Rezension zum Film von Christian Petzold Phoenix

Kultur
Wenn ich nicht mehr ich sein kann: Basierend auf einem etwas konstruierten Szenario ist Phoenix ein spannendes, später auch bewegendes Drama über die Frage nach der eigenen Identität.



Der deutsche Filmregisseur Christian Petzold am 22. September 2014 beim Internationalen Filmfestival San Sebastián in Spanien, wo er sein Drama «Phoenix» vorstellte. Foto: Paul Katzenberger (CC BY-SA 4.0 cropped)




Nicht einmal ihr Mann Johnny (Ronald Zehrfeld) erkennt sie wieder. Dafür macht er ihr einen Vorschlag: Nelly soll sich als seine vermeintlich verstorbene Frau ausgeben und so an das Erbe rankommen. Die lässt sich darauf ein, teils aus Verwirrung, teils aus Liebe, teils aber auch aus Neugierde: War Johnny es, der sie damals an die Deutschen verraten hat?
Schon wieder ein Drama zum Zweiten Weltkrieg? Kurz nach Diplomatie dürfen wir erneut auf der grossen Leinwand sehen, wie die Schrecken des 20. Jahrhunderts als Kulisse für sehr persönliche Auseinandersetzungen gebraucht werden. Zwar basiert Phoenix nicht auf einem Theaterstück, ähnlich wie der deutsch-französische Kollege hat aber auch das neueste Werk von Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold etwas sehr Kammerspielartiges an sich: Ein Grossteil des Films dreht sich um gerade einmal zwei Personen, es wird viel geredet, kaum gehandelt, auch der Schauplatz ist ähnlich eingeschränkt. Wer bei einem Film vor allem was fürs Auge geboten will, kann sich das Kinoticket daher sparen. Alle anderen dürfen sich darauf freuen, dass Phoenix nicht nur formal ähnlich, sondern auch von einer vergleichbar hohen Qualität ist.
Stärker noch als bei Diplomatie spielt hier das Setting des zweiten Weltkrieges eine nur untergeordnete Rolle. Stattdessen stehen viel allgemeinere, existenzielle Fragen auf dem Programm. Natürlich ist das Drama auch mit einer gewissen Spannung verbunden, schliesslich will man als Zuschauer wissen, ob Johnny seine tot geglaubte Frau irgendwann doch wiedererkennt. Und wenn ja, wie er darauf reagieren wird. Viel interessanter sind aber die Überlegungen, was die Identität eines Menschen überhaupt ausmacht. Wie viel wird durch das Aussehen bestimmt? Die Art sich zu bewegen? Zu schreiben?
Geradezu grotesk wird es, wenn Johnny im Laufe des Films versucht, Nelly beizubringen, was es eigentlich heisst, Nelly zu sein. Sicher ist das Szenario, das auf Motiven des Romans „Le retour des cendres“ von Hubert Monteilhet basiert, nicht sehr glaubwürdig. Doch darum geht es hier eben nicht, Phoenix will keine stellvertretende Kriegsanekdote sein, sondern eine Was-wäre-wenn-Überlegung. Jeder dürfte sich schon einmal gefragt haben, was andere über einen sagen, wenn man nicht dabei ist. Nelly hat die Möglichkeit dazu, wird dadurch gleichzeitig aber auch mit der Rückseite der Medaille konfrontiert: Dass man sich selbst nie wirklich ganz gehört, man für andere immer das ist, was sie draus machen.
Dass Nelly nicht unbedingt die durchsetzungsstärkste Person ist, unterstützt das Ausgeliefertsein noch. Petzolds Dauermuse Nina Hoss spielt hier – anders als in ihren letzten Rollen in «Gold» oder «A Most Wanted Man» – keine starke Frau, keinen Phoenix, der strahlend und kraftstrotzend aus der Asche emporsteigt. Vielmehr ist ihre Nelly schwach und unterwürfig, hält selbst dann noch an ihrer Liebe zu Johnny fest, als für alle anderen schon offensichtlich ist, wohin die Reise geht. Das Gesicht mag verheilt sein, sogar geradezu hübsch. Die Wunden darunter jedoch, die Trauer um den Verlust ihrer Zweisamkeit und des eigenen Ichs, denen verweigert der Film die Heilung. Und so wird Phoenix zwischendurch dann doch, philosophische Metaüberlegungen hin, konstruierte Geschichte her, ein Drama, das auch auf der menschlichen Ebene beim Zuschauer seine Spuren hinterlässt.
Phoenix
Deutschland
2014
-98 min.
Regie: Christian Petzold
Drehbuch: Christian Petzold, Harun Farocki
Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf
Produktion: Schramm Film Koerner & Weber
Musik: Stefan Will
Kamera: Hans Fromm
Schnitt: Bettina Böhler
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