Die Liebe zur Arbeit Roboter und Refaschisten
Gesellschaft
Winston arbeitet. Er sitzt vor den Gedächtnis-Löchern und arbeitet mit dem Sprechschreiber. Umschreiber, Nachrichtenfälscher. „Winstons grösste Freude im Leben war seine Arbeit“, schreibt George Orwell, nur lesen kann man über diese „Freude“ herzlich wenig. Es ist schwer, zur Arbeit freudige Worte zu finden.
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7. Januar 2015
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Korrektur
Diese Liebe zur Arbeit, sie begegnet einem immer wieder in guten und schlechten Science-Fiction-Romanen und dabei bleibt es meistens. In diesem Roman gibt es Fabriken, dort werden der Ersatzkaffee, die Lebensmittel, die bröckelige braune Schokolade hergestellt. Alles rationiert, und dann muss es auch noch Produktionen geben, die die Luxusartikel für die Funktionäre der „Inneren Partei“ herstellen. Wie geschieht das? Es wird auf den 281 Druckseiten des Romans nicht verraten. Die Arbeit, die in diesem Roman beschrieben wird, ist die Geschichte von Julia, der Frau und Winston, dem Mann, deren Menschsein zerstört wird, so wie es heute in ähnlicher Präzision in vielen Staaten der Welt geschieht. Den Erfolg dieser Arbeit beschreibt Orwell in den zwei letzten Sätzen von 1984: „Er hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Grossen Bruder.“
632 Jahre nach Ford, jenem Ford, der den Sinn unseres Lebens mit der Fliessbandarbeit verschönte, so Aldous Huxley, beginnt die „Schöne Neue Welt“. Dass seit Fords Fliessbändern 632 Jahre vergangen sind, das bemerkt man nicht, denn dort, wo der Erfinder der Fliessbandarbeit das Prinzip des Herrn Taylor einsetzte, jenes Mannes, der die Ausbeutung zur Wissenschaft werden liess, an der sich während und nach dem deutschen Faschismus eine Ingenieursgesellschaft namens REFA beteiligte (Zeitnehmer wurden und werden in den Betrieben noch immer „Refaschisten“ genannt!), gibt es 632 Jahre später, oh glückliche neue Welt, folgende Arbeitsplatzbeschreibung:
„Das schwüle Dunkel, in das die Studenten ihm folgten, war wahrhaftig geradezu sichtbar und purpurn wie das Dunkel hinter geschlossenen Lidern an einem Sommernachmittag. Die bauchigen Wandungen endlos übereinander getürmter Flaschenreihen funkelten wie unzählige Rubine, und in diesem Rubinglanz bewegten sich mattrote männliche und weibliche Schatten mit purpurnen Augen und allen Symptomen wie von Lupus. Ein leises Surren und Rattern von Maschinerie durchzitterte die Luft.“
Ja, das sind Zukunftszeiten! Die Gartenlaube, das Zentralorgan der deutschen Romantik, hätte es nicht schöner schildern können, mattrot geht es zu, und der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit verschwindet durch einen Trichter im Flaschenhals eines Reagenzglases der Produktionsanstalt „Brave New World“.
Huxleys schöne Welt ist so neu nicht, die Arbeit hat eine Funktion, sie ist, nach Inhalten abgestuft, auch für ganz bestimmte mehr oder weniger privilegierte Personengruppen reserviert. Je niedriger in der sozialen Skala eingestuft, desto ähnlicher wird auch die Arbeit und gleicht den Horrorszenarien der „Akkord ist Mord“-Fabriken, die jetzt langsam entschärft werden und durch „Gruppenarbeitsstrategien“ den Geruch der Ausbeutung verlieren sollen. Ach ja, erinnert sich noch jemand an die Geschichte aus den mittleren siebziger Jahren? Die schwedische Autofabrik Volvo führte damals die Gruppenarbeit ein, um den Krankenstand zu senken. Der Erfolg war nicht besonders gross! Das Ganze lief natürlich unter dem Motto „Humanisierung der Arbeitswelt“. Das hört sich genau so dumm und dreist an, als würde man demnächst von der Vermenschlichung des Kriegshandwerkes reden. Das deutsche Parlament tut ja dazu, was es kann! Und im neuen Grundsatzprogramm des DGB hilft man mit: der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit wurde per Beschluss abgeschafft.
Zurück zur neuen Welt, nicht der Arbeitswelt, die ist alt, und wir hören uns nun an, wie man 632 Jahre nach Ford Lichtanlagen produziert:
„‚Jeder Arbeitsgang,' erläuterte der Personalbetreuer, ‚wird womöglich von einer Bokanowskysippe besorgt.' So war es in der Tat. Dreiundachtzig fast nasenlose Deltas standen an den Kaltpressen. Die sechsundfünfzig vierspindeligen Drehbänke wurden von sechsundfünfzig adlernasigen, rothaarigen Gammas bedient. Hundertsieben auf Hitze genormte Epsilon-Senegalesen arbeiteten in der Giesserei. Dreiunddreissig weibliche Deltas, langschädelig, flachsblond und enggebaut, keine mehr als zehn Millimeter grösser oder kleiner als ein Meter neunundsechzig, schnitten Schrauben. Im Montageraum wurden die Dynamos von zwei Gruppen gamma-plus Zwergen zusammengesetzt. Die beiden niedrigen Arbeitstische standen einander gegenüber; zwischen ihnen kroch das laufende Band mit seiner Last einzelner Bestandteile; siebenundvierzig Blondhaarige standen siebenundvierzig Schwarzhaarigen gegenüber. Siebenundvierzig Stumpfnasen gegenüber siebenundvierzig Hakennasen, siebenundvierzig fliehende gegenüber siebenundvierzig vorspringenden Kinnladen. Die montierten Maschinen wurden von achtzehn identischen lockigen, gammagrünen (endlich was GRÜNES in diesem Bericht, sonst hätte dies alles ja wirklich nichts mit Science-Fiction zu tun – Anm. D.B.) Mädchen überprüft, von vierunddreissig dachsbeinigen delta-minus Linkshändern in Verschläge verpackt und auf die wartenden Güterwagen und Lastautos von dreiundsechzig blauäugigen, blonden, sommersprossigen Epsilon-Halbidioten verladen.“
Der Wilde, eine der wichtigen Figuren in diesem Roman, kotzt. Diese Arbeitswelt, in der es keine Schwierigkeiten mit den Arbeitern gibt, die prägt die Science-Fiction und utopischen Romane vergangener Jahrhunderte. Allerdings gibt Huxley einen sehr guten Hinweis, den die Gentechnik sicherlich bereits aufgegriffen haben wird. Wahrscheinlich lässt sich wirklich bald einfacher der Sklave aus Fleisch und Blut züchten, als Maschinen und Produktionsmittel herzustellen, die vom Menschen bedient werden. Die Einheit Maschine/Mensch, die ja schon täglich gefordert wird, um den Wirtschaftsstandort zu retten, die lässt sich züchten. Auch bei Huxley ist trotz einer schönen neuen Welt die Arbeit nichts Befreiendes, sie ist Versklavung und Entfremdung.
Im „Lexikon der Science Fiction Literatur“ (Alpers/Fuchs/Hahn/Jeschke) werden insgesamt zwölf „Themenkreise der Science-Fiction“ beschrieben (u.a. Hoffnungen und Ängste, Kolonien und galaktische Imperien, der Landser im Orbit, schleimige Monster und andere Aliens, die Landschaften der Psyche, Blechkumpel und Superhirn, der Traum von der Zeitreise, Alternativ- und Parallelwelten…). Die Arbeitswelt hat es zu keinem Themenkreis gebracht.
In „WIR“ von Jewgenij Samjatin – die Romanfigur D503 Bürger des Einzigen Staates ist eine uniformierte Nummer – gibt es nur eine kleine Szene (beim Bau des Raketenweltraumschiffes INTEGRAL):
„Ich beobachtete, wie man die Spanten und Längsrippen in dem gläsernen Leib befestigte, wie man im Heck das Lager für den gigantischen Raketenmotor einmontierte. Alle drei Sekunden ne Explosion, alle drei Sekunden wird der INTEGRAL Flammen und Gase in den Weltraum speien und unaufhaltsam vorwärtsstürmen, ein feuriger Tamerlan des Glücks… Ich blickte hinunter auf die Werft. Nach Taylors Gesetz, rhythmisch und schnell, im gleichen Takt, genauso wie die Hebel einer riesigen Maschine, bückten die Menschen sich, richteten sich auf, drehten sich. In ihren Händen blitzten dünne Stäbe: mit Feuer schnitten und löteten sie Platten, Winkelmasse, Spanten und Winkelknie. Gläserne Riesenkrane rollten langsam über gläserne Schienen…“
Wer sich mit Taylor beschäftigte, dem Ideologen und Erfinder wissenschaftlich verbrämter Ausbeutungsmethoden, Ideologe der zeitgetakteten Arbeit und des Fliessbandes, der wundert sich, wenn dann in dieser Szene Samjatin schreibt: „Welch eine ergreifende, vollkommene Schönheit, Harmonie, Musik…“ Speiübel könnte einem werden, wie da die Zukunft der Arbeit einen Pakt mit der Vergangenheit eingeht und zu nichts anderem Nütze ist, als Macht zu erhalten und auszubauen.
Ob Science-Fiction wirklich diese moderne, emanzipatorische Literaturform ist? Ich habe mich dies, je länger ich diesem Thema Zeit widmete, immer häufiger gefragt. Jetzt, in dieser Zeit und Gesellschaft, fehlen Arbeitsplätze. Aber heisst dies nun, dass es an Fabrikationsanlagen, an Produktionskapazitäten und Dienstleistungen fehlt? Nein, im Gegenteil! Wieso muss man dann aber Arbeitsplätze schaffen? Sind die offiziell und inoffiziell gezählten Arbeitslosen nicht auf der richtigen Seite? Dieses „Recht auf Arbeit“. Macht Arbeit nicht frei … und ruhig und ordentlich? Die Science-Fiction nützt diese Weisheiten kaum aus.
Die Zukunft beisst, wie der Schriftsteller Terry Pratchett ganz richtig meint, jedermann in den Hintern und wird von der Gegenwart überholt. Versagt die Science-Fiction da völlig? Das Alltagsleben, die Erwerbsarbeit basiert auf endlosen Wiederholungen. Da gibt es nur Routine, es wird (so Rolf Schwendter) von „repetitiver Teilarbeit“ gesprochen. Sie gilt auch für jene „inhaltsreichen“ Berufsgruppen, die sich heute im Management herumtreiben. Sogar die Proben in der Kunst und sind weitgehend dem Taylorschen Prinzip unterworfen. Die Arbeitstakte sind irgendwann geeignet, die Arbeitskraft Mensch durch die Arbeitskraft Maschine zu ersetzen.
„Der meister hält das glühende eisen mit der zange über den amboss, der geselle muss es mit dem hammer breitklopfen. Beide arbeiten mit grosser aufmerksamkeit. Sie hören den klingenden lärm nicht mehr, sie haben sich an ihn gewöhnt.“ (H.C. Artmann „Fleiss und Industrie“)
Die Textästhetik dieser Arbeitsplatzbeschreibung und auch die Spannung fehlt mir in der Science-Fiction. Arbeit bleibt im Hintergrund. Die Reichtümer der Gesellschaften in der Science-Fiction entstehen, so ähnlich wie die Schöpfungsgeschichte, aus Lehm und Wundern. Wird wirklich gearbeitet, dann sind es irgendwelche nicht näher beschriebenen Sklavenvölker, die die Arbeit verrichten, oder Roboter. Die genialste Lösung und natürlich auch die phantasieloseste ist der Replikator, der es den Autoren einer bekannten Fernsehserie erspart, sich Gedanken über die Produktion in der Zukunft zu machen. John Kreifeldt („Regeln zum Umgang mit Robotern“) warnt: „Kehre niemals einem Roboter den Rücken zu. Wenn du dich einem Roboter näherst, dann schalte ihn aus, bevor er dich ausschaltet.“
Wir stehen am Beginn einer wechselvollen Beziehung zwischen Mensch und Maschine, und wird da nicht aus dem Witz „Wenn du dich einem Roboter näherst, dann schalte ihn aus, bevor er dich ausschaltet“, bald ein Sicherheitsratschlag? Diese Frage wird nicht mehr lange unbeantwortet bleiben. Wie viele Menschenleben Roboter/Maschinen bereits zerstört haben, wissen wir nicht. Die Statistiken der Berufsgenossenschaften haben sich darauf noch nicht eingestellt. Trotzdem hier ein Lob an Isaak Asimov, er hat schon vor über 45 Jahren seine drei Gesetze der Roboterethik formuliert, sie sind heute aktueller denn je, und es wäre nicht schlecht, würde die herstellende Industrie diese drei Gesetze bei der Maschinen- und Roboterkonstruktion anwenden:
1. Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit zulassen, dass ein menschliches Wesen verletzt wird.
2. Ein Roboter muss den vom Menschen gegebenen Befehlen gehorchen, es sei denn, sie kommen mit dem ersten Gesetz in Konflikt.
3. Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange er dabei nicht mit dem ersten oder zweiten Gesetz in Konflikt gerät.