Die Kulturrevolution von 1968
Es waren die berühmt-berüchtigten 68er, die sich als erste politisch relevante Kraft positiv auf diese chinesische Variante des Staatskommunismus beriefen. Die Beschäftigung mit den Ereignissen in der Volksrepublik ist dabei im Zusammenhang des Internationalismus der Bewegung zu betrachten. War doch der Krieg in Vietnam einer der Triebfedern der weltweiten Revolte. Vor allem die sogenannte Kulturrevolution diente ihnen als Vorbild für eigene Aktionen. Dieser positive Bezug auf die Kulturrevolution in China durch Teile der Studierendenbewegung hatte in erster Linie projektiven Charakter. Das heisst, die westlichen RezipientInnen lasen aus den Ereignissen in Fernost heraus, was sie für ihre eigene Ideologiebildung gebrauchen konnten. Der Maoismus und die Kulturrevolution wurden so zu Images, die mehr über die Protestbewegung selbst als über den historischen chinesischen Kommunismus aussagen.Die positive Berufung auf den Maoismus war, wenn auch nur in bescheidenem Umfang und zum Teil auch in eher spielerischer Form, bereits in der antiautoritären Phase der Bewegung zu finden. Vor allem die Mitglieder der explizit antiautoritären Kommune 1 (K1) propagierten den chinesischen Kommunismus und verbreiteten grosse Mengen an maoistischem Propagandamaterial, das sie aus der chinesischen Botschaft in Ost-Berlin erhielten. Allerdings war ihr Bezug auf den Maoismus nicht durch eine theoretische Analyse begründet, sondern diente eher der Abgrenzung – einerseits gegenüber dem sowjetischen Staatssozialismus und andererseits gegenüber dem politischen Establishment der Bundesrepublik.
Die provokative Verwendung von Mao-Bildern durch die K1 etablierte den chinesischen Staatschef als »Ikone antibürgerlichen Protests« und führte dazu, dass dieser innerhalb der Protestbewegung als die »radikalste und plakativste Antithese zur ›alten‹ bürgerlichen Welt ebenso wie zur ›alten‹ reformistischen Linken« avancierte. Allerdings konnte an diesem von den historischen und gesellschaftlichen Umständen abstrahierenden und zunehmend entpolitisierenden Spiel mit dem Mao-Image, das nur noch für diffusen Protest und Jugendlichkeit stand, auch die Kulturindustrie partizipieren, wie etwa die Mode des Mao-Looks deutlich macht.
Wichtig war in diesem Zusammenhang die Rezeption der Kulturrevolution als Revolution der Jugend gegen die alte Herrschaft. Damit konnte eine direkte Verbindung von den Aktionen der Roten Garden in China zur eigenen Situation in Westeuropa hergestellt werden. Denn auch die ProtagonistInnen der Revolte in der Bundesrepublik waren ja in erster Linie Studierende, SchülerInnen und Lehrlinge, also VertreterInnen der Jugend, die gegen die Autorität der Älteren anrannten. Exemplarisch verdeutlicht wurde diese Sichtweise bei einer Demonstration am 18. Januar 1969 zum 50. Jahrestag der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, zu der die Basis und Ad-hoc-Gruppen im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und die Rote Garde Berlin aufgerufen hatten und auf der die Parole »Sie sind alt, wir sind jung – Mao Tse-tung« skandiert wurde.
Eine zweite Lesart des Maoismus in der bundesrepublikanischen Protestbewegung sah in der chinesischen Revolution eine Befreiung vom entfremdeten Dasein in den westlichen Konsum- und Industriegesellschaften und die Verwirklichung der Utopie des einfachen und unbeschwerten Lebens. Hier kündigte sich schon die »Zurück zur Natur«-Ideologie der Alternativbewegung der achtziger Jahre an. In dieser Lesart wurde die Bewegung von einem genialen Theoretiker und Philosophen angeführt: Mao Tse-tung. Beispielhaft für diese Rezeption war das von Hans-Magnus Enzensberger herausgegebene Kursbuch, das in seiner neunten Ausgabe vom Juni 1967 ein 90 Seiten umfassendes Dossier des Sinologen Joachim Schickel enthielt, das unter dem Titel Dialektik in China. Mao Tse-tung und die Grosse Kulturrevolution ein schwärmerisches Gegenbild zum kapitalistischen Westen zeichnete. Auch der Medienstar des SDS, Rudi Dutschke, bezog sich in diesem Sinne positiv auf die Ereignisse in China, wenn er schrieb: »In den vierziger Jahren glückte allein den chinesischen Massen der Sprung vom Reich der imperialistischen Exploitation ins Reich der sozialistischen Armut, die der Ausgangspunkt einer wirklichen Bedürfnisbefriedigung der Massen in China wurde.«
Auch der SDS als Gesamtverband bezog bereits 1966 Stellung für die Volksrepublik China, als er in einem Beschluss der 21. Ordentlichen Delegiertenkonferenz die chinesische Kulturrevolution mit der Begründung guthiess, dass dadurch der Restauration einer vorsozialistischen Gesellschaft vorzubeugen wäre. Und auch einzelne VertreterInnen der antiautoritären Strömung des Studierendenverbandes bezogen sich positiv auf den Maoismus. Exemplarisch für diese Position steht ein Aufsatz von Reimut Reiche im Verbandsorgan neue kritik, in dem er ausführte: »Noch vor einem halben Jahr hätte es niemand gewagt, auf einer SDS-Versammlung sich auf Mao mit einem Zitat zu berufen, heute geschieht es ständig, aber unter affektiertem Gelächter des Lesenden und der Hörenden. Jetzt müssen wir lernen, ihn richtig zu lesen: aus der Revolution der Dritten Welt zu lernen. Die Werke Mao Tse-Tungs sind unerschöpflich reich; er ist gewiss der grösste Theoretiker und der grösste Revolutionär seit Lenin. Wir müssen seine Aufsätze ganz lesen.«
Das von Dutschke und dem Kursbuch gepriesene Ideal des einfachen, nicht entfremdeten Lebens und die Idealisierung des chinesischen Kommunismus durch Teile des antiautoritären Flügels des SDS standen jedoch im schroffen Widerspruch zu den Analysen ihrer historischen Vorbilder, etwa der Kritischen Theorie, des Situationismus oder des Rätekommunismus. Diese konnten im Maoismus nur die spezifisch chinesische Form einer nachholenden kapitalistischen Entwicklung erkennen. Auch Max Horkheimer bestritt in einem Fernsehinterview den Roten Garden in China, sich auf die Ideen Karl Marx' beziehen zu können. Die jungen westdeutschen RevolutionärInnen hätten es also durchaus wissen können und so bedeutete die positive Bezugnahme auf das kulturrevolutionäre China einen ersten Schritt in der Abwendung von den antiautoritären Positionen. Folgerichtig kamen in ihren Analysen auch die unzähligen Opfer der Kulturrevolution nicht vor.
Diese idealisierende Rezeption der chinesischen Kulturrevolution durch Teile der Antiautoritären wurde schliesslich zum Ausgangspunkt der verschiedenen maoistischen Gruppen. Im Zerfallsprozess der Studierendenbewegung bildete sich sowohl ein Partei- als auch ein Bewegungsmaoismus heraus, der von marxistisch-leninistischen Kaderparteien bis zu undogmatischen Stadtguerillagruppen reichte. Eine Ursache für das Umschlagen der antiautoritären Revolte in autoritäre Politikformen ist somit in der positiven Rezeption der chinesischen Kulturrevolution zu finden. Die Identifikation mit einer scheinbaren Revolution der Jugend gegen die alte Welt, die sich sowohl gegen das Establishment der Bundesrepublik als auch gegen die sogenannte alte Linke des Ostblocks verwenden liess, bedeutete für viele ProtagonistInnen der Jugendrevolte in Westdeutschland und Berlin die Abkehr von den antiautoritären Positionen und den Einstieg in den neoleninistischen Parteiaufbau.
Der parteikommunistische Maoismus der K-Gruppen
Vom Jahreswechsel 1968/69 bis 1973 entstanden aus den Zerfallsprodukten der Ausserparlamentarischen Opposition die ersten relevanten maoistischen Parteien und Bünde in der BRD. Die erste war die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML), die sich aus der maoistischen Opposition der verbotenen und sich deshalb illegal organisierenden moskautreuen Kommunistischen Partei Deutschlands bildete. Aber erst mit dem Niedergang der antiautoritären Revolte wurde aus diesem Zirkel einiger maoistischer Altkader eine aktive und öffentlich wahrnehmbare Partei. Die anderen K-Gruppen entstanden dagegen direkt aus der sich fraktionierenden Protestbewegung. Die ML-Gruppen waren in den siebziger Jahren eine der bedeutendsten Strömungen der radikalen Linken. Schätzungen zufolge waren zwischen 100 und 150.000 Menschen in diesen organisiert.Alle K-Gruppen vertraten zu Beginn einen Marxismus-Leninismus maoistischer Prägung, das heisst sie schlugen sich im »Roten Schisma«, dem Konflikt zwischen Moskau und Peking, auf die Seite Chinas. Dieser Bruch vollzog sich spätestens nach dem XX. Parteitag der KPdSU, auf dem Nikita Chruschtschow eine Abkehr vom Stalinismus und eine Politik der friedlichen Koexistenz mit dem kapitalistischen Westen verkündete. Die KP Chinas dagegen hielt an den weltrevolutionären Zielen des Marxismus fest und stand an der Seite der nationalen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. Dies machte sie in den Augen vieler westlicher RevolutionärInnen glaubwürdiger als der als bürokratisch-verknöchert wahrgenommene Sowjetkommunismus. Die westlichen MaoistInnen übernahmen von der KPCh auch die Auffassung von der »Einkreisung der Städte durch die Dörfer« (Lin Biao).
Dies bedeutete auf internationaler Ebene die Avantgardefunktion der nationalrevolutionären Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, während auf nationaler Ebene diese Rolle die Bauern als aktivster Teil der revolutionären Volksmassen übernehmen sollten. Insgesamt lässt sich feststellen, dass im Maoismus die Kategorie Volk als revolutionäres Subjekt angesehen wird, was sich in vielen Parolen wie »Dem Volke dienen«, »Sieg im Volkskrieg« u. ä. ausdrückte. Die ArbeiterInnenklasse, die in der chinesischen Revolution keine führende Rolle übernommen hatte, da China zu der Zeit noch grösstenteils agrarisch geprägt war, verliert in der Theorie dagegen ihre Avantgardefunktion.
Für die K-Gruppen war Mao »der grösste Marxist-Leninist unser Zeit«, wie es schon in der allerersten Ausgabe des Roten Morgen hiess. Dementsprechend versuchten sie durch kritiklose Übernahme der chinesischen Vorgaben das Wohlwollen der KPCh zu erheischen. Ideologisch standen die K-Gruppen für eine »schöpferische Anwendung« der Mao Tse-tung-Ideen, des Leninismus und des Stalinismus auf die bundesrepublikanischen Verhältnisse. Dies führte einerseits zu einem regelrechten Proletkult, beinhaltete andererseits aber auch den Versuch revolutionäre Volkskämpfe zu initiieren. Bis Mitte der siebziger Jahre traf dies auch auf alle K-Gruppen gleichermassen zu. Doch mit der politischen Annäherung Chinas an den Westen wurde diese kritiklose Identifikation auf eine schwere Probe gestellt.
So führten der Besuch des US-Präsidenten Richard Nixon 1972 in China und vor allem der Empfang der chinesischen Staatsführung für den verhassten bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauss 1974 zu ideologischen Verrenkungen. Für den Kommunistischen Bund (KB) war damit eine rote Linie überschritten und ihr Zentralorgan Arbeiterkampf titelte: »Strauss in China: Zum Kotzen!«. Die konkurrierenden K-Gruppen warfen dem Hamburger Bund daraufhin die Revision marxistisch-leninistischer Positionen vor und verteidigten den Strauss-Besuch mit der Begründung, dieser würde wenigsten konsequent dem Sowjetimperialismus entgegentreten, anders als etwa die zu lasche sozialliberale Bonner Koalition.
Die Bestimmung der Sowjetunion als Hauptfeind folgte der politischen Linie der chinesischen KP. Diese formulierte 1974 die Drei-Welten-Theorie, nach der beide Hauptmächte, USA und UdSSR, die Hauptfeinde der Menschheit seien, wobei die Sowjetunion als aufsteigende Macht die gefährlichere sei. Neben dieser ersten Welt existiere noch die zweite, die von den Industriestaaten repräsentiert würde und die dritte, die angeführt vom revolutionären China die Entwicklungsländer umfasse. Strategisches Ziel müsse es sein, ein Bündnis der zweiten und dritten Welt unter Führung Chinas gegen die USA und UdSSR zu schmieden. Die K-Gruppen brachten diese von Deng Xiaoping formulierten strategischen Vorgaben in arge Bedrängnis. Wurden bisher doch die USA, besonders aufgrund des Vietnam-Krieges, als Hauptfeind betrachtet und auch die Bundesrepublik als imperialistische Macht bekämpft.
Die deutschen ML-Gruppen reagierten deshalb unterschiedlich auf die Drei-Welten-Theorie. Während der KB sich von China lossagte, unterstützten die Kommunistische Partei Deutschlands/Aufbauorganisation (KPD/AO) und die KPD/ML die chinesische Position vorbehaltlos. Die anderen K-Gruppen verteidigten die Theorie der drei Welten zwar zuerst eher zaghaft, allerdings war dies für sie der Beginn sich langsam vom chinesischen Vorbild zu trennen. Beispielhaft hierfür steht der Kommunistische Arbeiterbund Deutschlands (KABD), der von 1977 bis 1981 eine siebenteilige Broschürenreihe mit dem Titel China-Aktuell veröffentlichte, die sich von Ausgabe zu Ausgabe immer kritischer gegenüber der Volksrepublik verhielt. Am Ende wurde festgestellt, dass in China eine Restauration des Kapitalismus stattgefunden habe und es nun eine sozialimperialistische Politik betreiben würde. Die Politik der Volksrepublik wurde analog zu der der Sowjetunion nach Stalin als Revision des Marxismus-Leninismus verurteilt.
Für KPD/ML und KPD/AO bedeutete die Unterstützung der Drei-Welten-Theorie dagegen, dass sie bisherige Positionen revidieren und nun zum Teil genau entgegengesetzte Auffassungen verteidigen mussten. So riefen sie ihre Mitglieder dazu auf, in die Bundeswehr zu gehen, nicht mehr um wie bisher in der Armee Subversion zu betreiben, sondern um die Wehrhaftigkeit der Bundesrepublik gegen einen drohenden Angriff der Sowjetunion zu stärken. Denn im Falle eines als wahrscheinlich erachteten Angriffs der UdSSR gegen Westdeutschland wäre die Vaterlandverteidigung »...für uns deutsche Werktätige von Anfang an ein antifaschistischer, antiimperialistischer Befreiungskampf«. Der sozialliberalen Koalition wurde dagegen vorgeworfen, sie würde die Bundeswehr schwächen und damit die BRD dem Sozialimperialismus ausliefern. Antimilitaristischen Gruppierungen warfen KPD/AO und KPD/ML vor, »pazifistisches Gift unter die Massen« zu streuen. Einige kleinere maoistische Gruppierungen wie etwa die Marxisten-Leninisten Deutschlands (MLD) schreckten in ihrem Kampf gegen den Sowjetimperialismus selbst vor einer Zusammenarbeit mit faschistischen Gruppen nicht zurück.
Dies zeigt eindrücklich die ideologischen Verwirrungen, die die chinesischen Vorgaben bei ihren westdeutschen Adepten auslösten. Als dann auch noch im September 1976 der grosse Vorsitzende starb und nur einen Monat später die sogenannte Viererbande um die Mao-Witwe Jiang Quing verhaftet wurde, verschärfte dies die Irritationen der K-Gruppen noch weiter. Spätestens die Rückkehr des unter Mao als Rechtsabweichler kalt gestellten Deng Xiaoping 1977 bedeutete in China eine Abkehr von der kulturrevolutionär-maoistischen Politik.
Nachdem sich nach und nach eine K-Gruppe nach der anderen von der Theorie der Drei-Welten und damit vom chinesischen Vorbild distanziert hatte, leitete auch die radikalste Vertreterin der Position der Vaterlandverteidigung, die KPD/ML, 1977 eine schroffe Wende ein. Sie sagte sich von China los und entfernte sogar den Kopf Maos aus ihrer Ahnenreihe im Zentralorgan Roter Morgen. Für die KPD/ML war von nun an der Sozialismus nur noch in Albanien verwirklicht, das ebenfalls mit dem chinesischen Vorbild gebrochen hatte. Der Maoismus dagegen verlor seine revolutionäre Anziehungskraft. Die K-Gruppen lösten sich dann im Laufe der achtziger Jahre entweder komplett auf oder zerfielen in bedeutungslose Kleinstsekten. Einzig die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) als Nachfolgeorganisation des KABD überlebte den Zerfall der westdeutschen ML-Bewegung.
Weitere Fraktionen der westdeutschen Linken und ihr Verhältnis zum maoistischen China
Aus der 68er-Bewegung heraus entstanden ausser den K-Gruppen noch weitere Zerfallsprodukte. Zu den bedeutendsten Strömungen gehörten die sogenannten Spontis, die sich im Gegensatz zu den Marxisten-Leninisten durchaus noch positiv auf die antiautoritäre Revolte bezogen. Doch ebenso wie sich schon Teile des SDS zustimmend über den Maoismus äusserten, so gab es zumindest anfangs auch im Spontaneismus Sympathien für das chinesischen Revolutionsmodell. Die Kulturrevolution wurde dort ebenfalls als Revolte der Jugend gegen die alten Autoritäten interpretiert. In Frankreich kam es sogar zu einer spezifischen maospontaneistischen Symbiose, die organisatorisch in der Gruppe Gauche Prolétarienne ihren Ausdruck fand. In Deutschland schien der Bezug der Spontis auf den Maoismus dagegen eher eklektisch gewesen zu sein. Theoriefragmente und oftmals auch nur Zitate, die sich in die eigene Praxis einbauen liessen, wurden herausgesucht, aber eine tiefere Auseinandersetzung schien nicht stattgefunden zu haben. Vor allem der Teil der Bewegung, der mit Militanz und dem bewaffneten Kampf liebäugelte, sah in dem Guerillamodell Mao-Tse-tungs ein Vorbild. Folgerichtig wurde dann auch die Gründungserklärung der Roten Armee Fraktion (RAF) in der wichtigsten frühen Sponti-Zeitschrift agit 883 veröffentlicht.Die Entwicklung der RAF war durchaus vergleichbar mit der der K-Gruppen. Ursprünglich stammten die Mitglieder der ersten Generation aus dem antiautoritären Flügel der Studierendenbewegung und waren dort sehr stark in der sogenannten Randgruppenpolitik aktiv. Doch mit dem Niedergang der Bewegung wendeten auch sie sich marxistisch-leninistischen Positionen zu und schulten etwa Randgruppenjugendliche mit Mao- und Lenintexten. Ihre Erklärungen waren durchzogen von Mao-Zitaten und die Adressaten der Texte waren nun zunehmend die ML-Gruppen. Die erste Genration der RAF kann deshalb durchaus als »bewaffnete K-Gruppe« bezeichnet werden.
Dass die in den siebziger Jahren ihren Höhepunkt erlebende Deutsche Kommunistische Partei (DKP) dem Maoismus ablehnend gegenüberstand, ist nicht weiter verwunderlich, da sie schliesslich nichts anderes war als die westdeutsche Interessenvertretung des sowjetischen Staatskapitalismus. Und dieser war für die MaoistInnen entweder sozialimperialistisch, wenn nicht sogar sozialfaschistisch. Folglich kam es immer wieder auch zu handgreiflich ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen den AnhängerInnen Moskaus und Pekings. Für die DKP führten die Mao Tse-tung-Ideen »entweder in die Katastrophe oder an die Seite des Imperialismus, des schlimmsten Feinds der Menschheit«.
Auch mit den sich auf Leo Trotzki berufenen Gruppierungen verband die K-Gruppen eine innige Feindschaft. Diese wiederum lehnten das chinesische Revolutionsmodell grundsätzlich ab. Ihre Kritik machte sich vor allem am revolutionären Subjekt des Maoismus fest. Die TrotzkistInnen warfen ihnen vor, die ArbeiterInnenklasse durch das Volk ersetzt zu haben und damit einen zentralen Grundpfeiler der marxschen Theorie revidiert zu haben. Ironischerweise vereinigte sich dann 1986 die grösste trotzkistische Organisation Gruppe Internationaler Marxisten (GIM) mit der sich zuvor besonders radikal maoistisch gerierenden KPD/ML zur Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP).
Und heute?
Nachdem die Volksrepublik China inzwischen zur kapitalistischen Weltmacht aufgestiegen ist und in ihren Weltmarktfabriken meist frühkapitalistische Zustände herrschen, bezieht sich heutzutage kaum mehr jemand aus der deutschen Linken ernsthaft positiv auf diese Parteidiktatur. Die letzten verbliebenen K-Gruppen und Grüppchen trauern zwar noch den Mao Tse-tung-Ideen nach, die ihrer Meinung nach von Maos Nachfolgern verraten wurden und die denselben Weg eingeschlagen hätten wie alle Nach-Stalin Machthaber der Sowjetunion.Doch im heutigen China können auch sie nur noch einen normalen kapitalistischen Staat erkennen. Manche linke China- und Mao-ExpertInnen setzen zwar noch ihre Hoffnung auf eine maoistische Opposition innerhalb der KPCh und so manche antiimperialistische SchreibtischstrategInnen hoffen auf China als Gegengewicht zur US-amerikanischen Hegemonie, doch dies bleiben Randnotizen. Viel eher werden da schon die massenhaften Kämpfe chinesischer Fabrik-, Land- und vor allem WanderarbeiterInnen beachtet, die im Herz des aufsteigenden Industriekapitalismus sozialrevolutionäre Akzente setzen. Statt eines grossen Vorsitzenden, der blumig formulierte Welterklärungen liefert und gleichzeitig die ihm unterworfene Bevölkerung von einem wahnwitzigen Experiment in das nächste schickt, sind es nun die Dagongmei (kleinen Schwestern), die Wanderarbeiterinnen, die für ein besseres Leben kämpfen, auf die der Blick der RevolutionärInnen fällt. Immerhin ein Fortschritt.