Erst im Nachhinein fiel uns auf, dass wir keine Personen gesehen haben, die irgendwie vom Phänotyp nicht, wie auch wir, nach deutscher Bio-Kartoffel ausgesehen hätten. Mag sein, dass uns da doch jemand entgangen ist, aber wir waren ja auch wegen dem Film da, nicht um einen Mikrozensus durchzuführen, aber der Eindruck eines (fast?) nur weissen Publikums an diesem Abend besteht.
Leider müssen wir uns eingestehen, dass diese exklusiv weisse Zusammensetzung auch bei den grossen Gegen-Rechts Demos zu beobachten war, was ein gewisses Muster nahe legt und Fragen aufwirft, wie: Diese Kämpfe für Andere, führt das auch zu Kämpfen von ihnen für uns, z.B. gegen die Kriminalisierung der Antifa? Stehen also Migranten auch für Antifaschisten ein, verbinden sich die Kämpfe? Wenn die Antwort nein lautet, was bedeutet dies dann für eine linke Strategie, welche sich in Selbstinszenierung um sich selbst dreht?
Und an diese soziale Lücke schliesst sich leider auch der Film inhaltlich mit einer entsprechenden migrantischen Lücke an: Eine Migrantifa taucht in dem Film gar nicht erst auf, was auch Carina Bock in ihrer Filmrezension in der AK[2] kritisiert. Die interviewten Flüchtlinge erscheinen nur als Opfer, selbst wenn sie eigenen militanten Gegenwiderstand andeuten. Andererseits entspricht dies leider auch der Realität, dass sich auffallend wenige Leute mit Migrationshintergrund in der weiss dominierten Szene-Blase der „radikalen“ Linken und damit auch in der weissen Antifa bewegen. Das hat Gründe, die hier zu thematisieren aber den Rahmen sprengen würden. Trotzdem gibt es hierzulande eine Migrantifa und sie bei so einem Film mit so einem anspruchsvollen Titel nicht mal zu erwähnen, sollte zu Denken geben.
Für politische Insider bietet der Film zwar eine gut gemachte Wiedererinnerung, aber sonst nicht viel Neues und zu wenig Kritisches. Wobei ich gerechterweise bei diesem Film keine Kritik erwarten darf, die ja noch nicht mal im (noch bestehenden) linken Diskurs über diverse Papiere und Erklärungen geführt wird. Immerhin wird einmal – sehr kurz – von einer der interviewten Aktivistinnen erzählt, dass es auch interne Kritik am patriarchalen Verhalten der männlichen Antifas gab. Aber das blitze nur einmal kurz und oberflächlich auf und wurde nicht vertieft. Wie im realen Diskurs.
Ähnlich seicht und wurde das Thema Militanz beschrieben, obwohl es neben dem Thema Antifa-Recherchearbeit der zweite grosse und dominierende Aspekt des Films ist. Nur an einer Stelle wurde von einer Aktivistin kurz die Wirksamkeit dieses Ansatzes in Frage gestellt. An ein bürgerliches Publikum gerichtet ist die Darstellung der Notwendigkeit für antifaschistische Militanz, die sich vor allem auf die Bilder der 90er Jahre Pogrome stützt, vielleicht propagandistisch gelungen, doch vermisse ich hier mal wieder schmerzlich, genauso wie in all den internen Militanz-Diskussionen der letzten vier Jahrzehnte, den notwendigen Tiefgang.
Wenn der interviewte Genosse auf Quedlinburg in seinen Erzählungen an die Stelle kommt, wo ein sehr konkretes Warum zu der Frage der Gewaltanwendung im Raum steht, dann wird die Stelle mit einem „um eine Ansage zu machen“ inhaltlich zugekleistert. Gut fand ich, dass die Grenzen der eingesetzten Gewalt aufgezeigt wurden, „niemanden platt machen“, „nicht nachtreten“ oder „keine Querschnittslähmung“: So wird ein charakterlicher Unterschied zwischen rechter und linker Gewalt beschrieben.
Es ist durchaus möglich, diese militante Praxis der körperlichen Gewalt gegen Nazis, die über eine reine Defensive hinausgeht, zu analysieren und sogar in ein inhaltlich tragbares Konzept zu fassen. Die „Ansage“ die da gemacht wird, ist natürlich eine völlig nonverbale auf einer sehr archaischen Ebene, wie wir sie aus der Verhaltensforschung bei Rangkämpfen und Dominanzverhalten kennen. Diese archaische Ebene spielt sich bei uns Menschen dann auch tendenziell im (entwicklungsgeschichtlich älteren) Kleinhirn ab, denn in der Grosshirnrinde. Solche Erfahrungen sorgen sicherlich dafür, dass unreflektierte Nazis die solchermassen eroberten Antifa-Areas „aus dem Bauch heraus“ als No-Go-Areas empfinden und trotz Moralappelle ihrer Aufhetzer instinktiv meiden.
Diese Betrachtung klingt aber nicht so edel und revolutionär, wie das Selbstbild einer vorgeblich defensiven Antifa, hat doch die als Defensive verklärte Offensive, die der Domestizierungspraxis von Dompteuren folgt, naturgemäss einen negativen Beigeschmack, zumindest für antiautoritär oder anarchistisch denkende Menschen. Dennoch kann eine solchermassen tiefer gehend beschriebene Gewalt gegen Menschen als politisches Konzept begründet und bewusst in der Praxis angewendet werden.
Dann würde die ausübenden Protagonisten nicht ein unreflektierter Hass lenken, gegen den sich die Interviewten übrigens auch deutlich aussprechen, sondern die Einsicht in eine bittere Notwendigkeit. In so einer Bewusstseinsverfassung müsste mensch auch nicht mehr bewusst auf die oben genannten Grenzen der Militanz achten (was in solchen Auseinandersetzung stets herausfordernd ist), das würde sich aus einer veränderten Haltung von selbst ergeben.
Aus diesem Blickwinkel auf das militante Konzept wird viel klarer, dass Gewalt nur eine Lösung für sehr kleine Massstäbe sein kann und vor allen, dass das eigentliche Problem in keiner Weise an seinen Wurzel angegangen wird. Militanz ist und bleibt ein rein oberflächliches Lösungskonzept, es sei denn, Du rottest alle „Feinde“ aus… Aber das ist Faschodenke. Dieser Blickwinkel wäre vielleicht auch Voraussetzung, um die Kritik an toxischer Männlichkeit insbesondere in Antifa-Gruppen mit mehr Tiefgang zu betreiben und so zu nachhaltigen Veränderung über echten inneren Wandel statt aufgesetzter Szene-Moral zu kommen.
Der fehlende Tiefgang antifaschistischer Arbeit in der Realität, die effektiv nur Symptombehandlung betreibt, spiegelt sich ebenso in dem Film wieder, insofern stellt er den Istzustand korrekt dar. Solch ein Tiefgang würde aber eine Kritik am eigenen Schubladendenken voraussetzen, an der rein oberflächlichen Sortierung in Freund und Feind, der Problematik in der Frage nach der „klaren Kante“ (gegen Rechts). Dann käme vielleicht auch die Erkenntnis, dass jede* von uns einen kleinen Nazi in sich hat, dann darüber auch Analysen nach dem Wieso und daraus kämen wir sicher zu radikalen – im Wortsinne an den Wurzeln anpackenden – Lösungsstrategien.
Die „klare Kante“ kann sich so betrachtet nur an den Taten von Menschen festmachen, und Leute, die Flüchtlinge und Linke körperlich angreifen, ohne Hemmung und mit erkennbaren Vernichtungswillen, sind klar hinter dieser Kante. Nur sehe ich die Kante menschlich und politisch weiter weg als viele „Radikale“ Linke und Antifas, und sicherlich deutlich weiter weg, als am Rand der Szene-Blase gelagert.
Insgesamt gesehen berichtet der Film von einer Generation, die in den extremen Jahren nach der Wende angefangen hat, sich aktiv und dediziert mit antifaschistischer Arbeit auseinanderzusetzen. Heutige Generationen müssen auch aus den Berichten und Fehlern von damals lernen, da die Situation – und das geht nur kurz aus dem Film hervor – vor allem im Osten mal aussichtslos erschien. Diese Aussichtslosigkeit hat heutzutage zugenommen. Von damals lernen heisst kritisch zu fragen und überhaupt einer Selbstkritik stets hohen Stellenwert beizumessen.
„Wir sind die Guten“ reicht nicht aus, das denken nämlich alle; sogar die Faschos. Es braucht eine Aufarbeitung und Konzepte die antifaschistische Basisarbeit neu ausrichten. Vielleicht mal als ganzheitliche, revolutionäre Basisarbeit, die das gesamte System und unseren Umgang untereinander in Frage stellt? In so einem grösseren Kontext wäre dann Antifaschismus ein wichtiger Bestandteil der Diskussionen mit der Basis.