Das Virus forcierte in doppelter Hinsicht die soziale Spaltung der Gesellschaft, anhand der sozioökonomischen Resilienzmöglichkeiten wie auch anhand der Frage, wie die Betreffenden sich zu den verordneten (gesetzlich/ mehrheitsgesellschaftlich) Massnahmen verhielten. Die grossen Wohlfahrtsverbände versagten teilweise in ihrer Funktion, zumindest krasse Missstände abzufedern.
So skandalisierte der Paritätische Gesamtverband in einer Pressemitteilung vom 30. März 2020, dass „Atemschutzmasken Mitte Februar noch nicht einmal 50 Cent und sechs Wochen später 13 Euro“ kosteten und sprach von „Marktversagen“ – als ob ein „Markt“ nach kapitalistischer Lehre nicht gerade darin seine Funktionsfähigkeit erweist, dass er die Preisgestaltung nach Angebot und Nachfrage justiert. Oder war nun die Hoffnung enttäuscht worden, kapitalistische Unternehmen hätten eine Moral? Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Masken wurde in diesem Zusammenhang im Übrigen einmal mehr nicht gestellt. Wie ein soziales und krisenfestes Bildungswesen aussehen müsste, dass die schon bestehenden Ungleichheiten wenigstens nicht noch weiter verstärkt, war ebenfalls ein Thema, dass von den Wohlfahrtsverbänden, sie sich nun der Staatsräson verschrieben hatten, mehrheitlich ignoriert wurde.
Es ist wohl unbestreitbar, dass unmittelbare soziale Interaktionen in der Kindheit und Jugend für die menschliche Entwicklung nicht einfach nur ein Plus an Lebensqualität bedeuten, sondern schlicht elementar sind. Werden die Möglichkeiten an sozialem Agieren eingeschränkt (Kontakte zu Freund*innen, Mitschüler*innen, Cliquen, anderen Jugendlichen in Sportvereinen und Jugendzentren), so werden Körper und Geist damit in einen Ausnahmezustand versetzt. Das Ärzteblatt berichtete 2022, dass sich die Zahl der Suizidversuche bei 2- bis 7-jährigen gegenüber den Jahren 2017 bis 2019 während des zweiten Lockdowns fast verdreifacht hat[36]. Auch Angststörungen und Depressionen hätten sich demnach um das 2- bis 2,5-facher erhöht. Festzustellen ist, dass Kinder von allen Altersgruppen am wenigsten durch COVID-19 gefährdet waren, jedoch am schärfsten von fast allen Corona-Massnahmen betroffen waren. Dies geschah gegen ihren Willen, ohne sie überhaupt nur angehört oder zu haben: Beteiligungs- oder Mitwirkungsmöglichkeiten, Kinderrechte gar? Gab es in der Pandemie schlicht nicht. Die Partizipation sank auf ein Level, das vermutlich letztmals in Deutschland in der Adenauer-Ära existent war.
Der heimliche Lehrplan
Die Pädagogik der Angst, der Vorwürfe und Isolierungen war ein fundamentaler Angriff auf jeglichen Ansatz einer Selbstbestimmung. Kinder waren während der Pandemie auf dem Status von Kolonisierten. Ja, Kolonisierte – dieser Begriff, den ich hier nicht das erste Mal verwende, rief schon mehrfach Widerspruch hervor. Doch wie anders soll man die Degradierung von Menschen zu blossen Objekten nennen? Gleich Kolonisierten wurden Schüler*innen bei alledem pauschal für dumm verkauft: ihnen gegenüber wurde als „Schutz“ ausgegeben, was doch nicht ihren Interessen diente, sondern den Interessen von Staat und Kapital sowie den Ängsten der Lehrkräfte geschuldet war. Ohnehin schon enthält die eine beständige Konkurrenz gegeneinander verinnerlichende, ausufernde Test-Manie in den Schulen – klassenintern wie auch in Rankings, bis hin zur „PISA“-Studie – Elemente der „schwarzen Pädagogik“[37]: schon vor der Pandemie war da wenig Mitbestimmung (schon gar keine Selbstbestimmung) möglich und Mündigkeit oft nur ein inhaltsleeres Lippenbekenntnis. Selbst von letzterem hat man sich nun im Windschatten der Pandemie entledigt. Möglicherweise hat dieser (heimliche) Lehrplan nun zumindest einen Lerneffekt: die jungen Menschen haben hautnah eine Sensibilisierung für Diskriminierung entwickeln können[38]. Die seit 2008 jährlich veröffentlichte SINUS-Studie „Wie ticken Jugendliche?“ kam 2020 zum logischen Ergebnis, dass Jugendliche sich zu wenig gehört und sich nicht ernst genommen fühlen[39]. Von Teilhabe nun derart ausgeschlossen, richtete sich die Politik unmittelbar gegen die elementarsten Interessen der Jugendlichen. Vom Verlust an Wirklichkeit zum Verlust der Autonomie: man nahm Kindern und Jugendlichen zwei Jahres ihres Lebens und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten, enthielt ihnen die altersgemässe Sozialität vor, verbaute ihnen Zukunftschancen, nicht zuletzt durch ein überfordertes Bildungswesen, dessen Zustand in der Pandemie wieder einmal die ohnehin schon Benachteiligten besonders hart traf.Mit den tumben Inzidenzzählungen, die im Grunde keinerlei Aussagekraft hatten (und lediglich als „Argument“ für immer härtere Massnahmen herhielten), wurden die angeblichen „Pandemietreiber“ in der Pandemie auch noch politisch instrumentalisiert – und man wundert sich nun ernsthaft, dass gerade viele junge Menschen ihr Vertrauen in die etablierten Parteien verloren haben? Die Politik selbst spricht hier oft von „Politikverdrossenheit“, aber das trifft nicht den Kern: man beweist gerade politisches Denken und Verstehen dadurch, dass man wahrnimmt, betrogen, angefeindet, politisch benutzt und im Stich gelassen worden zu sein.
Lehrer*innen gegen die Schüler*innen
Von den Lehrkräften hatten und haben die Schüler*innen wenig zu erwarten. Wie mir Lehrer*innen berichten ist eine wesentliche Motivation für die Wahl des Berufs ein verbreitetes Sicherheitsbedürfnis, dessen Kehrseite es ist, dass Lehrer*innen im Schnitt eine eher ängstliche Berufsgruppe sind, die sich – wie auch ihre Gewerkschaft GEW– von Beginn an hinter die massiven Corona-Massnahmen stellten[40], umso mehr, wenn sie politisch eher grün oder „links“ eingestellt waren, wie viele Angehörige dieser Berufsgruppe.Die GEW selbst forderte lautstark Schulschliessungen, ohne über die Folgen für viele junge Menschen auch nur einzugehen – die meisten Lehrkräfte kommen eben selbst aus einem ökonomisch vergleichsweise abgesichertem, akademischem Umfeld. Studierende aus nicht-akademischen Haushalten sind bis heute in Deutschland die Ausnahme – und auch ihre Chancen haben sich mit den Pandemiemassnahmen weiter verschlechtert[41]. Dabei ist zu betonen, dass das deutsche Bildungssystem in keiner Phase menschengemäss oder gar „fair“ ist. Die Ausgangsbedingungen, mit einem selektierenden, zensurenbasierten Bildungswesen umzugehen, das schon im Ansatz falsch und kritikwürdig ist, sind jedoch sehr unterschiedlich, wodurch sich die Auswirkungen eines grundsätzlich problematischen Systems fatal verstärken: alle sind ungleich, manche bleiben aber ungleicher, während andere von der Ungleichheit profitieren)
Schon vor Corona war das Bildungssystem ein „Ausgrenzungsapparat“, der die soziale Spaltung der Gesellschaft verstärkte[42]. Unter den Augen und unter Mithilfe der GEW hat sich das seit 2020 verschärft. Eine Lostrommel wäre gerechter als das, was heute Bildungswirklichkeit ist. Die GEW hat damit jeden Anspruch aufgegeben, eine wirkliche Bildungsgewerkschaft (laut ihrer Selbstdefinition) zu sein: sie raubte mit einem überhaupt nicht vorbereiteten Primat des „Homeschooling“, zumal in einem hochgradig selektiven Bildungssystem, ohnehin schon benachteiligten Menschen einmal mehr ihre Bildungschancen. Man könnte es auch Schutzhaft nennen: der den Kids gegen ihren Willen aufgezwungene „Schutz“ führte dazu, dass die Zahl derjenigen, die eine Schulklasse wiederholen mussten, nach dem Abflauen der Massnahmen deutlich anstieg[43].
Mit ihrem Agieren haben die Pädagog*innen entgegen ihrer eigenen professionellen Grundlagen gehandelt. So hält der bis heute für die Profession massgebliche, 1976 beschlossene „Beutelsbacher Konsens“ in seinem ersten Grundsatz das „Überwältigungsverbot“ als elementare Grundlage pädagogischen Handelns fest: „Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ‚Gewinnung eines selbstständigen Urteils' zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers“[44].
Millionenfache Kindeswohlgefährdung
Gleichwohl: Pädagog*innen drängten zum Impfen, fielen dem Maskenwahn anheim, isolierten Menschen in abgemessene Pausenhof-Planquadrate, und sie leisteten auch keinerlei Widerstand gegen Schulschliessungen, die selbst Gesundheitsminister Karl Lauterbach inzwischen als Fehler betrachtet[45] und die für unzählige junge, ohnehin schon armutsbetroffene Menschen zur Folge hatten, dass von heute auf morgen die oftmals einzige warme Mahlzeit – das Mittagessen in der Schule – wegfiel. Nicht nur vor diesem Hintergrund muss man klar sagen, dass die Corona-Massnahmen faktische eine millionenfache Kindeswohlgefährdung darstellten – von Widerstand auch diesbezüglich keine Spur. Lockerungen der drakonischen Massnahmen wurden immer wieder verschoben, stets war es „der falsche Zeitpunkt“, wie der Historiker René Schlott am 22.11.2022 in einem Kommentar für den Deutschlandfunk Kultur bemerkte. Schlott bemängelte schon damals die fehlende Aufarbeitung wie auch Selbstkritik.Geschlossene Kitas und Schulen sowie soziale Distanzgebote bzw. -forderungen sorgten für einen Verlust an unmittelbarem Erleben, an unmittelbarer Wirklichkeit. Fragen nach der Verantwortung werden bis heute abgewiegelt. Felix Hütten kommentierte in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 4.11.2022 den Umstand, dass sich die Schliessung von Kitas als sachlich falsch erwiesen hat, lapidar: „Es ist natürlich leicht, jetzt, im Nachhinein die Nase zu rümpfen und zu schimpfen“. Das ist die Melodie von „wir konnten es doch nicht wissen“.: ein Eingeständnis, auf das zugleich ein Angriff folgt. Doch – es gab schon frühzeitig 2020 Kritik an solchen Massnahmen. Man wollte sie nur nicht wahrnehmen. Eine Folge war ein zunehmender Konsum digitaler Medien, was wiederum folgenreich ist, wie die 2020 produzierte Arte-Dokumentation „Smarte Kids? Kinder und digitale Medien“ vor Augen führt (die Digitalisierung des Schulunterrichts, die nun im Gefolge der Pandemie forciert wird, wäre nochmal ein anderes Thema). „Ego Shooter“ & Co., aber auch das Alleinlassen der Schüler*innen am Bildschirm[46] sind nun nicht gerade die Formate, die geeignet sind, das zu vermitteln, was schon die Schule nicht tut: Selbstwirksamkeit, Krisenresilienz, Medienkompetenz. So werden Tür und Tor für wachsende psychische Probleme, aber auch für populistische Stimmungen, Hass und die Konstruktion „alternativer Wirklichkeit“ weit geöffnet, denn: „nur einer von zehn 15jährigen in Deutschland kann anhand von Quellenangaben und Inhalt zwischen Fakten und Meinungen unterscheiden“[47].
Alternativlos waren die Schulschliessungen samt ihrer Folgen keineswegs. In einer Stellungnahme plädierte die renommierte deutsche Leopoldina Akademie im Frühjahr 2021 für die Priorisierung des Präsenzunterrichtes[48]. Nicht nur Schweden, sondern auch Länder wie Spanien und die Schweiz waren sich der Bedeutung von Präsenzunterricht bewusst und taten alles, um die Schulen möglichst umfassend geöffnet zu halten. Dabei sollten Kitas und Schulen natürlich keine blossen Aufbewahrungsanstalten sein, die die Erwerbsarbeit der Eltern garantieren. Gleichwohl: in Deutschland scheinen nicht nur die Pädagog*innen noch nicht ansatzweise begriffen zu haben, wie folgenreich und nachhaltig ihr Mitmachen war.
Es ist im Grunde unfassbar, dass eine ganze Berufsgruppe angesichts der hier skizzierten verheerenden Ereignisse und Dynamiken einfach wieder zur Tagesordnung übergeht, so, als sei nichts geschehen - während jeder Ansatz der Emanzipation zugunsten autoritärer Handlungsweisen über Bord geworfen wurde. Eine ganze Berufsgruppe? Nein, es gibt einige Unbeugsame, die unbeirrt eine Aufarbeitung fordern. Die GEW Ansbach etwa publizierte das kritische Plädoyer für eine pädagogische Aufarbeitung der Corona-Krise von Bernd Schoepe[49]. Schoepe kritisiert darin die „grösste Lebenslüge seit dem niemals konsequent aufgearbeiteten Mitmachen, Mitlaufen und Gehorchen unter dem Hakenkreuz“ der Pädagog*innen. Der Lehrer Alexander Wittenstein fragte in der „Berliner Zeitung“ vom 26.1.2023 „Warum haben wir nicht protestiert?“ und mahnte eine Aufarbeitung an.
In Bremen gründete sich dem Vernehmen nach unlängst (vom Gewerkschaftsvorstand nur unwillig akzeptiert, aber doch im GEW-Rahmen) eine Arbeitsgruppe, die die Corona-Thematik umfassender aufarbeiten will – man wird sehen, was daraus wird. Das andererseits in den Jahren seit der Pandemie offenbar die Gewalt von Schüler*innen gegen Lehrkräfte an Schulen gerade in „sozial benachteiligter Lage“ zunahm (so ein Fazit des Schulbarometers 2024, über das die „Tagesschau“ am 24.4.2024 berichtete), kann man als die andere Seite der Medaille sehen – man muss sich eher wundern, wie ruhig insgesamt die Schüler*innen in der grossen Mehrzahl über sich ergehen liessen, was man ihnen antat und was sie in der Regel nach innen richten, gegen sich selbst. Man könnte sagen: nun schlagen die Deklassierten zurück (was Drohungen und körperliche Gewalt in keinster Weise rechtfertigen soll, zumal sie am Ende die Falschen treffen, denn die einzelnen Lehrkräfte können angesichts einer systemischen Deklassierung wenig ausrichten).
Die Jugend als Verfassungsschutzrisiko
Das schwammige „Schwurbler“-Feindbild – eigentlich ein Instrument, den Meinungskorridor des noch als akzeptiert geltenden Sagbaren zu verengen, man kennt es hinlänglich aus den Corona-Jahren - hat unterdessen die Tore in den Schulen weit geöffnet für die Akzeptanz des Staatsschutzes. In Bremen (und vermutlich nicht nur dort) wird vermehrt der Verfassungsschutz bzw. das in dessen Umfeld angesiedelte „Kompetenzzentrum für Deradikalisierung und Extremismusprävention im Land Bremen“ (KODEX) aktiv. KODEX ist der Abwehr bzw. Aufklärung gewidmet von „Personen, die der Reichsbürgerbewegung, dem Milieu der Querdenker:innen und vergleichbaren Verschwörungsglauben anhängen“, informiert die Homepage. Dies mag man zunächst einmal auch unter Bezug auf Hannah Arendt begründen – Arendt wird schliesslich mit ihren totalitarismuskritischen Publikationen auch als Kronzeugin von überzeugten Lockdown-Befürworter*innen gegen (angeblich) „rechtsoffene“ Impf-Skeptiker*innen in Beschlag genommen.Angesiedelt ist KODEX beim bremischen Senator für Inneres, der in Personalunion zugleich den Verfassungsschutz „beaufsichtigt“. Bei näherer Betrachtung wird das Ansinnen des Staatsschutzes deutlich. Vorgeblich will man „aufklären“ über mögliche „verräterische“ Merkmale von Schüler*innen, die antisemitischen, islamistischen oder anderen extremistischen, menschenverachtenden Ideologien oder Verschwörungserzählungen anhängen – aber eben auch, und hier verwässert sich die Sache vollends, einfach auffallende, abweichende Haltungen zeigen. Die Diffamierung von Überzeugungen als „rechtsoffenes Verschwörungsdenken“, die sich dann in den RKI-Files als sehr real erwiesen, zeigt, wie willkürlich solche Zuordnungen erfolgen können.
Hier geht es also nicht allein um den Kampf gegen menschenbezogene Gewalt, sondern um die Produktion eines mehr oder weniger verengten Konsens, bei Drohung des Ausschlusses jenen gegenüber, die sich diesem widersetzen. Von hier ist es nicht mehr weit bis zur Denunziation, die schliesslich bereits in den Pandemiejahren epidemisch um sich griff. Dabei ist bislang unklar, ob und wann bei Verdachtsfällen Meldungen an die Eltern oder die Polizei erfolgen, wie lange erhobene Daten der Minderjährigen womöglich gespeichert bleiben etc. – ein schulisches Vertrauensverhältnis wird so jedenfalls nicht entstehen. Statt mit Aufklärung wird abermals mit Autorität (re-)agiert.
2020, 2021, 2023 – Jahre des Aufwachsens im Ausnahmezustand, mit Fortwirkungen bis in die Gegenwart. Anstelle des Gefühls der Freiheit, für Heranwachsende so existentiell wie das Sozialleben, bedeuteten die Jahre die Erfahrung einer geschlossenen (und verschlossenen) Gesellschaft. Wer wundert sich, wenn Menschen angesichts dieser Erfahrung der ihnen feindlich entgegentretenden Gesellschaft den Rücken zukehren (sofern Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Enttäuschung, Einsamkeit und Wut sich nicht „lediglich“ nach innen richten)? Vorbei die Zeiten, als es lediglich Risse im gesellschaftlichen Fundament gab. Wie anders als einen Krieg gegen die Jugend kann man eigentlich das nennen, was die letzten Jahre geschah? Wir erleben alle Anzeichen eines ausgeprägten Adultismus, der sich in fortwährender Geringschätzung, Missachtung, Entwürdigung, Unterstellung, Diskriminierung, Stigmatisierung, Fremdbestimmung und Benachteiligung zeigt[50]. Minderjährige, die letzte Kolonie.
Der Verlust an Wirklichkeit ist nicht weniger als ein Bruch mit jeglichem Projekt kritischer Aufklärung, es ist damit ein umfassender Zivilisationsbruch, Aufkündigung des Generationenvertrages inklusive. Dieser Bruch gefährdet die Masse der Menschheit zu Gunsten einer kleinen, doch mächtigen globalen Elite. Hannah Arendts Mahnung ist aktueller denn je.
Erkenntnisinteresse: Heranwachsenden wurden gut 2 Jahre alterstypischer Entwicklung vorenthalten, das war – und ist – so folgenreich (überlaufene psychotherapeutische Praxen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie können dies bezeugen), wie es sinnlos war. Ob es Angst vor der Jugend war oder Hass auf sie, ist demgegenüber beinahe schon sekundär.
Aufarbeitung? Hat man je von Worten der Entschuldigung gehört, von Versuchen der Wiedergutmachung? Ehrlich zu offenbaren, dass alles, was man den jungen Menschen antat, sinnlos und einzig und allein Schikane war, wäre das Mindeste, was zu geschehen hätte. Soziale Hilfen, Jugendzentren, psychosoziale Unterstützungsmassnahmen etc. gehörten nicht weiter zusammengestrichen, sondern im Gegenteil massiv ausgebaut.