An vorderster Front die SPD Gesundheitssenatorin (genau jene, die im März mal eben so nebenbei den Vorschlag präsentierte, Menschen ab einem bestimmten Alter auch gegen ihren Willen in ihrer Gesamtheit präventiv wegzusperren) und die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, die öffentlich die Etablierung eines Strafkatalogs für diese menschenverachtende Schwerstkriminalität einfordern.
Wenn es nicht alles so traurig wäre, wäre es absurd. Oder vielleicht ist es ja genau beides. Über 98% aller Menschen, die privat, also nicht in einem professionellen Kontext, ihre OP Masken, FFP 2 oder was für ein Selbstgestricktes auch immer benutzen, sind nicht in der Lage oder Willens, die ach so hochwirksamen Dinger so zu gebrauchen, dass sich ihr Nutzen nicht in das Gegenteil verkehrt. Erstens sind die Dinger eigentlich Wegwerfartikel und genau so werden sie auch im klinischen Kontext eingesetzt, aber da diese Dinger, die sonst für Umme zu haben sind, mittlerweile eine Hausse hinter sich haben, von denen selbst die Pharmakonzerne, die an einem Impfstoff für SARS-CoV-2 forschen mit ihren Aktien nur träumen können, werden die Dinger getragen, bis sie auseinander fallen.
Wer sich nur einmal mit den Vorgaben für einen sicheren Umgang mit solchen Masken beschäftigt hat, weiss, dass man die Dinger nur mit garantiert nicht kontaminierten Händen an-und-ablegen sollte, was bedeutet, ausgiebiges Händewaschen und Desinfizieren. Die Maske sollte nach der Abnahme, die geschieht, indem man die Maske nicht frontal anfasst, entweder an der Luft aufgehängt, oder weitgehend steril verwahrt werden. (Wie gesagt, EIGENTLICH weggeschmissen und durch eine neue ersetzt, aber das wäre ja zu teuer.) Ich habe bei meinen ganzen Feldstudien EINMAL eine Frau im öffentlichen Strassenland gesehen, die das praktiziert hat, der Rest schraubt sich die Dinger irgendwie ins Gesicht und wieder ab, wird schon irgendwie helfen. Was sollen die Leute auch sonst machen...
Aber darum geht es im Kern ja auch, Symbolpolitik und kollektives Wir, seit dem Sommermärchen dürfte es nicht mehr so einen nationalen Taumel gegeben haben, damals hat man sich halt schwarz-rot-gelb ins Gesicht geschmiert, jetzt also diese Lappen. Alle Einwände von den gleichen Experten, die eben noch so gefragt waren, werden beiseite gewischt. Im Kern geht es auch nicht um das Infektionsgeschehen, mittlerweile ist wissenschaftlicher Standard davon auszugehen, dass das eigentliche Problem nicht an der Supermarktkasse besteht (Ich habe schon seit Wochen keine/n Kassier/in mehr mit Maske gesehen, ausser in den Biomärkten), sondern ganz woanders.
Aber das Narrativ von der Alternativlosigkeit unterhält sich selbst und morgen würden die Hälfte der Leute und 80 % der Linken minutenlang auf einem Bein durch die Strassen hüpfen, wenn man ihnen verkauft, das würde gegen diese bösen Viren helfen. In Neuseeland, dessen Premierministerin ja weltweit für ihre ach so empathisches Verhalten nach dem Massaker von Christchurch gefeiert wurde, hat sie jetzt das Militär damit beauftragt, die Einreiseformalitäten abzuwickeln: “...unsere Grenzkontrollen müssen Härte zeigen, dort brauchen wir Disziplin… das Militär”. Wir sehen, wir befinden uns weiter im Krieg und wenn wir alle auf Lauterbach und Ditfurth gehört und uns noch ein paar Wochen länger einsperren hätten lassen, um das Virus in diesem ach so schönen Land auszurotten, wäre es doch wieder durch die Hintertür eingeschlichen.
So aber verhandeln wir die Frage, ob wie leben oder überleben wollen, weiter an Fragen wie dem Tragen von Stofffetzen im Gesicht ab. Genug davon, oder besser mehr davon, aber in einem anderen Kontext. Eine Übersetzung eines Textes von Julius Gavroche, der auf autonomies erschien, die eine oder andere Ungenauigkeit bitte ich nachzusehen.
Gesichtsverluste in der Pandemie
Julius GavrocheDas Gesicht ist präsent in seiner Verweigerung der Verhüllung.
Emmanuel Levinas, Totalité et infini Maskiert sein oder nicht maskiert sein? Je nach Rechtsprechung blieb dies eine Entscheidungsmöglichkeit vor der COVID-19-Pandemie. Jetzt sind Masken in allen Räumen ausserhalb des Hauses (u.a. im Herkunftsland des Autors, d.Ü) vorgeschrieben (und werden mit unterschiedlicher Strenge durchgesetzt). Als Zeichen sind sie mehrdeutig: Sie deuten auf Vorsicht, die Notwendigkeit von Distanz, eine Barriere vor der Ansteckungsgefahr hin; sie sind ein Ornament der Solidarität mit anderen ("Ich werde euch nicht krank machen"), mit Pflege- und Gesundheitspersonal ("Ich helfe denen, die die Krankheit bekämpfen"); sie können auf die Infizierten hinweisen; sie sind Zeichen der Angst. Unabhängig von ihren Varianten warnen sie vor Gefahr, vor der Gefahr, die jeder Mensch für alle anderen ist. Wie eine souveräne Grenze zeichnen sie eine Schutzlinie um das Gesicht, die physische Person, nach, jenseits derer eine Bedrohung besteht und hinter der das individuelle Gesicht verschwindet.
Diejenigen, die darauf bestehen, ihr Gesicht zu zeigen, werden von einigen als unverantwortlich oder mutig angesehen oder bezeugen einfach den Wunsch, zu etwas zurückzukehren, das "normales Leben" genannt wird. Ob maskiert oder unmaskiert, unsere Schritte machen einen grossen Bogen um diejenigen, denen wir begegnen.
Masken dienten schon immer dazu, das Gesicht zu verbergen, aber auch dazu, ein Gesicht zu zeigen, eine Persona, die sich von dem unterscheidet, wer oder was wir sind, und dies vermutlich in Wirklichkeit. Im antiken griechischen Theater trägt der Schauspieler eine Maske; im Karneval werden hinter einer Maske Übertretungen begangen; bei Ritualen sind Masken die Vehikel des Besessenseins. Im Gegensatz zu diesen Masken, die die alltäglichen Rollen unterbrechen, bestätigt und verstärkt die medizinische Maske jedoch das Diktat der medizinisch-staatlichen Autorität. Verspieltheit und/oder das Transzendente fehlen, und die Überschreitung drückt sich in diesem Fall durch das Ablegen der Maske aus.
Medizinische Masken kennzeichnen die Polizisten, die Zivilisierten; sie sind eine neue Grenze, die die Zivilisierten von den Barbaren trennt. Sie unterstützen das neue Regime der sozialen Distanzierung und der Biosicherheit: Der Kuss, mit dem die einen die anderen grüssen würden, sowie der Handschlag und die Umarmung werden ausgesetzt. Auf einem solchen Kontakt zu bestehen, bedeutet, den individuellen, atomaren Raum der physischen Sicherheit zu verletzen, der angeblich durch die Maske geschaffen wurde. Letzteres ist ein Schutzschild gegen Ansteckung, eine Hülle, hinter der wir unsere körperliche Unversehrtheit bewahren, die erklärte Tatsache, dass wir unser körperliches Wohlbefinden nicht verlieren. Und da letztere einheitlich ist - Immunität und Ansteckung sind allgemeine Kennzeichen -, gibt die Maske unsere Identitäten gemeinsam wieder. Die Maskierten werden zu einer disziplinierten Masse, zu einer staatlich geschaffenen und verwalteten Masse.
Diese Kommentare mögen vielleicht gedankenlos erscheinen angesichts der vermuteten Wirksamkeit von Masken bei der Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus. Wir schreiben jedoch nicht als Wissenschaftler oder Ärzte; unser Interesse besteht darin, zu versuchen zu verstehen, was der allgemeine Gebrauch medizinischer Masken für die alltäglichen sozialen Beziehungen, ihre Verquickung mit Kontrolltechniken und die Konstitution neuer Subjektivitäten bedeutet. Und ohne vorgeben zu wollen, das Thema erschöpfend behandeln zu wollen, bestehen wir darauf zu fragen, was mit dem Einsatz von medizinischen Masken in "öffentlichen" Räumen verloren geht. (Die Frage, was wir in Bezug auf “Politik auf der Strasse,” die Technologien zur Gesichtserkennung und die Aufhebung des Verbot von Gesichtsmasken bei öffentlichen Protesten gewinnen könnten, haben wir beiseite gelassen.)
Die medizinische Gesichtsmaske sieht aus wie eine Schlinge, die über Nase, Mund und Kinn gezogen wird; sie hat die Aufgabe, das Gesicht zu fangen, zurückzuhalten und zu fixieren, um zu verhindern, dass etwas zum Vorschein kommt, dass etwas entweicht. Dies ist mehr als eine Frage der Ähnlichkeiten, mehr als eine Metapher, und es geht um mehr als die Verbreitung eines Virus. Es geht um die Erfahrung des Gesichts in menschlichen Beziehungen.
Ein Gesicht, so wie es allgemein verstanden wird, besteht aus der beobachtbaren Physiognomie der Gesichtszüge. Aber es ist nicht einfach das, was es zu sein scheint. In Anlehnung an den Gedanken von Emmanuel Levinas besitzt das Gesicht eine tiefere Bedeutung: Es offenbart einen anderen, einen anderen, der nach mir ruft oder mich, mich selbst anfleht, sie (die Stimme die das Gesicht repräsentiert) zu hören, sich um sie zu kümmern, Verantwortung für sie zu übernehmen.
Was wir das Gesicht nennen, ist überladen mit Bedeutungen, die in kulturelle, soziale und politische Ordnungen eingewoben sind. Wir können allein aufgrund unseres "Gesichts" nach Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Klasse, Nationalität usw. unterschieden werden. Aber Levinas' Behauptung ist, dass das Gesicht mehr verkündet als sich selbst; es manifestiert eine Körperlichkeit jenseits seiner selbst, aber auch das, was sich Ordnungen sozialer Bedeutung entzieht. Das Gesicht drückt eine Dimension der menschlichen Existenz aus, die in der Sprache Levinas' unendlich ist, während physiognomische Identitäten das Gesicht in einer Art und Weise befähigen, sich dessen zu entledigen, was es einschränkt und begrenzt. Im letzteren Fall wird das Gesicht unter Totalitäten desselben subsumiert, wie die ethnischen, rassischen, Klassen-, Geschlechtsformen, die von den Machtregimen gewaltsam aufgezwungen und aufrechterhalten werden, während das Gesicht als Unendlichkeit in sich das Potential birgt, zu sein und nicht zu sein; es ist die reine Potentialität, die die konkreten sozialen Beziehungen beherrscht, aber auch das, was diesen Beziehungen entgeht, sie jeder Dauerhaftigkeit entleert und in gewisser Weise ihr Mass an Gerechtigkeit ist, ohne selbst Gerechtigkeit zu sein.
Das grenzenlose Gesicht ist eine Art Schwelle, die durch den ständigen Wechsel von Totalisierungs- und Ausweichprozessen gekennzeichnet ist. Das Gesicht ist in diesem Fall nicht ein Phänomen in der Welt, eine Sache, sondern dieser Übergangspunkt, der die menschliche Existenz für das öffnet, was nicht sozial konstruiert und politisch durchgesetzt ist. Sie macht letztere möglich, aber auch unmöglich als endgültig fixierte Realitäten.
Das Gesicht ist also dasjenige, das die Möglichkeit der Ethik begründet, eine Art und Weise, in der Welt zu sein, die für den anderen empfänglich ist.
Die medizinische Maske, gelesen im Lichte von Levinas, ist dann ein weiteres Mittel, diese Potentialität einzuschränken, sie an Befehle der Immunität und Sicherheit zu binden. Der nun maskierte Andere wird dann als eine mögliche Krankheit markiert, die die physikalisch-biologische Realität in sich trägt, die überwacht, aufgespürt, verfolgt, getrennt, isoliert, unter Quarantäne gestellt, in einigen Fällen sterben gelassen und schliesslich allein entsorgt werden muss.
Wenn der Appell des anderen durch das Gesicht die Ethik begründet, verwandelt das maskierte Gesicht den anderen in ein Objekt der Angst, in jemanden, vor dem er fliehen kann. Die medizinische Maske drängt uns, ohne uns zu töten - und ohne uns notwendigerweise auch zu retten -, in eine dunkle Einsamkeit zu flüchten, wo wir möglicherweise taub und blind füreinander werden.
Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen der Maske gegen Ansteckung und den Masken von Nietzsches "tiefsinnigen Geistern", den notwendigen Mitteln, um sich vor der seichten, alltäglichen Meinung zu verstecken oder sich vor ihr zu schützen. (Jenseits von Gut und Böse, Kap. II, 40) Wir sind auch nicht die Freigeister, die sich offen und mutig dazu bekennen, dass hinter den vielen Masken, die wir sind, keine Wahrheit steckt (Jenseits von Gut und Böse, Kap. IX, 278), denn die medizinische Maske verschmilzt uns mit unserer Biologie und stellt unsere körperliche Gesundheit in den Mittelpunkt der Politik. Diese könnten letztlich zu Nietzsches "monströsen und furchterregenden Masken" werden, die auf der Erde umherwandern, um die neue biopolitische Realität einzuschreiben. (Jenseits von Gut und Böse, Vorwort)
Der Weg dorthin mag in Levinas' Vorstellung liegen, dass das Gesicht des anderen eine Schwelle, eine Nähe ist, die zwischen Heiligtum und Karikatur liegt.
Die Antwort mag woanders liegen, in Levinas' Behauptung, dass das Gesicht des anderen zwischen Heiligkeit und Karikatur liegt. (Totalité et infini) Das heisst, wir müssen lernen, für den anderen ohne Ernsthaftigkeit zu sorgen.
Eines Tages kam er zu seinen Jüngern in Judäa und fand sie sitzend, versammelt und zur Frömmigkeit erzogen vor. Als er [auf] seine Jünger kam, sammelten sich diese, setzten sich hin und brachten Danksagung über dem Brot dar, und da lachte er. Die Jünger sagten zu ihm: "Lehrer, warum lachst du über unser Dankgebet? Was haben wir getan? [Dies] ist das Richtige." Er antwortete und sagte zu ihnen: "Ich lache nicht über euch, auch nicht, dass ihr das nicht aus eigenem Willen tut, sondern dass euer Gott dadurch gepriesen wird.
Das Evangelium des Judas