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NATO Manöver 1954: Kriegsdialektik. „Battle Royale“

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„Battle Royale“ Manöver 1954: Kriegsdialektik

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Gesellschaft

Vom 22. bis 28. September 1954 fand das erste Grossmanöver der NATO namens „Battle Royale“ in der Bundesrepublik Deutschland (BRD), hauptsächlich in Norddeutschland, Niedersachsen und dem nördlichen Nordrhein-Westfalen (NRW), statt.

Unterzeichnung der NATO-Mitgliedschaftseinladung an Westdeutschland im NATO-Hauptquartier in Paris, 1954.
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Unterzeichnung der NATO-Mitgliedschaftseinladung an Westdeutschland im NATO-Hauptquartier in Paris, 1954. Foto: Autor (PD)

Datum 16. September 2024
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Es war die grösste militärische Übung auf deutschem Boden nach dem 2. Weltkrieg. Beteiligt waren rund 137 000 Soldaten der britischen Rheinarmee, der Royal Air Force sowie belgische, niederländische, kanadische und US-Soldaten. Zum Einsatz kamen etwa 800 Panzer und schwere Geschütze, darunter auch atomar bestückte (M65 Atomic gun). Geübt wurden simulierte atomare Sprengungen im Rahmen eines möglichen Atomkrieges mit der UdSSR und Rheinüberquerungen (z. B. bei Sasbach). Hierzu wurden Rampen zur Flussüberquerung (sog. NATO-Rampen https://de.wikipedia.org/wiki/Ersatzübergangsstelle ) angelegt, die noch heute bestehen.

„Battle Royale“ 1954 forderte 106 zivile und militärische Todesopfer.

Dieses Manöver fand ein Jahr nach der militärischen Beendigung des Koreakrieges (2. Waffenstillstand vom 27.7.1953) und eine Woche vor der Londoner 9-Mächte Konferenz vom 28.9. - 3.10.1954 statt. Dort wurden die Voraussetzungen verhandelt und beschlossen, unter denen die BRD NATO-Mitglied werden sollte: In der „Londoner Akte“ vom 3. Oktober 1954 wird der BRD durch die 9 NATO-Mitglieder das Alleinvertretungsrecht für Deutschland zuerkannt und ihr den Beitritt zur NATO eröffnet, nachdem Kanzler Konrad Adenauer (1876-1967) den Verzicht auf den Besitz von ABC- vor allem Atomwaffen, von Fernlenkgeschossen, schweren Schiffstypen und Bombern erklärte. Mit der NATO-Mitgliedschaft der BRD wurde die Absichtserklärung verbunden, dass die Westmächte auf ihre Besatzungsbefugnisse verzichten werden. (CVCE Website https://www.cvce.eu/de/obj/die_schlussakte_der_londoner...)

Auf der Pariser Aussenministerkonferenz (19.-23. Oktober 1954) wurden die Londoner Vereinbarungen dann rechtsverbindlich beschlossen. (Die Pariser Verträge, 23. Oktober 1954, in: 1000dokumente.de)

Damit endete auch die durchaus populäre „Ohne-mich-Bewegung“ gegen die Wiederaufrüstung, nachdem schon zuvor die Volksbefragungsbewegung über die Wiedervereinigung und die Aktivitäten zu Neutralitätsbestrebungen zerschlagen worden waren, so dass später die Paulskirchenbewegung (1955/6) kraftlos agierte.

Die Sonne war schon untergegangen, als Willi mit seiner Last, die in einem Kohlensack eingewickelt war, damit sie nicht vom Gepäckträger rutschte, ankam. Johanna hatte ihn schon erwartet, der Abendtisch war einfach gedeckt, auch eine Flasche Weizenbier stand bereit, denn dieser Augusttag war heiss gewesen.

“Was hast du denn da auf dein Fahrrad gepackt?” fragte sie so nebenbei, als sie aus dem geöffneten Küchenfenster schaute und ihren Mann ungelenk das Fahrrad in den Hof schieben sah, wo er es in einen Fahrradständer, den er selbst geschweisst und vor dem Vorgarten befestigt hatte, abstellte.

“Ha! Ihr werdet Augen so gross wie Wagenräder machen”, meinte er schmunzelnd. “Los, mach' schon die Tür auf. Ich erfrier mir sonst noch die Finger!” bestimmte er, als er kraftvoll den Kohlensack mit Inhalt vom Fahrrad hob und auf die Haustür zuging.

“Kinder, schiebt 'mal schnell die Teller zu Seite”, befahl er den beiden Mädchen, die neugierig in der Küche herumstanden. Schon setzte er hart den Kohlensack auf den Küchentisch, ohne sich von Johannas Aufschrei “Aber doch nicht auf den Esstisch!” zu kümmern.

Eigentlich hatte er sich vorgestellt, wie ein Zauberer den Kohlesack mit Schwung hochzureissen, doch der klebte an dem Gefrorenen fest, so dass Willi nun das Kunststück erklären musste.

“Also, da drin' sind zehn bis zwölf Kilo bestes Rindfleisch aus amerikanischem Bestand”, erklärte er stolz.
“Du wirst doch nicht etwa …”, fragte Johanna besorgt und brach den Satz mit Blick auf die Kinder unvollendet ab.
“Ach, was du wieder immer gleich denkst”, erwiderte er ärgerlich und begann dann zu berichten: “Ich hab' euch doch erzählt, dass die Amis die grosse Werkstatthalle beschlagnahmt haben, angeblich hat sie Karl an sie vermietet - natürlich bezahlt von unseren Steuern, aber darum geht's jetzt nicht. Also dort haben sie ihre Fliegerabwehrlafetten und einige Schlauchboote für das Manöver, das nächste Woche in der Innenstadt und auf der Parkinsel stattfinden soll, gelagert.”

Das war richtig. Johanna und die Kinder erinnerten sich. Das ganze Gelände des Eiswerks wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt, deshalb konnten sie schon seit Tagen nicht in ihren Garten. Die Hühner fütterte jetzt Willi, er wässerte auch mit dem Schlauch die Gemüsebeete. Dieses Manöver machte militärisch, wehrpolitisch oder verteidigungspolitisch, wie es neuerdings hiess, überhaupt keinen Sinn, es diente eigentlich nur dazu die Kalte-Kriegs-Stimmung kurz vor den Londoner Konferenz im Oktober, die den Deutschlandvertrag, den Alleinvertretungsanspruch der Bonner Republik für Deutschland und die Einbindung der BRD in die NATO bringen sollten, anzuheizen und die Gegner dieser Entwicklung einzuschüchtern.

“Ja”, fuhr Willi fort, “die Essensrationen fürs Manöver sind im grossen Kühlhaus gelagert. Jetzt stellt euch das einmal vor: Heut' Nachmittag wurde das ganze tiefgefrorene Fleisch aus dem Kühlhaus geräumt und auf den Hof geworfen. Irgend ein Offizier hat nämlich festgestellt, dass das Haltbarkeitsdatum in der nächsten Woche abläuft und bestimmt, dass alles sofort vernichtet werden muss. Die Amis haben nämlich ungeheuere Angst vor Seuchen und Epidemien. So, da lagen nun im Hof die Fleischklumpen herum und wurden von einem Soldaten bewacht, damit nur niemand etwas wegnimmt. Mir hat das Herz geblutet, als ich das sah. Auf einmal, als ich wieder allein über den Hof schlich, winkte mich der GI, ein ziemlich junger Bursche mit käsigem Gesicht zu sich, bot mir eine Zigarette an, blickte verstohlen um sich, zeigte auf einen Fleischbrocken und zischte 'Go on! Go on! Dalli!' So und hier ist der Fleischkoloss. Er muss nur noch auftauen, dann kann euch eure Mutter einen saftigen Braten zubereiten”, verkündete er abschliessend stolz.

“Aber Willi, was soll ich denn mit zwölf Kilo Rindfleich? So viel können wir doch gar nicht essen. Ausserdem verdirbt es doch, wenn es nach dem Auftauen nicht sofort verarbeitet wird”, erklärte Johanna.
“Ach, daran hab' ich nicht gedacht”, meinte Willi enttäuscht.
“Ich kann vielleicht ein oder zwei Kilo als Sauerbraten einlegen, aber mehr nicht, vor allem nicht zehn Kilo”, gab die Hausfrau zu bedenken.
“Wir können es doch verteilten, an die Nachbarn verteilen”, meldete sich nun die kleine Selma, “die freuen sich bestimmt und die Jungens rufen dir dann auch nicht mehr 'Rübezahl' nach.”
Willi blickte verunsichert seine Frau an, die mit den Achseln zuckend meinte: “Ja, warum eigentlich nicht.”

So führte das unsinnige NATO - Manöver dazu, dass es am letzten Sonntag im August 1954 bei den Bewohnern der Dürchkeimer Strasse 29, 31 und 33 Rinderbraten, Rindergulasch oder Rindersteak zum Mittagessen gab.

Selma und den anderen Kindern wurde klar, dass der Name des schlesische Berggeistes 'Rübezahl' eigentlich kein Schimpfwort sein konnte.

Wilma Ruth Albrecht

Auszug aus Wilma Ruth Albrecht: ÜBER LEBEN. Roman des kurzen Jahrhunderts. Band 2: Sozialer Familienroman, Reutlinen.Heidenheim (Verlag freiheitsbaum) 2016, 2.Teil 1950-1956, S.270-272