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Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte

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Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte Viele kleine Menschen, die sich den Rechten entgegensetzen

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Kultur

Der Film "Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte" könnte zu Diskussionen über antifaschistische Strategie und Praxis heute anregen.

Screenshot aus dem Film
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Screenshot aus dem Film "Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte".

Datum 3. September 2024
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Mitte August verhinderten AfD-Gegner*innen in Jena einen Auftritt des AfD-Rechtsaussen Björn Höcke. Die AfD zeterte über Weimarer Verhältnisse, was nicht verwundert. Dabei haben die AfD-Gegner*innen in Jena eigentlich gezeigt, dass sie aus den Fehlern der Nazigegner*innen vor 1933 gelernt haben, weil sie bei allen sonstigen politischen Differenzen gemeinsam gegen Höcke gehandelt haben. Es ist auch bezeichnend, dass sich Medien, die sich schon mal kritisch gegen die AfD wenden, nach der Blockade von Jena wieder das Bild von der bösen militanten Antifa beschwören.

Da ist es begrüssenswert, dass es dem Filmkollektiv Leftvision gelungen ist, für den Film Antifa fünf Personen vor die Kamera zu holen, die sich in den frühen 1990er Jahren den Neonazis in unterschiedlichen Regionen Deutschlands entgegenstellten. Es sind 3 Frauen aus Brandenburg, Ostberlin, Schleswig-Holstein und zwei Männer aus Göttingen und Quedlinburg.

Zunächst könnten sich die, die immer das Bild von der gewaltbereiten Antifa reden, bestätigt fühlen. Denn vier der Personen im Film berichten von militanten Auseinandersetzungen mit den Rechten. Aber sie gehen auf den gesellschaftlichen Kontext ein, in denen diese stattgefunden haben. So beginnt der Film mit dem Angriff von Neonazis und sympathisierender Nachbarschaft auf das von vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen bewohnte Sonnenblumenhaus in Rostock vor 32 Jahren. Nina aus Schleswig-Holstein berichtet, wie sich dann Antifaschist*innen aus dem Bundesland aufgemacht haben, um sich den Rechten entgegenzustellen, ohne Kontakte und Anlaufstellen.

Es gelang schliesslich in Rostock doch, eine Demonstration zu organisieren und auch für Schutz für die Menschen im angegriffenen Wohnheim zu sorgen. Der Staat sei völlig abwesend gewesen und die Polizei habe sich zurückgezogen, sagte nicht nur die Frau aus Norddeutschland. Torsten aus Quedlinburg betont, dass die Antifa da eingegriffen habe, wo der Staat versagte. Er berichtet über militante Auseinandersetzungen zwischen der rechten Szene und Antifaschist*innen. Die Auseinandersetzungen fanden damals sogar Beachtung in überregionalen Medien, denn angeklagt wurden nicht die Rechten sondern ihre Gegner wie Torsten:

„Im Harz-Städtchen Quedlinburg haben Neonazis unterschiedlicher Couleur ihre Liebe zur Justiz entdeckt: Antifas werden mit Strafanzeigen mundtot gemacht und sollen so vertrieben werden“, schrieb Bernd Siegler in der Taz.

Sind so viele kleine Menschen

Der Antifaschist, der 1996 über 80 Anzeigen hatte, ist mittlerweile Rechtsanwalt, auch weil es damals linken Anwält*innen gelang, ihn vor dem Gefängnis zu bewahren. Im Film betont er, dass er zu seiner Antifageschichte steht, die sich aber eben nicht in Militanz gegen Rechte erschöpft. Dass wird im Film schon nach dem ersten Drittel deutlich. Dort äussern sich alle 5 Protagonistinnen und Protagonisten kritisch zu der Haltung, man müsse die Rechten an Militanz übertreffen. Kessy, die Mitbegründerin des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrum, das noch immer in Berlin-Kreuzberg ihre Räume hat, war von Anfang keine Freundin direkter körperlicher Gewalt mit Rechten. Doch sie betonte, dass sie in manchen Situationen froh war, dass es andere Mistreiter*innen gab, die sich darauf konzentrierten. Dabei ging es nicht um Freude an der Gewalt, sondern um Schutz vor den Nazis.

Laura aus Ostberlin sprach auch von den psychologischen Folgen solcher Auseinandersetzungen. Über Traumata habe man in den 1990er Jahren nicht viel geredet. Die Frau hat sich schon in jungen Jahren gegen Nazis engagiert. Ihr Grossvater war jüdischer Kommunist und stand nach 1989 im Visier der Rechten. Die Antifaschistin betont, dass es nicht darum gehe, zur Kampfmaschine zu werden, wenn man sich gegen Nazis stellt. „Wir waren viele kleine Menschen, die nicht zimperlich waren“, beschreibt sie ihre Haltung damals. Wichtig war aber, dass man sich eben auf die Menschen verlassen konnte, die neben einem standen in der Auseinandersetzung mit den Rechten.

Grenzen antifaschistischer Militanz

Auch die beiden männlichen Antifaschisten im Film haben einen sehr reflektierten Umgang mit Gewalt und sehen die Gefahr, dass auch in den eigenen Reihen vor allem manche Männer Militanz nicht als Mittel sondern aus Prinzip anwenden. So beschrieb Torsten eine Situation, als ein junger Rechter schon verletzt im Gleisbett lag und einige weiter Steine auf ihn warfen. Das hätten dann andere Antifaschist*innen gestoppt und sie hätten dafür gesorgt, dass der verletzte Nazi entfliehen konnte. „Wir wollten die Rechten auch mit Gewalt stoppen, aber sie nie so verletzen, dass sie ihr Leben nicht mehr fortführen können oder sie gar töten“, betonte Torsten.

Navid aus Göttingen berichtete, dass ein Mitstreiter aus einer antifaschistischen Gruppe ausgeschlossen wurde, weil er einen Rechten, der schon am Boden lag, auf den Kopf schlug. Der Göttinger Antifaschist betonte auch, dass Militanz einen ganz geringen Stellenwert in der antifaschistischen Arbeit haben müsse, zentraler seien hingegen Bildung und Aufklärung. Da war man auch im Film ganz in der Gegenwart. Es wurden Szenen von Protesten gegen die AfD Anfang 2023 gezeigt.

Nach der Film-Premiere am vergangenen Donnerstag in einem Berliner Freiluftkino erschollen viele Rufe „Alerta, alerta, Antifaschista“ und ein kurzes Gespräch mit einigen der Protagonisten.

Wie erfolgreich war die Antifa?

Nach der Premiere war wenig Zeit für eine lange Diskussion. Aber es ist zu hoffen, dass der Film Debatten anregt. Dafür ist er schon deshalb gut geeignet, weil er eben keine Beweihräucherung der Antifa-Bewegung ist. Alle Protagonist*innen äussern sich erfreulich selbstkritisch und hinterfragen auch die eigene Praxis. Torsten lässt am Ende die Frage unbeantwortet, ob die Antifa erfolgreich war.

Wenn er die Wahlergebnisse der AfD betrachte, habe er da Zweifel, resümierte er am Ende des Films. Aber vielleicht sind erfolgreiche Blockaden wie in Jena doch ein Zeichen dafür, dass die Gegner der Rechten lernfähig sind und sich nicht wie so oft, an ideologischen Fragen zerstreiten?

Antifaschismus jenseits des Linksliberalismus

Im Film spielen theoretische Fragen keine grosse Rolle und ideologische Streitpunkte wurden weitgehend ausgespart. Dass ist positiv, wenn es um Dauerkonflikte wie die Positionierung zum Nahen Osten oder zum Ukrainekrieg geht. Dazu gibt es schliesslich genügend andere Filme. Doch über die theoretischen Diskussionen in der unabhängigen Antifa-Bewegung vor 30 und vor 20 Jahren hätte man doch etwas mehr erfahren können. So spricht der Navid über die bundesweite Antifaschistische Aktion/bundesweite Organisierung (AA/BO) die sich 2010 aufgelöst hat, aber 10 Jahre durchaus erfolgreiche Kampagnen führte. Daneben gab es noch ein Bundesweites Antifa-Treffen (BAT).

Man hätte gern mehr über die Differenzen zwischen diesen beiden bundesweiten Organisierungsbemühungen in der parteiunabhängigen Antifabewegung erfahren. Wo lagen die Unterschiede und gelang es auch, beispielsweise bei Grossaktionen gegen Nazis zu kooperieren? Und eine Frage sollte auch nicht fehlen. Haben die unabhängigen Antifaschist*innen damals tatsächlich den Anspruch gehabt, „Schulter an Schulter, weil der Staat versagte“ zu agieren, wie der Untertitel des Films nahelegte? Oder haben autonome Antifaschist*innen damals nicht eine staatskritische Haltung eingenommen und hatten gar nicht die Absicht, Staatsaufgaben zu übernehmen?

Das sind auch Fragen, die sich viele, vor allem jüngere Antifaschist*innen heute wieder stellen. So haben mehrere aktuell aktive Antifagruppen einen Aufruf verfasst, in dem sie sich Gedanken über eine antifaschistische Organisierung machen, "die nicht einfach zum linken Flügel von SPD und Grünen wird". Unter dem Titel „Zeit zum Handeln“ haben sie Thesen für einen Antifaschismus jenseits des Linksliberalismus veröffentlicht.

Dort heisst es:

„Wenn es unsere Analyse ist, dass der Aufstieg von AfD und Co. nicht zufällig mit der mehr und mehr spürbar werdenden Krise zusammenfällt, ist die naheliegende Folgerung, dass ein Aufhalten, bzw. Umkehren des Rechtsrucks nur durch eine bereite antikapitalistische Bewegung geschafft werden kann.

Das sehen aber nicht alle so. Die liberalen und sozialdemokratischen Parteien wollen von den Ursachen des Rechtsruck nichts wissen, müssten sie sich doch damit eingestehen, selbst Teil des Problems und nicht der Lösung zu sein. Ganz zu Schweigen davon, dass sie gerade einige der menschenverachtenden Forderungen der Rechten selbst umsetzen.“ (aus dem Aufruf „Zeit zum Handeln“)

Einige Antifagruppen sehen in dem Aufruf zu viel revolutionären Antifaschismus. Beiden Seiten geht es dabei erfreulicherweise nicht um mehr Militanz gegen Rechte, sondern um die Frage, ob es reicht, gemeinsam mit Grünen und SPD gegen die AfD vorzugehen und dann vielleicht in Thüringen eine Koalition aus BSW und CDU zu bekommen, die ebenfalls in vielen Bereichen rechte Politik macht. Oder ob es nicht an der Zeit wäre, einen Satz von Horkheimer abgewandelt ernst zu nehmen, nämlich von Kapitalismus nicht zu schweigen, wenn man den Faschismus bekämpfen will. Vielleicht kann der Film „Antifa – Schulter an Schulter,wo der Staat versagte“ dazu beitragen, dass eine solche wichtige Diskussion über Perspektiven der Antifa-Bewegung auch mit Menschen geführt wird, die bereits seit 30 Jahren gegen die Rechten aktiv waren und verschiedene Organisationsansätze und ihre Grenzen erlebt hatten. Ihre Erfahrungen könnten für aktuelle Organisationsdebatten wichtig sein und auch einer Mystifizierung der Antifa-Bewegung der 1990er Jahre vorbeugen.

Was wurde aus der Jugend-Antifa Hamburg-Bergedorf?

Eine Frage bleibt am Ende offen: Es gab im Film eine kurze Szene mit einer Jugend-Antifa, die sich Ende der 1980er Jahre in Hamburg-Bergedorf gegründet hatte und wohl vor allem aus Arbeiterjugendlichen bestand. Sie hatte sich die Aufgabe gestellt, als eine Art „rote Cops“ den Rechten die Grenzen zu setzen, die ihnen die offizielle Polizei ihrer Meinung nach nicht setzt. Leider findet diese Gruppe später im Film keine Erwähnung mehr. Mich hätte interessiert, was aus dieser Gruppe geworden ist, deren Ansatz durchaus auch heute noch Anhänger*innen hat und deren formulierter Anspruch an ihr antifaschistisches Handeln eigentlich perfekt zum Untertitel des Films passte: „Schulter an Schulter, weil der Staat versagt“.

Peter Nowak

Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte

Deutschland

2024

-

100 min.

Regie: Marco Heinig, Steffen Maurer

Drehbuch: Marco Heinig, Steffen Maurer

Produktion: Leftvision