Kritik an Autorität ist nach wie vor opportun, aber bitte nicht solche an epidemiologischen Narrativen, welche der Staat für seine Autorität ausnutzt. Statt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit verschiedenen, seriösen Positionen und Kritikpunkten zu suchen, wurde oftmals mit beliebigen politischen Kampfwörtern wie „Schwurbler:in“ oder „Querdenker:in“ um sich geworfen. Wir haben den Eindruck, ein Grossteil will sich auch gar nicht bestimmten Fragen stellen, da diese dann kognitive Dissonanz auslösen könnten. Erstaunlich ist, wie sehr nicht wenige radikale Linke plötzlich doch ihre Prinzipien so stark umgekrempelt haben.
Wir allerdings möchten uns gegen die (selbstauferlegte) Tabuisierung von Kritik an staatlichen Narrativen stellen. Stattdessen möchten wir eine Diskussion in Bezug auf die Thematik befördern, wie sie in der radikalen Linken bisher nicht stattgefunden hat..
Dem Staat geht es nicht um unsere Gesundheit!
Grundsätzlich ist aus anarchistischer Perspektive jede Autorität zu hinterfragen!
Der Staat ist nicht unser Freund, nicht unser Verbündeter und schon gar nicht ausreichend an unserem Gesundheitsschutz interessiert. In der Corona-Krise zeigte sich das z.B. bisher besonders deutlich an Massnahmen, wie dass nicht-digitale Impfnachweise in manchen Bereichen für ungültig erklärt wurden. Aber auch die Untätigkeit, das im Vorfeld seit Jahren zerstörte Gesundheitswesen insgesamt zu stärken, spricht Bände. Auch die Verkürzung des Genesenenstatus ist medizinisch nicht begründbar und stattdessen ein Beispiel für willkürliche und/oder unwissenschaftliche und inkonsequente Vorgehensweisen des Staates. Das Massnahmenchaos ähnelt, wie Karl-Heinz-Roth konstatierte, einem Schrotschuss, einer Repression ohne roten Faden und eindeutigen Sinn.
"Die Wissenschaft?"
Grosse Schlagzeilen, die die Aussagen von Einzelpersonen aufgreifen, sind noch nicht zwangsläufig ein „wissenschaftlicher Konsens“. So spricht sich beispielsweise eine bemerkenswerte Anzahl von Schulmediziner:innen auf der Welt klar gegen Kontaktbeschränkungen wie Lockdowns aus [1]. Statt sich rational mit ihren Argumenten und denen ihrer Gegenposition auseinanderzusetzen, erlebten wir, wie sie stattdessen auf einmal in gute und schlechte Wissenschaftler:innen unterteilt wurden und ein wissenschaftlich fundierter Konsens nicht gefunden, sondern nur behauptet wurde – je nachdem, welche Meinung vertreten wurde. Dies entbehrt in der Regel jeglicher Logik. Einen zweifelsfreien wissenschaftlichen Konsens zum Thema Lockdown-Notwendigkeit gibt es beispielsweise gar nicht.Die Meinung von einzelnen Wissenschaftler:innen kann niemals als absolute Wahrheit und pure Objektivität betrachtet werden, schon gar nicht, wenn diese vom Staat bezahlt werden oder es sich bei ihnen um Kapitalismusgewinner:innen handelt. „Ich bin ja gegen den Staat, aber für die Wissenschaft“, so das Statement einiger deutschsprachiger Anarchist:innen in der Krise. Das wundert uns sehr, war es doch längst vor der Pandemie kein Geheimnis unter Linken, dass Wissenschaftler:innen im herrschenden System meist nur dann überhaupt erfolgreich werden konnten, wenn sie Ergebnisse liefern konnten, die Geld einbringen.
Menschen, die jemals im wissenschaftlichen Betrieb tätig waren, wissen wohl selbst zur Genüge, wie sehr die Wahl eines Forschungsthemas von Drittmitteln abhängig ist, die vom Staat erst bewilligt werden müssen [2]. Warum also sollten wir dann überhaupt so strikt zwischen dem Staat und der staatlich akzeptierten Wissensproduktion unterscheiden, als wären sie Gegensätze?
Für uns stellt sich auch die Frage, warum es fast exklusiv Virolog:innen, Physiker:innen und bestimmte andere Naturwissenschaftler:innen waren, die sich z.B. in den staatlichen Beratungsrunden mit dem Themenkomplex der Pandemie befassten und die Rolle von Autoritäten einnahmen, während Gesellschafts- und Geisteswissenschaftler:innen oder gar Krankenhauspersonal und deren Erfahrungen kaum bis gar keine Beachtung fanden.
Nur eine bestimmte, äusserst eingegrenzte Auswahl an Wissenschaftler:innen konnte somit in die Position geraten, Narrative aus ihrer Perspektive vorzugeben und dadurch als Autoritäten von politischen Entscheider:innen und Medien wahrgenommen zu werden. Und das, obwohl es dabei auch um Massnahmen ging, die ihren eigenen Expertisen gar nicht notwendigerweise entsprachen und deren mutmassliche Erfolge und Folgen die gesamte Gesellschaft betreffen, wie bei der gefragten Mitwirkung und bei Kollateralschäden.
Doch in der herrschenden Politik, vielen Medien und eben auch in vielen linken Kreisen wurde diese sehr selektive Auswahl an Akteur:innen und ihre Ansätze, Methoden und Perspektiven als nichts geringeres als „die Wissenschaft“ bezeichnet und damit als quasi alleinig gültige Erkenntnisquelle und Position zu einer Autorität erhoben. Dabei gibt es gar nicht „die eine Wissenschaft“, sondern viele verschiedene Wissenschaften und innerhalb dieser jeweiligen Wissenschaften natürlich auch nochmals unterschiedliche Ansätze von Wissenschaftler:innen, die sich untereinander stark widersprechen können.
Autoritätsanspruch der Wissenschaft
Generell ist es angezeigt, jegliche Erkenntnis zu hinterfragen, da ein wissenschaftliches Objekt kaum vom (Wissenschafts-)Subjekt oder der Gesellschaft zu trennen ist. Das bedeutet, dass in jede Forschungstätigkeit auch Voreinstellungen der Wissenschaftler:innen u.a. aufgrund ihres sozialen Standorts einfliessen. Migrant:innen oder Menschen nicht-privilegierter sozialer Herkunft etwa sind auf den einflussreichsten Positionen des Wissenschaftsbetriebes seltener zu finden, stattdessen vornehmlich Akademiker:innenkinder [3]. Auch Einstellungen und Vorwissen, welche in unserer Gesellschaft als akzeptiert gelten, prägen Forschung. Diese müssen jedoch nicht für alle Gesellschaften gelten.So oder so hat das Bild einer objektiven, wertneutralen, allwissenden Wissenschaft, welches heutzutage viele Linke vertreten, eher religiöse als wissenschaftliche Züge. Wissenschaft heisst, Gegenargumente einzubeziehen und zu widerlegen versuchen; eine "Wissenschaft", welche nur die eine richtige Position kennt (gleich ob sie nun wirklich intersubjektiv richtig ist), ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch gefährlich, weil sie den Grundstein für alle autoritären und totalitären Ideologien legt.
Damit wollen wir nicht behaupten, das alle Wissenschaftler:innen korrumpiert sind. Ebensowenig haben wir am Streben nach Erkenntnis auszusetzen. Im Gegenteil: Auch wir wollen unsere Welt bestmöglich verstehen. Das heisst desweiteren nicht, dass der wissenschaftliche Konsens für uns keinen Stellenwert hat, und schon gar sind wir für eine pauschale Ablehnung einzelner Wissenschaftler:innen. Vielmehr stehen wir ein für einen wissenschaftlichen Diskurs, bei dem alle Wissenschaftler:innen aus allen Wissenschaften zu Wort kommen. Es geht uns darum, den objektiven Anspruch "der Wissenschaft" und die Nicht-Hinterfragbarkeit einzelner Wissenschaftler:innen und einzelner Wissenschaften sowie die staatlich-gesellschaftliche Institutionalisierung, welche grossen Einfluss auf diese haben, zu hinterfragen.
Anarchismus und Autorität
Generell finden wir es sehr befremdlich, welche Grundannahmen einige sich als Anarchist:innen bezeichnende Menschen bei der Verteidigung staatlich repressiver Massnahmen (hierbei sprechen wir nicht von echtem Gesundheitsschutz!) augenscheinlich haben. Denkt ihr wirklich, dass Massnahmen – also staatliche Zwangseingriffe – zu besseren Ergebnissen führen können als Mutualismus und Eigenverantwortung?Wie genau stellt ihr euch denn den Ablauf einer Pandemie oder einer ähnlichen Krise in einer anarchistischen Gesellschaft vor? Wenn die Menschen alle derart unverantwortlich sein sollen und nur staatliche Repression zu „Solidarität“ führen kann, was genau bleibt dann von eurem Anarchismus übrig? Klar, ohne kapitalistische Herrschaft würden sicherlich weniger Krisen aufkommen. Aber auch kein Anarchismus kann Naturkatastrophen verhindern. Wenn ihr bei jeder Krise wie in dieser Krise dann doch nach einem starken Staat schreit, seid ihr vielleicht einfach keine Anarchist:innen - zumindest nicht der Praxis.
Tabuisierung ist nicht anarchistisch
Zum Anarchismus zählte schon immer das kritische Hinterfragen. Und zum Selbstverständnis von Anarchist:innen gehörte es stets, Mehrheitsmeinungen, staatliche Narrative und Autoritäten anzugreifen bzw. herauszufordern.Warum aber wollen viele Linke sich nicht mit diesen Themen auseinandersetzen? Warum wird auf Argumente nicht eingegangen, und warum werden so schnell und oft lieber politische Kampfbegriffe zur Diffamierung verwendet, anstatt sich einmal (offizielle) Statistiken anzusehen? Woher kommt das grosse Vertrauen von so vielen Linken in den Staat, seine Vertreter:innen und seine Narrative? Warum wird jede Kritik an der Sinnhaftigkeit der Massnahmen und der Narrative so pauschal und vehement von ihnen abgelehnt und tabuisiert? Warum wird Kritik an der staatlichen Autorität nicht ernst genommen?
Wir wollen ganz ausdrücklich dazu aufrufen, diese Tabuisierungen zu durchbrechen. Wir fordern auf, darüber nachzudenken und sich ehrlich und argumentativ mit der Kritik und denjenigen Genoss:innen, welche diese vortragen, auseinanderzusetzen. Staatskritische Theorien dürfen kein Tabu sein. Wissenschaftskritik darf kein Tabu sein. Antiautorität darf kein Tabu sein! Zumindest nicht für eine Linke, die das herrschende System ablehnt.
Warum mit Epidemiologie beschäftigen?
Warum sollten wir uns damit überhaupt beschäftigen? Wir sind doch keine Epidemiolog:innen, sondern in erster Linie an Politik interessiert?Ja, das mag stimmen. Jedoch geht es hierbei nicht nur um die wissenschaftliche Disziplin Epidemiologie als solche, sondern auch um deren Praxis im politischen Kontext. Wie gefährlich Corona am Ende ist, wie gut welche Impfstoffe schützen oder wie sinnvoll welche Repression war - es würde unsere Grundthesen, dass staatliche Autorität abzulehnen ist, oder dass das Recht auf körperliche Selbstbestimmung nicht anzutasten ist, nicht beeinflussen.
Es geht hierbei aber um eine prinzipielle Frage: Können wir staatlichen Narrativen vertrauen? Wir finden, nicht nur staatliche Repression an sich ist zu hinterfragen, sondern auch die Legitimationen und Begründungen dieser Repression. Dass der Staat ein Interesse an Autoritarisierung in Krisenzeiten hat, ist nicht Neues. Für unsere Zeit bedeutet dies, dass der Staat alles daran setzt, seine Autoritarisierung zu legitimieren. Genau diese Legitimation, also der staatlich verordneten Massnahmen und Pflichten, wollen wir durchleuchten.
Von staatlicher Seite lassen sich einige Grundnarrative vernehmen. Es handelt sich dabei um jene Narrative, die Politiker:innen fast ausschliesslich teilen, und die deswegen auch medial verbreitet werden. Während wir den Narrativen, dass Covid-19 eine schlimme und gefährliche Krankheit sein kann und Impfstoffe schwere Verläufe verhindern können, zustimmen, weil diese nicht oder nicht ausschliesslich zur Legitimation der Autoritarisierung benutzt werden, lehnen wir die folgenden Narrative aus unten stehenden Gründen ab:
- "Nur durch Kontaktbeschränkungen können Infektionszahlen gesenkt werden."
- "Die Massnahmen, v.a. Lockdowns, sind alternativlos (irgendwas müssen wir doch tun)."
- "Massnahmen sind das beste Mittel zur Verminderung der Überlastung der Krankenhäuser."
- "Inzidenzen sind grundlegend."
- "Coronaviren treffen uns alle gleich."
Kontaktbeschränkungen sind nicht primär zur Verhinderung von Fällen (damit auch Todesfällen) geeignet, sondern lediglich zur Verschiebung dieser bzw. zur Verhinderung von Kapazitätsüberlastungen („Flatten The Curve“), da eine verhinderte Infektion bei abgeschlossenen Impfungen auch eine Immunantwort verhindert und man sich schlichtweg später ansteckt [4]. An den Beispielen Portugal und Grossbritannien lässt sich dies sehr gut zeigen [5]. Beide Länder gingen 2021 in einen strengen Lockdown. Dieser funktionierte scheinbar und die Infektionszahlen sanken... Bis sie dann ein wenig später in beiden Ländern plötzlich explodierten, während es in den Ländern ohne diese Lockdowns nicht dazu kam. Die Fälle wurden quasi verschoben.
Selbst wenn diese Verschiebung (zwecks Vorbeugung von Überlastung) ein Ziel wäre, würden die Massnahmen es grösstenteils verfehlen. Nicht nur ist der Faktor Mensch bei den dazugehörigen Berechnungen fast immer uynbedacht geblieben, wie bspw. bei der Schliessung von Restaurants - hier wurde nicht einkalkuliert, dass die Menschen sich einfach weiter zuhause in ihren schlecht belüfteten Innenräumen trafen -, auch wurden Daten dazu, wie und wo Coronaviren übertragen werden, kaum berücksichtigt [6]. Anders ist kaum zu erklären, weshalb es noch immer (gegen Coronaviren) wirkungslose Desinfektionssprays gibt [7] oder draussen Maskenpflicht galt, wo die Verbreitung ohne Aerosole kaum relevant ist [8].
Zu 2.) Lockdown ist alternativlos
Viele Linke und sogar Anarchist:innen vertraten und vertreten die Ansicht, dass Eigenverantwortung in der Pandemie massiv Menschenleben kosten würde, weshalb es staatliche Autorität brauche.
Staatlicher Zwang führt aber nicht zu besseren Ergebnissen als Mutualismus - diese anarchistische Grundthese hat für uns genauso in der Corona-Pandemie Bestand. Auch wenn staatliche Repräsentant:innen und Entscheidungsträger:innen das Gegenteil erzählen, hat sich in der Praxis gezeigt, dass dem nicht so ist: 2G führte dazu, dass sich Menschen trotzdem weiter zuhause trafen (bei schlechteren Hygienebedingungen) und das Virus genau so verbreiteten.
Die Schliessung von Schulen hatte zur Folge, dass sich die Schüler:innen bei privaten Treffen ansteckten, und die Konsequenz von "Stay at Home" war, dass sich die Menschen reihenweise in den eigenen vier Wänden infizierten. Von Ausgangssperren, welche die Menschen in schlecht belüftete Innenräume trieben, ganz zu schweigen [9]. Dass Anarchist:innen trotzdem das Narrativ "staatliche Verbote verhindern Übertragungen" glaubten, ist erschreckend, da es ja die Grundannahme jedes anarchistischen Denkens untergräbt.
Auch verblüfft es, dass Vergleiche mit anderen Ländern, welche grösstenteils mit deutlich weniger Massnahmen keine nennenswert schlechtere Bilanz hatten [10], von Linken in der Regel ignoriert wurden. Teilweise übernahmen sie sogar staatliche Diffamierungsnarrative, etwa hinsichtlich der skandinavischen Länder. Im Übersterblichkeitsvergleich zeigt sich, dass Länder mit weniger strengen Massnahmen nicht signifikant mehr Todesopfer zu beklagen haben [11].
Coronaviren verbreiten sich im Grunde wie andere Viren auch, nämlich ohne Massnahmen üblicherweise in Wellen, entsprechend der Gompertz-Funktion, und nicht, wie oft behauptet, mit streng exponentiellem Wachstum [12]. Zudem sie sind saisonal [13]. Wenn man sich die Infektionszahlen in fast allen Ländern anschaut, ist kaum zu übersehen, dass diese Wellen weiterhin durchlaufen, egal welche Strategien zur Reduzierung verfolgt wurden [14].
Die Vorstellung, wir könnten die Ausbreitung von Coronaviren kontrollieren, ist eine Illusion, die aus der Herrschaft des Menschen über den Menschen resultiert. Im Grunde haben wir keine Kontrolle über die Natur der Viren.
(An diejenigen, die jetzt schon abgeschaltet haben und uns alle möglichen Beleidigungen an den Kopf werfen wollen, wir würden viel lieber eure sachliche Kritik lesen! :) )
Dass am 03.04.2022 der Grossteil der 2G/3G-Regeln und Maskenpflicht fielen und es in der Folge bis heute einen drastischen Rückgang der Infektionszahlen gab, sollte doch der endgültige Beweis sein.
Das Narrativ, dass nur staatliche Repression Fälle senken könnte, ist insofern kaum aufrechtzuerhalten.
Zu 3.) Intensivbettenbelegung
Oftmals ist von einer Überlastung der Intensivstationen durch Corona-Kranke die Rede. Dass hierbei zwischen Menschen, die wegen einer schweren Covid-Erkrankung auf den Intensivstationen sind, und Menschen, die aufgrund anderer Krankheiten dort liegen und im Zuge dessen positiv auf den Erreger getestet wurden, unterschieden werden sollte, wurde bisher nicht selten als böse Schwurbelei abgetan. Dabei ist dieses Hinterfragen schlichtweg logisch. Wenn laut RKI bereits 1-2% der Gesamtbevölkerung mit Corona infiziert sind, wären diese ja auch unter den Intensivpatient:innen zu finden.
Alles in allem ist die Gesamtzahl der Intensivbehandelten in Deutschland nicht gestiegen, sondern konstant geblieben. Jedoch wurden knapp 5000 Stellen bzw. Betten abgebaut [15]. Das heisst nicht, dass die Coronapandemie in den Krankenhäusern nicht präsent wäre. für den grenzwertigen Zustand ist aber eindeutig unser kapitalistisches System bzw. die Neoliberalisierung des Gesundheitswesens. Auch hier stehen die staatlichen Narrative wie ein Schutzwall vor dieser Einsicht, sodass die neoliberale Logik kaum hinterfragt wird.
Zu 4.) Inzidenzen
Die Inzidenz, die vom RKI veröffentlicht wird, ist keine exakte Inzidenz. Das RKI weiss nicht, wie viele Menschen tatsächlich erkrankt sind, es schätzt dies nur anhand von Tests [16]. Dementsprechend sind die veröffentlichten Inzidenzen mit Vorsicht zu geniessen. Die Zahlen sind bedingt durch die Menge an Tests, die durchgeführt werden, ausserdem abhängig von den Behörden, welche diese übermitteln, sowie von der Infrastruktur der Tests an sich.Trotzdem sehen wir immer noch Linke, die wie gebannt vor dem Monitor sitzen, um sich die neusten "Infektionszahlen" anzuschauen. Auch, dass diese "Infektionszahlen" an die Interpretation der Tests gebunden sind, wird oft nicht thematisiert. PCR-Tests sind von Messzyklen, welche sich in Ct-Werten ausdrücken, abhängig, und können somit nicht nachweisen, ob eine positiv getestete Person andere überhaupt anstecken kann. "Ein Ct-Wert von > 30 spricht für eine geringe Viruslast, da wesentlich mehr Messzyklen durchgeführt werden mussten, um das Virus nachzuweisen. Die getestete Person ist dann trotz eines positiven PCR-Befundes möglicherweise nicht mehr ansteckend", schreibt das Bündnis "Zusammen gegen Corona" [17]. Auch das RKI und Drosten stimmen dem zu [18]. Gerade bei Ct-Werten um die 40 muss die Sinnhaftigkeit angezweifelt werden.
Zu 5.) Coronaviren treffen uns alle gleich
Es wurde komplett ignoriert, wer gefährdet war, schwer an Corona zu erkranken und wer nicht. Die staatlichen Narrative entbehrten jeglicher epidemiologischer Logik:
Obwohl Risikofaktoren (Übergewicht, ungesunder Lebensstil, hohes Alter, Asthma etc.) für einen schweren Verlauf lange bekannt sind, wurden diese kaum berücksichtigt. Laut RKI gehören über 65-Jährige fünfzig mal so oft zur Hochrisikogruppe als 15- bis 19-Jährige. Und schon über fünf mal so häufig wie 60- bis 65-Jährige [19]. Je älter, desto weiter staffelt sich dies. In der ersten Saison ist der Grossteil der Menschen in den Pflegeheimen gestorben, weil es dort keinerlei Schutzkonzepte gab. Stattdessen gab es einen diese Verteilung ignorierenden, unsinnigen Pauschal-Lockdown. Ähnlich deutlich ist es auch bei Menschen mit Übergewicht und Menschen mit geschwächtem Immunsystem [20]. Beide Gruppen sind besonders anfällig für schwere Krankheitsverläufe und somit oft in den Intensivstationen zu finden. Aus diesem Grund ist auch Armut ein grosser Risikofaktor (Immunsystem) - der ebenfalls konsequent ignoriert wurde.
All diese Risikogruppen wurden nicht in besonderem Masse geschützt. Daran bestand offenbar kein Interesse. Sie wurden nicht anders behandelt als Nicht-Risikogruppen, welche in der Regel von Coronaviren wenig zu befürchten haben. Ebensowenig wurden Anstalten unternommen, auf (in manchen Fällen) beeinflussbare Risikofaktoren wie Übergewicht oder ein schwächeres Immunsystem einzuwirken. Nicht, dass dies ein Allheilmittel wäre, aber das völlige Ausbleiben solcher Bemühungen spricht Bände. Im Gegenteil wurde stumpf staatlicher Zwang gegen alle eingesetzt. Nichts spricht dafür, dass der Staat unsere Gesundheit schützen wollte, alles spricht dafür, dass es ihm um eine Autoritarisierung und Normalisierung von staatlicher Repression geht. (Ein Text zu Autoritarisierung wird übrigens auch noch veröffentlicht, seid gespannt.)
Frühe Ablehnung
Schon früh wurde argumentative Kritik an staatlichen Narrativen von selbsternannten Linken mit Verschwörungstheorien gleichgesetzt. Dabei haben sich viele der Behauptungen und Befürchtungen im Nachhinein als korrekt und berechtigt herausgestellt. Für die Aussage, dass Coronaviren saisonal auftreten, wurden schon 2020 kritische Linke als "Schwurbler:innen" beschimpft oder in den Kreis von Nazis gerückt. Heutzutage bestreitet dies niemand mehr [21]. Dass es Ungleichbehandlungen von Geimpften und Nicht-Geimpften geben würde, ja, dass sogar eine Impfpflicht in Planung sei, wurde als lächerliche Verschwörungstheorie abgestempelt - und wir wissen was ein halbes Jahr später kam.Kaum ein:e Linke:r hatte dies kritisch hinterfragt, dass die von LucaApp und Co. erhobenen Daten zur Kontrolle, Überwachung und Staatsrepression benutzt werden würden, war ebenfalls eine krude Verschwörungstheorie für einige Linke, bis die Polizei diese Daten dann tatsächlich zur "Strafverfolgung " einsetzte. Auch die Vorstellung, dass sich Corona - wie alle anderen Viren auch - in Wellen verbreitet (was heutzutage wohl nicht zu negieren ist), galt lange Zeit als eine nicht tragbare Aussage [22]. Dieselben Menschen, die staatliche Narrative, die sich heutzutage lächerlich anhören, verteidigt haben, hängen weiterhin an den oben genannten Narrativen.
Keine Alternativen
Für eine linke Autonome sollte klar sein, dass geplante Impfpflichten abzulehnen sind. Bei der allgemeinen Impfpflicht in Deutschland würde es sich wieder um eine kurzfristige Massnahme handeln, die wohl kaum effizient ist, wenn bei 90 bis 95% der Menschen schon Grundimmunität besteht. Ein Blick in Länder mit hoher Impfquote belegt dies [23]. Die Forderung nach Strafen wie z.B. Gefängnis (worauf es hinaus laufen könnte, für jene, die einer Impfpflicht nicht nachkämen) für Menschen aufgrund ihrer Entscheidung über ihren eigenen Körper ist nicht zu rechtfertigen.ZeroCovid oder NoCovid sind nicht wissenschaftlich, da sie grundlegende epidemiologische Prinzipien wie Immunisierung durch Infektionen vernachlässigen. Infektionen sind spätestens bei Omicron und abgeschlossener Impfung, wie oben beschrieben, nicht zu verhindern, sondern grösstenteils nur aufzuschieben. Die Vorstellung, Corona „zu besiegen“ oder „auszulöschen“, ist Wissenschaftsleugnung. In der Praxis sind diese Überlegungen in allen Ländern gescheitert. Man konnte in China oder Australien teilweise sogar dystopische Szenen von Drohnen, die die Ausgangssperre kontrollierten, oder Bullen, die maskenlose Kinder pfefferten, beobachten. Dass Linke die Vorstellung, der Staat solle mit seiner Repression Menschen an der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse hindern, lange Zeit als eine erstrebenswerte Alternative gesehen haben, macht uns absolut fassungslos. ZeroCovid gilt es mit aller Härte zu bekämpfen.
Mutualistischer Gesundheitschutz
Warum es kaum Bestrebungen von linker Seite gab, einen echten mutualistischen Gesundheitsschutz zu schaffen, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Forderungen nach staatlicher Repression gab es häufig, Aufklärung über Möglichkeiten, sich selbst vor Viren zu schützen, dagegen selten. Auch nicht allzu oft zu sehen waren Hilfsangebote für Wohnungs- und Arbeitslose in Zeiten des Lockdowns. Allein das Bereitstellen von Essen und Kleidung für Bedürftige hätte bereits mehr Gesundheitsschutz ermöglicht als die staatlichen Massnahmen.Der Risikofaktor Armut im Zusammenhang mit Corona wurde, obwohl es sich eigentlich um ein klassisches linkes Thema handeln sollte, lediglich von wenigen radikalen Linken und Anarchist:innen thematisiert (und dies auch eher leise). Die Unterstützung der Streiks des Pflegepersonals für bessere Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern fiel mässig aus. Schon gar nicht kamen Linke auf die Idee, solche zu fordern und gegen die schlechten Arbeitsbedingugen zu kämpfen. Manche Antifaschist:innen hatten augenscheinlich mehr Ambitionen, die staatlichen Massnahmen zu verteidigen, als dem Pflegpersonal beizustehen. Eine Massenbewegung zur sozialen Frage in der Pandemie gab es auch nicht. Lockdowns zu verteidigen war vielen Linken wohl einfach wichtiger.
All diese Aspekte des mutualistischen Gesundheitsschutzes wären möglich gewesen. Was spräche denn dagegen, Gesundheitsschutz mutualistisch zu gestalten? Warum glauben so viele, der Staat würde besseren Gesundheitsschutz liefern können als wir untereinander?
Helft euch gegenseitig, aber traut nicht dem Staat!