar komplementierendes Objekt zu beziehen (also das oben beschriebene phantasmatische Begehren). Weibliche Strukturierte hingegen setzen sich als Objekt und begehren das Begehrtwerden selbst. Auf den ersten Blick weist der Unterschied in den Begehrensökonomien auf die patriarchale Organisation der Gesellschaft hin, die nur Männern einen Subjektstatus zugesteht. Allerdings basiert der männliche Subjektstatus auf einem Irrtum, der mit einer Allmachtsphantasie einhergeht, und ist daher ständig bedroht.

Das Phantasma stellt die Verweisungsstruktur der Signifikanten still, so lange es wirksam ist. Das Objekt a verspricht nicht nur den Mangel des Subjekts zu beheben, sondern es verdeckt auch den Mangel im Symbolischen, also in der Verweisungsstruktur der Signifikanten. Noch einmal vereinfacht gesagt: Aus phantasmatischer Perspektive scheint alles, das ganze sinnlose Universum, doch Sinn zu besitzen. Die Unordnung der Zeichen gerinnt zur Ordnung, es bildet sich eine Totalität. Durch das Phantasma wird die angsterzeugende Unbestimmtheit jeder Existenz gebannt. Damit wird die Vorstellung möglich, »jemand zu sein«, einen gesicherten Platz in der Welt zu haben.

Die Einnahme eines Platzes in der Ordnung bedeutet jedoch auch, sich mit dieser scheinbar vollständigen Ordnung zu identifizieren. Aus psychoanalytischer Perspektive ist diese Identifikation nur durch eine grundsätzliche Verkennung des eigenen Mangels möglich. Sie basiert also auf einer narzisstischen Allmachtsphantasie. Das Subjekt phantasiert sich eine allmächtige Ordnung und setzt sich mit dieser gleich. Ein Beispiel dieser phantasmatischen Identifikation liefert das Christentum, in dem der Mensch in der vollkommenen, göttlichen Ordnung, die jedem Subjekt seinen gesicherten Platz liefert, die Gottesebenbild darstellt.

Das durch das Phantasma strukturierte Begehren, der Bezug auf ein verborgenes Objekt, geht einher mit einer spezifischen Konfiguration eines Allgemeinen, nämlich als Totalität einer abgeschlossenen Ordnung, und der Identifikation mit dieser Ordnung. Diese Konstellation von totalisiertem Allgemeinem und einem Subjekt, das nur als Behauptung funktioniert, ist der Schlüssel zu einem (erwachsenen) Begehren nach dem Kind.

Das Subjekt des Begehrens nach dem Kind

In einer Gesellschaft, in der nicht mehr durch Disziplinierung sondern durch die Eröffnung von »Möglichkeitsfeldern« regiert wird[9], werden Subjekte als frei adressiert. Sie sind ständig dazu aufgerufen, anhand von Informationen selbst Entscheidungen zu treffen, an deren Konsequenzen sie dann gebunden sind. Eine zentrale Fiktion dieser Gesellschaftsformation ist das selbstverantwortliche Subjekt, das in der Lage ist, diese Entscheidungen souverän und unabhängig zu treffen.

Diese vorausgesetzte Selbstverantwortung ist eine Behauptung, die ständig beispielsweise durch Fehlleistungen oder Widersprüchlichkeiten widerlegt wird. Niemand kann für sein Sprechen, geschweige denn für sein Handeln tatsächlich vollständig einstehen, da es – wie wir seit Freuds Theorie des Unbewussten wissen – der Kontrolle grundlegend entzogen ist: Das souveräne Subjekt, das beispielsweise im Descartes'schen Cogito auftaucht, das Grundlage des Rationalismus ist und das neuzeitliche Denken bestimmt, war schon immer eine Allmachtsphantasie.

Die »Übernahme von Verantwortung« ist jedoch Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Deshalb muss Selbstverantwortung gegen alltägliche Erfahrung behauptet werden. Die Vorstellung einer Menge von Personen, die zur Selbstverantwortung fähig sind, wird durch einen Ausschluss ermöglicht. So können die Vorstellung von Autonomie in Abgrenzung von kindlicher Abhängigkeit, die Vorstellung von Rationalität durch Unterscheidung von der kindlichen Spontaneität und Identität in Absetzung gegen die kindliche Vorläufigkeit entstehen. Das selbstverantwortliche Subjekt ist das erwachsene Subjekt, das sich durch das Phantasma der Mündigkeit konstituiert, indem es die alltäglichen Überforderungen ausblendet und auslagert.

Die Welt der Erwachsenen besitzt die Struktur einer Totalität: An alle ist die Forderung gerichtet, Entscheidungen zu treffen. Die Verschiedenheit der einzelnen Subjekte wird möglich durch das, was ihnen allen gemeinsam ist: ihre Freiheit. Nur jemand, der für seine Entscheidungen haftbar zu machen ist, kann als Subjekt seinen Platz in der gesellschaftlichen Ordnung einnehmen. Die Identifikation mit diesem Platz, die Übernahme der Verantwortung für ihn, ist eine phantasmatische Verkennung, die sich in jeder scheinbaren Entscheidung aktualisiert.

Die Grenze zwischen mündigen und unmündigen Personen wird aber zunehmend prekär: Lange wurde sie durch eindeutige Ereignisse markiert, wie Abschluss einer Ausbildung, Heirat und Gründung einer Familie oder Erreichen der juristischen Volljährigkeit. In den letzten Jahrzehnten haben diese Marker-Ereignisse jedoch an Bedeutung verloren und für eine Anzahl von Personen ist nicht klar, ob sie sich nun der Gruppe der Erwachsenen oder der Kinder zurechnen sollen. Wer erwachsen ist, wird so zu einer Frage, die nur noch situativ entscheidbar ist.

Die pädagogische Beziehung, also eine Beziehung zwischen einem_einer Erwachsenen als Erwachsenen und einem Kind als Kind, ist eine Situation, die die Fiktion des mündigen Subjekts an Realität gewinnen lässt. In pädagogischen Situationen werden Erwachsene zu Agenten der Ordnung, für die das Kind erzogen werden soll. Damit nehmen sie selbst eine privilegierte Beziehung zu dieser Ordnung ein: Sie sind die fertigen Mitglieder der Gesellschaft und die Wissenden, das Kind hingegen wird zum unfertigen, unwissenden Gegenüber.

Die Bezugnahme auf Kinder ermöglicht so einerseits die Vereindeutigung in Bezug auf die Behauptung der Mündigkeit, gleichzeitig erlaubt sie den Kontakt zu dem, was aus der Ordnung der Erwachsenen ausgeschlossen werden musste. Erwachsene können im Kind in Beziehung zu dem treten, was ihnen als Erwachsenen nicht möglich ist. Genau das macht die Faszination für Kinder aus. Aus Diskursen über die zu rettende Unschuld der Kinder spricht etwa eine unverkennbare Sehnsucht nach der Zeit, in der man nicht durch jede Entscheidung schuldig wurde. Für die, die sich als fertig und unveränderlich imaginieren und ohne Zukunft leben, ist der Bezug auf ein Kind mit seiner noch gestaltbaren Zukunft attraktiv.

Der Kinderwunsch ist nur aus diesem Begehren zu verstehen. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass sich das Begehren nur in der Reproduktion oder in der Beziehung zu eigenen Kindern realisiert. In unterschiedlicher Intensität kann es Bestandteil jeder Beziehung eines Erwachsenen zu einem Kind sein: Dem Patenkind, der Lieblingsschülerin, oder dem Kind in der Strassenbahn, mit dem nur ein temporärer Kontakt stattfindet. Im Kinderwunsch deutet sich jedoch eine Sehnsucht nach der Verstetigung der durch das Begehrensverhältnis ermöglichten Subjektposition an. Diese Sehnsucht wird verständlich angesichts des Umstands, dass der Zugang zu Subjektpositionen sehr ungleich verteilt ist.

Um es nochmal ganz deutlich zu machen: Die Bezugnahme auf Kinder ermöglicht eine (möglicherweise sekundäre) Subjektposition, eine Identifikation mit der allgemeinen Ordnung gerade auch für die, die sonst in dieser Ordnung keinen Platz haben. Damit hängt sie mit der Geschlechterordnung zusammen, die hierarchisierte männliche und weibliche Begehrensökonomien produziert.

Bedeutung der Annahme eines Begehrens nach dem Kind

Mit der Hypothese eines Begehrens, das die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern strukturiert, wird die Liebe zum Kind entprivatisiert. Diese Liebe zum Kind, das pädagogische Begehren, ist dann, ähnlich wie sexuelles Begehren aus Sicht der strukturalen Psychoanalyse, eben nicht das Privateste und Individuellste. Sondern sie ist etwas, das sich aus einer gesellschaftlichen Struktur ergibt und in den Subjekten mehr oder weniger wirksam wird.

Das Begehren ist nichts, was rational begründet werden kann, sondern hat seine Wurzeln im radikal Unverständlichen. Die Bezugnahme auf Kinder ermöglicht dem erwachsenen Gegenüber die Einnahme einer Subjektposition. Damit ist sie besonders für diejenigen attraktiv, denen eine solche Subjektposition in anderen Beziehungen nicht gewährt wird, also beispielsweise für Frauen. Deren Kinderwunsch als private, vernunftbasierte Entscheidung zu fassen, deren Konsequenzen dann ebenfalls Privatangelegenheit sind, ist deshalb nicht nur aus feministischer Perspektive problematisch. Der Kinderwunsch ist möglicherweise Ausdruck davon, dass sich eine Subjektposition an anderen Stellen nicht (ausreichend) realisieren lassen kann.

Es kann kein politisches Ziel sein, den Kinderwunsch als Ideologie zu »entlarven«, denn hinter dem Kinderwunsch liegt keine verborgene Wahrheit. Den Kinderwunsch als Bestandteil eines unrealistischen Mythos' zu dekonstruieren, ist ungefähr ebenso sinnvoll, wie den Verliebten zu erklären, dass die Liebe und der Sex nicht halten, was sie versprechen: Denn das Wissen, dass das sexuelle Begehren unerfüllbar ist oder dass jedes Verliebtsein ein Verblendungszustand ist, kann die Verliebten nicht von ihrem Begehren abbringen.

Verliebt ist man immer gegen ein besseres Wissen. Genauso wenig sinnvoll ist es, den Kinderwunsch im Dienste einer höheren Moral oder eines rational konstruierten politischen Ziels aufzugeben. Im Gegenteil, im Sinne der Psychoanalyse kann man sich, wie Lacan in seiner Ethik ausführt, nur in einer Hinsicht schuldig machen, nämlich indem man vom Begehren ablässt. Das Begehren aufzugeben, bedeutet, in der Maschine aufzugehen, in der Sinnlosigkeit der Signifikantenstruktur, die sich hinter jeder scheinbar universalen Moral auftut. Denn jedes Begehren ist etwas, das uns ans Leben bindet, das ihm temporär Sinn gibt und es lohnenswert macht.

Ein feministischer Umgang mit dem Thema Kinderwunsch sollte also nicht darin bestehen, diesen zu moralisieren und Einzelne für ihr Begehren zu verurteilen. Ein vorhandener oder nicht vorhandener Kinderwunsch darf nicht zum feministischen Gradmesser der Emanzipation werden. Über die Akzeptanz verschiedener Lebensentwürfe – mit oder ohne eigene Kinder, mit oder ohne Beziehungen zu (nicht eigenen) Kindern – hinaus müsste es ein feministisches Anliegen sein, mit Irigaray nach der Konstitutionsweise des Subjekts in der gegenwärtigen Gesellschaftskonstellation zu fragen, dessen Folge die beschriebene Begehrenskonstellation ist. Zudem gilt es, das gegenwärtige Begehren in pädagogischen Beziehungen wahrzunehmen und mit ihm umzugehen.

Für problematisch halte ich es nämlich, wenn das Begehren in der Bezugnahme auf Kinder völlig verleugnet wird. In den Diskursen um die Elternliebe findet es teilweise noch einen Platz, in der professionalisierten Pädagogik ist es jedoch völlig verschwunden. Seit Ellen Key das Jahrhundert des Kindes ausgerufen hat und die Pädagogik für sich in Anspruch nimmt, »vom Kinde aus« zu denken, sind Pädagog_innen scheinbar in den selbstlosen Dienst am Kind gestellt. Damit werden sie zur selbstlosen, von höheren Werten geleiteten Autorität stilisiert. Gerade dieses Nebeneinander von unerreichbarem moralischem Anspruch und alltäglichem Scheitern bereitet den Boden dafür, dass Fehlverhalten von Pädagog_innen grosszügig übersehen wird.[10]

Das Paradigma der pädagogischen Autorität befindet sich jedoch schon lange im Zerfall. In den letzten Jahrzehnten weicht es immer mehr einer Standardisierung der pädagogischen Beziehung, in der weder die_der Pädagog_in noch das Kind mehr auftauchen. Stattdessen soll die pädagogische Situation zunehmend von den konkreten Personen und ihren Bedürfnissen abstrahieren. Operationalisierte Kompetenzraster in der professionalisierten Pädagogik und kleinteilige Vorhersagen von Entwicklungsschritten in Elternratgebern simulieren eine vollständige Kontrollierbarkeit von pädagogischen Prozessen. Das Begehren der Subjekte, ihr konstitutiver Mangel, wird nicht mehr länger verdrängt, sondern vollständig verleugnet. Mit dem Verleugnen des Mangels der Subjekte fällt auch der Mangel in der Ordnung. Diese wird zur totalisierten Ordnung, einem Regime des Wissen, das keine Alternativen mehr zulässt.

Maya Dolderer
Artikel aus: Phase 2 / Ausgabe Nr. 47
www.phase-zwei.org

Fussnoten:

[1] Lena Correll, Anrufungen zur Mutterschaft. Eine wissenssoziologische Untersuchung von Kinderlosigkeit, Marburg 2009.

[2] Martine Lerude, Der elterliche Ödipuskomplex, in: Jahrbuch für klinische Psychoanalyse 7 (2006), 73?–?81.

[3] Einen Überblick über den Wandel des generationalen Verhaltens und seinen Bedingungen gibt zum Beispiel Johannes Huinik, Wandel der Familienentwicklung. Ursachen und Folgen, in: BPB (Hrsg.), Informationen zur politischen Bildung 301 (2009). Verfügbar unter: http://0cn.de/smaz.

[4] Das Verhältnis zu Kindern mit dem Begehrensbegriff in Zusammenhang zu bringen, bedeutet, dieses Verhältnis in sexuellen Kategorien zu betrachten. Hat Barbara Sichtermann in den frühen achtziger Jahren das Verhältnis zu Neugeborenen als ein sexuelles, als ein Körperverhältnis beschrieben, das nicht rational erklärbar ist, sondern rätselhaft Rationalisierungen produziert, ist der Begriff der Elternliebe heute von jeglicher Rätselhaftigkeit befreit. Vgl. Barbara Sichtermann, Leben mit einem Neugeborenen. Ein Buch über das erste halbe Jahr, Frankfurt a.M. 1981.

[5] Einführend zu Lacans Subjekttheorie: Bruce Fink, Das Lacan'sche Subjekt. Zwischen Sprache und Juissance, Wien 2011. Oder zum Phantasma: Slavoj Zizek, Lacan. Eine Einführung, Frankfurt a.M. 2008.

[6] Dies zeigt sehr anschaulich Doris Bühler-Niederberger, wenn sie die strategische Verwendung der Chiffre Kind in politischen Debatten untersucht. Vgl. Doris Bühler-Niederberger, Kindheit und die Ordnung der Verhältnisse. Von der gesellschaftlichen Macht der Unschuld und dem kreativen Individuum, Weinheim 2005.

[7] http://0cn.de/uw9y

[8] Ich habe die Geschlechtertheorie an anderer Stelle etwas ausführlicher dargestellt: Maya Dolderer: Das Subjekt und sein Mangel. Phase 2.47 (2013), 28 – 30. Ausserdem dazu beispielsweise: Barbara Rendtorff, Die Formeln der Sexuierung – Lacan, in: Frankfurter Frauenschule (Hrsg.), Die Frage der Sexuierung, Frankfurt a.M. 2000, 95 – 114.

[9] Diese auf Foucault zurückgehende Analyse ist beispielsweise beschrieben bei Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke (Hrsg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt a.M. 2004.

[10] Joachim Weber, Moralischer Idealismus und sexueller Missbrauch. In: Marion Baldus und Richard Utz (Hrsg.): Sexueller Missbrauch in pädagogischen Kontexten. Faktoren. Interventionen. Perspektiven, Wiesbaden 2011, 29 – 50.