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Shakespeares Welt und die Pest

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Ein Leben, von der Seuche gezeichnet Shakespeares Welt und die Pest

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Gesellschaft

Die Pest wird häufig mit dem Mittelalter in Verbindung gebracht, - nachdem die so genannte „Pest des Justinian” im 7. Jh. abgeklungen war - und wird Mitte des 14. Jahrhunderts auch nachweislich wieder in den Chroniken greifbar.

William Shakespeare in der Mermaid Taverne von London.
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William Shakespeare in der Mermaid Taverne von London. Foto: Unknown author (CC BY-SA 4.0 cropped)

Datum 16. Februar 2021
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Prolog

Als die Pest 1527 in Wittenberg ausbrach, schrieb Luther an Johann Hess::

"Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde. Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, son-dern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht."

(Luthers Werke Band 5, Seite 334f.)

Die Pest

Die Pest wird häufig mit dem Mittelalter in Verbindung gebracht, - nachdem die so genannte „Pest des Justinian” im 7. Jh. abgeklungen war - und wird Mitte des 14. Jahrhunderts auch nachweislich wieder in den Chroniken greifbar. Sicher ist auch, dass Europa damals von einer Epidemie bislang unbekannten Ausmasses erfasst wurde. Dieser schreckliche Seuchenzug, der als „Schwarzer Tod” in die Geschichte einging und rund ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahinraffte, wurde fast überall durch das Bakterium Yersinia pestis (Pestbakterium: ist der Erreger der Lungen- und Beulenpest) ausgelöst.

Ein so katastrophales Ausmass erreichten die Seuchen nie wieder. In den folgenden Jahrhunderten kam es in den Städten Europas jedoch immer wieder zu einem „grossen Sterben”. Erst im frühen 18. Jahrhundert zog sich die Pest endgültig aus Europa zurück. 1894 wurde durch den Schweizer Arzt Alexander Yersin und unabhängig von ihm durch den japanischen Bakteriologen Shibabasuro Kitsato der Erreger der Pest nachgewiesen. Danach bleib Europa von dieser Pandemie aufgrund der seuchenhygienischen Massnahmen weitgehend verschont.

Kaum eine andere Katastrophe prägte die kollektive Vorstellung von Machtlosigkeit, Untergang und Unglück so sehr wie die Heimsuchung durch die Pest Die frühesten Seuchenberichte stammen von antiken Autoren wie:

- Thukydides (*vor 454 v.ZR; †wohl um 399 / 396 v.ZR. war ein aus gut situierten Verhältnissen stammender Athener Stratege und herausragender antiker griechischer Geschichtsschreiber.), berichtet bereits von der demoralisierenden Wirkung und den sozialen Auflösungserscheinungen, die die Seuche begleiteten.

- Ovid (*20.März.43 v.ZR. Sulmo; †um 17 n.ZR. in Tomis, war ein antiker römischer Dichter.) Neben Horaz und Vergil einer der drei grossen Poeten der klassischen Epoche der römischen Literaturgeschichte. In den Metamorphosen (Buch VII, S.173 ff) berichtet Ovid sehr detailliert über die Pest von Aegina.

Und später:

- Giovanni Boccaccio (*16.Juni.1313 Florenz; †21.Dez.1375 Certaldo) war ein italienischer Schriftsteller, Demokrat, Dichter und bedeutender Vertreter des Renaissance-Humanismus. Sein Meisterwerk, das Decamerone, porträtiert mit bis dahin unbekanntem Realismus und Witz die facettenreiche Gesellschaft des 14. Jahrhunderts. Die Schilderung der Pest in Florenz ist beklemmend realistisch und detailreich dargestellt. Sie dient auch bis heute als historische Quelle über diese Epidemie.

- Camus, Albert (*07.Nov.1913 Dréan, Algerien / Frankreich; †04.Jan.1960 Villeblevin, Frankreich) leitet seinen Roman ‚Die Pest' mit den folgenden Zeilen ein: „Am Morgen des 16. April trat der Arzt Bernard Rieux aus seiner Wohnung und stolperte mitten auf dem Flur über eine tote Ratte (…) Am selben Abend sah er aus dem Dunkel des Gangs eine dicke Ratte auftauchen, mit feuchtem Fell und unsicherem Gang.

Das Tier blieb stehen, schien sein Gleichgewicht zu suchen, wendete sich gegen den Arzt, blieb wieder stehen, drehte sich mit einem leisen Schrei im Kreis und fiel schliesslich zu Boden, wobei aus den halb geöffneten Lefzen Blut quoll …“ .

Wenn das Werk Camus' auch fiktiv ist, so beschreibt er doch treffend das grosse Rattensterben, das einer Pestepidemie vorauszugehen pflegt. Flöhe, insbesondere aber der Rattenfloh Xenopsylla cheopsis spielen bei der Übertragung des Pesterregers auf den Menschen eine entscheidende Rolle.

Bekannt waren schon lange vor dem 14. Jahrhundert Pestepidemien. In Byzanz / Konstantinopel, dem heutigen Istanbul zum Beispiel, war die Krankheit immer wieder ausgebrochen.

Nach der ersten Pandemie in der Spätantike waren Europa und der Mittelmeerraum allerdings beinahe 600 Jahre von der Geissel des Schwarzen Todes verschont geblieben. Die Pest war ein fernes Ereignis, dass die Menschen in Europa nicht einmal kannten. Das war so bis im Jahr 1346 mongolische Reiternomaden die Stadt Caffa auf der Krim belagerten. Hier unterhielten die Genueser seit 1266 eine Kolonie.

Eben jene Reiternomaden brachten den Pesterreger mit, denn in Asien hatte es die Pest über all die Jahrhunderte gegeben. Von dort breitete sich die Pest über die Handelswege in Europa aus. Unter anderem waren Frankreich, England, Deutschland, Dänemark, Schweden, Polen, Finnland und schliesslich sogar Grönland betroffen.

Viele Menschen flüchteten in Panik aus den betroffenen Städten, wodurch sich die Seuche umso schneller verbreitete. Wirklich zuverlässige Opferzahlen gibt es nicht, die Schätzungen schwanken zwischen 20 und 50 Millionen Toten

Die grossen Seuchenzüge des Mittelalters hatten vielfältige soziale Auswirkungen zur Folge: die Menschen verliessen ihre Familien, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. Und der Egoismus begann, um sich zu greifen. Besonders Adelige und Kleriker konnte sich die Flucht leisten und waren die ersten, die ihre Heimat verliessen. Durch den somit entstandenen Mangel an Ärzten und Priestern wurde die Not im Volke nur noch grösser: die Menschen wurden nicht mehr behandelt und gepflegt, erhielten die Sakramente, besonders die letzte Ölung, nicht mehr und starben physisch und psychisch.

In den Details wird die Tragödie sichtbar: Mütter schlugen ihre Kinder zu Tode, damit diese nicht den brutalen Tod sterben mussten, Männer beerdigten sich selbst bei lebendigem Leibe, um nicht vor dem Sterben von Mäusen, Ratten oder Würmern angefressen zu werden.

Allerdings versuchten die Behörden vielerorts auch das Auftreten der Seuche zu verheimlichen oder wenn nötig, zu vertuschen: man wollte die Handelsbeziehungen mit anderen Städten nicht gefährden und die Panik im Volk möglichst verhindern.

Manche blieben den ganzen Tag in der Kirche, andere begannen ihre Sünden zu beichten und sich dafür zu geisseln (Flagellanten). Viele Menschen sahen die Pest als Strafe Gottes (siehe S.20) und glaubten, wenn sie sich mit Gott aussöhnten, dass Gott die schlimme Strafe von ihnen abwenden würde. Aus diesem Grund verbreiteten sich im Spätmittelalter die Geisslerzüge. Die Menschen schlossen sich zusammen und wollten Gott gemeinsam wieder versöhnen. Vielerorts wurden sämtliche Haustiere geschlachtet, Plünderungen waren an der Tagesordnung Totentänze wurden aufgeführt.

Judenverfolgungen griffen um sich, einige Pogrome fanden schon statt, bevor die Pest die jeweiligen Orte erreicht hatte. Neben Vorwürfen wie Hostienfrevel und Ritualmordlegenden waren die Juden als Wucherer nach der christlichen Lehre verhasst. Den Juden wurde vorgeworfen, die Pest ausgelöst zu haben. Es kam auch die Idee auf, dass durch die Pest Gott die Christen straft, da sie Juden in ihren Städten akzeptieren. Die Hauptakteure der Judenverfolgung waren Bürger und Zünfte, der Klerus dagegen hielt sich, wie regionale Fürsten zurück oder reagierten zurückhaltend.

Diejenigen, die am meisten zu leiden hatten traf das Leiden schwer, wie der Medizinhistoriker Richard Barnett (1980) ausführt:

„Die verbreiteste Form der Pest und diejenige, die mit den historischen Epidemien am häufigsten verbunden wird, ist die Beulenpest. Das Bakterium gelangt in den Körper, setzt sich in den Lymphknoten fest, die man an Hals und Schulter, den Achselhöhlen und in der Leistengegend findet. Diese schwellen an, verfärben sich schwarz, manche brechen auf, und man bekommt scheussliche Abszesse. Mit der Beulenpest verbunden ist hohes Fieber und multiples Organversagen; der Körper stellt langsam seine Funktionen ein.“

In den vier Jahrhunderten vom 14. bis zum 18.Jahrhundert lernte die europäische Bevölkerung nach und nach mit der immer wieder auftretenden Seuche zu leben. Die Stadtverwaltungen erliessen Medizinalordnungen, die verstorbenen Rochus und Sebastian erfreuten sich als Pestheilige grosser Beliebtheit.

Im 17. Jahrhundert trugen Ärzte in Italien und Frankreich erstmals eine spezielle Schutzkleidung mit einer grotesk anmutenden „Pestarztmaske”, die sie beim Krankenbesuch vor der Ansteckung schützen sollte. Es gibt allerdings keine Hinweise darauf, dass diese Art von Schutzkleidung zu Pestzeiten auch im deutschen Sprachraum getragen wurde.

Auch wenn der „Schnabeldoktor” nicht zu den Akteuren bei Pestausbrüchen in unserem Raum gehörte, lässt sich an dieser Maske doch besonders genau ablesen, wie man sich die Ansteckung durch die Pest erklärte: Sehr verbreitet war die Vorstellung, dass die Pest durch eine ‚aus Osten kommende verdorbene Luft' ausgelöst sei, den ‚Pesthauch' oder das ‚Miasma', heute bekannt als ‚Aerosole'.

Diesem Pesthauch galt es etwas entgegenzusetzen, und deshalb barg die schnabelartige Nase der Maske einen mit duftenden Essenzen getränkten Schwamm, der die Atemluft mit dem aromatischen Geruch von Zimt, Nelken u.ä. veredelte. Auch Feuer und Räucherungen galten als probates Mittel zur Reinigung der Luft und zum Verdrängen des Pesthauches.

Die Wahl des Räucherwerks richtete sich dabei nach dem Geldbeutel: wer es sich leisten konnte, liess mit Weihrauch und Myrrhe räuchern, Arme griffen zu Wacholder oder gar zu Hornspänen. Wenn es beim Räuchern dann stank wie die ‚Pest', glaubte man, so könne die Pest vertrieben werden.

Die Erfahrung zeigte, dass die Pest zudem eine stoffliche Ansteckungskomponente haben musste, weil sie auch durch Gegenstände oder Kleidungsstücke übertragen wurde. Gegen diesen Krankheitsstoff, das „Contagium”, trug der Pestarzt ein bodenlanges Gewand aus gewachstem Stoff oder glattem Leder. Die langen Ärmel gingen nahtlos in lederne Stulpenhandschuhe über. Zudem waren die Augenöffnungen der Maske durch Scheiben aus Glas oder Kristall verschlossen, die vor dem Blick des Kranken schützen sollten, den man ebenfalls für ansteckend hielt.

Diese lückenlose Verhüllung dürfte für den Pestarzt durchaus eine Schutzwirkung gehabt haben. Wirklich sicher waren aber nur diejenigen Ärzte, die rechtzeitig die Flucht ergriffen hatten.

Die heutige Verbreitung der Krankheit wird nur noch aus den pestverseuchten Reservoiren wildlebender Nagetiere gespeist, vor allem in Zentralasien, Ost- und Zentralafrika, Madagaskar, Südamerika und den westlichen USA (Rocky Mountains). Dank internationaler Bemühungen konnte die Pest weitgehend eingedämmt werden.

1994 fielen einer neuerlichen Pestepidemie in Westindien insgesamt 58 Menschen zum Opfer. Diese Epidemie war offenbar durch eine neue Virusvariante ausgelöst worden. In Deutschland wie auch in anderen Ländern besteht schon bei Verdacht auf eine Pesterkrankung eine Anzeigepflicht, die mit scharfen Quarantänemassnahmen verbunden ist.

England und die Pest

William Shakespeare (*26.April.1564 Stratfordupon-Avon; †23.April.1616 ebenda) ein englischer Dramatiker, Lyriker und Schauspieler. Seine Komödien und Tragödien gehören zu den bedeutendsten Bühnenstücken der Weltliteratur und sind die am häufigsten aufgeführten und verfilmten. Das überlieferte Gesamtwerk umfasst 35 Dramen, epische Versdichtungen sowie 154 Sonetten. Shakespeare gilt als einer der bedeutendsten Dichter der Weltliteratur.

Zwei Monate nach Shakespeares Geburt brach die Pest in Stratford aus. Seine Überlebenschancen waren gering, fegte sie doch unaufhaltsam durch England und tötete ein Viertel der Menschen in seiner Heimatstadt Stratford-upon-Avon.

Der Tod durch die Pest war furchtbar zu leiden und schrecklich zu sehen. Die Unwissenheit darüber, wie sich die Krankheit ausbreitet, lies die Pest wie eine Strafe eines wütenden Gottes oder wie das Zerbrechen der Welt erscheinen. Doch der kleine William Shakespeare war unter denen, die davonkamen. Eine andere Familie in seiner Strasse verlor dagegen alle vier Kinder an die Seuche.

Die Pest hat England und insbesondere die Hauptstadt während Shakespeares Lebenszeit wiederholt verwüstet - in 1592, 1596 wieder in 1603 und in 1606 und 1609. Sobald die Todesfälle durch die Krankheit dreissig pro Woche überstiegen, schlossen die Londoner Behörden die Spielhäuser und Versammlungsorte und erteilten den Schauspielern ein Berufsverbot. Während des ersten Jahrzehnts des 17.Jahrh. müssen die Spielhäuser so oft geschlossen worden sein, wie sie geöffnet waren. In den Theatern spielten die Shakespeare-Stücke vor 3000 Leuten. Theater mit solchen Menschenansammlungen waren also Säuchenherde. Die Zeit der Epidemie war grausam, brutal und sehr spannend.

Nach dem schweren Ausbruch von 1592 gingen die Behörden dazu über auch Sterbelisten auszuhängen, die „London Bills of Mortality“: Gemeinde für Gemeinde führten sie die Namen der Toten auf; die Listen konnten für einen Penny gekauft werden, zum gleichen Preis wie der Eintritt zum Globe. Als die Pest von 1603 ihren Höhepunkt erreichte, wurden diese Listen jede Woche in grosser Auflage verteilt. Sie lieferten eine kontinuierlich aktualisierte Pestkarte von London, der sich entnehmen liess, wo die Pest wütete und wo man sich einigermassen sicher fühlen konnte.

Auch Shakespeares Leben war von der Pest gezeichnet, seine schriftstellerische Entwicklung wurde von der Seuche bestimmt. Dennoch: es gibt kein grosses Bühnenstück über die Pest, weder von Shakespeare noch von einem seiner Zeitgenossen. Dass sie als Thema fehlt, ist eines der Rätsel des Elisabethanischen Theaters wie auch der Shakespeare-Forschung.

Die Stücke, die er schuf, entstanden oft aus dem Bewusstsein, wie prekär das Leben angesichts von Ansteckung und sozialem Zusammenbruch sein kann. Die Brüchigkeit des feudalen und täglichen Lebens ist der Kern seiner Komödien, Romanzen, Historien und Tragödien.

Doch selbst wenn die Pest nicht auf der Bühne auftauchte, den Gedanken von Zuschauern und Schauspielern wird sie kaum fern gewesen sein. Ganz sicher nicht im Jahr 1603, das der Stückeschreiber und Zeitgenosse Shakespeares Thomas Dekker ohne Weiteres das ‚Wonderfull Yeare' genannt hat. Was er ‚wundervoll' nannte, meint ‚voller Wunder'. Die meisten Londoner hätten die Bezeichnung ‚Schreckensjahr' gewiss angemessener gefunden.

Massenkommunikation war eines der wenigen Mittel, mit denen die Behörden versuchen konnten, der Ausbreitung der Krankheit entgegenzuwirken. Nach einem besonders schweren Ausbruch in 1574, wurde eine Folge von Proklamationen gedruckt und an Pfosten aufgehängt. Sie enthielten - vermutlich zum ersten Mal - detaillierte Instruktionen, wie die Menschen sich angesichts einer Epidemie verhalten sollten. Nachdem in kurzer Zeit einige Personen an der Pest gestorben waren, verhängten die Einwohner in der Region um Stratfordupon-Avon selbst den Quarantänezustand und brachen alle Kontakte zu umliegenden Dörfern ab, wodurch sie eine weitere Ausbreitung der Infektion verhinderten. Zudem war nun jede Familie für die Bestattung ihrer Toten selbst verantwortlich und Gottesdienste fanden nur noch im Freien statt, um eine grosse Ansammlung von Menschen auf engem Raum zu verhindern.

Ab 1583 wurde in Gemeindekirchen der Pestregion und in ganz London eine noch genauer ausgearbeitete Liste mit Anordnungen angeschlagen. Dieses wurde zur Routine und bei allen weiteren Pestausbrüchen bis zum ihrem allmählichen Verschwinden nach der Grossen Pest von 1665.

Gegen Ende der 1590er Jahre wütete trotz des schlechtes Wetter - die kühlen feuchten Sommer, die für Missernten und die anschliessenden Hungerunruhen verantwortlich waren - die Pest nur sporadisch in der Stadt: Versammlungen waren mal erlaubt, mal verboten, die Theater florierten ausserordentlich gut während der Öffnungszeiten. Shakespeare konnte sich dem Stückeschreiben zuwenden und sein Glück machen.

All das änderte sich mit der Pest von 1603 erneut. Schon als die Königin im Sterben lag, im März des Jahres, starben auch die ersten Pestopfer. Am 24. März 1603 starb die Königin. Die Nachricht von ihrem Tod war für die Menschen erschütternd, Millionen brach sie das Herz, denn eine Nation war durch ihre Regentschaft zu einer Grossmacht gewachsen. Und nun das, wie konnte ihre Krankheit nun eine allgemeine Furcht verbreiten und ihr Tod diese Bestürzung?

Kurz nach Elisabeths Beerdigung am 28. April liess sich nicht mehr leugnen, dass London von einem neuen schweren Ausbruch heimgesucht wurde. Auch wenn Elisabeths Tod lange erwartet worden war, aber die Sicherheit einer fünfundvierzigjährigen Regentschaft war plötzlich vergangen. Die Todesursache ist nicht bekannt, doch liegt die Vermutung nahe, es könnte die Pest gewesen sein.

Jakob I, ihr Nachfolger, zog als König am 07.Mai in der Hauptstadt ein und versuchte ohne Umzüge mit jauchzenden Bürgern seine Regentschaft zu proklamieren. Am 29. befahl er Gentry und Adel, die sich bereits in der Hauptstadt zu seiner Krönung im Juli zu versammeln begannen, sich bis kurz vor einem später festzusetzenden Tag wieder nach Hause zu begeben.

Während des Sommers kam das Leben in der Stadt weitgehend zum Erliegen. Die Zahl der Pesttoten schwoll an. Die Krönung des neuen Königs fand dann am 25. Juli statt. Der zeremonielle Einzug des Königs in London aber wurde auch abgesagt. Alle Angereisten: Adel, Schauspieler, Bürger und Bettelleute erhielten den ausdrücklichen Befehl unverzüglich wieder abzureisen.

Die in der British Library aufbewahrten Quellen zeigen, wie der neue König dieser völlig unbeherrschbaren Pest-Situation Herr zu werden versucht: mit einer Reihe königlicher Proklamationen, jede von ihnen separat auf einem oder zwei grossen Bögen veröffentlicht, und an vielen Orten und Tafeln angeschlagen. Sie enthielten Instruktionen, wie die Menschen sich verhalten sollten. Vor allem: zuhause bleiben, um die Epidemie einzudämmen.

Die Regierung war beunruhigt darüber, dass die Menschen vor der Pest davonliefen. Wer Aristokrat ist und einen Landsitz sein Eigen nennt, wer Priester oder Arzt ist und einem College in Cambridge oder Oxford angehört, konnte sich dorthin zurückziehen.

An den folgenden Tagen erliess Jakob landesweit Pestgesetze, was einer Verhängung des Notstands gleichkam. Diese Gesetze gaben jedem Bürger ausdrückliche Anweisungen, wie er oder sie den Ausbruch der Pest bekämpfen sollten. Organisationskomitees sollten sich an sicheren Orten treffen, Menschen wurden bestimmt, die Kranken und Toten zu zählen und Bestattungen durchführen. Die entstandenen Kosten waren mit den örtlich anzuhebenden Steuern zu begleichen.

Die Pestgesetze von 1603 enthalten zudem ausführliche Ratschläge: sie empfahlen geeignete Heilmittel und Stärkungsmittel, was stellenweise verdächtig nach Werbung klingt:

„Für die Armen nehme man Aloes im Gewicht eines Sixpence, in den Brei aus einem Apfel getan; und für die Reicheren Pilles of Rufus, die im Laden jedes Apothekers zu haben sind. Nach einem Aderlass und Purgieren (so es notwendig scheint) ist etwas von den vorgenannten Sirupen zu nehmen.“

Unwillkürlich fragt man sich, wieviel die Hersteller der Pilles of Rufus wohl daran verdient haben.

Die Pestgesetze enthielten auch eine Art Pest-Rezeptbuch, mit Hinweisen, wie mit Rosmarin, Wacholder, Feigen, Sauerampfer, Zimt und Safran ein Saft aufzukochen ist um damit eine Vielzahl von Heiltränken zu bereiten. Das erstaunlichste Mittel, welches auch inoffiziell empfohlen wurde - allerdings nicht in den Verordnungen enthalten - war ein giftiges neues Kraut aus Virginia, das Sir Walter Raleigh (1552-1618) damals bekannt gemacht hatte.

Dazu Hazel Forsyth (Chefkuratorin für die Abteilungen Mittelalter und Frühe Neuzeit am Museum of London):

„Tabakhändler machten damals ein Riesengeschäft. Es war die Zeit, in der Tabak äusserst populär wurde. Als man mitbekam, dass Menschen eine Art Dunst aus Rauch um sich verbreiten konnten, machten Tabakhändler gute Profite, indem sie den Leuten rieten, parfümierten Tabak zu kaufen, ausdrücklich als Schutz gegen die Pest. Es gab erstaunliche Rezepte zur Pestprävention in Form von Melasse und Schiesspulver, die schweisstreibend sein sollten.“

Ein stärkendes Mittel hätte auch ein aufmunternder Besuch im Theater sein können. Das aber stand nicht zur Verfügung. Die Spielhäuser wurden während der Pestepidemien wieder geschlossen, denn das Unterbinden von Massenversammlungen war eines der wenigen effektiven Mittel, die Sterbezah-len niedrig zu halten.

Verordnung vom 08. August 1603:

„Und wir verfügen und mahnen alle Bürger und Bewohner unserer Stadt London ausdrücklich, dass keiner von ihnen sich zu irgendwelchen Messen und Märkten begibt, die in irgendeinem Teil dieses Reichs abgehalten werden, bis es Gott gefallen wird, die Pest zu beenden, die nun unter ihnen herrscht.“

Der Ausbruch dieser Pest von 1603 machte sich zuerst im Stadtviertel Southwark bemerkbar, eine der armen Vorstädte. Traditionell war das vor den Toren gelegene Southwark auch jener Bereich, in dem sich „anrüchige“ Gewerbe ansiedelte. Die Bankside, ein Bezirk im Stadtteil Southwark, befand sich in Elisabethanischen Zeit ausserhalb der Jurisdiktion der City of London. Hier konnten sich verschiedene Unterhaltungsbetriebe ansiedeln, die andernorts streng untersagt waren. So gab es hier Tierhatzunterhaltungen, wie das damals beliebte Bear- und Bullbaiting, Prostitution und auch die Schauspielhäuser.

Die ersten Theater Londons (nach dem The Theatre) wurden hier errichtet; so das Rose, das Hope Theatre, das Swan und das berühmte Globe Theatre von William Shakespeare.

Die Behörden griffen auch hier zu den bewährten Mitteln, um die Ausbreitung zu verhindern. Familien, die von der Pest betroffen waren, wurden unter Quarantäne gestellt, in der Regel für die Dauer eines Monats. Es wurden Massnahmen ergriffen, die Anwesen zu kennzeichnen die Kranke beherbergten: Eine Stange mit einem Bündel Stroh daran musste über die Tür oder aus einem Fenster gehängt werden.

Dann ging man dazu über, gedruckte oder gemalte Papierschilder mit den Worten «Gott erbarme dich unser» an Stangen, manchmal direkt an Türsturz oder Türblatt zu befestigen. Manchmal benutzte man auch ein auf Papier gemaltes Kreuz, schliesslich wurde das Zeichen üblich, das wir am engsten mit der Pest verbinden, ein rotes Kreuz. Seine Grösse war vorgeschrieben: 35 Zentimeter, also recht auffällig. Es wurde mit Ölfarbe gemalt, vermutlich, weil es sich dann schwieriger entfernen liess.

Isolation, Quarantäne und die abschreckenden grossen roten Kreuze waren Verhaltensweisen und Symbole, die als bekannte Gebots- und/oder Verbotschilder auf die einzuhaltenden Massnahmen hinwiesen.

Um die Quarantänepolitik durchzusetzen, wurden neue Arbeitsfelder geschaffen: Zwei ehrenwerte und verschwiegene ältere Frauen, z.B. die alleine lebten, erhielten für jede Leiche eine Zahlung von 4 oder 6 Pence. Sie sollten den Gemeindebezirk ablaufen, nach Hinweisen auf neue Krankheitsfälle ausschauen, um diese den Behörden zu melden. Auch so genannte Späher wurden benannt, sie suchten die unter Quarantäne stehenden Häuser auf und forderten die Leichen derer herauszugeben, die der Pest zum Opfer gefallen waren.

Gegen Ende des Sommers waren es nicht mehr nur der König und seine junge Familie, die immer weiter wegzogen von der Hauptstadt. Auch die in London auftretenden Theaterkompagnien machten sich auf in die Provinzen, wobei die Pest Shakespeares Truppe dazu zwang, etwas zu entwickeln, was wir eine Strategie landesweiter Gemeindehilfe nennen könnten. Da sie in London nicht spielen konnten, tourten sie nach Richmond, Bath, Coventry und Shrewsbury, wo sie erprobte Favoriten wie Romeo und Julia aufführten.

Gerne würde man wissen, wie diese Zuhörer auf den Fluch des sterbenden Mercutio reagiert haben:

„Die Pest über beide eurer Häuser!“

Shakespeares Zuschauer kannten die Furcht, in einem versiegelten Haus eingesperrt zu werden. Doch ist das die einzige Stelle in einem Stück, an der die Pest eine für den Fortgang der Handlung bedeutsame Rolle spielt. Auf andere Weise kommt sie nicht direkt auf die Bühne.

Als das Jahr 1603 zu Ende ging, normalisierte sich das Leben allmählich wieder, und der Hof organisierte seine traditionellen Weihnachtsfeierlichkeiten. Die King's Men spielten in Hampton Court für ein Honorar von 103 Pfund. Zusätzlich wurden ihnen 30 Pfund bewilligt, als Ausgleich für die Verluste während der Pest.

Thomas Dekker setzte die Pest mit einer Theaterfigur gleich:

„Tod ... (wie der heimlich schleichende Tamburlaine in dem gleichnamigen Drama des von Christopher Marlowe.) hat seine Zelte aufgeschlagen ... in den sündig verseuchten Vorstädten: Die Pest ist Muster-Master und Feldmarschall.“

Am 9. April 1604 öffneten das Globe und die anderen öffentlichen Theater ihre Bühnen mal wieder, vorübergehend. Schauspieler und Publikum müssen bemerkt haben, dass viele der alten Stammgäste fehlten - vor allem unter den Zuschauern.

London mit den Augen von Zeitzeugen betrachtet, überall waren noch die Zeichen der vorangegangenen Seuche: nicht nur im Theater wie dem Globe, auf Märkten, in Kirchen und Palästen, oder den Pubs und Tavernen, sondern auch auf Tyburn, dem Platz mit dem Galgen, an dem Diebe aufgehängt werden. Oder das Great Stone Gate am Tower mit den aufgespiessten Köpfen von Verrätern als Warnung für alle, die es wagen, sich gegen die Monarchin oder den Monarchen zu stellen.

Jeder dritte Londoner ging damals mindestens einmal im Monat ins Theater, aber nur, wenn sie nicht gerade wegen der Seuche von den Behörden für Monate und Jahre geschlossen werden, wie in den Jahren 1581/1582, 1592/1593, 1596 und 1603/1604.

Dennoch entsteht unter Elizabeth und später unter Jakob I jene Schauspielkultur, die noch in der Moderne Bedeutung hat.

Meistens, während die Pest wütete und die Schauspielhäuser geschlossen waren, - die Zeit, in der Othello, König Lear, Antonius und Kleopatra, Coriolanus und Cymbeline entstanden - hat sich Shakespeare vermutlich nach Stratford zurückgezogen. Sonst hatte er jedes Jahr zwei neue Stücke verfasst, nun verlangsamte sich seine Produktion; vielleicht weil es keinen Grund gab, neue Stücke zu schreiben, wenn die Theater sie nicht auf die Bühne bringen konnten.

Mindestens 25 000 Menschen, etwa jeder fünfte Bewohner Londons, starben im Pestjahr 1603. Es war der schlimmste Ausbruch der Seuche, den England seit sechzig Jahren erlebt hatte. Auch wenn die Epidemie 1604 abebbte, blieben die Einschränkungen des Theaterbetriebs sporadisch bis 1610 in Kraft, zwischen Juli 1606 und Anfang 1610 beispielsweise gab es nur eine kurze Wiederaufnahme des Betriebs wie im Frühjahr 1608.

Die Einnahmen der Theater müssen unter diesem Einfrieren des Theaterbetriebs schwer gelitten haben, auch wenn es gelegentliche königliche Zuwendungen gab, um die Kompagnien für die Verluste zu entschädigen. Shakespeare allerdings, als leitendes Mitglied seiner Gesellschaft, wird weniger betroffen gewesen sein als freischaffende Autoren, die nur pro Stück bezahlt wurden.

Der Beginn von Shakespeares Aufstieg bleibt weitgehend rätselhaft: Einzelheiten zu seinem Leben am Theater, bevor die Spielhäuser 1592 geschlossen wurden, sind weitgehend verloren. Doch aus dieser Unterbrechung und der anschliessenden Neuordnung des Theaterwesens ging er als leitendes Mitglied und fest bestallter Dramatiker der neuen Truppe Lord Chamberlain's Men hervor, einer der zwei damals autorisierten Theatergesellschaften.

Ausserdem konnte Shakespeare sich natürlich glücklich schätzen, die Pest überlebt zu haben. Zudem hatte er sich bereits zu Beginn 1590er Jahren einen Namen gemacht und es zu Ruhm und später zu Reichtum gebracht - in jener Zeit der blühenden Theaterlandschaft Londons, als die Spielhäuser immer wieder voller Leben waren und die Zuschauer nach immer neuen Stücken der Information und Unterhaltung verlangten. Während der Schliessung der Häuser konnte er mit der Lust des Schreibens von Gedichten für den zahlenden Adel reüssieren.

Die Sonetten

Auch während der Londoner Epidemie von 1592 hatte Shakespeare Glück. Die Behörden schlossen die Theater - und der viel versprechende junge Theaterautor entdeckte seine Liebe zur Poesie.

So gelang Shakespeare mit 29 Jahren der Zugang zu den Adelskreisen. Ständig neue Dramen wurden jetzt nicht gebraucht. Der Adel zog sich auf die Landgüter oder Schlösser zurück. Unterhaltung war auch gewünscht, Musik und Literatur bestimmten das gesellige Leben der Aristokraten in der Abgeschiedenheit.

Neue und interessante Texte waren gewünscht, um die romantische Welt der kleinen Gemeinschaft zu beglücken. Shakespeares schnelle und umfangreiche Produktionsweise ermöglichte es ihm, Gedichte, in der zur damaligen Zeit bekannten und beliebten Form der Sonette, zu schreiben und zu verkaufen.

Er fand einen Gönner oder der Gönner fand ihn - den Earl of Southampton - und schrieb das Langgedicht ‚Venus und Adonis' (1592), das ihn schon damals zum Star unter den Literaten machte. Im Vorspann schrieb er:

Dem hochgebornen Herrn Heinrich Wriothesly, Grafen von Southampton und Baron von Tichfield. Hochgeborner Herr!

Weder weiss ich, ob ich Euer Gnaden durch die Widmung dieser ungefeilten Zeilen beleidige, noch wie die Welt es aufnehmen wird, … der Zufriedenheit Ihres Herzens, von der ich wünsche, dass sie stets Ihrem eigenen Wunsche und der hoffnungsvollen Erwartung der Welt entsprechen möge. Euer Gnaden, ergebenster, William Shakespeare.

Doch selbst seine Venus scheint zu bemerken, was in der realen Welt vor sich geht, wenn sie, flüsternd, die Lippen ihres Liebhabers mit diesem verblüffenden Kompliment bedenkt:

„Lang mögen sie zu solcher Kur sich küssen!

O, dass ihr Purpur nun nicht und nie erbleiche!

Denn so sie blühn, bleibt ihre Kraft bestehn, diesem Schreckensjahr die Seuche auszutreiben! Dass dann die Seher nicht vom Tod mehr künden, sondern sagen, durch deinen Odem sei gebannt die Pest.“

(Zeile: 505-510 von 1194)

Venus und Adonis.
„Kaum dass vom thaubethränten Morgen schied Zeile 1
Das Purpurangesicht der schönen Sonne,
Als auch Adonis schon zum Waidwerk zieht;
Er hasst die Liebe, Jagd ist seine Wonne.

Sie schirrt die Silbertauben an den Wagen,
Die durch den Himmel die Gebieterin,
Mit leichtem Flügelschlag enteilend, tragen.
Sie geht nach Paphos, denn in diesen Mauern
Will ungesehn die Liebesgöttin trauern.“ Zeile 1194

Wie immer es um Adonis Fähigkeiten als Liebhaber bestellt sein mochte, wie immer unglücklich er als Jäger agiert, in Seuchenzeiten scheint Adonis eine glückliche Wahl getroffen zu haben.

Vor allen kann Shakespeare in den weiteren Sonetten (1 bis 154) das zentrale Thema der Zeit, die Vergänglichkeit, die Schönheit des Lebens und die Liebeswerbung aufgreifen, ohne den klitzekleinsten Hinweis auf die besonderen Umstände des Alltagsleben.

William Shakespeare wurde Teilhaber, Schauspieler und Stückeschreiber der Theatergruppe Lord Chamberlain′s Men mit dem Theater The Globe, der er 1594 beigetreten war. Das Theater, das ein Jahr zuvor wegen der Pest geschlossen wurde, war wieder geöffnet und das Schreiben der Dramen wurde wieder seine Haupttätigkeit.

Die Dramen

Nicht nur Shakespeares Sonette entstand in den Zeiten der geschlossenen Theater, sinnvoll für einen Dramatiker ohne Bühne, sondern auch „Othello“, „König Lear“, „Antonius und Kleopatra“, „Coriolanus“ oder „Cymbeline“.

Schon 1592, Shakespeare war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt, wird das erste Mal sein Verbindung zum englischen Theater erwähnt. Noch im selben Jahr hatte er Erfolg mit seiner Historientriologie Heinrich Vl. In den folgenden sieben Jahren folgten Richard II, Heinrich IV, und Heinrich V. Diese Werke beschreiben die unterschiedlichen Herrscherpersönlichkeiten und versuchen aus ihrer Perspektive die englische Geschichte darzustellen.

Auch wenn die Epidemie 1604 abebbte, blieben die Einschränkungen des Theaterbetriebs sporadisch bis 1610 in Kraft, zwischen Juli 1606 und Anfang 1610 beispielsweise gab es immer mal wieder nur eine kurze Wiederaufnahmen des Theaterbetriebs.

Romeo und Julia (1597)

In Shakespeares bekanntestem Liebesdrama Romeo und Julia, kurz nach einer Pestwelle entstanden, agiert die Seuchenquarantäne als tragisches Motiv, vereitelt sie doch das rechtzeitige Eintreffen des vom Mönch Lorenzo geschickten Boten Marcus und verschuldet dadurch den Tod der Liebenden. Der Brief, der Romeo erläutert hätte, dass Julia lebt, bleibt in einem rigoros durch Quarantäne „versiegeltem“ Haus stecken.

Nach einem Fest, entbrannten Julia und Romeo in heftiger Liebe zueinander, obwohl die Eltern beider Verliebten in grosser Feindschaft zueinander standen. Darum kamen sie überein, sich heimlich vom Mönch Lorenzo trauen zu lassen. Nach einem Kampf zwischen Freunden der jeweiligen Familie tötet Romeo den Vertrauten von Julias Familie. Er wird verurteilt und in Verbannung geschickt. Nachdem er die letzte Nacht bei Julia verbracht hat, verlässt Romeo Rom. Der Mönch Lorenzo will zu einer günstigen Zeit die Vermählung Romeos und Julias öffentlich verkünden. Inzwischen wird Julia von ihrem Vater gezwungen, den Grafen Paris zu heiraten. Selbst die Amme, die zuvor die Vereinigung mit Romeo begünstigt hatte, rät ihr, zu gehorchen.

Dem Rat Lorenzos folgend, willigt Julia der Hochzeit zum Schein ein. Sie soll am Vorabend ihrer Hochzeit einen Betäubungstrunk zu sich nehmen, der sie in einen vierzigstündigen Schlaf versenken wird. Lorenzo selbst will Romeo eine Nachricht senden, er soll Julia dann aus dem Grab befreien und nach Mantua entführen soll.

Der Plan wird ausgeführt, doch die Botschaft erreicht Romeo nicht, da der Bote, der Mönch Marcus, als pestverdächtig festgehalten wird, stattdessen erhält Romeo die Kunde vom Tod Julias.

In seiner Verzweifelung verschafft Romeo sich ein Gift und begibt sich zur Gruft Julias, um die Geliebte ein letztes Mal zu sehen. Nachdem er Julia zum letzten Mal geküsst hat, nimmt er das Gift. Julia erwacht nach ihrem Schlaf, findet Romeo tot an ihrer Seite, begreift, was geschehen ist, und ersticht sich.

Erschüttert von der Tragödie, die ihr Hass heraufbeschworen hat, versöhnen sich die Häupter der feindlichen Familien.

Nach diesem dramatischen Wendepunkt erfährt Lorenzo, warum sein Brief Romeo nicht zugestellt werden konnte:

Markus Ich ging, um einen Bruder
Barfüsser unseres Ordens, der den Kranken

In dieser Stadt hier zuspricht, zum Geleit
Mir aufzusuchen, und da ich ihn fand,
Argwöhnten die dazu bestellten Späher,

Wir wären beid' in einem Haus, in welchem

Die böse Seuche herrschte, siegelten

Die Türen zu und liessen uns nicht gehn. Lorenzo Wer trug denn meinen Brief zum Romeo?

Ihn zu bringen, fand kein Bote sich,
so bange waren sie vor Ansteckung.

(5.Aufzug, 2.Szene)

Es ist die fatale Wendung, dass die Nachricht, dass Julia nur mit einem Betäubungsmittel im Schlaf versunken ist, Romeo aufgrund der wirksamen Quarantäne nicht erreichte.

Nicht nur in Romeo und Julia ist ein Hinweis auf die Pest enthalten, sondern in manch anderen Stücken, in der durch Sprache und auch in der Art und Weise ihrer Dramatik, wie der Autor über das Handeln der Protagonisten denkt.

Hamlet (1601)

Eine Tragödie in 5 Akten. Es handelt sich um die tragische Geschichte Hamlets, des Prinzen von Dänemark. Hamlet, dem der Geist seines ermordeten Vaters erscheint und ihn zur Rache auffordert, kämpft fortan mit der Frage, habe ich ein Gespenst gesehen, oder war die Erscheinung echt? Soll ich, darf ich Rache üben?

Hamlet hält eine kurze Rede an die Schauspieler: »Der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten, der

Tugend ihre Züge zu zeigen, dem Verächtlichen sein eigenes Abbild, und dem ganzen Zeitalter seine Gestaltung« (Reclam, 3.2, S.59). Das Theater als Spiegel der Zeit, aber nur diejenigen sehen in diesem Spiegel etwas, die ihn zu befragen verstehen, ihnen macht der Spiegel Verborgenes sichtbar.

Judith und Hamnet sind die historisch verbürgten jüngsten der drei Kinder William Shakespeares. Zwillinge, von denen einer im Sommer 1596 mit elf Jahren an der Pest stirbt. Ein tragisch alltäglicher Todesfall, ein Drittel der Kinder starb im sechzehnten Jahrhundert vor der Vollendung des zehnten Lebensjahres.

Der Titel des Stückes "Hamlet" ist untrennbar mit dem Namen von Shakespeares Sohn Hamnet verknüpft

Vom Vertreter des New Historicism, Stephen Greenblatt, wird darauf hingewiesen, dass Hamnet und Hamlet der gleiche Name bedeutet, austauschbar in den Aufzeichnungen von Stratfort-upon-Avon im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert.

Im ersten Teil des Romans wechselt die Handlung zwischen zwei Zeitebenen: Im Jahr 1596 wütet in England die Pest, und von den Einschränkungen, die das bedeutet, liest man in Covid-Zeiten nicht ohne Schauder.

In welchem Masse sein Tod die Entstehung des berühmtesten Werkes der englischen Sprache tatsächlich beeinflusst hat, ist ein Streitpunkt der Literaturwissenschaft.

Hamlet hat Ophelias Vater getötet, sie erfährt dies und ist verzweifelt wegen ihrem ‚Treulieb' Hamlet:

Ophelia
Wo ist die schöne Majestät von Dänemark?

Königin
Wie geht's, Ophelia?

Ophelia
singt

Wie erkenn' ich dein Treulieb
vor den andern nun?
An dem Muschelhut und Stab
und den Sandelschuhn …

Königin
Ach süsses Fräulein, wozu soll dies Lied?

Ophelia
Was beliebt? Nein bitte, hört!

singt
Er ist lange tot und hin,
tot und hin, Fräulein!

Ihm zu Häupten ein Rasen grün,
ihm zu Fuss ein Stein. Oh!

Königin Aber sagt, Ophelia…

Ophelia Bitt' Euch, hört!

singt Sein Leichenhemd, weiss wie Schnee; zu sehn…

Der König tritt auf.

Königin
Ach mein Gemahl, seht hier!

Ophelia
singt
… geziert mit Blumensegen,
das unbetränt zum Grab musst' gehen von Liebesregen.

König
Wie geht's Euch, holdes Fräulein?

Ophelia Gottes Lohn! recht gut. Sie sagen, die Eule war eines Bäckers Tochter. Ach Herr! wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können. Gott segne Euch die Mahlzeit!

(Hamlet, 4.Aufzug, 5.Szene)

Viele Stücke Shakespeares in den späten 1590ern, auch die Komödien, setzen sich mit Aspekten der Trauer und des Verlusts auseinandersetzen. Und der Tod seines Sohns - eine Krise der Trauer und Erinnerung - stellen eine seelische Erregung dar, die vielleicht die explosive Kraft und die Innerlichkeit, welche Hamlet kennzeichnet, erklärt.

Die persönliche Tragödie stellt die kathartische Wirkung des Dramas zur Seite. Betrachten wir unter diesem Blickwinkel das Drama, kann das gesellschaftliche Leben während der Pest indirekt Eingang finden.

Was ihr wollt (1600)

Olivia in Twelfth Night (Was ihr wollt) fühlt das Aufblühen der Liebe, als wäre es der Beginn einer Krankheit.

Olivia Nun wohl, was tätet Ihr?

Viola / Cesario
Ich baut' an Eurer Tür ein Weidenhüttchen
Und riefe meiner Seel' im Hause zu,
Schrieb' fromme Lieder der verschmähten Liebe

Und sänge laut sie durch die stille Nacht,
Liess' Euern Namen an die Hügel hallen,
Dass die vertraute Schwätzerin der Luft
Olivia schrie. Oh, Ihr solltet mir
Nicht Ruh' geniessen zwischen Erd' und Himmel,

Bevor Ihr Euch erbarmt!

Olivia Wer weiss, wie weit
Ihr's bringen könntet! Wie ist Eure Herkunft?

Viola / Cesario
Obschon mir's wohl geht, über meine Lage:
Ich bin ein Edelmann.

Olivia
Geht nur zu Eurem Herrn:
Ich lieb ihn nicht, lasst ihn nicht weiter schicken,

Wo Ihr nicht etwa wieder zu mir kommt,
Um mir zu melden, wie er's nimmt.
Lebt wohl! Habt Dank für Eure Müh!
Denkt mein hiebei!

Viola / Cesario

Steckt Euern Beutel ein, ich bin kein Bote;
Mein Herr bedarf Vergeltung, nicht ich selbst.
Die Liebe härte dessen Herz zu Stein,
Den Ihr einst liebt, und der Verachtung nur
Sei Eure Glut, wie meines Herrn, geweiht!
Gehabt Euch wohl dann, schöne Grausamkeit! (Ab.)

Olivia Wie ist Eure Herkunft?
»Obschon mir's wohl geht, über meine Lage:

Ich bin ein Edelmann.« - Ich schwöre drauf;
Dein Antlitz, deine Zunge, die Gebärden,
Gestalt und Mut sind dir ein fünffach Wappen.

Doch nicht zu hastig! nur gemach, gemach!
Der Diener müsste denn der Herr sein. - Wie?
Kann man so plötzlich die Pest einfangen?
Mich deucht, ich fühle dieses Jünglings Gaben
Mit unsichtbarer, leiser Überraschung
Sich in mein Auge schleichen. - Wohl, es sei!
Heda, Malvolio!

(Malvolio kommt.)

Malvolio. Hier, Fräulein, zu Befehl.

Olivia. Lauft diesem eigensinn'gen Abgesandten

Des Grafen nach; er liess hier diesen Ring,
Was ich auch tat: sagt ihm, ich woll' ihn nicht.
Nicht schmeicheln soll er seinem Herrn, noch ihn
Mit Hoffnung täuschen, nimmer wird ich sein.
Wenn morgen hier der junge Mann

Vorsprechen will, soll er den Grund erfahren.
Mach fort, Malvolio

Malvolio
Das will ich, Fräulein. (Ab.)

Olivia Ich tu, ich weiss nicht was: wofern nur nicht
Mein Auge mein Gemüt zu sehr besticht.

Nun walte, Schicksal! Niemand ist sein eigen;
Was sein soll, muss geschehn: so mag sich's zeigen! (Ab.)
(2. Aufzug, 1. Szene)

Welch eine Verstrickung! Olivia hat sich aussichtslos in eine »Frau« (Cesario/Viola) verliebt, während diese junge Frau ihrerseits in Männerkleidern ohne Hoffnung ihren Herrn liebt, der sie ja für einen Knaben hält. Welch ein wunderliches Gefühl, das man Liebe nennt. Wie gern und wie leicht lassen sich alle täuschen von ihrer eigenen Sehnsucht, die verleitet zu sehen, was man sehen will. Viola-Cesario: Jan Kott nennt sie »fast perfekte Zwitter«. Aber was wäre die Wahrheit in der Liebe? Können wir sie überhaupt erkennen?

Im turbulenten Was-Ihr-wollt-Durcheinander werden die sozialen und sexuellen Identitäten vertauscht und so Zweifel gesät an der logischen und der gesellschaftlichen Ordnung. Olivia hält inne: stutzt vor der Zuneigung, die wie die Pest angeflogen kommt. Die überschäumende Lustigkeit des Stücks wird durch diesen Hintergrund auf die aktuell epidemische Situation gelenkt.

Troilus und Cressida (1602)

Und auch Thersites in Troilus und Cressida beschimpft seinen General Agamemnon im Streit mit Ajax: „wie, wenn er Pestbeulen hätte?“. Die Ausrufe über Pest und Pestbeulen haben keine handlungsleitenden Relevanz, machen aber doch deutlich, dass diese Beschimpfungen ein krasser und verletzender Vorwürfe ist.

Ajax und Thersites treten auf.

AJAX
Thersites!

THERSITES
Agamemnon – wie, wenn er Pestbeulen hätte? Vollauf, über und über, allenthalben –

AJAX
Thersites!

THERSITES
- und die Beulen liefen; gesetzt, so wärs: liefe dann nicht der ganze Feldherr? – Wäre das nicht eine offne Eiterbeule?

AJAX
Hund!

THERSITES
Auf die Art käme doch etwas Materielles aus ihm; jetzt seh ich gar nichts.

AJAX
Du Brut einer Wolfspetze, kannst du nicht hören? So fühle denn! (Schlägt ihn)

THERSITES
Dass dich die griechische Pest, du köterhafter, kuhdummer Lord!

AJAX
Sprich denn, du abgestandner Klumpen Sauerteig, sprich! Ich will dich zu einer hübschen Figur prügeln!

THERSITES
Ich könnte dich leichter zu einem Witzigen und Gottesfürchtigen lästern; aber dein Hengst hält eher

eine Rede aus dem Kopf, als du ein Gebet auswendig sprichst. Du kannst schlagen, nicht? Das kannst du? Die Seuche über deine Gaulmanieren!

AJAX
Giftpilz! Erzähle mir, was hat man ausgerufen?

THERSITES
Denkst du, ich sei fühllos, dass du mich so schlägst?

AJAX
Was hat man ausgerufen?

THERSITES
Man hat dich als Narren ausgerufen, denk ich.

AJAX
Nimm dich in acht, Stachelschwein, nimm dich in acht! Meine Finger jucken!

(2. Akt, 1. Szene)

Die beiden Handlungsstränge von Troilus and Cressida, die Liebesgeschichte um die Titelfiguren und die Kriegshandlung hauptsächlich um Hektor, Ajax und Achill, haben einen völlig unterschiedlichen Ursprung. Während die Kriegshandlung antiker Herkunft ist und zum Kernbestand der Trojasage in den homerischen Epen zählt, vor allem der Ilias, gehört die Geschichte von Troilus und Cressida zum Erzählgut des Mittelalters.

In diesem Drama intensiviert Shakespeare jedoch nicht einfach diesen Stoff, sondern verknüpft widersprüchliche Charakterisierungen, um seine dramatischen Figuren für das zeitgenössische Publikum interessant, erschliessbar und nachfühlbar zu machen.

Da die Titelfiguren wie auch die meisten anderen Handlungsträger am Ende überleben, stellt das Stück im klassischen Sinne keine Tragödie dar. Ebenso wenig ist Troilus and Cressida eine Komödie, da die Protagonisten zwar überleben, aber nicht glücklich enden.

In den modernen Spielideen, aber auch bei den Literaturkritikern, wird Troilus and Cressida als eines der modernsten Shakespearestücke gezeigt. Die Modernität des Werkes zeige sich insbesondere in seiner Sicht auf die menschliche Welt, die der gegenwärtigen näher stehe als die anderer Shakespeare-Dramen. So wird in dem Stück eine heillose Welt ohne ein festes oder allgemein anerkanntes soziales Regelwerk von moralischen, intellektuellen oder politischen Werten und Normen dargestellt.

Die Bühnenwelt sei durch Korruption und Verfall allenthalben gekennzeichnet; die Figuren würden daher mit Zynismus, Desillusionierung oder Hoffnungslosigkeit auf das reagieren, was sie in dieser Welt erleben. So wurde Troilus and Cressida als aktualisiertes Antikriegsstück in den 70 / 80er Jahren in Zürich und in den USA und 1984 in Bremen, mit Bezug auf den Vietnamkriegs gespielt.

Othello (1604)

Othello ist der Mohr von Venedig, Ehemann der schönen Desdemona, aufgestachelt zu rasender Eifersucht durch Jago, den machiavellistischen Intriganten, vor dessen motivbestimmter Bosheit die Zuschauer erschauern. Geschickt weiss er zu manipulieren, indem er die Triebkräfte allen Handelns auf Macht reduziert.

Betrachtungen über Hautfarbe, Geschlechterdifferenzierung, Leidenschaftswahn: Der Wahrnehmungsblick in Shakespeares Othello stellt die inhärenten gesellschaftlichen und kulturellen Ordnungsstrukturen der elisabethanischen Renaissance in Frage. Es ist Jago leicht, Othellos Eifersucht zu wecken und ihm einzureden, dass Desdemona ihn mit Cassio betrügt.

Ein besticktes Taschentuch, das Desdemona absichtslos verliert, wird zum entscheidenden Indiz: Emilia findet es zufällig, Jago entreisst es ihr und schiebt es dem unwissenden Cassio unter.

OTHELLO.
Sie ist Gebieterin auch ihrer Ehre;

Darf sie die auch verschenken? –

JAGO.
Die Ehr' ist nur ein unsichtbares Wesen,
Und oft besitzt sie der, der sie nicht hat:
Allein das Tuch –

OTHELLO.
Bei Gott! mit Freuden hätt' ich das vergessen: –

Du sagtest, – oh, es schwebt um mein Gedächtnis,

So wie der Rab' um ein verpestet Haus,
Verderben dräu'nd, – er habe jenes Tuch.

JAGO.
Nun was denn?

OTHELLO.
Das ist doch nicht gut, gewiss! –

JAGO.
Sagt' ich noch gar, ich sah ihn Euch beschimpfen,
Oder hört' ihn sagen, – wie's denn Schurken gibt,

Die, wenn sie durch ihr ungestümes Werben,
Oder durch frei Vergaffen eines Weibes
Sie zwangen oder kirrten, nimmer ruhn,
Bis sie geschwatzt, –

OTHELLO.
Hat er so was gesagt?

(4.Aufzug, 1. Szene)

Kein handlungsleitender Hinweis auf die Pest, ein umgangssprachliches Indiz, dass das Virus in Verbindung gebracht wird, mit einer grosses Gefahr, einem tödlichen Ausgang.

Die Einschränkung öffentlicher Versammlungen wurde als letzte aufgehoben. Drei Wochen zuvor hatte Jakob I die Königskrone empfangen

King Lear (1606)

Die dunkelste der Tragödien, King Lear, repräsentiert eine kranke Welt am Ende ihrer Tage. "Du bist ein Furunkel", sagt Lear zu seiner Tochter Goneril.

„Eine Pest wund ... in meinem verdorbenen Blut"

Die wenigen Charaktere, die am Ende inmitten einer zerstörten Welt überleben, scheinen ähnliches zu fühlen, wie viele von uns jetzt, angesichts der Coronavirus-Pandemie.

Es ist gut zu wissen, dass wir - ich meine wir alle im Laufe der Zeit - uns manchmal in einem „tiefen Sumpf, in dem es kein Stehen gibt“ befinden, „tiefes Wasser, wo die Fluten mich überfluten“, in den Worten des biblischen Psalmisten.

Cymbeline (1609

) Shakespeare kann den Zuschauern auch einen Weg der Hoffnung zeigen. Während der Pest von 1609 schrieb Shakespeare eine seltsame, schöne restaurative Tragikomödie namens Cymbeline. Das Werk spielt in der Zeit der römischen Antike und handelt vom Schicksal der Imogen, der Tochter von König Cymbeline. Die historisch-dialektische Einsicht, dass das Individuum zwar die Geschichte macht, das Produkt seines Handelns aber nicht erkennen kann, wird bei diesem Shakespeare Stück als eine Ahnung sichtbar.

Erst im entwickelten Kapitalismus, dessen Ursprünge eben in diese Zeit fallen, konnte die Einsicht handlungsleitend werden. Die Friedens- und Ausgleichsvision am Ende des Stücks entspricht recht genau der Aussenpolitik Jakobs I., die die Entwicklung im Inneren begünstigte. Bereits der Verbund mit Schottland erzeugte eine Stabilisierung gegenüber Frankreich.

Fassen wir Shakespeares Cymbeline als Geschichtsdrama, dann sollten wir nicht vergessen, dass das Stück kein Beitrag zur Weltliteratur, sondern zur historischen Bildung einer Nation ist. Shakespeare hebt nicht das Vergangene oder Mögliche an der Geschichte hervor, sondern das gegenwärtige, quasi als eine patriotische Szenerie.

Im Zentrum des Stücks stehen die erwachsen werdenden Kinder am Königshof. Imogen, die Tochter des Königs Cymbeline, hat heimlich den als Pagen am Königshof aufgewachsenen Posthumus geheiratet. Sie widersetzt sich damit den Plänen ihrer Stiefmutter, der Königin, die sie mit Cloten, ihrem Sohn aus erster Ehe, verheiraten möchte. Cloten ist ein angepasster, unglücklicher Sohn, dessen Ausbruchsversuche aus dem familiären Gefängnis sich in Gewaltexzessen erschöpfen.

Angestachelt von seiner hexenhaften zweiten Frau verbannt Cymbeline Posthumus von seinem Hof.

Die Königin mischt sicherheitshalber Gift, falls sich Imogen wieder gegen ihre Heiratspläne wehren sollte.

Der fünfte Akt bringt die Auflösung aller Verwirrungen und führt die Getrennten wieder zusammen. In der Schlacht der Briten gegen die Römer wird allein durch das Eingreifen des greisen Bellarius, der Königssöhne und durch den Heldenmut des Posthumus eine britische Niederlage abgewendet. Cymbeline wird mit seinen Söhnen wiedervereint. Imogen erwacht aus dem Scheintod, und der reumütige Posthumus kehrt zu ihr zurück.

Cymbeline, Guiderius, Posthumus, Imogen

Die Stiefmutter gesteht auf dem Sterbebett ihre Intrigen gegen Imogen. Posthumus und Imogen bekräftigen ihren Ehebund. So steht dem Versöhnungs- und Friedensfest nichts mehr im Wege.

Die Königskinder kämpfen um ihre Freiheit: sei es durch Anpassung an die Pläne der Eltern, durch heimliche Heirat, Flucht oder Revolte. Das Stück wird als eine Möglichkeit interpretiert, darüber nachzudenken, wie eine lebenswerte Welt heute wiederhergestellt werden kann.

In Cymbeline führte Shakespeare die Zuschauer in eine Welt ohne Pest, die jedoch mit den Gefahren einer Infektion gefüllt war. Die böse Königin des Stücks plant sogar ihre Stieftochter, die Prinzessin Imogen, zu vergiften.

So schlägt Shakespeare vor, dass es giftig sein kann, von jemandem mit feindseligen Gedanken gesehen zu werden.

Die Infektion erfolgt hier in Form einer Verleumdung, die virusartig von Mund zu Mund übergeht. Die Welt des Stücks ist auch von der Magie des bösen Blicks befleckt, wo das Sehen von etwas Abscheulichem Menschen krank machen kann. Der Doktor Cornelius rät der Königin, dass das Experimentieren mit Giften (1.Akt, 6.Szene):

„Ihr Herz schwer machen wird“.
„… Diese Effekte zu sehen wird sein
Sowohl laut als auch ansteckend. “

Als Imogen sich von ihrem Ehemann verabschiedet, ist sie sich der Bedrohung durch das böse Aussehen anderer bewusst und sagt (1.Akt, 2.+4.Szene):

„Du musst weg sein,

Und ich werde hier den stündlichen Schuss einhalten Von wütenden Augen "

Shakespeare führt uns aus dieser höfischen Einöde hin zur Erneuerung einer gesunden Welt. Es ist eine beschwerliche Pilgerreise. Imogen flieht vom Hof und findet ihren Weg in die Berge des alten Wales. König Arthur, dem mythischen Gründer Grossbritanniens, wurde nachgesagt, walisisch zu sein, also ist Imogens Weg in die Natur auch ein Weg zum Beginn ihrer Familienblutlinie und der Nation selbst.

Das Stück scheint zu diesem Zeitpunkt auf eine Lösung zuzulaufen, aber es ist noch ein langer Weg.

Imogen muss sozusagen zuerst ihren eigenen Tod und den Tod ihres Mannes überleben. Sie schluckt, was sie für Medizin hält, ohne zu wissen, dass es Gift von der Königin ist. Dank des Doktor Cornelius, der das Gift der Königin durch einen Schlaftrank ersetzte, stirbt Imogen nicht. Sie erwacht aus einem todesähnlichen Schlaf und befindet sich neben dem, was sie für den Körper ihres Mannes hält.

Ihre Umarmung des blossen Lebens ist der Grund der Weisheit und der Schritt, den sie unternehmen muss, um zu ihrem eigenen und dem Glück anderer zu gelangen.

So kommt es endlich zu einer Versammlung aller Charaktere. Guiderius (Sohn des Königs) gesteht, wie er über sie gelogen hat. Eine Parade der Wahrheitsfindung reinigt die Welt der Verleumdung. Posthumus, der glaubt, dass Imogen auf seinen Befehl hin getötet werden sollte, gesteht und bittet um den Tod. Sie rennt verkleidet, um ihn zu umarmen, aber in seiner Verzweiflung schlägt er sie nieder. Es ist, als müsste sie wieder sterben.

Wenn sie das Bewusstsein wiedererlangt und klar ist, dass sie überleben wird, dann sind sie wieder vereint, (5.Akt, 5.Szene):

- sagt Imogen
„Warum hast du weg dein angetrautes Weib?
Denk, dass du auf'nem Felsen stehst und wirf
Mich wieder fort."
- Posthumus antwortet:

„Häng hier als Frucht, mein Leben,
Bis der Baum stirbt.
Eine Welt geheilt.“

Imogen und Posthumus haben gelernt, dass sie nur dann in Liebe zusammenkommen, wenn die Wurzeln ihres Seins tief in der natürlichen Welt wachsen und wenn es ihnen voll bewusst wird, dass auch sie im Laufe der Zeit sterben werden. Mit diesem Wissen und in einer Welt, die von Gift, Verleumdung und dem bösen Blick geheilt ist, können sich die Charaktere gegenseitig auf Augenhöhe betrachten.

Der König selbst lenkt die Aufmerksamkeit wieder konkret auf Imogen und Posthumus und sagt (5.Akt, 5. Szene):

- König
"Seht, es ankert Poshumus auf Imogen.
Und sie, wie Wetterleuchten, wirft ihr Auge

Auf ihn, die Brüder, mich, den Römer, schiessend
Auf jeglichen den Freudenblitz, in jedem spricht
Entzücken anders. Gehen wir denn von hier,

Und füllen Weihrauchduft die Tempelhallen

- (zu Bellarius)
Du bist mein Bruder, der sollst du mir bleiben.

Die Menschen werden weitermachen und brauchen gute Ärzte. Jetzt erst recht, um uns vor Schaden zu schützen. Wir können Imogen aber auch folgen, wie die Erfahrung des Totalverlusts die Ängste zerstreuen kann, und mit ihr lernen, wie wir die Reise zurück in eine gesunde Welt beginnen können.

Epilog

Jeder dritte Londoner ging zwar mindestens einmal im Monat ins Theater, aber nur, wenn sie nicht gerade von den Behörden wegen der Seuche für Monate oder gar Jahre geschlossen waren, wie 1581/1582, 1592/1593 und 1603/1604. Dennoch entsteht unter Elizabeth I. jene Schauspielkultur, die noch in der Moderne Bedeutung hat: Anders als ihre Vorgänger erforschen die spätelisabethanischen Dramatiker begeistert die conditio humana, berichtet Mortimer.

Auch die Behörden in Deutschland versuchten durch “Pestordnungen", die Seuchen einzudämmen. So erliess der Augsburger Stadtrat 1607 einen Erlass, der Vorbeugungsmassnahmen für eine Reihe von Seuchen, darunter auch die Pest, enthielt: Die Gassenhauptleute wurden aufgefordert, Krankheitsfälle zu melden. Infektionsverdächtige Personen durften vier Wochen lang das Haus nicht verlassen und wurden durch "Zuträger" versorgt.

Zusammenkünfte wurden beschränkt, der Wirtshausbesuch verboten, Bürgern, die Kranke beherbergten, war der Besuch von Kirchen und Rathaus strengstens untersagt. Bettzeug und Kleider der Infizierten mussten sechs Wochen gelüftet werden; Häuser der Kranken durften sechs Monate lang nicht mehr bewohnt werden.

Bemerkenswert bleiben die Passionsspiele in Oberammergau, die aufgrund einer Pandemie entstanden sind. 1633 grassierte die Pest, die Dorfbewohner waren verzweifelt, sie gelobten feierlich, alle zehn Jahre das Leiden und Sterben Jesus Christus aufzuführen, wenn Gott der Krankheit in ihrem Dorf Einhalt beenden würde, so war es - ein Jahr später fanden die ersten Passionsspiele statt, seitdem in regelmässig alle 10 Jahre. Unterbrochen wurden sie 1870 während des Deutsch-Französischen Kriegs, 1922 wegen der Spanischen Grippe, 2020 verschoben auf 2022, 1940 fielen sie aufgrund des Zweiten Weltkrieges ganz aus.

In Oberammergau ist der Glaube an die Pest als Strafe und Allmacht Gottes (siehe S.4) als ‚Kulturveranstaltung' noch erhalten. Das hat mit der Zeit der Moderne (siehe S.22) zu tun. Auf Modernisierung folgt Musealisierung, damit die Vergangenheit zumindest noch mit einigen Restbeständen eine Bleibe in der vorwärts stürmenden Zeit erhält. Nach der Entwurzelung beginnt die Suche nach den Wurzeln, die in früheren Epochen vermutet werden. Dieser Blick ist Ausdruck einer Sehnsucht, dass die Dinge wieder so sein sollten wie einst.

Betrachten wir die Weltläufte im Zeichen der Pest, so sehen wir Parallelen aber auch Unterschiede. Die Covid-19-Pandemie mit ihrer inhärenten Drohung von möglichen Folgeschäden bis hin zum Tod findet durch wissenschaftliche Begleitung eine rationale Erklärung, welche während der Pest gänzlich fehlte. In die Gegenwart erhalten bleiben Leugner, Wahn und die Suche nach Sündenböcken. Was im Mittelalter die Flagelanten waren, sind wohl heute die ‚Querdenker' mit ihrer Melange aus Irrationalität, Wut und Exzess.

Erinnern wir uns an die 1920er Jahre, eine Zeit des so genannten Wirtschaftsaufschwung und der so genannten Blütezeit der deutschen Kunst, Kultur und Wissenschaft, ein bemerkenswertes Konjunkturhoch wurde nur für die Jahre 1926 bis 1928 festgestellt. Zudem stiegen die Arbeitslosenzahlen in der Republik, nie lagen sie unter eine Million. Attentate auf führende Politiker und Putschversuche beschädigten das öffentliche Leben. Die seit 1914 zunehmende Inflation kulminierte in einer Hyperinflation im Jahr 1923.

Gleichzeitig breitete sich die Spanische Grippe, eine Influenza-Pandemie, aus, die durch einen ungewöhnlich virulenten Abkömmling des Influenzavirus (Subtyp A/H1N1) verursacht wurde und sich zwischen 1918 – gegen Ende des Ersten Weltkriegs – und 1920 in drei Wellen verbreitete und bei einer Weltbevölkerung von etwa 1,8 Milliarden laut WHO zwischen 20 Millionen und 50 Millionen Menschenleben forderte.

Der Ökonom Joseph Schumpeter beobachtete die:

"desorganisierenden Wirkungen der Währungszerrüttung auf den Volkscharakter, die Moral und auf alle Verästelungen des Kulturlebens".

Die Grippe und die Menschen
„Als Würger zieht im Land herum

Mit Trommel und mit Hippe,
Mit schauerlichem Bum, bum, bumm,
Tief schwarz verhüllt die Grippe.

Sie kehrt in jedem Hause ein
Und schneidet volle Garben –
Viel rosenrote Jungfräulein
Und kecke Burschen starben.

Es schrie das Volk in seiner Not
Laut auf zu den Behörden:

„Was wartet ihr? Schützt uns vorm Tod –
Was soll aus uns noch werden?
Ihr habt die Macht und auch die Pflicht –

Nun zeiget eure Grütze –
Wir raten euch: Jetzt drückt euch nicht.
Zu was seid ihr sonst nütze!
's ist ein Skandal, wie man es treibt.
Wo bleiben die Verbote?

Man singt und tanzt, juheit und kneipt.
Gibt's nicht genug schon Tote?"

Die Landesväter rieten her
Und hin in ihrem Hirne.
Wie dieser Not zu wehren wär',

Mit sorgenvoller Stirne:
Und sieh', die Mühe ward belohnt.
Ihr Denken ward gesegnet:
Bald hat es, schwer und ungewohnt,
Verbote nur geregnet.

Die Grippe duckt sich tief und scheu
Und wollte sacht verschwinden –
Da johlte schon das Volks aufs Neu'
Aus hunderttausend Mündern:
„Regierung, he! Bist du verrückt -.

Was soll dies alles heissen?
Was soll der Krimskrams, der uns drückt,
Ihr Weisesten der Weisen?
Sind wir den bloss zum Steuern da,
Was nehmt ihr jede Freude?
Und just zu Fastnachtszeiten - ha!"

So gröhlt und tobt die Meute.

„Die Kirche mögt verbieten ihr,
Das Singen und das Beten –
Betreffs des andern lassen wir
Jedoch nicht nah uns treten!

Das war es nicht, was wir gewollt.
Gebt frei das Tanzen, Saufen.
Sonst kommt das Volk – hört, wie es grollt,
Stadtwärts in hellen Haufen!"

Die Grippe, die am letzten Loch
Schon pfiff, sie blinzelt leise
Und spricht: „Na endlich - also doch!"
Und lacht auf häm'sche Weise.
„Ja, ja - sie bleibt doch immer gleich
Die alte Menschensippe!"

Sie reckt empor sich hoch und bleich
Und schärft aufs neu die Hippe.“

(aus: „Nebelspalter" - No. 10 vom 06.03.1920)

Verlierer waren all jene, die über Geldvermögen verfügten: die Sparer, die Inhaber öffentlicher Anleihen. Gewinner waren hingegen alle, die hoch verschuldet waren: allen voran der Staat, aber auch Privatleute, die auf Pump Häuser, Bauland oder Äcker gekauft hatten.

Ein Journalist aus Barcelona äusserte damals unverblümt, was er von Hitler hielt "der dümmste Mensch, den wir jemals das Vergnügen hatten kennen zu lernen". Fatalerweise sahen die meisten Deutschen den Mann bald ganz anders.

27. Dezember 2020

Ein Impfstoff ist da, das Impfen beginnt. In der Presse sind die ersten Fotos zu sehen, zufrieden Dreinblickende. Bald ist wohl alles vorbei, die Welt kann aufatmen, es kann so weitergehen wie bisher.

Doch in den Hintergrund sind Themen oder Forderungen gerückt wie:
  • eine Befriedigung der elementaren Bedürfnisse der Menschen, die selbstbestimmtes Leben fördert und breite Fürsorge bietet,
  • eine ökologisch-nachhaltige Energieproduktion, Industrialisierung und Infrastruktur,
  • die Internetstrukturen einer rechtsstaatlichen Ordnung einbinden,
  • die Regulierung und Abschöpfung der Finanzmärkte,
  • eine bessere Vernetzung und verlässliche Absprachen im internationalen Handel,
  • keine ausgelagerten Spezialisierung für gesundheitlich notwendige Medikamente und Produkte,
  • die Verarbeitung der Rohstoffe vor Ort,
  • eine verfasste und abgesicherte Bürgerbeteiligung (Bürgerräte) auf kommunaler und nationaler Ebene,
  • eine institutionelle und demokratische Reform der EU.
Wir wissen, dass Geschichte in Prozessen verläuft und neue Weichenstellungen Zeit brauchen - aber anfangen müsste man schon.

Bessere Tage werden nicht einfach über uns kommen, ausser, ich sorge selbst dafür.

"Du scheinst bedenklich, doch du scheinst vergnügt." Goethe: in ‚Torquato Tasso''

Deutschland
Bestätigte Fälle: 1.908.527

Tote: 40343
Todesfälle pro 100.000 / 48

Nicht bekannt ist die Zahl der Genesenen mit weiterhin ganz erheblichen körperlichen Einschränkungen und Belastungen über Wochen und Monaten.
Weltweit = 1.928313 Tote

Nachbetrachtung

Nach all den Aufregungen und Erklärungen über die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, war mein Interesse: Wie haben frühere Generationen eine Epidemie/Pandemie erlebt oder bewältigt? Für mich bleibt erstens festzustellen, dass die Menschheit immer, zu allen Zeiten, so auch die Menschen heute, mussten Kriege und Epidemien bewältigen. Eine kleine Gruppe von Menschen konnten sich zurückziehen und schützen: damals der Adel und Klerus auf ihre Schlösser, heute die Begüterten in ihre Chalets in der Schweiz oder in Dubai. So war es immer, während der grossen Pandemien im 14. Jahrhundert in Italien, im 15. Jahrhundert in England, im 20. Jahrhundert auf der ganzen Welt.

Aber auch: breite Bevölkerungen können heute durch Aufklärung, Wissen und Schutzmassnahmen individuell und gesellschaftlich souveräner dem Virus trotzen und es eindämmen.

Und drittens, die Menschen sehnen sich immer wieder nach den 'Gepflogenheiten' der Welt vor den grossen Katastrophen. Aber was können wir im 21. Jahrhundert nach Impfungen und Abklingen der Pandemie erwarten?

Ich habe noch keine Einschätzung.

Ich stelle allerdings fest, die äusserlichen Massnahmen zum Schutz gleichen sich durchaus.

Schutzkleidung - Ende Januar 2021

Kaum noch auszuhalten ist es. Die Zahl der Menschen, die sich neu mit dem Coronavirus infizieren, sinkt nur langsam; die Zahl derer, die an und mit ihm sterben, bleibt deprimierend hoch. Die Impfstoff-Lieferungen stocken, das Leben der Homeschooling-Kinder und Homeoffice-Eltern wird formlos und frustrierend. Die Frage, ob das kollektive Zuhausebleiben zu mehr Zusammenhalt oder mehr Beziehungskrisen führt, ist wohl zugunsten der Beziehungskrisen beantwortet. Gastwirte geben frustriert auf, die Angst um den Arbeitsplatz wächst, und die Schwere zwischen arm und reich öffent sich seit der Pandemie immer schneller.

Nun haben sich auch Varianten des Covid-19 in Deutschland verbreitet. Virologen stellen fest, dass sie sich schneller verbreiten und mehr Menschen anstecken. Die vorhandenen Impfstoffe scheinen auch davor zu schützen.

Die nun auferlegten Einschränkungen haben auch eine positive Seite: mal innehalten, sich auf seine sonstigen Interessen und Tätigkeiten beschränken, mal die ‚Zähne zusammenbeissen'. Denn wir leben in einer neuen Zeit, im Kairos, den glücklichen Augenblick einmal geniessen und festhalten, die plötzlich in Bremen fallenden Schneeflocken betrachten.

Der Lockdown ist für Schulkinder ein schwer wieder aufzuarbeitender Rückschlag, für Kurzarbeiter eine erhebliche finanzielle Einbusse bis hin zur Arbeitslosigkeit, für Fondbesitzer ein wuchernder Zugewinn. Ausserdem muss man die grossen Tech-Konzerne erwähnen, deren Profite explodiert sind.

Und die Politik? Die Kanzlerin, die Länderchefs? Die hangeln sich von Videokonferenz zu Videokonferenz, um nach vielen Debatten-Stunden dem mässig amüsierten Volk zu erklären: Haltet durch, in 14 Tagen sehen wir weiter. Der verschärfte Teillockdown ist jetzt bis zum 14. Februar verlängert. Wer glaubt, am 15. - dem Rosenmontag - würde er aufgehoben, ist mit wirklich grossem Optimismus gesegnet.

Kann da nicht endlich mal einer sagen, wo es lang- und wie es weitergeht? Da muss doch eine Strategie her, die dem Wirrwarr der Gegenwart ein Ende bereitet! Da braucht es eine klare Ansage, wann und wie wir da wieder rauskommen!

Der Wunsch ist so verständlich wie legitim. Und doch steckt in ihm eine eigentümliche Autoritätsbedürftigkeit, die mittlerweile auch grundliberale Menschen erfasst. Hinter ihr steckt ein Bild von märchenhafter Harmonie der Glaube an die allgemeine Gestaltung. Es müssten doch die Führenden des Landes in all ihrer Weisheit den Weg weisen können, um einzugreifen, wenn und wo etwas hakt. Doch den grossen Wurf, das wissenschaftlich ausprobierte Rezept, den sicheren Weg ins unbeschränkte Leben zurück kann es in dieser Lage nicht geben. Den weiss keiner. Mich plagt oftmals das Gefühl, dass bei einigen Akteuren oder Missmutigen eine Art Machbarkeitwahn sich ausbreitet. Wir werden mit dem Virus leben, auch kommen Mutanten hinzu, über deren Gefährdungspotential wir zu wenig wissen.

Der Wunsch nach Eindeutigkeit und Klarheit ist verständlich. Aber es gibt den grossen Wurf nicht, doch den lebbare Kompromiss, der gangbare Schritte aufzeichnet, ist ein kleiner Fortschritt. Vor allem aber geht es in einer pluralen Demokratie gar nicht anders, als dass immer wieder mühsam darum gestritten werden muss wo es langgeht. Durchwursteln mit aller Leidenschaft und Kraft, mit allem verfügbaren Wissen, mit Mut zur Auseinandersetzung für den nächsten Schritt - das ist das demokratische Gegenbild zum Wunsch nach Autorität und dem ‚Starken Mann'. Wir wissen um die Grenzen selbstverantwortlichen Handelns. Als Gesellschaft ist es schwer, kollektiv und zukünftig zu handeln, dennoch müssen wir resilienter werden, gemeinsam widerstandfähiger.

Die Regierenden und wir werden Fehler machen und uns korrigieren müssen, wir werden sagen müssen: Das wissen wir nicht. Mit den Grenzen des Handelns offen umgehen. Das wird auch dann helfen, wenn die Deutschen, die Europäer herdenimmun sind. Das heisst ja nicht, sich von grossen Zielen und Visionen, die zurzeit nicht beachtet werden, zu verabschieden, ob der Begrenzung der Erderhitzung oder der weltweiten Gerechtigkeit. Es heisst aber, allen mit Vorsicht zu begegnen, die dabei den grossen Wurf versprechen oder fordern.

Nach AIDS und Ebola, wird nun Covid-19 mit den Mutanten das individuelle, kulturelle, soziale, politische Leben verändern? Nach zwei Jahrhunderten Moderne (siehe S.20) droht das futuristische Feuer zu erlöschen. Wird die Zukunft seltsam sein?

Die Herausforderung der Kostenbewältigung und die entstandenen gesellschaftlichen und ökonomischen Ungleichgewichte müssen nach weitergehender Lockerung und Öffnung und auch im Vorfeld der Bundestagswahl diskutiert und politisch und ökonomisch bewältigt werden.

Es muss Platz, Debatten und Strategien für ein neues Gemeinwohl geben, in der Haben (siehe auch: Macbeth mit Blick auf Macht, Gier, Besitz) und Sein (siehe auch: Othello mit Blick auf Rasse, Geschlecht, Vernunft, Vision) neu austariert werden. So könnte ein zukunftsweisender ‚Sozialvertrag' ausgehandelt werden.

Zuerst mal bleibt die Pflicht: Mobilität einschränken & Distanz halten & MundNasenSchutz

Johannes G.F. Bruns

Literatur:

Hilfreich für die Erstellung des Textes waren neben einigen Wikipedia Einträge zum Thema ‚Pest' und ‚Zwanziger Jahre des 20.Jahrh.' dann besonders die Reclam-Hefte der einzelnen Dramen, Sonetten und Langgedichte, sowie

- Ackroyd, Peter – Shakespeare – Die Biographie,
- Assmann, Aleida – Erinnerungsräume,
- Bloom, Harald – Shakespeare – Die Erfindung des Menschlichen,
- Bruns, Johannes G.F. – Shakespeare alle 35 Dramen – Kellner Verlag,
- Bruns, Johannes G.F. – „Das Danach darf nicht so sein wie das Davor“ – https://www.boell-bremen.de,
- Greenblatt, Stephen – Will in die Welt,
- Greenblatt, Stephen – Die Wende – Wie die Renaissance begann,
- Kott, Jan – Shakespeare Heute,
- Krippendorf, Ekkehart – Politik in Shakespeares Dramen,
- Mahrenholz & Parisi – Shakespeare – Seine Werke, seine Welt,
- Reinhard, Wolfgang – Lebensformen Europas,
- Tomasi di Lampedusa, Guiseppe – Shakespeare